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am morgigen Samstag gedenkt die Ukraine der Opfer des sogenannten „Holodomor“. Wörtlich heißt „Holodomor“ auf Ukrainisch „Mord durch Hunger“. Er bezeichnet die absichtlich von der Sowjetunion herbeigeführte Hungersnot, die zwischen 1932 und 1933 weite Teile ihrer Bevölkerung traf. Besonders viele Menschen starben damals in der ukrainischen Sowjetrepublik. Von den insgesamt sechs bis sieben Mio. sowjetischen Hungertoten waren allein bis zu 3,5 Mio. Ukrainer/-innen. Viele sehen in der zielgerichteten Zerstörung der Landwirtschaft durch die erzwungene Kollektivierung sowie die Verfolgung der bäuerlichen Bevölkerung in der Ukraine durch die Bolschewiken einen Schlag gegen den ukrainischen Nationalismus. Lange war der Holodomor ein Tabuthema, die Führungen der Sowjetunion schwiegen und leugneten den Genozid. Erst etwa 50 Jahre später, in den 1980er Jahren, wurde der Holodomor in der globalen sowie in der ukrainischen Erinnerungskultur aufgegriffen. Ende 2022 erkannten der Deutsche Bundestag und kurze Zeit später das EU-Parlament die Ereignisse offiziell als Genozid an den Ukrainer/-innen an.
Die Ursachen der extremen Hungersnot begannen im Jahr 1929, als die stalinistische Führung der Sowjetunion mit der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft begann. Das hieß, dass einzelne Bauern ihre Höfe aufgeben und sich zu Kollektivfarmen zusammenschließen mussten, sogenannten „Kolchosen“. Besonders von den ukrainischen Kolchosen verlangte die Stalinführung dann unerfüllbar hohe Getreideabgaben. Als Strafe für die zu geringen Getreidelieferungen wurden Saatgut, Getreide und andere Lebensmittel beschlagnahmt und die Bevölkerung so dem Hunger ausgesetzt. Zudem wurden die Ukraine und der Nordkaukasus abgeriegelt, sodass niemand fliehen konnte.
Die Aufarbeitung des Holodomor wurde in der Sowjetunion erst mit der Perestroika-Politik unter Gorbatschow Ende der 1980er Jahre langsam möglich. 1993 gedachte die Ukraine erstmals offiziell der Opfer der großen Hungersnot. 2006 verabschiedete das ukrainische Parlament ein Gesetz, in dem es den Holodomor als Genozid am ukrainischen Volk anerkannte und die Leugnung unter Strafe stellte. Ob die Hungersnot mit dem Ziel herbeigeführt wurde, die Ukraine als Nation zu vernichten, ist unter Historiker/-innen bis heute umstritten. Die Anerkennung des Holodomor als Genozid gilt daher als eine politische Entscheidung. Die EU weist dazu in ihrer Resolution auf die Parallelen zwischen dem Holodomor und dem aktuellen Angriffskrieg gegen die Ukraine hin – etwa auf die Leugnung des Krieges selbst und der Kriegsverbrechen seitens Russlands. Der Holodomor vor 90 Jahren und das Gedenken daran ist also wieder aktueller denn je.