Die Einkommen privater Haushalte bilden die zentralen Ressourcen der Bevölkerung für die Sicherung des individuellen Lebensstandards und sind maßgeblich bei der Bewältigung von Krisen. Die Verteilung der Einkommen in einer Gesellschaft gibt im zeitlichen Verlauf darüber Auskunft, inwieweit alle Bevölkerungsteile an der Wohlstandsentwicklung partizipieren oder ob einzelne Bevölkerungsgruppen gefährdet sind, von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen zu werden.
In diesem Kapitel werden mit den Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) die langjährigen Einkommensentwicklungen in Deutschland für den Zeitraum 1992 bis 2022 beschrieben. Die Jahre 2020 bis 2022 geben dabei Hinweise auf die Auswirkungen der wirtschaftlichen Einschnitte infolge der Coronapandemie sowie erste Anzeichen der politischen und wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine seit Februar 2022. Entsprechend uneinheitlich sind die Einkommenskennziffern in diesem krisenreichen Zeitabschnitt. Bei langjähriger Betrachtung sind die Realeinkommen bis 2021 gestiegen, dann aber – laut der aktuell noch vorläufigen Daten – nach dem starken Preisauftrieb infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine im Jahr 2022 real gesunken. Die Ungleichheit in der Verteilung der verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte wie auch der Abstand zwischen armen und reichen Haushalten blieben bis zum Jahr 2022 in Deutschland weiterhin hoch. Bei der Berechnung der Jahreseinkommen werden hier – soweit nicht anders ausgewiesen – nur rein monetäre Einkünfte betrachtet. Einkommensvorteile durch selbstgenutztes Wohneigentum ("imputed rent") bleiben hierbei ebenso unberücksichtigt wie Ausgaben für Unterhaltsleistungen oder Wohnkosten. Neben der allgemeinen Einkommensentwicklung wird dabei auch der Verlauf der Angleichung der Einkommen zwischen Ost- und Westdeutschland sowie die Verteilung der Einkommen von Personen mit Migrations- und Fluchthintergrund dokumentiert. Die Einkommensungleichheit und die Betroffenheit von Niedrigeinkommen und Einkommensarmut geben darüber hinaus Auskunft über die relative Schichtung der Einkommen sowie über die Polarisierung zwischen Arm und Reich. Das Ausmaß der Einkommens- und Armutsdynamik in Deutschland, die hier ebenfalls im zeitlichen Verlauf dargestellt werden, gibt Hinweise auf die Chancen von Einkommensaufstiegen und Risiken von Einkommensverlusten und beschreibt so auch die Offenheit der Einkommensschichtung und deren Widerstandsfähigkeit bei politischen und wirtschaftlichen Krisen.
Info 1Daten und Methoden
Die Einkommen werden im Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) im Rahmen der jährlichen Befragungen detailliert erfasst: Zum einen wird das monatliche Haushaltsnettoeinkommen erfragt, also die regelmäßigen Einkünfte nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben zuzüglich erhaltener Sozialtransfers. Zum anderen werden jeweils für das zurückliegende Jahr die individuellen (Brutto-)Einkommen aller aktuell im Haushalt befragten Personen erhoben. Diese individuellen Einkommenskomponenten werden über den Haushalt aufsummiert und liefern so, mithilfe einer Schätzung der Steuer- und Sozialabgaben, die Jahresnettoeinkommen des Vorjahres. Bei den Jahreseinkommen sind neben einmaligen Sonderzahlungen (zum Beispiel 13., 14. Monatsgehalt, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld) auf diese Weise auch Steuerrückzahlungen implizit berücksichtigt.
Die erhobenen Monatseinkommen bilden die zum Interviewmonat aktuell verfügbaren ökonomischen Ressourcen für alle zu diesem Zeitpunkt im Haushalt lebenden Personen ab. Die Jahreseinkommen beschreiben demgegenüber die von jeder aktuell im Haushalt lebenden Person im Vorjahr erzielten Markt- und Nettoeinkünfte. Beide Einkommenskonzepte unterscheiden sich damit nicht nur hinsichtlich des zeitlichen Bezugsrahmens, sondern auch in ihrer Erhebungsweise und Ausrichtung. Im Kapitel werden deshalb Daten zu beiden Konzepten präsentiert.
Um die Einkommenssituation von Haushalten unterschiedlicher Größe und Zusammensetzung vergleichbar zu machen, werden alle Haushaltseinkommen entsprechend dem EU-weit standardisierten Vorgehen unter Verwendung der revidierten OECD-Skala in sogenannte "Äquivalenzeinkommen" (siehe