Die Stabilität oder Dynamik von Einkommen und Armut gibt Auskunft über die Chancen und Risiken zur Verbesserung beziehungsweise Verschlechterung der materiellen Grundlagen in einer Gesellschaft. Dies gilt insbesondere in Zeiten politischer und wirtschaftlicher Krisen. Die Veränderung von Einkommenspositionen im Zeitverlauf ist deshalb auch ein entscheidender Hinweis dafür, inwieweit es Personen und Haushalten gelingt, defizitäre Positionen zu überwinden, und welchem Risiko sie ausgesetzt sind, in unzureichende Einkommenslagen abzusteigen oder dort zu verbleiben. Diese Mobilität zwischen verschiedenen Einkommenspositionen im zeitlichen Verlauf kann unter anderem durch sogenannte Mobilitätsmatrizen berechnet und dargestellt werden. Hierbei wird berechnet, welcher Bevölkerungsanteil zu zwei Zeitpunkten in denselben Einkommensklassen (Quintilen) geblieben beziehungsweise in höhere oder niedrigere Einkommensschichten gewechselt ist.
Um die Mobilitätsmuster über längere Zeitabstände vergleichend darzustellen, wurden Verbleib und Übergänge in und aus Einkommensquintilen in einem vierjährigen Abstand zu drei verschiedenen Perioden betrachtet: 1997 bis 2001, 2007 bis 2011 sowie 2017 bis 2021. Das Risiko, der Personen auch nach vier Jahren im untersten Quintil zu verbleiben, lag zwischen den Jahren 1997 und 2001 bei 54 % und verharrte in den nachfolgenden Dekaden (2007–2011 und 2017–2021) bei 60 %. Der Anteil an Aufstiegen von der untersten in höhere Einkommenslagen verringerte sich entsprechend von 46 % zwischen 1997 und 2001 auf 40 % in den Jahren 2007 bis 2011 und verharrte auch beim Übergang in die Phase der Coronapandemie (2017–2021) auf diesem Niveau. Auch der Anteil der Personen, die im zweiten Quintil verblieben sind, hat sich nach einem Anstieg zu Beginn der 2000er-Jahre in den Jahren von 2017 bis 2021 nur geringfügig gegenüber der Vorperiode erhöht. In den mittleren Einkommensquintilen lag der Verbleib erwartungsgemäß am niedrigsten – mit zum Teil unterschiedlichen Mustern im zeitlichen Verlauf. Bei den beiden oberen Quintilen hat sich der Anteil der Personen, die in diesen Quintilen verblieben sind, in den Jahren vor und während der Coronapandemie (2017–2021) insgesamt etwas verringert. Die Risiken des Abstiegs in niedrigere Einkommenslagen sind gleichzeitig etwas gestiegen. Im unteren Einkommensbereich ist in den Jahren vor und während der Coronapandemie der Anteil der verbleibenden Personen weiter gestiegen. Bei den höheren Einkommensschichten haben Veränderungen der Einkommenspositionen in dieser Phase hingegen eher zugenommen. Die infolge der Coronapandemie eingeführten sozialstaatlichen Schutzmaßnahmen haben die unteren Einkommenslagen offenbar besonders geschützt und so zu einer Stabilisierung ihrer relativen Einkommensposition beigetragen.
Abschließend wird der Frage nachgegangen, in welchem Umfang Personen in verschiedenen Einkommensschichten in den zurückliegenden vier Jahren Einkommensarmut erfahren haben. Dabei bleibt unbeachtet, ob diese individuellen Armutserfahrungen zuvor im selben oder in einem anderen Haushalt gemacht wurden. Abbildung 5 weist die zurückliegenden individuellen Armutserfahrungen für die Ausgangsjahre 2001, 2011 und 2021 aus. Für das Jahr 2021 werden diese zudem für die jüngste Altersgruppe bis 30 Jahre und für die Älteren ab 60 Jahren getrennt dargestellt.
Von den Personen, die im Jahr 2021 in der untersten Einkommensschicht (weniger als 60 % des Medianeinkommens) und damit in relativer Einkommensarmut lebten, waren mehr als 80 % bereits in den vier Vorjahren (2017 bis 2020) zumindest einmal von Armut betroffen. Darunter war weit mehr als die Hälfte (etwa 58 %) in diesem Zeitraum dauerhaft arm mit Armutsepisoden von mindestens drei Jahren. Die Bevölkerung in relativer Einkommensarmut setzte sich im Jahr 2021 (also während der Coronapandemie) in folgender Weise zusammen: 40 % aller Personen in dieser Einkommensschicht waren auch in allen vier Jahren zuvor sowie weitere 18 % in drei der vier vorausgehenden Jahre permanent arm. Insgesamt 25 % erlebten in den zurückliegenden vier Jahren transitorische Verläufe mit Ein- und Ausstiegen in und aus Armut, darunter 13 % mit zweimaliger und 12 % mit einmaliger Armutserfahrung in den zurückliegenden vier Jahren; weitere 18 % waren Neuzugänge bei der Armutspopulation.
Im Vergleich dazu setzte sich die Einkommensschichtung zehn Jahre zuvor (2011) noch in folgender Weise zusammen: 36 % aller Personen in dieser Einkommensschicht waren dauerhaft (in allen vier vorausgegangenen Jahren) arm, 15 % waren in drei Jahren arm, 29 % hatten einen transitorischen Armutsverlauf mit ein oder zwei Armutsepisoden in den zurückliegenden vier Jahren und weitere 21 % hatten zuvor keinerlei Armutserfahrung. Im Ausgangsjahr 2001 war der Anteil mit permanenter Armutserfahrung noch geringer und der Anteil mit transitorischen Armutserfahrungen höher. Der Anteil an Personen unter der Armutsschwelle mit dauerhaften Armutsepisoden im zurückliegenden Zeitraum von vier Jahren hat innerhalb der vergangenen Dekaden stark zugenommen.
Mit zunehmender Höhe der Einkommen nimmt der Personenkreis mit vorheriger Armutserfahrung erwartungsgemäß ab. Im Bereich des prekären Wohlstands unmittelbar oberhalb der Armutsschwelle (60 bis 75 % des Medianeinkommens) lebten 2021 etwa 40 % der Personen zumindest einmal innerhalb der zurückliegenden vier Jahre unterhalb der Armutsgrenze − 2001 waren es 42 % und 33% im Jahr 2011. Kurzfristige Armutserfahrungen reichten bis in die mittleren Einkommenslagen hinein. Selbst im Bereich höherer Einkommen haben noch zwischen 3 und 4 % der Personen zumindest kurzfristige Armutserfahrungen gemacht. Insgesamt erhöhten sich insbesondere die Risiken anhaltender Armutsepisoden. Die Chancen, Armutsepisoden zu überwinden, haben sich folglich verringert.
Die Muster der Armutsdauer variierten mit dem Lebensalter. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene (im Alter bis 30 Jahre) wiesen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung höhere Anteile an transitorischen Armutserfahrungen auf. Dies galt auch für die mittleren und höheren Einkommensschichten. Möglicherweise haben diese nach Abschluss der für diese Altersgruppe typischen Ausbildungsphasen temporäre Armutsphasen überwinden können. Ältere im untersten Einkommensbereich trugen indes ein besonders hohes Risiko, länger im prekären Einkommensbereich zu verbleiben.