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Vor 107 Jahren begann einer der ersten Genozide des 20. Jahrhunderts. Bis zu 1,5 Millionen Armenierinnen und Armenier und Angehörige anderer christlicher Minderheiten wurden ab 1915 im Osmanischen Reich systematisch vertrieben und getötet.
Die Festnahme von 250 armenischen Intellektuellen am 24. April 1915 gilt als Beginn der Gräueltaten. Gestern war der Gedenktag für die Opfer.
Wie konnte es zu diesen Verbrechen kommen?
Das Osmanische Reich stand damals unter der Herrschaft einer diktatorischen Regierung. Ihr Ziel war, aus dem multi-ethnisch geprägten Reich einen homogenen türkisch-muslimischen Staat zu schaffen.
Vor allem die christliche Minderheit der Armenier/-innen wurde im Zuge der "Türkisierung" zur Zielscheibe. Sie strebten nach Unabhängigkeit, worauf die Regierung über viele Jahre hinweg mit gewaltsamen Gegenmaßnahmen reagierte. Es gab zehntausende, vermutlich sogar hunderttausende Tote.
1914 trat das Osmanische Reich in den Ersten Weltkrieg ein. Und die Auffassung der Regierung, die Armenier/-innen als "innere Feinde" aus dem Staatsgebiet entfernen zu müssen, wurde noch stärker. Ein Großteil der wehrfähigen Männer wurde exekutiert, die restliche Bevölkerung deportiert. Todesmärsche führten quer durch Anatolien oder endeten in der syrischen Wüste.
Die Aufarbeitung
Das Deutsche Kaiserreich war im Ersten Weltkrieg militärischer Bündnispartner des Osmanischen Reichs. Trotz eindeutiger Informationen über die Verbrechen gegen die armenische Bevölkerung unternahm es jedoch keinen Versuch, diese zu stoppen. Zu groß war die Angst, den Verbündeten zu verlieren. Die Mitverantwortung des Deutschen Kaiserreichs ist noch immer Gegenstand wissenschaftlicher und politischer Aufarbeitung.
Der Genozid ist von Historiker/-innen umfangreich erforscht und mit Quellen belegt worden. Trotzdem bestreitet die Türkei als Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs noch immer, dass es sich um systematische Tötungen gehandelt habe. Die politische Führung in Ankara räumt ein, dass osmanische Streitkräfte an der Tötung von Armeniern beteiligt waren, stuft dies das aber als Teil des Bürgerkriegsgeschehens ein. Auch die Schätzungen von bis zu 1,5 Millionen Todesopfern weist die türkische Regierung zurück.
Andere Länder, darunter die USA, Frankreich, Italien und die Schweiz, haben den Genozid an den Armenier/-innen hingegen anerkannt. Auch Papst Franziskus sprach zum 100. Jahrestag im Jahr 2015 von einem Völkermord, was die türkische Regierung scharf verurteilte.
Der Deutsche Bundestag verabschiedete im Juni 2016 eine Resolution zur Anerkennung des Genozids. Er wurde mit einer Gegenstimme und einer Enthaltung angenommen. Das Europäische Parlament hatte bereits 1987 eine entsprechende Resolution auf den Weg gebracht.
Für die Armenier/-innen und die über die ganze Welt verstreute Diaspora, die nicht nur unter der Last des Erlebten, sondern auch unter der Leugnung der Gräueltaten leiden, ist die Anerkennung des Genozids ein wichtiger symbolischer Akt.
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