Die Messung der Armutsgefährdung in der europäischen Sozialberichterstattung orientiert sich an einer relativen Definition von Armut. Sie folgt damit einem Ratsbeschluss der Europäischen Union von 1984 über gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut auf Gemeinschaftsebene. Danach gelten Personen als "verarmt", "wenn sie über so geringe (materielle, kulturelle und soziale) Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist". Ausgehend von dieser Sichtweise gilt in EU-SILC eine Person als armutsgefährdet, wenn ihr Nettoäquivalenzeinkommen weniger als 60 % des nationalen Medianeinkommens beträgt (Nettoäquivalenzeinkommen, siehe Info 6, Interner Link: Abschnitt 2.1.3).
Bei einem Medianeinkommen von 22.713 Euro im Jahr 2018 lag der Schwellenwert für die Armutsgefährdung demnach bei 13.628 Euro. Umgerechnet auf das monatliche Einkommen bedeutet dies, dass in Deutschland im Jahr 2018 eine Person als armutsgefährdet galt, wenn ihr Nettoäquivalenzeinkommen weniger als 1.136 Euro im Monat betrug; 2017 lag dieser Schwellenwert bei 1.096 Euro im Monat.
Im Jahr 2018 lag das Nettoäquivalenzeinkommen für 16,0 % der Bevölkerung in Deutschland unter dem Schwellenwert. Dieser Anteil ist nahezu unverändert im Vergleich zum Jahr 2017 (16,1 %). Zuvor war der Anteil der von relativer Armut bedrohten Bevölkerung seit dem Jahr 2008 (15,2 %) bis zum Jahr 2014 (16,7 %) stetig angestiegen. Im Jahr 2015 stagnierte der Wert, und seitdem ist er leicht gesunken.
Mit 20,6 % waren 2018 die jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 24 Jahren am stärksten armutsgefährdet. Im Gegensatz dazu wiesen die 25- bis 54-Jährigen mit 13,7 % die niedrigste Armutsgefährdungsquote auf. Frauen waren 2018 mit 16,8 % stärker armutsgefährdet als Männer (15,2 %); und das betraf nahezu alle Altersgruppen. Lediglich die Frauen unter 18 Jahren lagen mit 14,1 % leicht unter der entsprechenden Quote der Männer (14,9 %).
Beim Vergleich unterschiedlicher Haushaltstypen zeigt sich, dass sowohl Personen in Haushalten von Alleinerziehenden mit 33,8 % als auch Alleinlebende mit einem Anteil von 30,4 % im Jahr 2018 weit überdurchschnittlich von Armut bedroht waren. Insgesamt betrachtet hatten Personen in Haushalten ohne Kind mit 18,3 % eine höhere Armutsgefährdungsquote als Personen in Haushalten mit Kind(ern) (12,9 %).
Der Erwerbsstatus von Personen wird in der EU-SILC-Erhebung im Rahmen einer Selbsteinschätzung erfragt. Dort geben die Personen an, welcher Erwerbsstatus beziehungsweise welche Lebenssituation derzeit auf sie zutrifft. Die Analyse nach dem Merkmal Erwerbsstatus von Personen ab 18 Jahren zeigt, dass 9,1 % der erwerbstätigen Personen 2018 armutsgefährdet waren. Bei den Arbeitslosen waren es 69,4 %. Von den Personen im Ruhestand galten 18,7 % als armutsgefährdet.
Da bei dieser Betrachtung der Erwerbsstatus der anderen erwachsenen und somit potenziell erwerbsfähigen Haushaltsmitglieder unberücksichtigt bleibt, ist es sinnvoll, zusätzlich auch die Arbeitsmarktbeteiligung beziehungsweise Erwerbsintensität (work intensity) des gesamten Haushalts zu betrachten.
Info 5 Erwerbsintensität (work intensity)
Die Erwerbsintensität ist ein Haushaltsmerkmal, bei dem jedes Haushaltsmitglied zwischen 18 und 59 Jahren als potenziell erwerbsfähig betrachtet wird. Die Ergebnisse sollen sich nur auf Haushalte beziehen, in denen Personen wohnen, die sich noch in der Erwerbsphase befinden. Reine Rentnerhaushalte sind bei dieser Analyse ausgeschlossen beziehungsweise werden hier nicht berücksichtigt. Ein Haushalt erzielt bei der Erwerbsintensität 100 %, wenn alle erwerbsfähigen Haushaltsmitglieder auch Vollzeit erwerbstätig sind. Ist dagegen keines der potenziell erwerbsfähigen Haushaltsmitglieder im Haushalt erwerbstätig, beträgt die Erwerbsintensität in diesem Haushalt 0 %. Auf diese Weise wird einem Zweipersonenhaushalt mit zwei vollzeiterwerbstätigen Personen eine Erwerbsintensität von 100 % zugewiesen, während ein Zweipersonenhaushalt mit einer Vollzeit erwerbstätigen Person und einer nicht erwerbstätigen, aber erwerbsfähigen Person eine Erwerbsintensität von insgesamt 50 % erhält. Arbeitet in einem Zweipersonenhaushalt die einzige erwerbstätige Person nur die Hälfte der Arbeitszeit, so sinkt die Erwerbsintensität für diesen Haushalt auf 25 %.
Danach hatten Personen in Haushalten mit einer sehr geringen Erwerbsintensität (weniger als 20 %) im Jahr 2018 ein Armutsgefährdungsrisiko von 68,5 %. Lag die Arbeitsmarktbeteiligung des Haushalts insgesamt höher, aber noch unter 45 % (geringe Erwerbsbeteiligung), so war das Armutsgefährdungsrisiko der Personen in diesen Haushalten weniger als halb so hoch (27,3 %) im Vergleich zu den Personen in Haushalten mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung. Wie erwartet wiesen Personen in Haushalten mit einer Erwerbsintensität von mindestens 85 % das geringste Armutsgefährdungsrisiko auf (5,5 %). Je höher also die Arbeitsmarktbeteiligung der potenziell erwerbsfähigen Haushaltsmitglieder und damit des Haushalts insgesamt ist, desto geringer ist folglich auch das Armutsgefährdungsrisiko für die Personen in diesen Haushalten.
Neben dem Erwerbsstatus werden die Personen auch zu ihrem erreichten Bildungsabschluss befragt. Im Jahr 2018 waren mit Blick auf das Armutsgefährdungsrisiko 9,6 % der Personen mit einem hohen Bildungsstand, 16,2 % der Personen mit einem mittleren Bildungsstand und 30,5 % der Personen mit einem niedrigen Bildungsstand armutsgefährdet (zum Bildungsstand, siehe Info 2, Interner Link: Abschnitt 2.1.1).