Menschen mit Migrationsgeschichte stellen eine überaus heterogene Gruppe dar. Sie unterscheiden sich unter anderem in Bezug auf Herkunftsland, Migrationserfahrung, Aufenthaltsdauer und soziale Integration (siehe die Interner Link: Kapitel 1.2 und Interner Link: Kapitel 8.3). Außerdem spielen Diskriminierung, die Verbreitung von Erkrankungen und Risikofaktoren im jeweiligen Herkunftsland sowie gesundheitliche und psychosoziale Belastungen vor, während und nach der Migrationserfahrung eine Rolle für ihre gesundheitliche Lage.
Vergleichende Aussagen zum allgemeinen Gesundheitszustand von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund sind anhand der Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) möglich. Migrationshintergrund bedeutet hier, dass die Personen selbst oder mindestens ein Elternteil im Ausland geboren sind. Während in der Altersgruppe bis 44 Jahre bei Männern keine Unterschiede in der subjektiven Gesundheit zwischen Menschen mit beziehungsweise ohne Migrationshintergrund festzustellen waren, gaben Frauen mit Migrationshintergrund etwas seltener einen weniger guten oder schlechten Gesundheitszustand an als die übrige Bevölkerung. Im Alter ab 45 Jahren gaben Männer und Frauen mit Migrationshintergrund etwas häufiger einen subjektiv schlechteren Gesundheitszustand an als die Vergleichsgruppen ohne Migrationshintergrund. Insgesamt sind die Unterschiede gering.
Auch bezüglich körperlicher Schmerzen zeigen sich nur geringe Unterschiede zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund. Bei zusätzlicher differenzierter Betrachtung von Personen mit Migrationshintergrund und eigener Fluchterfahrung zeigen sich dagegen deutliche Unterschiede, insbesondere in der Altersgruppe ab 45 Jahren. Diese berichteten häufiger als Personen ohne Migrationshintergrund sowie jene mit Migrationshintergrund ohne eigene Fluchterfahrungen von körperlichen Schmerzen in den vergangenen vier Wochen (siehe dazu auch Interner Link: Kapitel 8.3.6).
Menschen mit Migrationshintergrund unterscheiden sich stellenweise in ihrem Inanspruchnahmeverhalten von Leistungen des medizinischen und pflegerischen Versorgungssystems von der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Die vorliegende Forschung zeigt, dass Migrantinnen und Migranten und dabei vor allem Menschen mit Fluchterfahrung und kurzer Aufenthaltsdauer häufiger Rettungsstellen als Haus- oder Fachärzte aufsuchen. Die Gründe dafür liegen unter anderem in den Zugangsbeschränkungen zur Regelversorgung. So ist nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in den ersten 18 Monaten nach Einreise ausschließlich medizinische Notfallversorgung vorgesehen. Hierbei ist beispielsweise psychologische oder psychiatrische Behandlung nicht Teil des Leistungsumfangs, aber auch allgemeinmedizinische, physiotherapeutische oder zahnmedizinische Behandlungen werden nicht übernommen beziehungsweise nur auf akute Schmerzzustände beschränkt. Auch mangelnde Informationen über das komplexe Gesundheitssystem, Sprachbarrieren sowie fehlender Sozial- und Krankenversicherungsschutz bei Menschen ohne einen Aufenthaltsstatus spielen für das Inanspruchnahmeverhalten eine Rolle. Bestimmte Präventionsleistungen wie die Darmkrebsvorsorge werden im Vergleich zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund seltener in Anspruch genommen. Allerdings finden sich auch Vorsorgeleistungen, die genauso häufig oder sogar häufiger von Personen mit Migrationshintergrund genutzt werden wie das Brustkrebsscreening. Zur Versorgung eines in der Familie aufgetretenen Pflegefalls greifen Migrantinnen und Migranten seltener auf ambulante Pflegedienste zurück. Außerdem ist festzustellen, dass Menschen mit Migrationshintergrund seltener Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation in Anspruch nehmen oder beantragen. Sie weisen geringere Rehabilitationserfolge und höhere Frühverrentungsquoten auf. Letztere sind zu weiten Teilen mit der vorangegangenen schweren körperlichen Arbeit der Population der älteren Migrantinnen und Migranten (der sogenannten "Gastarbeitergeneration") zu erklären.