Im ersten Schritt werden die familienpolitischen Entwicklungen der Entwicklung der familienbedingten Erwerbsunterbrechungen gegenübergestellt. Mithilfe der Daten des NEPS werden die Vereinbarkeitsbiografien von Müttern und Vätern ab deren Familiengründung betrachtet. Um einen möglichst vollständigen Eindruck von ihren Verhaltensweisen zu bekommen, werden ihre Biografien für mindestens fünf Jahre seit Familiengründung beobachtet, gegebenenfalls auch über mehrere Geburten hinweg. Die Analysen basieren auf den Daten von 2.307 Müttern und 1.933 Vätern, die zwischen 1992 und 2012 eine Familie gegründet haben.
Die betrachteten Erwerbsunterbrechungen umfassen einerseits die Erziehungsurlaube beziehungsweise Elternzeiten (im Folgenden vereinfacht "Elternzeit"), auf die Eltern Anspruch haben, andererseits aber auch die Erwerbsunterbrechungen ("zusätzliche Familienzeit"), die sie darüber hinaus noch nehmen. Eine solche Differenzierung (auf Basis der Berichte der Befragten sowie der jeweiligen rechtlichen Regelungen) ermöglicht es, auch die Zeiten zu erfassen, während denen Mütter auch über die gesetzlich zugestandene Zeit mit Arbeitsplatzgarantie hinaus zu Hause sind oder während denen auch Väter jenseits der formalen Ansprüche aus familiären Gründen zu Hause bleiben.
Abbildung 1 illustriert für sowohl die Elternzeit als auch die zusätzliche Familienzeit (a) den Anteil der Mütter und Väter, die sich diese Erwerbsunterbrechungen nehmen, (b) die mittlere Dauer dieser Erwerbsunterbrechungen sowie zusammenfassend (c) den Anteil, den die Mütter an allen von den Eltern genommenen Unterbrechungsmonaten haben. Die Ergebnisse werden jeweils für zeitliche Episoden dargestellt, die sich an der familienpolitischen Regelung zum Zeitpunkt der Familiengründung orientieren.
Es zeigt sich in Abbildung 1 (a), dass der Anteil der Eltern, die in Elternzeit gehen, im Zeitverlauf zugenommen hat. Dieser Anstieg ist bei Müttern ein leichter, von 83 auf 94 %, bei Vätern jedoch ein sehr starker von 5 auf 43 %. Ein Gros des Anstiegs geht mit der Elterngeldreform von 2007 einher, die auch für Väter explizite Anreize für eine Erwerbsunterbrechung schuf. Der Anstieg, der sich bereits für diejenigen Väter zeigt, die zwischen 2001 und 2006 ihre Familie gründeten, ist eher darauf zurückzuführen, dass sie mit ihrem zweiten oder dritten nach 2007 geborenen Kind den Anspruch auf Elternzeit wahrnahmen: Bei den Vätern von nur einem Kind zeigt sich ein solcher Anstieg nicht.
Interessanterweise hatten einige Väter jedoch schon seit Längerem jenseits der familienpolitischen Anreize Erwerbsunterbrechungen genommen. Die Anteile dieser Väter waren mit zwischen 13 und 24 % auch schon vor 2007 deutlich höher als die Anteile der Väter in Elternzeit. Diese zusätzlichen Familienzeiten wurden vor allem von Vätern von zwei oder mehr Kindern genommen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass auch schon vor der Elterngeldreform einige Väter intensiver an der Betreuung der Kinder beteiligt waren – jenseits formaler Elternzeitregularien. Bei den Müttern hingegen zeigt sich, dass der Anteil derjenigen, die nach der Elternzeit eine zusätzliche Familienzeit nehmen, im Zeitverlauf zurückgegangen ist. Demzufolge begrenzen zunehmend viele Mütter ihre Erwerbsunterbrechung auf die rechtlich abgesicherten drei Jahre, obwohl auch nach 2007 noch 60 % der Frauen eine Erwerbsunterbrechung jenseits der Elternzeit berichteten.
Abbildung 1 (b) ergänzt dieses Bild um die mittlere Dauer der Erwerbsunterbrechungen, zusammengefasst über sämtliche Geburten hinweg. Für die Elternzeit zeigt sich im Vergleich zu Abbil-dung 1 (a) ein gegenläufiger Trend: Zwar nehmen im Zeitverlauf mehr Mütter und Väter Elternzeit, die Dauer der jeweiligen Erwerbsunterbrechung geht jedoch kontinuierlich zurück. So blieben die sehr wenigen Väter, die bereits nach ihrer Familiengründung in den 1990er-Jahren in Elternzeit gingen, im Mittel 12 Monate zu Hause; die relativ vielen Väter, die heute ihren Erwerb unterbrechen, tun dies im Mittel für lediglich 4 Monate. Da jedoch auch die mittlere Elternzeitdauer bei Müttern stark zurückgegangen ist, nähern sich die Werte von Frauen und Männern aneinander an.
Die zusätzlichen Familienzeiten sind gegenüber den Elternzeiten im Mittel schon von Beginn an verhältnismäßig kurz und bei den Müttern auch noch stark zurückgegangen. Elternzeiten und zusätzliche Familienzeiten zusammengenommen blieben Mütter, die in den frühen 1990er-Jahren ihre Familie gründeten, im Mittel insgesamt für 67 Monate (5,6 Jahre) zu Hause, diejenigen mit einer Familiengründung nach 2007 hingegen nur noch für im Mittel 35 Monate (2,9 Jahre).
Die Abbildungen 1 (a) und (b) zeigen, dass sich Männer und Frauen in ihren Anteilen und der Dauer ihrer Elternzeiten aneinander annähern. Allerdings deuten die Ergebnisse bereits an, dass das Gros der Erwerbsunterbrechungen dennoch nach wie vor bei den Müttern liegt. Abbildung 1 (c) zeigt daher den Frauenanteil an den von allen Vätern und Müttern genommenen Elternzeit- und Familienzeitmonaten. Es zeigt sich, dass die Elterngeldreform von 2007 tatsächlich kaum zur Erhöhung des Väteranteils bei den Erwerbsunterbrechungen beigetragen hat. Im Vergleich zu den frühen 1990er-Jahren ist der Anteil der Väter an den Elternzeitmonaten zwar um 7 Prozentpunkte gestiegen, allerdings werden immer noch 92 % aller Elternzeitmonate von Müttern genommen. Ähnliches gilt für die zusätzliche Familienzeit. Demzufolge sind es immer noch die Mütter, die den weit überwiegenden Teil der Erwerbsunterbrechungen und mutmaßlich auch der Verantwortung für die Betreuung tragen.