Die Messung der Armutsgefährdung in der europäischen Sozialberichterstattung orientiert sich an einer relativen Definition von Armut. Sie folgt damit einem Ratsbeschluss der Europäischen Union von 1984 über gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut auf Gemeinschaftsebene. Danach gelten Personen als "verarmt", "wenn sie über so geringe (materielle, kulturelle und soziale) Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist". Ausgehend von dieser Sichtweise gilt in EU-SILC eine Person als armutsgefährdet, wenn ihr Nettoäquivalenzeinkommen (siehe Info 3) weniger als 60 % des nationalen Medianeinkommens beträgt.
Bei einem Medianwert für das Nettoäquivalenzeinkommen von 26.274 Euro gemäß der Erhebung 2023 lag der Schwellenwert für die Armutsgefährdung bei 15.765 Euro (60 % des Medianeinkommens) für Alleinlebende. Umgerechnet auf das monatliche Einkommen bedeutet dies, dass eine Person als armutsgefährdet galt, wenn sie ein Einkommen von weniger als 1.314 Euro im Monat hatte (2021: 1.247 Euro). Gemäß der Erhebung 2023 lag das Nettoäquivalenzeinkommen für 14,4 % der Bevölkerung in Deutschland unter dem Schwellenwert. Bei der Erhebung 2021 lag dieser Wert bei 16,0 %.
Mit 24,6 % waren 2023 die jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 24 Jahren am stärksten armutsgefährdet. Im Gegensatz dazu wiesen die 25- bis 54-Jährigen mit 11,5 % die niedrigste Armutsgefährdungsquote auf. Frauen waren 2023 mit 15,1 % stärker armutsgefährdet als Männer (13,7 %). Das betraf nahezu alle Altersgruppen. Lediglich die Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren wiesen mit einer Armutsgefährdungsquote von 14,1 % (männlich) und 14,0 % (weiblich) nahezu keinen geschlechtsspezifischen Unterschied auf.
Beim Vergleich unterschiedlicher Haushaltstypen zeigt sich, dass im Jahr 2023 sowohl Personen in Haushalten von Alleinerziehenden mit 23,7 % als auch Alleinlebende mit einem Anteil von 26,4 % weit überdurchschnittlich von Armut bedroht waren. Insgesamt betrachtet hatten Personen in Haushalten ohne Kind mit 15,5 % eine höhere Armutsgefährdungsquote als Personen in Haushalten mit Kind(ern) (12,9 %).
Der Erwerbsstatus von Personen wird in der EU-SILC-Erhebung im Rahmen einer Selbsteinschätzung erfragt. Dort geben die Personen an, welcher überwiegende Erwerbsstatus beziehungsweise welche überwiegende Lebenssituation im Vorjahr auf sie zutraf. Die Analyse nach dem Merkmal Erwerbsstatus von Personen ab 18 Jahren zeigt, dass 6,6 % der erwerbstätigen Personen im Jahr 2023 armutsgefährdet waren. Bei Arbeitslosen waren 46,5 % von Armutsgefährdung betroffen. Von den Personen im Ruhestand galten 18,3 % als armutsgefährdet.
Da bei dieser Betrachtung der Erwerbsstatus der anderen erwachsenen und somit potenziell erwerbsfähigen Haushaltsmitglieder unberücksichtigt bleibt, ist es sinnvoll, zusätzlich auch die Arbeitsmarktbeteiligung beziehungsweise Erwerbsbeteiligung ("work intensity") des gesamten Haushalts zu betrachten.
Info 6Erwerbsbeteiligung (»work intensity«)
Das Haushaltsmerkmal "Erwerbsbeteiligung" bezieht sich auf das Vorjahr der Erhebung. Ein Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung liegt dann vor, wenn die tatsächliche Erwerbsbeteiligung (in Monaten) der im Haushalt lebenden, erwerbsfähigen Haushaltsmitglieder im Alter von 18 bis 64 Jahren insgesamt weniger als 20 % ihrer maximal möglichen (potenziellen) Erwerbsbeteiligung beträgt. Ein Beispiel: Bei drei Erwerbstätigen zwischen 18 und 64 Jahren im Haushalt beträgt die potenziell mögliche Erwerbsbeteiligung insgesamt 36 Erwerbsmonate im Einkommensreferenzjahr. Damit es sich nicht um einen Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung handelt, darf die Erwerbsbeteiligung der drei Personen insgesamt den Wert "7,2 Erwerbsmonate" (= 20 % von 36 Monaten) nicht unterschreiten. Das wäre zum Beispiel erfüllt (eine mögliche Variante), wenn eine der drei Personen mindestens 7,2 Monate lang erwerbstätig war und die anderen beiden Personen jeweils nicht erwerbstätig waren. Wird der Grenzwert von 7,2 Monaten in diesem Fallbeispiel unterschritten, so handelt es sich um einen Haushalt mit sehr niedriger Erwerbsbeteiligung. Die ausgewiesenen Anteilswerte beziehen sich auf Personen im Alter von 0 bis 64 Jahren in den Haushalten.
Danach waren 52,5 % der Personen unter 65 Jahren in Haushalten mit einer sehr geringen Erwerbsbeteiligung (weniger als 20 %) im Jahr 2023 armutsgefährdet. Lag die Arbeitsmarktbeteiligung des Haushalts insgesamt höher, aber noch unter 45 % (geringe Erwerbsbeteiligung), so betrug die Armutsgefährdungsquote der Personen unter 65 Jahren in diesen Haushalten 27,9 %. Wie erwartet wiesen Personen in Haushalten mit einer Erwerbsintensität von mindestens 85 % die geringste Armutsgefährdungsquote auf (4,1 %). Je höher also die Arbeitsmarktbeteiligung der potenziell erwerbsfähigen Haushaltsmitglieder und damit des Haushalts insgesamt ist, desto geringer ist folglich auch die Armutsgefährdungsquote für die Personen in diesen Haushalten.
Neben dem Erwerbsstatus werden die Personen in der Erhebung EU-SILC auch zu ihrem erreichten Bildungsabschluss befragt (zum Bildungsstand siehe Kapitel 2.1, Info 2, Seite 55). Im Jahr 2023 waren 7,8 % der Personen mit einem hohen Bildungsstand, 13,8 % der Personen mit einem mittleren Bildungsstand und 25,7 % der Personen mit einem niedrigen Bildungsstand armutsgefährdet.