Junge Menschen stehen nicht nur vor der Herausforderung, ihre eigenen Interessen, Werte und Identität zu entwickeln und einen eigenen Lebensentwurf auszugestalten, sondern sind auch gefordert, dies in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Erwartungen und Normen zu tun. Damit einher geht auch die Entwicklung eines politischen Bewusstseins, was sich unter anderem in unterschiedlichen Formen politischer Partizipation niederschlägt (siehe Interner Link: Kapitel 10.1).
Mit Blick auf die Beteiligung an Wahlen sowie ein aktives Mitwirken in einer Partei oder Bürgerinitiative unterscheiden sich queere und cis-heterosexuelle Jugendliche und junge Erwachsene kaum: Eine Mehrheit von zwei Dritteln der jungen Menschen zwischen 16 und 32 Jahren war in den vergangenen zwölf Monaten wählen gegangen, womit die Beteiligung an Wahlen die häufigste Form der politischen Partizipation unter jungen Menschen war. Dagegen spielte ein aktives Mitwirken in einer Partei oder Bürgerinitiative nur für einen kleinen Teil der queeren (3 beziehungsweise 4 %) sowie cis-heterosexuellen (2 %) Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine Rolle.
Häufiger aktiv waren queere junge Menschen im Vergleich zu cis-heterosexuellen Gleichaltrigen, wenn es darum ging, den eigenen politischen Standpunkt zur Geltung zu bringen oder Einfluss zu nehmen. Jeweils rund 40 % der queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen gaben an, dass sie sich in den vergangenen zwölf Monaten an einer Unterschriftensammlung, an einer Online-Protestaktion oder an einer Demonstration beteiligt hatten. Unter den cis-heterosexuellen jungen Menschen waren die entsprechenden Anteile signifikant niedriger.
Politische Partizipation betrifft auch die eigene Selbstpositionierung in politischen Debatten sowie die Beteiligung an entsprechenden Diskussionen. Zwei Fünftel (40 %) der queeren jungen Menschen brachten ihre Meinung zu politischen Themen in sozialen Netzwerken zum Ausdruck. Knapp ein Drittel (31 %) beteiligte sich im Internet aktiv an politischen Diskussionen. Bei den cis-heterosexuellen Jugendlichen und jungen Erwachsenen war dies nur bei 16 beziehungsweise 11 % der Fall.
Auch indirekte Formen der Einflussnahme wurden von queeren jungen Menschen öfter wahrgenommen als von cis-heterosexuellen Gleichaltrigen: Mehr als die Hälfte der queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen (59 %) berichtete, dass sie aus politischen, ethischen oder Umweltgründen in den vergangenen zwölf Monaten Waren boykottiert oder gekauft hatte. Bei den cis-heterosexuellen jungen Menschen lag dieser Anteil nur bei rund zwei Fünftel (39 %). Mögliche Erklärungen für die vergleichsweise intensive politische Partizipation queerer junger Menschen könnten die Marginalisierung und Politisierung ihrer Identitäten sein. Diese machen eine gesellschaftskritische Haltung und Selbstpositionierung zur Notwendigkeit, um dem Wunsch nach sozialer und rechtlicher Anerkennung von queeren Lebensweisen Ausdruck zu verleihen. Auch die Vernetzung in queeren Communitys, die auf eine lange aktivistische Geschichte zurückblicken, könnte zu einer verstärkten politischen Beteiligung beitragen.