Die Stabilität oder Dynamik von Einkommen und Armut gibt Auskunft über die Chancen und Risiken zur Verbesserung beziehungsweise Verschlechterung der materiellen Grundlagen in einer Gesellschaft. Die Veränderung von Einkommenspositionen im Zeitverlauf ist deshalb auch ein entscheidender Hinweis dafür, inwieweit es Personen und Haushalten gelingt, defizitäre Positionen zu überwinden, und welchem Risiko sie ausgesetzt sind, in unzureichende Einkommenslagen zu gelangen. Diese Mobilität zwischen verschiedenen Einkommenspositionen im zeitlichen Verlauf kann unter anderem durch sogenannte Mobilitätsmatrizen berechnet und dargestellt werden. Hierbei wird berechnet, welcher Bevölkerungsanteil zu zwei Zeitpunkten in denselben Einkommensklassen (Quintilen) geblieben beziehungsweise in höhere oder niedrigere Einkommensschichten gewechselt ist.
Um die Mobilitätsmuster über längere Zeitabstände vergleichend darzustellen, wurden Verbleib und Übergänge in und aus Einkommensquintilen in einem vierjährigen Abstand zu drei verschiedenen Perioden betrachtet: 1994 bis 1998, 2004 bis 2008 sowie 2014 bis 2018. Das Risiko, während der vier Folgejahre im untersten (ersten) Quintil zu verbleiben, erhöhte sich deutlich von 54 % in den 1990er-Jahren auf 62 % in den Jahren 2004 bis 2008 und verharrte von 2014 bis 2018 auf ähnlichem Niveau (63 %). Der Anteil an Aufstiegen von der untersten in höhere Einkommenslagen verringerte sich entsprechend. In allen anderen Einkommensquintilen (oberhalb des untersten Quintils) erhöhte sich der Verbleib in der Periode 2014 bis 2018 im Vergleich zu den Jahren davor. Das gilt auch für die mittleren und höheren Einkommensquintile. Die Risiken des Abstiegs in untere Einkommenslagen sanken. Insgesamt verringerte sich somit die Mobilität zwischen den Einkommensschichten im Zeitverlauf.
Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, in welchem Umfang die Bevölkerung in verschiedenen Einkommensschichten eines Jahres in den zurückliegenden vier Jahren Einkommensarmut erfahren hat. Dabei bleibt unbeachtet, ob diese individuellen Armutserfahrungen zuvor im selben oder in einem anderen Haushalt gemacht wurden. Abbildung 5 weist die zurückliegenden individuellen Armutserfahrungen für die Ausgangsjahre 1998, 2008 und 2018 aus. Für das Jahr 2018 werden diese zudem für die jüngste Altersgruppe bis 30 Jahre und für die Älteren ab 60 Jahren getrennt dargestellt.
Von den Personen, die im Jahr 2018 in der untersten Einkommensschicht und damit in relativer Einkommensarmut lebten, waren 88 % bereits in den vier Vorjahren (2014 bis 2017) zumindest einmal von Armut betroffen. Darunter war weit mehr als die Hälfte (60 %) in diesem Zeitraum dauerhaft arm mit Armutsepisoden von mindestens drei Jahren. Die Bevölkerung in relativer Einkommensarmut setzte sich im Jahr 2018 demnach in folgender Weise zusammen: 44 % aller Personen in dieser Einkommensschicht waren auch in allen vier Jahren zuvor sowie weitere 17 % in drei der vier vorausgehenden Jahre permanent arm. Insgesamt 28 % erlebten in den zurückliegenden vier Jahren transitorische Verläufe mit Ein- und Ausstiegen in und aus Armut, darunter 15 % mit zweimaliger und 13 % mit einmaliger Armutserfahrung in den zurückliegenden vier Jahren; weitere 12 % waren Neuzugänge bei der Armutspopulation.
Im Vergleich dazu setzte sich die Einkommensschichtung im Jahr 2008 noch in folgender Weise zusammen: Nur 25 % aller Personen in dieser Einkommensschicht waren dauerhaft (in allen vier vorausgegangenen Jahren) arm, 21 % waren in drei Jahren arm, 37 % hatten einen transitorischen Armutsverlauf mit ein oder zwei Armutsepisoden in den zurückliegenden vier Jahren und weitere 17 % hatten zuvor keinerlei Armutserfahrung. Im Ausgangsjahr 1998 war der Anteil mit permanenter Armutserfahrung noch geringer und der Anteil mit transitorischen Armutserfahrungen sowie die Neuzugänge in Armut höher. Der Anteil an Personen, die im zurückliegenden Zeitraum von vier Jahren mindestens einmal unter der Armutsgrenze lagen, nahm innerhalb der letzten Dekade stark zu, wobei insbesondere dauerhafte Armutsepisoden weiter anstiegen.
Mit zunehmender Höhe der Einkommen nahm der Personenkreis mit Armutserfahrungen erwartungsgemäß ab. Im Bereich des prekären Wohlstands unmittelbar oberhalb der Armutsschwelle (60 bis 75 % des Medianeinkommens) lebten 2018 knapp 40 % der Personen zumindest einmal innerhalb der zurückliegenden vier Jahre unterhalb der Armutsgrenze − mit im Vergleich zu 2008 leicht rückläufiger Tendenz bei den permanenten Armutserfahrungen. Kurzfristige Armutserfahrungen reichten bis in die mittleren Einkommenslagen hinein. Selbst im Bereich höherer Einkommen haben noch zwischen 2 und 3 % der Personen zumindest kurzfristige Armutserfahrungen gemacht. Insgesamt erhöhten sich insbesondere die Risiken anhaltender Armutsepisoden. Folglich verringerten sich die Chancen, Armutsepisoden zu überwinden.
Die Muster der Armutsdauer variierten mit dem Lebensalter. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene (im Alter bis 30 Jahre) wiesen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung höhere Anteile an transitorischen Armutserfahrungen auf. Dies galt auch für die mittleren und höheren Einkommensschichten. Möglicherweise haben diese nach Abschluss der für diese Altersgruppe typischen Ausbildungsphasen temporäre Armutsphasen überwinden können. Ältere im untersten Einkommensbereich trugen indes ein besonders hohes Risiko, länger im prekären Einkommensbereich zu verbleiben.