Die Frage, ob sich mit der EU-Mitgliedschaft für einen Staat mehr Vor- oder Nachteile verbinden, lässt sich nicht mit einer buchhalterischen Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben bezogen auf den EU-Haushalt beantworten. Trotzdem wird dieses Thema gerade bei den "Nettozahlern" wiederkehrend diskutiert. Umso wichtiger ist es, nicht nur die absolute Höhe der geleisteten Zahlungen der Staaten zu betrachten, sondern diese auch in Bezug zur jeweiligen Wirtschaftskraft und Bevölkerungszahl zu setzen.
Fakten
Aus der Differenz zwischen den finanziellen Leistungen, die die einzelnen Mitgliedstaaten an die Europäische Union (EU) abführen und den Leistungen, die sie von der EU erhalten, ergibt sich aus der Sicht der Mitgliedstaaten entweder ein positiver Saldo (Nettoempfänger) oder ein negativer Saldo (Nettozahler). Allerdings gibt es zahlreiche Faktoren, die die Ausgaben und Einnahmen der Staaten ungleichmäßig beeinflussen. So führen beispielsweise Küstenländer mit internationalen Häfen – wie die Niederlande – erhebliche Zolleinnahmen für importierte Güter ab, die in andere Mitgliedstaaten weitergeliefert werden. Andere Staaten – wie zum Beispiel Belgien – erhalten Kostenerstattungen für den Sitz großer EU-Organe. Bis einschließlich 2019 wurden von der Europäischen Kommission die "operativen Haushaltssalden" berechnet, bei denen diese Faktoren weitgehend herausgerechnet wurden. Die nachstehenden Angaben für das Jahr 2022 beruhen auf der bisherigen Berechnungsmethode der Europäischen Kommission (siehe "Begriffe, methodische Anmerkungen oder Lesehilfen").
Bezogen auf das jeweilige Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Staaten war im Jahr 2022 Deutschland der größte Nettozahler der EU. Der negative Haushaltssaldo entsprach 0,51 Prozent des BIP. Darauf folgten Frankreich (minus 0,38 Prozent), Schweden (minus 0,36 Prozent), die Niederlande und Österreich (minus 0,34 bzw. 0,31 Prozent). Auf der anderen Seite waren die größten Nettoempfänger im Jahr 2022 Lettland (plus 2,62 Prozent des BIP), Ungarn (plus 2,61 Prozent), Litauen (plus 2,57 Prozent), Estland (plus 2,51 Prozent) und Kroatien (plus 2,17 Prozent).
Wenn die operativen Haushaltssalden auf die jeweilige Bevölkerung der Mitgliedstaaten bezogen werden, stehen bei den Nettozahlern fast dieselben Staaten an der Spitze. Mit durchschnittlich 237 Euro pro Kopf zahlte 2022 niemand so viel an die EU wie die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands. An zweiter bzw. dritter Stelle standen Irland (197 Euro) und Schweden (196 Euro). Gefolgt von den Niederlanden (184 Euro) und Österreich (152 Euro). Hingegen erhielt Estland rein rechnerisch 678 Euro pro Kopf von der EU und bei Luxemburg und Litauen lag der positive Haushaltssaldo 2022 bei 669 bzw. 613 Euro pro Kopf. Es folgten Lettland und Ungarn mit 545 bzw. 459 Euro. Der hohe Rang Luxemburgs in dieser Gruppe der Nettoempfänger lässt sich zu einem großen Teil durch stark gestiegene Verwaltungskosten erklären. In diesen Bereich fallen nämlich auch Leistungen, die im Rahmen von EU-Projekten (z.B. "Digitales Europa") an die Mitgliedstaaten gezahlt werden. Allein die Mittel aus dem "EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation: Horizont Europa" haben sich im Fall Luxemburgs von 2021 auf 2022 von 254 auf 481 Millionen Euro erhöht (plus 89,4 Prozent). Verbunden mit der vergleichsweise geringen Bevölkerungszahl hat dies bereits Einfluss auf die Position Luxemburgs.
Bezogen auf die absoluten Zahlen lag Deutschland im Jahr 2022 erneut auf Platz eins aller EU-Mitgliedstaaten: Der negative Haushaltssaldo Deutschlands lag bei 19,7 Milliarden Euro. Darauf folgten Frankreich (minus 10,0 Mrd. Euro), Italien (minus 3,9 Mrd. Euro), die Niederlande (minus 3,2 Mrd. Euro) sowie Schweden (minus 2,1 Mrd. Euro). Auf der anderen Seite waren bezogen auf die absoluten Zahlen Polen (plus 11,9 Mrd. Euro), Rumänien (plus 5,6 Mrd. Euro), Ungarn (plus 4,4 Mrd. Euro), Griechenland (plus 3,9 Mrd. Euro) und Portugal (plus 2,9 Mrd. Euro) die größten Nettoempfänger.
Bei diesen Rankings ist allerdings zu beachten, dass es sich um eine rein buchhalterische Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben bezogen auf den EU-Haushalt handelt. Die Frage, ob sich mit der EU-Mitgliedschaft für einen Staat mehr Vorteile oder mehr Nachteile verbinden, lässt sich nicht mit einer ausschließlichen Betrachtung des jeweiligen Saldos beantworten, da dieser zahlreiche Faktoren ausblendet. So zum Beispiel die politische Stabilität und Sicherheit, den freien Personenverkehr, den Binnenmarkt oder den Euro als Leitwährung.
Zudem fördert die EU laut Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) "den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten". Und auch nach Artikel 174 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) setzt sich die Union "insbesondere zum Ziel, die Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen und den Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete zu verringern". Abseits dieser vertraglichen Verankerung des Ausgleichs zwischen den EU-Mitgliedern ist auch dessen Wirkung nicht auf nationale Grenzen beschränkt: So fließt beispielsweise ein Teil der geschaffenen Nachfrage – direkt oder mittelfristig – zurück in die Nettozahlerländer oder die dortigen Verbraucher profitieren von Zahlungen im Agrarbereich.
Begriffe, methodische Anmerkungen oder Lesehilfen
Die operativen Haushaltssalden der Mitgliedstaaten werden als Differenz ermittelt zwischen den operativen Ausgaben (ausgenommen Verwaltung), die jedem Mitgliedstaat zugerechnet werden, und dem angepassten "nationalen Beitrag" jedes Mitgliedstaats. Die Formel zur Berechnung der operativen Haushaltssalden der einzelnen Mitgliedstaaten lautet:
OBBi = TAEi – H5i –TNCi • (TAEEU – H5EU)/ TNCEU
OBBi = Operativer Haushaltssaldo von Mitgliedstaat i
TAE = Gesamtausgaben
H5 = Verwaltungskosten
TNC = Nationaler Beitrag
Weitere Informationen finden Sie in dem Abschnitt "Methode und Berechnung" im Interner Link: Finanzbericht zum EU-Haushalt 2013 (PDF-Version: 8.800 KB).
Die Angaben zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) und zur Bevölkerungszahl stammen von Eurostat: Online-Datenbank: BIP und Hauptkomponenten (Produktionswert, Ausgaben und Einkommen) [nama_10_gdp] und Bevölkerung am 1. Januar nach Alter und Geschlecht [demo_pjan], jeweils abgerufen am 18.09.2023.
Bei einem Referendum des Vereinigten Königreichs am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ("Brexit"). Am 29. März 2017 hatte das Vereinigte Königreich dem Europäischen Rat seine Absicht zum Austritt aus der EU förmlich mitgeteilt und damit das Verfahren nach Artikel 50 des Vertrags von Lissabon angestoßen. Mit Ablauf des 31. Januar 2020 wurde der Austritt aus der EU vollzogen. Bis zum 31. Dezember 2020 galt der im Rahmen des Austrittsabkommens vereinbarte Übergangszeitraum, nach dessen Regelungen das Vereinigte Königreich seinen Beitrag zum Haushalt für das Jahr 2020 so leistete, als wäre es noch ein Mitgliedstaat.
Informationen zum Externer Link: EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation: Horizont Europa findet Sie hier...
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) misst den Wert der im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen (Wertschöpfung), soweit diese nicht als Vorleistungen für die Produktion anderer Waren und Dienstleistungen verwendet werden. Das BIP ist gegenwärtig das wichtigste gesamtwirtschaftliche Produktionsmaß.
Nettozahler und Nettoempfänger in der EU
Haushaltssalden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU), verschiedene Bezugsgrößen, 2022
Staaten | Haushaltssalden 1 | ||
---|---|---|---|
Anteil am BIP 2, in Prozent | Euro pro Kopf 3 | in Mio. Euro | |
Deutschland | -0,51 | -237,0 | -19.731,0 |
Frankreich | -0,38 | -147,7 | -10.023,7 |
Schweden | -0,36 | -196,3 | -2.051,4 |
Niederlande | -0,34 | -183,9 | -3.234,7 |
Österreich | -0,31 | -151,9 | -1.364,3 |
Finnland | -0,30 | -143,9 | -798,1 |
Dänemark | -0,23 | -146,5 | -860,7 |
Italien | -0,20 | -65,8 | -3.885,5 |
Irland | -0,20 | -197,2 | -997,8 |
Belgien | 0,01 | 3,4 | 38,9 |
Spanien | 0,10 | 27,0 | 1.278,5 |
Luxemburg | 0,56 | 668,9 | 431,7 |
Malta | 0,63 | 209,8 | 109,3 |
Slowenien | 0,69 | 186,6 | 393,2 |
Zypern | 0,94 | 280,4 | 253,7 |
Tschechien | 1,02 | 268,3 | 2.821,5 |
Portugal | 1,21 | 279,2 | 2.890,3 |
Polen | 1,82 | 316,9 | 11.932,7 |
Bulgarien | 1,87 | 231,7 | 1.584,4 |
Griechenland | 1,89 | 375,8 | 3.930,3 |
Rumänien | 1,95 | 293,1 | 5.581,1 |
Slowakei | 1,97 | 397,8 | 2.162,2 |
Kroatien | 2,17 | 375,7 | 1.450,9 |
Estland | 2,51 | 677,9 | 902,9 |
Litauen | 2,57 | 612,7 | 1.719,1 |
Ungarn | 2,61 | 458,6 | 4.443,7 |
Lettland | 2,62 | 545,4 | 1.022,9 |
Fußnote: 1 Eigene Berechnung der operativen Haushaltssalden auf Basis der Angaben der Europäischen Kommission.
Fußnote: 2 Angaben zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf Basis von: Eurostat: Online-Datenbank: BIP und Hauptkomponenten (Produktionswert, Ausgaben und Einkommen) [nama_10_gdp], abgerufen am 18.09.2023.
Fußnote: 3 Pro-Kopf-Angaben auf Basis von: Eurostat: Online-Datenbank: Bevölkerung am 1. Januar nach Alter und Geschlecht [demo_pjan], abgerufen am 18.09.2023.
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Angaben der Europäischen Kommission: European Commission: EU spending and revenue – Data 2000-2022