Eine relevante Ergänzung des im Wesentlichen auf objektiven Informationen zur Stellung zum und im Erwerbsleben beruhenden Bildes der sozialen Lagen liefern Informationen über die subjektive Schichteinstufung. Angaben darüber, wie sich Personen in eine vorgegebene Rangordnung sozialer Schichten einstufen, bieten vor allem Aufschlüsse darüber, wie verschiedene Bevölkerungsgruppen innerhalb der Gesellschaft ihren eigenen Status und ihre Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe im Vergleich zu anderen wahrnehmen und bewerten und welchem sozialen Milieu sie sich zuordnen.
In Westdeutschland ordnete sich im Jahr 2018 knapp ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung der Unter- oder Arbeiterschicht zu, knapp zwei Drittel der Mittelschicht und ein Siebtel der oberen Mittel- oder Oberschicht. Im Vergleich zu 1990 stuften sich etwas mehr Personen in die obere Mittel- und Oberschicht ein, etwas weniger Personen in die Arbeiterschicht. Die Veränderungen in Ostdeutschland sind deutlich stärker. 1991 ordnete sich noch über die Hälfte der Bevölkerung der Arbeiterschicht zu, nur ein gutes Drittel fühlte sich der Mittelschicht zugehörig. Inzwischen hat sich dieses Verhältnis umgekehrt. Mit 5 % identifizierten sich 2018 zudem etwas mehr Ostdeutsche mit der oberen Mittel- und Oberschicht als noch 1991. Der Unterschicht im engeren Sinne ordnete sich in West- wie Ostdeutschland 2018 mit 2 beziehungsweise 3 % nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung zu.
Die Unterschiede in der Struktur der sozialen Schichtung, die sich auf Basis der subjektiven Einstufung der Befragten im Vergleich von West- und Ostdeutschland ergeben, sind damit auch heute noch bemerkenswert, obwohl sie sich deutlich verringert haben. Die in den früheren Jahren in Ostdeutschland zu beobachtende pyramidenförmige Schichtstruktur einer Arbeitergesellschaft näherte sich allmählich der zwiebelförmigen – für Mittelschichtgesellschaften charakteristischen – Verteilung in Westdeutschland an. Diese Entwicklung deutet für Ostdeutschland somit auf einen signifikanten Wandel in der Wahrnehmung der eigenen Position in der hierarchischen Struktur der Gesellschaft hin.
Betrachtet man die Entwicklung in Westdeutschland seit 1980, zeigt sich hingegen, dass die subjektive Schichteinstufung hier über die vergangenen 36 Jahre weitgehend unverändert blieb und außer zyklischen Schwankungen kein Trend zu beobachten ist. Aktuelle Thesen über das Entstehen einer "neuen Unterschicht" und ein erhebliches Schrumpfen der Mittelschicht finden somit zumindest auf Grundlage der subjektiven Schichtidentifikation weder für Ost- noch für Westdeutschland empirische Bestätigung.
Die subjektive Schichtzugehörigkeit wird nicht nur von objektiven Faktoren bestimmt, sondern hängt darüber hinaus von dem jeweils zugrunde liegenden Bezugsrahmen und den verwendeten Vergleichs- und Bewertungsmaßstäben ab. Dennoch bestimmt der faktische sozioökonomische Status beziehungsweise die soziale Lage maßgeblich die subjektive Schichteinstufung. Personen, die eine Arbeiterposition einnehmen oder früher eingenommen haben (Rentnerinnen und Rentner), identifizierten sich – insbesondere in Ostdeutschland – auch subjektiv tendenziell mit der Arbeiterschicht. Personen mit einem Angestellten- oder Beamtenstatus sowie Selbstständige ordneten sich dagegen mit überwiegender Mehrheit der Mittelschicht zu. Eine Ausnahme bilden lediglich die einfachen Angestellten, die sich in Ostdeutschland eher der Arbeiterschicht zugehörig fühlten. In die obere Mittel- und Oberschicht stuften sich insbesondere leitende und höhere Angestellte und Beamte sowie Selbstständige ein.
Ostdeutsche identifizierten sich im Vergleich zu Westdeutschen auch im Jahr 2018 noch über nahezu alle sozialen Lagen hinweg zu größeren Anteilen mit der Arbeiterschicht und zu geringeren Teilen mit der Mittel- oder gar der Oberschicht. Dieser Befund deutet darauf hin, dass sich die weiterhin bestehenden auffälligen Ost-West-Differenzen in der subjektiven Schichteinstufung nur partiell durch Unterschiede in der Verteilung auf die verschiedenen Statuslagen erklären lassen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass sich die ostdeutsche Bevölkerung innerhalb des gesamtgesellschaftlichen Schichtungsgefüges deshalb tendenziell niedriger einstuft, weil sie sich nach wie vor mit der westdeutschen vergleicht und aus dieser Perspektive Statusdefizite wahrnimmt.