Eines der bedeutendsten Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe sind – neben der Kindertagesbetreuung (siehe Interner Link: Kapitel 2.2) – die "Hilfen zur Erziehung". Eltern haben darauf nach dem Kinder- und Jugendhilferecht einen Rechtsanspruch (Paragraf 27 Absatz 1 SGB VIII), wenn eine dem Kindeswohl entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für die Entwicklung geeignet und notwendig ist. Dieser Fall muss nicht selbst verschuldet eintreten, sondern kann eine Folge von Erkrankung, Trennung, Arbeitslosigkeit oder anderen Belastungen sein. Der Rechtsanspruch besteht auch für junge Volljährige, falls und solange die Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung beziehungsweise die eigenverantwortliche Lebensführung aufgrund der individuellen Situation notwendig ist (Paragraf 41 Absatz 1 SGB VIII).
Bundesweit wurden im Jahr 2022 gut 1,2 Millionen junge Menschen unter 27 Jahren durch eine der über 990.000 erzieherischen Hilfen erreicht. In rund 811.000 Fällen handelte es sich dabei um Einzelhilfen und in 180.000 Fällen um Familienhilfen, die teilweise mehreren Kindern zugutekamen. Mit anderen Worten: Im Jahr 2022 hat rein rechnerisch etwa jeder 20. junge Mensch in Deutschland allein oder gemeinsam mit der Familie eine erzieherische Hilfe in Anspruch genommen.
Die Gewährung von Hilfen zur Erziehung wird üblicherweise in einem Hilfeplanverfahren unter Beteiligung der betroffenen Kinder und ihrer Sorgeberechtigten mit dem Jugendamt oder einem anderen Träger der Kinder- und Jugendhilfe besprochen und vereinbart. Das Gesetz unterscheidet dazu idealtypisch acht gleichwertige Hilfearten, die sich grob in familienunterstützende (vorrangig ambulante), familienergänzende (teilstationäre) und familienersetzende (stationäre) Hilfen unterscheiden lassen. Mit den flexiblen Hilfen hat der Gesetzgeber zusätzlichen Gestaltungsspielraum geschaffen, um bei Bedarf weitere maßgeschneiderte Hilfeformen für den Einzelfall zu entwickeln.
Von den erzieherischen Hilfen werden mit Abstand am häufigsten familienunterstützende Angebote genutzt. Dazu zählen vor allem niedrigschwellige ambulante Hilfen, die der Lösung von Problemen dienen, Belastungen in der Familie abbauen oder die Erziehungsfähigkeit stärken. Dabei spielten im Jahr 2022 die rund 473.000 Erziehungsberatungen eine Hauptrolle und machten fast die Hälfte aller erzieherischen Hilfen aus. Am häufigsten wurden diese Beratungsangebote zwar von den Eltern allein wahrgenommen (60 %), in knapp einem Drittel der Fälle (28 %) nutzten Eltern und Kinder sie jedoch gemeinsam und in immerhin 13 % aller Fälle ließen sich die jungen Menschen allein beraten. Verstärkt in Anspruch genommen wurde von den familienunterstützenden Angeboten auch die sozialpädagogische Familienhilfe (14 %). Im Rahmen einer solchen Familienhilfe wird die gesamte Familie durch eine Fachkraft aufgesucht und über einen längeren Zeitraum mit dem Ziel begleitet, Problemsituationen und Alltag künftig (wieder) allein bewältigen zu können. Weitere familienunterstützende Hilfen, die zum Einsatz kamen, waren Einzelbetreuungen durch Erziehungsbeistände oder Betreuungshelferinnen und -helfer (7 %) sowie soziale Gruppenarbeit (1,6 %).
In über 213.000 Fällen (22 %) führten die Jugendämter im Jahr 2022 familienersetzende Hilfen außerhalb des Elternhauses durch. Dabei standen Heimerziehungen und betreute Wohnformen im Vordergrund (12 %). Während Unterbringungen in Pflegefamilien hier ebenfalls von Bedeutung waren (9 %), wurden intensive sozialpädagogische Einzelbetreuungen selten in Anspruch genommen (0,6 %).
Schließlich zählte die Statistik im Jahr 2022 noch über 22.000 familienergänzende Hilfen (2,2 %), bei denen die Kinder und Jugendlichen zwar prinzipiell in ihren Familien verblieben, die Wochentage aber zeitweise in einer Tagesgruppe verbrachten.
Als Ergänzung zu diesem Hilfespektrum hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, je nach Bedarf und individueller Situation, flexible Hilfen für den Einzelfall zu entwickeln – seien sie ambulant oder stationär, als Einzel- oder Familienhilfe konzipiert. Flexible Hilfen wurden im Jahr 2022 in knapp 58.700 Fällen genutzt (6 %). Dabei handelte es sich am häufigsten um Familienhilfen (4 %) oder um ambulante beziehungsweise teilstationäre Angebote (1,4 %).
Für die Gewährung einer erzieherischen Hilfe kamen unterschiedliche Gründe infrage: Während bei der Erziehungsberatung die Belastungen des jungen Menschen durch familiäre Konflikte im Vordergrund standen (30 %), war es bei der sozialpädagogischen Familienhilfe und bei der Heimerziehung die eingeschränkte Erziehungskompetenz der Eltern beziehungsweise Sorgeberechtigten (26 beziehungsweise 15 %).
Eine Sonderrolle nehmen in diesem Kontext die Eingliederungshilfen bei drohender oder bereits vorliegender seelischer Behinderung (gemäß Paragraf 35a SGB VIII) ein. Seelische Störungen, die einen Anspruch begründen, sind zum Beispiel Ängste, Depressionen, Traumatisierungen oder Essstörungen, unter bestimmten Umständen auch schulische Teilleistungsstörungen. Anders als bei den erzieherischen Hilfen hat der Gesetzgeber den betroffenen Kindern oder Jugendlichen hier einen eigenen Rechtsanspruch eingeräumt. Voraussetzung dafür ist nicht nur der Nachweis einer (drohenden) Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit, sondern auch, dass dadurch die Teilhabe am sozialen Leben eingeschränkt ist. Im Jahr 2022 wurden solche Eingliederungshilfen rund 151.000-mal in Anspruch genommen. Auffallend ist der Unterschied zwischen den Geschlechtern: Eingliederungshilfen wurden zu 71 % von Jungen oder jungen Männern und nur zu 29 % von Mädchen beziehungsweise jungen Frauen in Anspruch genommen. Dieses Geschlechterverhältnis war auch deutlich ausgeprägter als bei den erzieherischen Hilfen mit 54 % männlichen zu 46 % weiblichen jungen Menschen.