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Radbruchformel | bpb.de

Radbruchformel

Auch: Radbruch’sche Formel. Gustav Radbruch war Hochschullehrer und sozialdemokratischer Justizminister in der Weimarer Republik. Er verfasste eine bedeutende »Rechtsphilosophie«. In diesem Buch vertrat er eine streng positivistische Position der Rechtswissenschaft (Interner Link: Rechtspositivismus). Diese besagt, dass Recht und Moral streng zu trennen sind. Interner Link: Recht sei nur das positiv gesetzte Recht, das durch die Moral nicht korrigiert werden dürfe. V. a. gebe es kein höherrangiges Interner Link: Naturrecht, das als Maßstab für das positive Recht dienen könnte, also dafür, ob das positive Recht gerecht oder ungerecht ist und letztlich, ob es Geltung beanspruchen kann. Nach dem Krieg modifizierte Radbruch seine Position, weil er sah, dass man das Naziunrecht auch als solches qualifizieren muss und ihm jegliche Geltung absprechen kann. Diesen Gedanken fasste er in die berühmt gewordene Formel, die lautet: »Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, dass das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, dass der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz als ›unrichtiges Recht‹ der Gerechtigkeit zu weichen hat.« Gerechtigkeit sei, so führte er aus, durch Interner Link: Gleichheit zu charakterisieren. Wo Gleichheit, d. h. Menschengleichheit und Gleichheit an menschlicher Würde (Interner Link: Menschenwürde) nicht einmal angestrebt oder geleugnet wird, könne man nicht mehr von Gerechtigkeit und Recht sprechen. Mit der zitierten Formel hatte Radbruch großen Einfluss auf die Rechtsprechung in der jungen Bundesrepublik, soweit sie sich überhaupt um die Aufarbeitung des Naziregimes bemühte. Die Täter beriefen sich auf das geltende Recht unter der NS-Interner Link: Diktatur. Noch der baden-württembergische Ministerpräsident Filbinger (CDU), der als Richter noch am Ende des Krieges Deserteure zum Tode verurteilt hatte, verstieg sich Ende der 1970er-Jahre gegenüber dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« zu der Rechtfertigung ihrer Taten: »Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein!« Nach der R. war das Nazirecht eben kein Recht, und Filbinger wie andere konnten sich zur Rechtfertigung nicht darauf berufen. Filbinger wurde strafrechtlich niemals zur Rechenschaft gezogen, verantworten mussten sich gegenüber der bundesdeutschen Justiz v. a. die kleinen NS-Verbrecher. Nach der Wende wurde die R. aufgegriffen, um das DDR-Grenzregime strafrechtlich aufzuarbeiten. Die Gerichte sahen aber, dass ein Vergleich schwierig ist, und zogen weitere Maßstäbe heran.

Quelle: Das Rechtslexikon. Begriffe, Grundlagen, Zusammenhänge. Lennart Alexy / Andreas Fisahn / Susanne Hähnchen / Tobias Mushoff / Uwe Trepte. Verlag J.H.W. Dietz Nachf. , Bonn, 2. Auflage, 2023. Lizenzausgabe: Bundeszentrale für politische Bildung.

Siehe auch:

Fussnoten