Überschuldung ist mehr als ein gesellschaftliches Randphänomen. Bei Personen, die als absolut überschuldet gelten, sind die Zahlungsrückstände so gravierend, dass als letzter Ausweg nur die Privatinsolvenz bleibt. Die Insolvenzordnung eröffnet Privatpersonen seit 1999 die Möglichkeit, nach einer sogenannten Wohlverhaltensphase von ihren Restschulden befreit zu werden. Die Insolvenzgerichte liefern Daten zur absoluten Überschuldung von Privatpersonen – nicht Haushalten –, die das Insolvenzverfahren in Anspruch nehmen. Darüber hinaus stellt die Überschuldungsstatistik Informationen zu den sozioökonomischen Strukturen überschuldeter Personen bereit und gibt einen Überblick über die Auslöser der finanziellen Notlage sowie über die Art und Zahl der Hauptgläubiger. Die Daten hierzu beruhen auf den Angaben der Schuldnerberatungsstellen. Ein Blick in den Schuldnerberatungsatlas (https://schuldnerbera tungsatlas.destatis.de) zeigt, wo diese in Deutschland zu finden sind.
Privatpersonen, die als Verbraucherin oder Verbraucher in eine Notlage geraten sind, können in einem Verbraucherinsolvenzverfahren von ihren Schulden befreit werden. Diese Möglichkeit nutzten seit Einführung der neuen Insolvenzordnung im Jahr 1999 bis Ende 2019 rund 1,45 Millionen Privatpersonen. Durch das Scheitern einer selbstständigen Tätigkeit wurden weitere rund 684.000 Personen zahlungsunfähig. Sie gelten in diesem Fall ebenfalls als absolut überschuldet und haben die Möglichkeit, ihre Schulden gerichtlich regulieren zu lassen. Mit Ausnahme von 2008 stieg die Gesamtzahl der Privatinsolvenzen bis 2010 von Jahr zu Jahr an; seit 2011 sinkt sie jedes Jahr. Im Jahr 2019 gab es knapp 63.000 Verbraucherinsolvenzen. Dabei muss der Auslöser für die Überschuldung nicht in der Gegenwart liegen, sondern kann viele Jahre zurückreichen.
Überschuldung
Überschuldung Die durchschnittlichen Verbindlichkeiten einer überschuldeten Person, die im Jahr 2019 die Hilfe einer Beratungsstelle in Anspruch genommen hat, betrugen 28.250 Euro. Das war knapp das 26-Fache des durchschnittlichen monatlichen Einkommens dieses Personenkreises (1.096 Euro). Eine durchschnittliche überschuldete Person bräuchte demnach 26 Monate, um ihre Verbindlichkeiten komplett zurückzuzahlen, wenn sie all ihre regelmäßigen Einkünfte für den Schuldendienst einsetzen könnte (Überschuldungsintensität).
Dabei müssten überschuldete Männer in diesem hypothetischen Modell 29 Monatseinkommen für die Rückzahlung aufwenden. Bei überschuldeten Frauen wäre diese Zeit mit 22 Monaten kürzer. Dies liegt vor allem an den höheren Schulden von Männern.
Die gerichtlichen Akten informieren zwar vollständig über die Zahl der Privatinsolvenzen, nicht jedoch über die Gesamtzahl aller überschuldeten Personen. Sie enthalten auch keine Informationen zum Personenkreis und zu den Umständen, die zur Überschuldung geführt haben. Um Aussagen zu den sozioökonomischen Strukturen der überschuldeten Personen treffen zu können sowie die Ursachen und Hauptgläubiger statistisch zu belegen, werden seit dem Jahr 2006 zusätzlich Schuldnerberatungsstellen nach ihrer Klientel befragt. Mit dieser freiwilligen Erhebung kann über die Insolvenzstatistik hinaus ein wesentlicher Beitrag zur Darstellung der Schuldensituation von Privatpersonen geleistet werden.
Schuldnerberatungsstellen haben die Aufgabe, den Menschen, die in wirtschaftliche oder existenzielle Not geraten sind oder zu geraten drohen, eine angemessene Hilfestellung zu leisten. Ziel ist es, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen zu sanieren. Darüber hinaus gehört auch das Erörtern von Präventionsmaßnahmen zum Beratungsangebot. Durch ihre Tätigkeit verfügen die Beratungsstellen über einen großen Datenpool zur Überschuldungssituation, der sich auch für statistische Zwecke nutzen lässt. Für das Jahr 2019 übermittelten 577 der rund 1.450 Beratungsstellen, die unter der Trägerschaft der Verbraucher- und Wohlfahrtsverbände sowie der Kommunen stehen, Daten von über 142.000 Personen. Allerdings müssen diese Personen nicht zwangsläufig überschuldet sein: Teilweise ist auch nur eine vorübergehende Zahlungsstörung eingetreten oder die Folgen einer Zahlungsunwilligkeit sollen ausgeräumt werden.
Menschen, die – verschuldet oder unverschuldet – in finanzielle Not geraten, verlieren häufig ihren sozialen Status. Nicht selten kommt es zur gesellschaftlichen Ausgrenzung, denn Arbeitslosigkeit und unerwartete gravierende Änderungen der Lebensumstände stellen für sich genommen schon eine schwere Belastung dar, auch ohne die damit verbundenen finanziellen Folgen. Auslöser der Misere waren bei über einem Viertel (29 %) der überschuldeten Personen, die im Jahr 2019 die Hilfe einer Beratungsstelle in Anspruch genommen hatten, kritische Lebensereignisse wie eine Scheidung, der Tod der Partnerin oder des Partners, eine Krankheit oder ein Unfall. Im Jahr 2015 war dies für 26 % der beratenen Personen Hauptauslöser der Überschuldung. Überwiegend selbstverschuldete Zahlungsschwierigkeiten wegen unwirtschaftlicher Haushaltsführung oder gescheiterter Selbstständigkeit waren bei knapp 23 % der beratenen Personen ausschlaggebend für die Inanspruchnahme des Dienstes einer Beratungsstelle. Vier Jahre zuvor, im Jahr 2015, lag dieser Anteil bei 18 %. Arbeitslosigkeit nannten fast 20 % der beratenen Personen in den Jahren 2015 und 2019 als Hauptgrund für ihre finanziellen Schwierigkeiten. Bei rund 9 % (2019) beziehungsweise 3 % (2015) der beratenen Personen lag die Überschuldung hauptsächlich an einem längerfristigen Niedrigeinkommen.
Die Schulden aller Personen in Beratung beliefen sich durchschnittlich auf gut 28.200 Euro. Besonders hoch waren die Verbindlichkeiten bei Paaren ohne Kind mit rund 38.300 Euro und bei Paaren mit Kindern mit etwa 30.000 Euro. In diesen beiden Haushaltstypen belaufen sich die Schulden auf das 36- beziehungsweise 23-Fache des durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommens. Aber auch eine Schuldenhöhe von rund 22.800 Euro reicht bei Alleinerziehenden aus, um die finanzielle Lage ins Ungleichgewicht zu bringen: Hier machen die Schulden immer noch das 18-Fache des Monatseinkommens aus.
Betrachtet man alle Überschuldeten, so stehen Personen, die ihren Verpflichtungen für beanspruchte Ratenkredite nicht mehr nachkommen können, bei ihren Banken mit durchschnittlich rund 22.400 Euro im Soll. Hat eine Person Schulden bei anderen Privatpersonen, so belaufen sich diese im Durchschnitt auf fast 10.000 Euro.
Je nach Alter und Lebensform gibt es unterschiedliche Schwerpunkte, was Art und Höhe der Schulden anbelangt. Aus den Erkenntnissen, die die Überschuldungsstatistik bietet, seien einige beispielhaft herausgegriffen: Die 20- bis 24-jährigen Überschuldeten sind mit der niedrigsten Summe an Ratenkrediten in Rückstand (durchschnittlich rund 7.400 Euro). Allerdings weisen sie mit durchschnittlich knapp 2.400 Euro sehr hohe nicht beglichene Telefonrechnungen auf. Die Altersgruppe der über 70-Jährigen weist die höchsten durchschnittlichen Mietrückstände mit über 5.500 Euro auf. Schulden aus Unterhaltsverpflichtungen haben vor allem Männer: Alleinlebende Männer sind dabei durchschnittlich mit rund 9.000 Euro verschuldet.