Die Betrachtung von Vererbungs- und Selbstrekrutierungsraten lässt keine Schlüsse darauf zu, welche Klassenpositionen die Söhne und Töchter einnehmen, wenn sie nicht in die Fußstapfen ihres Vaters getreten sind. Es sollen daher im Folgenden nicht einzelne Klassenpositionen betrachtet werden, sondern es wird versucht, ein Gesamtbild der sozialen Mobilität aufzuzeigen. Eine solche Gesamtbetrachtung ermöglicht auch eine Aussage darüber, ob diejenigen, die nicht die Klassenposition ihrer Väter übernehmen, eher vorteilhaftere oder eher weniger vorteilhafte Klassenpositionen erreichen als ihre Väter.
Um solche Auf- und Abstiege zu untersuchen, ist es erforderlich, die einzelnen Klassenpositionen in einer Rangfolge anzuordnen. Die vorteilhafteste Klassenlage erfahren diejenigen, die eine Position in der oberen Dienstklasse einnehmen. Etwas weniger gut, aber immer noch mit vielen Vorteilen ausgestattet (zum Beispiel bessere Chance auf Arbeitsplatzsicherheit, gute Einkommen und Karriereaussichten), sind Positionen in der unteren Dienstklasse. Am unteren Ende der Klassenhierarchie befinden sich ungelernte Arbeiter- und Angestelltenpositionen. In solchen Positionen sind die Menschen eher schlecht gegen Arbeitsplatzverlust abgesichert und es werden ihnen kaum Karrieremöglichkeiten geboten. Die verbleibenden Klassenlagen der qualifizierten Büroberufe, Selbstständigen (mit bis zu 49 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern), Landwirtinnen und Landwirte sowie Facharbeiterinnen und Facharbeiter lassen sich nur sehr schwer in eine Rangfolge bringen, auch wenn einzelne detaillierte Differenzierungen möglich sind. Für die vorliegende Analyse werden diese Klassen in einer großen heterogenen Gruppe zusammengefasst, die – und dies ist hier wichtig – in der Mitte der Klassenverteilung angesiedelt ist. Diese Klassenlagen sind weniger vorteilhaft als Positionen in der unteren Dienstklasse, aber vorteilhafter als ungelernte Arbeiter- oder Angestelltenpositionen. Es werden somit insgesamt vier verschiedene Hierarchiestufen unterschieden: obere Dienstklasse, untere Dienstklasse, eine heterogene Gruppe mit mittleren Klassenpositionen und die Klasse der ungelernten Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellten.
Die oberste Zeile in Tabelle 3 beschreibt das Ausmaß der Gesamtmobilität, definiert als Anteil der Personen, die eine andere Position einnehmen als ihre Väter. Es fällt auf, dass Töchter aufgrund spezifischer Berufspräferenzen und Erwerbsmöglichkeiten im Vergleich zu ihren Vätern generell eine höhere Gesamtmobilität aufwiesen als Söhne. In Westdeutschland blieben die Gesamtmobilitätsraten im Zeitvergleich weitgehend konstant, in Ostdeutschland stiegen sie bei Frauen im Vergleich zu den 1990er-Jahren leicht an. Bei Frauen waren die Gesamtmobilitätsraten in Ost und West gleich hoch. Bei den Männern waren sie in Ostdeutschland deutlich niedriger als in Westdeutschland (zuletzt 62 % im Vergleich zu 67 %). Bei der Gesamtmobilität lassen sich vertikale und horizontale Veränderungen der Klassenpositionen unterscheiden. Vertikale Mobilität umfasst Auf- und Abstiege zwischen den Klassenpositionen. Horizontale Mobilität bezieht sich hingegen auf Veränderungen der Klassenposition auf gleicher Hierarchieebene. Dies wäre der Fall, wenn ein Wechsel innerhalb der Gruppe der mittleren Klassenpositionen stattfindet, etwa von Facharbeitern zu qualifizierten Büroberufen. Bei beiden Formen der Mobilität zeigen sich Unterschiede über die Zeit. Bei den westdeutschen Männern stieg der Anteil an vertikaler Mobilität in den letzten 40 Jahren etwas an (von 51 auf 55 %), während die horizontale Mobilität um 3 Prozentpunkte abnahm. Somit erhöhte sich das Verhältnis zwischen diesen beiden Größen von 3,3 auf 4,6 zugunsten der vertikalen Mobilität. Mit anderen Worten, vertikale Mobilität kam bei westdeutschen Männern zuletzt mehr als viermal so häufig vor wie horizontale Mobilität. In Ostdeutschland fiel die vertikale und horizontale Mobilität bei den Männern im Vergleich dazu etwas niedriger aus. Das Verhältnis zwischen den beiden Größen schwankte im Zeitverlauf und war zuletzt mit 5,2 sogar etwas höher als in Westdeutschland (gut fünfmal so viel vertikale wie horizontale Mobilität).
Bei den ostdeutschen Frauen ist die leichte Zunahme der Gesamtmobilität auf die Zunahme horizontaler Mobilität zurückzuführen. Nicht nur bei der Gesamtmobilität, auch bei dem Ausmaß von vertikaler und horizontaler Mobilität gab es praktisch keine Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Frauen. Allerdings zeigt der Vergleich mit den Männern, dass ostdeutsche Frauen in beiden Teilbereichen deutlich mobiler waren als ostdeutsche Männer. Die Zunahme der horizontalen Mobilität in Ostdeutschland hat ihre Ursachen vor allem in dem Schrumpfen der Facharbeiterpositionen. Töchter von ostdeutschen Facharbeitern nahmen zuletzt verstärkt Positionen in qualifizierten Büroberufen an, die Söhne arbeiteten eher als Selbstständige oder tendierten zu qualifizierten Büroberufen. Bei westdeutschen Frauen hat die vertikale Mobilität zuletzt (2010 – 2018) etwas zugenommen (61 %), während die horizontale Mobilität im jüngsten Jahrzehnt leicht zurückgegangen ist (17 %).
Die jeweils unteren Hälften der Teiltabellen zeigen an, ob es sich bei den vertikalen Bewegungen um Aufstiege oder um Abstiege im Klassengefüge gehandelt hat. Der zunehmende Anteil an vertikaler Mobilität für westdeutsche Männer resultiert sowohl aus einer leichten Zunahme von Aufstiegen als auch aus einer leichten Zunahme der Abstiege, wobei sich der Trend bei den Abstiegen im Zeitraum von 2010 bis 2018 nicht fortsetzte. Es gab im jüngsten Jahrzehnt nach wie vor gut doppelt so viele Aufstiege wie Abstiege (Verhältnis 2,2 zu 1). Allerdings ist dieses Verhältnis in den vergangenen 40 Jahren für westdeutsche Männer geringfügig ungünstiger geworden. Bei westdeutschen Frauen ist ein durchweg positiver Trend zu beobachten. Den Frauen gelingt es heute häufiger als früher, eine bessere Klassenposition einzunehmen als ihre Väter. Während in den 1970er-Jahren nur etwa ein Viertel (26 %) der westdeutschen Frauen eine bessere Klassenposition hatte als ihre Väter, stieg dieser Anteil bis zum jüngsten Jahrzehnt (2010 – 2018) auf rund ein Drittel (34 %) an. In gleichem Maße sank die Häufigkeit von Abstiegen deutlich von 33 auf 27 %.
Für westdeutsche Frauen waren in den 1970er-Jahren Abstiege im Klassengefüge stärker verbreitet als Aufstiege. Dies hat sich über die Zeit jedoch nachhaltig geändert. Im jüngsten Jahrzehnt (2010 – 2018) kamen Aufstiege etwas häufiger vor als Abstiege. Setzt man die Auf- und Abstiege ins Verhältnis zueinander, so veränderte sich dieses Verhältnis von 0,8 (in den Jahren 1976 bis 1980) auf 1,3 (in den Jahren 2010 bis 2018). Frauen im Westen haben sich bei der Zahl der Aufstiege allmählich den Männern angenähert, der höhere Anteil an Abstiegen zeigt aber noch die deutlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen in Westdeutschland. Der Trend deutet für Westdeutschland allerdings auf eine langsame Angleichung hin.
Für Ostdeutschland ist der Befund weniger positiv. Während im Jahrzehnt nach der deutschen Vereinigung knapp jeder dritte Sohn eine bessere Klassenposition erreichte als der Vater, gelang dies im jüngsten Jahrzehnt (2010 – 2018) nur noch rund jedem Vierten (27 %). Gleichzeitig nahmen Abstiege deutlich zu. In den 1990er-Jahren nahm nur jeder fünfte Sohn (20 %) eine schlechtere Position ein als der Vater. Zuletzt betraf das jeden vierten Sohn (25 %). Auf- und Abstiege kommen mittlerweile im Osten ähnlich häufig vor. Der Quotient zwischen Auf- und Abstiegen sank von 1,5 in den Jahren 1991 bis 1999 auf 1,1 in den Jahren 2010 bis 2018. Die deutlichen Unterschiede resultierten allerdings vor allem aus den Veränderungen zwischen dem ersten und zweiten Jahrzehnt nach der Vereinigung (1991 – 1999 und 2000 – 2009). Der negative Trend schwächte sich im jüngsten Jahrzehnt zumindest ab.
Bei den ostdeutschen Frauen ging die Entwicklung im Zeitraum von 2000 bis 2009 in die gleiche Richtung wie bei ostdeutschen Männern. Jedoch hat sich hier der negative Trend nahezu gedreht. Jede dritte Frau in Ostdeutschland hatte zuletzt eine höhere Klassenposition als ihr Vater (bei ostdeutschen Männern war es nur gut jeder Vierte). Das Ausmaß der Abstiege war bei den ostdeutschen Frauen (28 %) etwas höher als bei den ostdeutschen Männern (25 %). Das Verhältnis zwischen sozialen Auf- und Abstiegen bei ostdeutschen Frauen war wie bei den Männern nahezu ausgeglichen (zuletzt 1,2 zu 1).
Sowohl in Ostdeutschland als auch in Westdeutschland gab es somit mehr Aufstiege als Abstiege. Zwar haben bei ost- und westdeutschen Männern die Anteile an Abstiegen zugenommen, das heißt, für einen merklichen Teil der Bevölkerung (18 – 25 %) verschlechterte sich die Klassenposition im Generationenvergleich. Erfreulicherweise setzte sich dieser Trend zu mehr Abstiegen bei den Männern in den jüngeren Jahren aber nicht mehr nennenswert fort. Und gleichzeitig stieg ein gutes Viertel (27 %) bis ein gutes Drittel (38 %) der Männer im Vergleich zur Klassenposition ihres Vaters auf. Bei den Frauen ist dieser Anteil mit 33 % beziehungsweise 34 % ähnlich groß. Deutschland kann folglich nach wie vor eher als eine Aufstiegsgesellschaft bezeichnet werden. Es deutet sich auf der vorliegenden Datengrundlage auch kein Trend an, der einen gegenteiligen Befund nahelegen würde.