Eine Vorstellung über die künftige Bevölkerungsentwicklung bieten Bevölkerungsvorausberechnungen, die zwischen den statistischen Ämtern des Bundes und der Länder abgestimmt werden.
Info 8Bevölkerungsvorausberechnung
Die langfristigen Bevölkerungsvorausberechnungen zeigen, wie sich Bevölkerungszahl und -struktur unter bestimmten Annahmen zum Geburtenverhalten, zur Sterblichkeit und zu den Wanderungen entwickeln werden. Sie liefern somit "Wenn-dann-Aussagen" und helfen, den Einfluss der demografischen Prozesse auf die Bevölkerungsdynamik zu verstehen.
Da sich demografische Prozesse nur sehr allmählich vollziehen, entfaltet sich das volle Ausmaß ihres Einflusses erst nach mehreren Jahrzehnten. Deshalb kann eine Bevölkerungsvorausberechnung nur dann ihren Zweck erfüllen, wenn sie entsprechend lange Zeiträume umfasst. Um neuere Entwicklungen zu berücksichtigen, aktualisieren die statistischen Ämter ihre Bevölkerungsvorausberechnungen regelmäßig.
In der Regel werden mehrere Varianten der künftigen Entwicklung berechnet. Damit werden einerseits unterschiedliche Tendenzen in den demografischen Prozessen berücksichtigt und andererseits Unsicherheiten der Zukunftsannahmen verdeutlicht.
Eine ausführliche Darstellung der Annahmen und Ergebnisse der 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung ist abrufbar unter: Externer Link: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Bevoelkerungsvorausberechnung/begleitheft.html
Die im Jahr 2022 veröffentlichte 15. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung reicht bis zum Jahr 2070 und stellt ein System aus insgesamt 21 Varianten und acht Modellrechnungen dar. Diese zeigen eine Spannbreite der möglichen künftigen Veränderungen ausgehend von der gegenwärtigen Altersstruktur der Bevölkerung und den getroffenen Annahmen zur Entwicklung der Geburtenhäufigkeit, der Lebenserwartung und des Saldos der Wanderungen aus und nach Deutschland.
Annahmen der 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung
Zu den demografischen Komponenten – Geburtenhäufigkeit, Lebenserwartung und Wanderungssaldo – werden verschiedene Annahmen getroffen, anhand derer die Bevölkerungszahl und -struktur vorausberechnet werden.
Geburtenhäufigkeit
Zur künftigen Entwicklung der Geburtenhäufigkeit wurde angenommen, dass die zusammengefasste Geburtenziffer 2022 im Vergleich zu 2021 spürbar sinken wird. Für die langfristige Perspektive wurden drei unterschiedliche Entwicklungsszenarien in Betracht gezogen: ein weiterer Rückgang der Geburtenhäufigkeit und Stabilisierung bei 1,44 Kinder je Frau (G1), eine Rückkehr bis 2032 auf einen moderaten Pfad mit der Geburtenziffer von 1,55 Kinder je Frau (G2) und ein deutlicher Anstieg und anschließende Konstanz bei 1,67 Kinder je Frau (G3). Bei den beiden höheren Annahmen (G2 und G3) nimmt die Geburtenziffer ab 2023 nur allmählich zu. Diese Annahmen haben keinen Anspruch, die Geburtenziffer in den einzelnen Jahren vorherzusagen. Sie zeigen lediglich die Entwicklungspfade auf, entlang derer sich die Geburtenziffer ausgehend von den Trends der Vergangenheit und der aktuellen Verhältnisse entwickeln könnte.
Lebenserwartung
Die Lebenserwartung ist über Jahrzehnte hinweg nahezu kontinuierlich angestiegen. Seit etwa 2010 nimmt die Lebenserwartung weniger stark zu als in den vorangegangenen Jahrzehnten. Nachdem über einen langen Zeitraum jährliche Anstiege der Lebenserwartung bei Geburt von 0,2 bis 0,4 Jahren verzeichnet werden konnten, lagen sie in den 2010er-Jahren für beide Geschlechter bei ungefähr 0,1 Jahren. Im Zuge der Coronapandemie kam es dann ab 2020 für zwei Jahre in Folge zu einem Rückgang der Lebenserwartung. Langfristig wird aufgrund der bisherigen Entwicklung in Deutschland und der – unabhängig von Corona – bereits deutlich höheren Lebenserwartung in einigen räumlich benachbarten Regionen angenommen, dass die Lebenserwartung in Deutschland weiter ansteigen wird. Im Vergleich zu früheren Generationen werden die verbesserten Lebensumstände, zurückgehender Tabak- und Alkoholkonsum sowie der medizinische Fortschritt auch künftig aller Voraussicht nach zu einem weiteren Anstieg der Lebenserwartung führen. Dazu wurden drei Annahmen getroffen.
In der Annahme L1 "geringer Anstieg" ergibt sich für Männer im Jahr 2070 eine durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt von mehr als 82,6 Jahren und für Frauen von über 86,1 Jahren. Das ist ein Zuwachs von rund 4 beziehungsweise 3 Jahren im Vergleich zur Lebenserwartung in Deutschland im Basiszeitraum 2019/21. Die Grundlage der niedrigen Annahme L1 bildet die kurzfristige Trendentwicklung seit 2010/12. Es wird angenommen, dass sich der erst seit vergleichsweise kurzer Zeit beobachtete Trend zu einem langsameren Anstieg der Lebenserwartung bis zum Jahr 2070 fortsetzen wird.
Bei der Annahme L2 "moderater Anstieg" erreichen Männer im Jahr 2070 bei Geburt eine durchschnittliche Lebenserwartung von 84,6 Jahren und Frauen von 88,2 Jahren. Dies entspricht für Männer einem Anstieg um 6 Jahre und für Frauen um fast 5 Jahre im Vergleich zum Basiszeitraum 2019/21. Die Grundlage der mittleren Annahme L2 bildet die Kombination aus der langfristigen Trendentwicklung seit 1970/72 bis 2017/19 und der kurzfristigen Trendentwicklung seit 2010/12.
In der Annahme L3 "starker Anstieg" können Männer bei Geburt eine durchschnittliche Lebenserwartung von 86,4 Jahren und Frauen von 90,1 Jahren erreichen. Das sind für Männer fast 8 Jahre und für Frauen fast 7 Jahre mehr als 2019/21. Die hohe Lebenserwartungsannahme L3 basiert auf der Trendentwicklung seit 1970/72 bis 2017/19. Voraussetzung ist, dass sich die Verminderung des Sterberisikos in den höheren Altersstufen ähnlich wie in den vergangenen Jahrzehnten bis zum Jahr 2070 fortsetzt.
Wanderungen
Der Wanderungssaldo – die Differenz zwischen Zuzügen nach und Fortzügen aus Deutschland – hängt zum einen vom Migrationspotenzial und Migrationsdruck in den Herkunftsgebieten ab, der infolge politischer, wirtschaftlicher, demografischer und ökologischer Entwicklungen stark schwanken kann. Zum anderen wirken sich die wirtschaftliche Attraktivität und Stabilität Deutschlands, die deutsche Migrationspolitik, aber auch Beschlüsse auf Ebene der Europäischen Union sowie internationale Abkommen zur Regulierung der Migrationsströme auf die Zu- oder Abwanderung aus. Die Annahmen zum künftigen Wanderungssaldo stellen deshalb eine besondere Herausforderung dar.
Die Wanderungsbewegungen der Vergangenheit werden sich zwar in der Zukunft nicht wiederholen, sie zeigen jedoch, in welchem Rahmen sich der Wanderungssaldo bei unterschiedlichen Konstellationen bewegen könnte. Dieser Rahmen kann als hypothetischer Korridor für die künftige Wanderungsentwicklung betrachtet werden.
In der 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung wurden drei Wanderungsszenarien angenommen, die im Vergleich zu früheren Rechnungen von einer höheren Nettozuwanderung nach Deutschland ausgehen. Ausschlaggebend dafür waren einerseits vor allem die am Arbeitskräftebedarf orientierte Migrationspolitik sowie humanitäre Zuwanderung von Schutzsuchenden, mit der zumindest mittelfristig weiter zu rechnen ist. Andererseits wurden auch die Gegentendenzen berücksichtigt. Dazu gehören beispielsweise eine mögliche wirtschaftliche Stagnation, die Deutschland für Zuwanderung weniger attraktiv machen würde, und/oder eine Abschwächung der Nettozuwanderung aus Osteuropa aufgrund der dort starken demografischen Alterung und des steigenden Eigenbedarfs an Arbeitskräften. Diese Faktoren könnten mittel- bis langfristig zum Absinken des Wanderungssaldos führen.
Wegen der hohen Unsicherheit über die Lage in der Ukraine unterscheiden sich die drei getroffenen Annahmen zum Wanderungssaldo bereits im ersten Jahr 2022 mit Werten zwischen 1,1 und 1,5 Millionen. Anschließend nehmen sie unterschiedlich stark ab und erreichen dann bis 2033 einen jeweils konstant gehaltenen Wert.
In der niedrigen Annahme (W1) sinkt der Wanderungssaldo von 1,1 Millionen im Jahr 2022 auf 150.000 im Jahr 2033 und bleibt danach konstant. Im Jahresdurchschnitt wandern demnach zwischen 2022 und 2070 circa 180.000 Personen per Saldo zu.
In der mittleren Annahme (W2) erfolgt der Rückgang von 1,3 Millionen im Jahr 2022 auf 250.000 im Jahr 2033. Danach wird ein konstanter Wanderungssaldo angenommen. Zwischen 2022 und 2070 wandern per Saldo durchschnittlich 290.000 Personen pro Jahr zu.
In der hohen Annahme (W3) sinkt der Wanderungssaldo von 1,5 Millionen im Jahr 2022 auf 350.000 im Jahr 2033 und bleibt anschließend konstant. Zwischen 2022 und 2070 beträgt er durchschnittlich 400.000 Personen pro Jahr.
Ergebnisse der 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung
Die Bevölkerung wächst seit Jahrzehnten infolge eines positiven Saldos der Zuzüge nach und der Fortzüge aus Deutschland. Da in Deutschland bereits seit Jahrzehnten mehr Menschen sterben als geboren werden, würde die Bevölkerungszahl ohne den positiven Wanderungssaldo abnehmen. Diese grundsätzliche Ursache des Bevölkerungsrückgangs wird sich auf lange Sicht noch stärker als in der Vergangenheit auswirken, da die geburtenstarken Jahrgänge im Vorausberechnungszeitraum in das Alter aufrücken, in dem die Sterblichkeit natürlicherweise am höchsten ist. Dadurch wird die Zahl der Sterbefälle für längere Zeit bei jährlich über 1 Million liegen – je nach Entwicklung der Lebenserwartung kann sie auf bis zu 1,2 Millionen steigen. Die Lücke zwischen den Geburten und Sterbefällen wird für mehrere Jahrzehnte hoch bleiben oder sogar weiter wachsen. Bei einer moderaten Entwicklung der Geburtenhäufigkeit und der Lebenserwartung ohne Außenwanderungen würde das Geburtendefizit zwischen 2021 und 2055 von 230.000 auf 540.000 zunehmen und anschließend bis 2070 wieder etwas sinken. Voraussichtlich wird es aber auch in der Zukunft durch die Nettozuwanderung mehr oder weniger stark vermindert.
Im Jahr 2022 ist die Bevölkerungszahl vor allem aufgrund der starken Zuwanderung aus der Ukraine von 83 Millionen im Jahr 2021 auf gut 84 Millionen gestiegen. Ab 2023 kann sie künftig sowohl zunehmen als auch abnehmen. Bei einer moderaten Entwicklung der Geburtenhäufigkeit und der Lebenserwartung sowie einer moderaten Nettozuwanderung von durchschnittlich 290.000 Personen pro Jahr würde die Bevölkerung bis 2031 auf 85 Millionen Menschen anwachsen und dann bis 2070 auf 83 Millionen zurückgehen. Bei einer niedrigen Nettozuwanderung von 180.000 Personen pro Jahr würde die Bevölkerungszahl auf 75 Millionen Menschen im Jahr 2070 sinken. Bei einem dauerhaft hohen Wanderungssaldo von durchschnittlich 400.000 würde die Bevölkerungszahl auf 90 Millionen anwachsen.
Die Zahl der Menschen im Erwerbsalter von 20 bis 66 Jahren wird in den kommenden Jahren abnehmen. Im Jahr 2021 gehörten in Deutschland 51,4 Millionen Menschen dieser Altersgruppe an. Selbst bei hoher Nettozuwanderung würde es bis Mitte der 2030er-Jahre zu einer leichten Abnahme um 1,6 Millionen Personen kommen. Bei niedriger Nettozuwanderung könnte die Zahl um 4,8 Millionen Personen sinken.