Die tatsächliche Arbeitszeit weicht im Durchschnitt systematisch von dem ab, was in der jungen und mittleren Generation als ideal angesehen wird. Dies verdeutlicht zwei fundamentale gesellschaftliche Probleme und weist gleichzeitig auf Lösungsperspektiven hin:
In der Rushhour des Lebens, wenn also das jüngste Kind jünger als sechs Jahre alt ist, arbeiten Väter etwa fünf Stunden mehr pro Woche im Beruf, als es als ideal angesehen wird. Dies trägt dazu bei, dass sie weniger Familienarbeit leisten, sodass Mütter überproportional viel Sorgearbeit übernehmen und sich somit auch in der Rushhour des Lebens befinden. Diese Überlastung kann zu permanentem Stress und gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Zudem kann es die Lebenszufriedenheit beeinträchtigen, die Partnerschaft belasten und auch dazu beitragen, dass Paare sich nicht für ein weiteres Kind entscheiden.
Nach der Rushhour des Lebens, mit zunehmendem Alter der Kinder, arbeiten Mütter deutlich weniger Stunden im Beruf, als es dem Ideal entspricht. Viele sind in der "Teilzeitfalle". Dies führt dazu, dass viele Mütter ein geringeres Einkommen haben, die Karriereentwicklung häufig hinter den Potenzialen zurückbleibt und der Gender Pay Gap groß ist. Dies hat für Mütter nicht nur eine ökonomische Abhängigkeit zur Folge, sondern auch langfristig geringere Einkommen und Rentenansprüche. Zudem werden viele Potenziale für den Arbeitsmarkt nicht genutzt, der angesichts des Fachkräftemangels einen großen Bedarf an höherer Erwerbstätigkeit von Müttern hat.
Was wäre hypothetisch das Ergebnis, wenn sich die Erwerbsarbeitszeit von Müttern und Vätern stärker den Bedürfnissen von Familien anpassen würde und Eltern nach dem Alter der Kinder so viel arbeiten würden, wie es als ideal angesehen wird? Väter würden vor allem mit kleineren Kindern weniger beruflich arbeiten, mehr Zeit für die Familie haben und ihre Partnerinnen entlasten. Die Rushhour des Lebens wäre so entzerrt. Mütter von Schulkindern würden mehr beruflich arbeiten. In der Summe würde dem Arbeitsmarkt mehr zur Verfügung stehen: 645.000 zusätzliche Vollzeitäquivalente durch die Mehrarbeit von Müttern und 320.000 Vollzeitäquivalente weniger durch die reduzierte Erwerbsarbeit von Vätern. Beides zusammen resultiert in 325.000 zusätzlichen Vollzeitäquivalenten.
Diese Argumentation ist natürlich hypothetisch, da die Arbeitszeiten nicht exakt so auf dem Reißbrett verteilt werden können. Allerdings zeigt dies die großen Potenziale, wenn Arbeitszeiten im Lebensverlauf von Familien neu gedacht werden. Denn dann kann man Interessen von Familien und Arbeitgebern verbinden, indem Eltern in der Rushhour des Lebens mehr Zeit für Familie haben und trotzdem in der Summe mehr beruflich gearbeitet wird.
Um dies zu erreichen, ist eine stärkere Partizipation von Vätern in der Familienarbeit erforderlich, die gleichzeitig die langfristigen beruflichen Potenziale der Mütter voranbringt. Auch sind Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt notwendig: eine stärkere Etablierung von vollzeitnaher Teilzeit, wobei sichergestellt werden muss, dass familienbedingte temporäre Phasen mit beispielsweise 25, 30 oder 35 Wochenstunden nicht zu Karrierenachteilen führen, wie es gegenwärtig der Fall ist. Vorgesetzte sollten insbesondere mit Müttern, die halbtags arbeiten, beispielsweise in jährlichen Mitarbeitendengesprächen, die Chance für Fortbildung, die Übernahme von Projekt- oder Führungsverantwortung und gegebenenfalls einen Anstieg der Arbeitszeiten erörtern. Auch die Politik könnte Anreize geben. Zeitpolitische Konzepte gibt es beispielsweise vom evangelischen Familienverband (eaf) zu einer dynamischen Familienarbeitszeit. Verlässlichere ganztägige Betreuung in Kitas und Schulen sind dabei eine Voraussetzung.
Die Befunde zeigen, dass eine Annäherung der Arbeitszeiten von Müttern und Vätern und eine stärkere Partnerschaftlichkeit, nicht jedoch eine Gleichheit der Erwerbsstunden den empirisch gemessenen Einstellungen entsprächen. Allerdings erkennen viele junge Erwachsene die Dynamik im Lebensverlauf von Familien, bei der je nach Alter der Kinder unterschiedliche zeitliche Bedürfnisse herrschen, an die sich die berufliche Arbeitszeit stärker anpassen sollte. Diese Erkenntnis ist für Politik und Betriebe hochrelevant.