Die Mitgliedschaft in Interessengruppen und politischen Parteien ist ein weiterer Indikator für die Integration der Bürgerinnen und Bürger in den politischen Prozess. Diese Organisationen sind häufig durch gesellschaftliche Selbstorganisation entstanden und dienen dem Zweck der Vertretung gemeinsamer politischer, wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Interessen. Interessengruppen setzen sich auf verschiedene Weise für die Anliegen ihrer Mitglieder ein, zum Beispiel durch das Einwirken auf Parteien, Parlamente, Regierungen und Behörden oder die Öffentlichkeit im Allgemeinen. Politische Parteien sind unmittelbare Akteure des Regierungssystems. Da die Mitgliedschaft freiwillig ist, ist der Grad, zu dem Bürgerinnen und Bürger sich in Interessengruppen und politischen Parteien organisieren, ein zentrales Merkmal der politischen Integration. Anders als die Wahlbeteiligung oder Formen nicht institutionalisierter Beteiligung, die für die Einzelne beziehungsweise den Einzelnen singuläre Ereignisse bleiben können, zeichnen sich Mitgliedschaften in Interessengruppen und politischen Parteien dadurch aus, dass sie in der Regel langfristig sind. Verliert die Mitgliedschaft in Interessengruppen und politischen Parteien für die Einzelne beziehungsweise den Einzelnen an Attraktivität, so ist dies zunächst ein Warnsignal für die jeweilige Organisation. Nehmen die Mitgliedschaften jedoch in großem Umfang über viele Organisationen hinweg ab, weist dies darüber hinaus auch auf generelle Probleme der Interessenvermittlung in einem politischen Gemeinwesen hin.
Im internationalen Vergleich zeichnet sich Westdeutschland durch einen recht hohen Organisationsgrad aus. In Westeuropa sind nur die Bürgerinnen und Bürger der Niederlande und der skandinavischen Länder stärker organisiert. Jüngere Daten für 2010, 2014 und 2018 sind aufgrund unterschiedlicher Erhebungsverfahren nicht mit früheren Daten vergleichbar und erlauben daher keine Schlussfolgerungen über die langfristige Mitgliederentwicklung. Es gibt aber Hinweise, die vermuten lassen, dass die Mitgliedschaft in Interessengruppen weiter zurückgegangen ist. Der Anteil nicht aktiver Mitgliedschaften lag 2014 und 2018 deutlich niedriger als 2010.
Regionale Unterschiede zwischen Ost und West bezüglich der Teilnahme in Freizeitorganisationen und Vereinen waren relativ konstant – in Westdeutschland lag der Mitgliedschaftsanteil zwischen 8 und 11 Prozentpunkten höher, und zwar sowohl bei den bloßen wie den aktiven Mitgliedschaften. Bezogen auf die Mitgliedschaft in Interessengruppen ist der Abstand zwischen Ost und West von 2010 auf 2014 und 2018 größer geworden. Im Altersvergleich wichen die Jüngeren hinsichtlich ihrer Mitgliedschaftsanteile in Organisationen ohne Gewerkschaften und politische Parteien kaum vom Durchschnitt der Bürgerinnen und Bürger ab. Jedoch lassen sich nach Bildungsabschluss deutliche Differenzen beobachten. Hier ergaben sich deutlich höhere Anteile für Akademikerinnen und Akademiker als für den Bevölkerungsdurchschnitt. Auch bezogen auf Organisationsmitgliedschaften verteilte sich die Teilhabe also ungleich zugunsten der Bessergebildeten.
Die langfristige Entwicklung der Mitgliedschaften der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland lässt sich aufgrund veränderter Frageformate in den ALLBUS-Studien zwar nicht über alle Organisationsbereiche hinweg beurteilen. Allerdings ist eine solche Beurteilung hinsichtlich der Gewerkschaftsmitgliedschaften möglich. Der massive Rückgang von Gewerkschaftsmitgliedern in den neuen Bundesländern in den Jahren 1992 bis 1998 schwächte sich zwar im Anschluss deutlich ab, setzte sich aber bis etwa 2008 fort. Seitdem scheint sich der gewerkschaftliche Organisationsgrad der erwachsenen Bevölkerung mit leichten Schwankungen auf gleichem Niveau zu halten. Die Anfang der 1990er-Jahre noch stark ausgeprägten Unterschiede zwischen Ost und West im durchschnittlichen Organisationsgrad sind fast verschwunden. Auch die große Kluft zwischen der jüngeren Bevölkerung der 18- bis 29-Jährigen und dem Durchschnitt der Bevölkerung, der in Westdeutschland besonders deutlich 2004 und in Ostdeutschland besonders 2008 zu beobachten war, hat sich verringert. Bildungsunterschiede im gewerkschaftlichen Organisationsgrad fielen – anders als bei politischem Interesse, politischer Beteiligung und anderen Mitgliedschaften – leicht zugunsten von Bürgerinnen und Bürgern ohne Hochschulabschluss aus. Akademikerinnen und Akademiker waren 2018 lediglich zu knapp 10 % gewerkschaftlich organisiert und lagen damit nur knapp unter dem Durchschnitt. Bei den Gewerkschaftsmitgliedschaften zeigen sich damit zwar keine deutlichen regionalen, sozialen oder demografischen Ungleichheiten mehr. Die Integrationskraft hat aber dennoch nachgelassen, insbesondere, wenn die ostdeutsche Entwicklung betrachtet wird.
Die Mitgliedschaft in politischen Parteien verzeichnete sogar eine noch dramatischere Entwicklung. Die starken Mitgliederrückgänge bei den Gewerkschaften seit der Vereinigung fielen im Vergleich zu denen der politischen Parteien noch moderat aus. Anhand der von den Parteien berichteten Mitgliederzahlen lässt sich nachvollziehen, dass diese innerhalb von zweieinhalb Jahrzehnten etwa eine Million und damit etwa 40 % ihrer Mitglieder verloren haben. Während 1990 noch 3,8 % der Wahlberechtigten in politischen Parteien organisiert waren, waren es 2018 nicht einmal mehr 2 %.
Nimmt man alle Interessenorganisationen einschließlich Gewerkschaften und politischer Parteien zusammen, sind das drastische Entwicklungen, die die Frage aufwerfen, ob und inwieweit primär auf die politische Interessenvertretung und -vermittlung ausgerichtete Organisationen zukünftig noch in der Lage sein werden, ihren Beitrag zur politischen Willensbildung und politischen Integration zu leisten.