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Social Media | bpb.de

Social Media

Christoph Bieber

Social Media bzw. Soziale Medien sind zur Konstante bei der Betrachtung medientechnologischer Rahmenbedingungen politischer Kommunikationsprozesse geworden, als Auslöser gilt die Nutzung verschiedener Dienste in Wahlkampagnen. Angelehnt an insbesondere US-amerikanische Vorbilder nutzen auch politische Akteure in Deutschland entsprechende Dienste. Charakteristisch ist dabei eine Dynamik zwischen persönlichen Profilen einzelner Politiker/innen und offiziellen Angeboten von Parteien, Gremien oder Institutionen. Die Entstehung digitaler Plattformen für eine dezentral organisierte, jedoch reichweitenstarke Kommunikation, die sich in Konkurrenz zu traditionellen Anbietern wie Zeitungen, Radio- oder Fernsehstationen hat behaupten können und zugleich neue Formen persönlicher Kommunikation ermöglicht, ist als radikale Veränderung der Entstehungsbedingungen politischer Öffentlichkeiten zu verstehen und daher von erheblicher Bedeutung für die Organisation und Analyse moderner Mediendemokratien. Auch wenn Soziale Medien insbesondere mit dem Aufkommen des „Web 2.0“ (Tim O’Reilly) Mitte der 2000er-Jahre verbunden werden, so spielen soziale Komponenten innerhalb eines informatisch-technischen Settings schon seit den 1940er-Jahren eine wichtige Rolle. In der Frühphase der Entwicklung von Computer- und Software-Technologie wurde damit die Erweiterung der Technik-Umgebung um kommunikative oder kollaborative Elemente beschrieben. Das „Soziale“ am Begriff der „Social Software“ bezieht sich dabei stets auf den Mehrwert der Computernutzung, die über traditionelles „(be)rechnen“ hinausgeht und Einzelnutzer oder Gruppen von Nutzern miteinander verbindet. Folgerichtig bildet die soziale Architektur, die die persönlichen Profile innerhalb einer Plattform miteinander verbindet und einen Austausch von Mitteilungen, Informationen und Daten nahezu jeglicher Art ermöglicht, den Mittelpunkt moderner Social Media-Angebote. Die so genannten Netzwerkplattformen wie z. B. Facebook gelten als die bekannteste Form sozialer Medien, doch gehören auch eher traditionelle Online-Publikationsformen wie Weblogs und Wikis zu dieser Kategorie. Während in Weblogs die Beiträge einzelner oder mehrerer Autoren veröffentlicht und mit Verweis- und Dialogfunktionen ausgestattet werden, eignen sich Wikis insbesondere zur kollaborativen Erstellung von Texten und Textsammlungen. Das prominenteste Beispiel hierfür ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Die regelmäßige Bereitstellung von Musik- oder Gesprächsaufzeichnungen als Podcasts fällt ebenfalls in diese Kategorie und unterstreicht den multi- und crossmedialen Charakter der Online-Kommunikation; grundsätzlich sind auch in auditiver Form zentrale Charakteristika sozialer Medien erkennbar.

Die Kommunikationswissenschaftlerinnen danah boyd und Nicole Ellison haben drei wesentliche Merkmale sozialer Netzwerkplattformen unterschieden: Nutzerinnen und Nutzer können (1) öffentliche oder teil-öffentliche Profilseiten mit individuellen Informationen anlegen, diese Profile lassen sich (2) miteinander verbinden, so dass (3) ein Netzwerk aus Verbindungen entsteht, mit dessen Hilfe man sich auf der Plattform orientieren und mit anderen Nutzern interagieren kann (vgl. Boyd und Ellison 2007). Das Resultat ist aus der Perspektive der Einzelnutzer zumeist eine individuelle Chronik bzw. „Timeline“, die eine Vielzahl von Kommunikationsbeiträgen und Aktivitäten aus dem eigenen Netzwerk auflistet. An dieses Grundverständnis anknüpfend hat der Mediensoziologe Jan Schmidt (2011) drei unterschiedliche Funktionen der Kommunikation in sozialen Netzwerken markiert: Identitätsmanagement (Darstellung individueller Interessen, Erlebnisse, Meinungen, Kompetenzen), Beziehungsmanagement (Pflege von bestehenden, Knüpfen von neuen Beziehungen) sowie Kommunikationsmanagement (Selektion und Weiterverbreitung von relevanten Daten, Informationen, Wissen und Kulturgütern).

Soziale Netzwerke führen somit zu einer Verzahnung von persönlicher Kommunikation, die grundsätzlich die Darstellung und Verbreitung privater, nur einer kleinen Gruppe zugänglichen Informationen umfasst, mit den Möglichkeiten traditioneller Distributionsmedien: Durch die hohe Akzeptanz und Verbreitung sozialer Netzwerke können über Profilseiten bereitgestellte Inhalte ein prinzipiell unabgeschlossenes (Massen-)Publikum erreichen, da die Netzwerkplattformen die Reichweite der Beiträge durch individuelle Aktionen (z. B. „like“ oder „share“) sowie durch für menschliche Nutzer nicht nachvollziehbare automatisierte Verfahren (Algorithmen) weiter verbreiten können. Die hybride Gestalt dieser auf persönlicher Auswahl basierenden, vielfältig miteinander vernetzten Öffentlichkeiten hat im Zuge der Ausweitung der Online-Kommunikation für politische Akteure hohe Bedeutung erlangt, da in unterschiedlichen politischen Systemzusammenhängen neue Möglichkeiten zur Selbstdarstellung, Kommunikation und Interaktion mit Individuen, Organisationen und Institutionen sowie mit Akteuren der Zivilgesellschaft entstanden sind.

Im Bereich der politischen Kommunikation gilt der Einsatz von Social Media-Kommunikation im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2008 als Wegweiser und Orientierungsmarke für andere politische Akteure. Auch zuvor waren Formate sozialer Medien zu Zwecken politischer Kommunikation genutzt worden, so wurden etwa im Rahmen der Bundestagswahl 2005 zahlreiche Blogs von Amtsinhabern, Mandatsträgern oder Kandidaten gestartet, die jedoch die heiße Wahlkampfphase meist nicht überdauert haben. Eine dauerhafte Verankerung in der professionellen politischen Kommunikation erfolgte erst nach der Initialzündung in den USA, als im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl 2008 soziale Medien große Bedeutung erlangten – parallel dazu etablierten sich Netzwerkplattformen wie MySpace, YouTube, Facebook oder Twitter als reichweitenstarke Konkurrenz für die traditionellen Medienunternehmen. Die Präsidentschaftsbewerbung Barack Obamas wurde per YouTube-Video angekündigt, eine Facebook-Seite und das Twitter-Profil @BarackObama begleiteten den damaligen Senator schon während der parteiinternen Vorwahlen und schließlich entwickelte das Kampagnenteam mit MyBarackObama (MyBO) ein eigenes soziales Netzwerk. Die Übernahme dieser Grundidee für die Kampagnenarbeit stellt eine zentrale Innovation moderner Wahlkampfführung dar (vgl. Bieber 2010).

Fortan bildete die Entwicklung eines technologisch-kommunikativen Konzepts, das während der verschiedenen Wahlkampfphasen flexibel an wechselnde Bedürfnisse angepasst werden kann, einen neuen Schwerpunkt auch in deutschen Kampagnen. In Anlehnung an den Gattungsbegriff Social Media lässt sich diese Form der Wahlkampfgestaltung als Social Campaigning bezeichnen, im Bereich der professionellen politischen Kommunikation bieten inzwischen viele Agenturen und Dienstleister solche Services. Mit dem ständigen Wachstum und Ausbau von Facebook, Twitter und YouTube sind diese Angebote zu den dominierenden Social Media-Anwendungen der nachfolgenden Wahlkämpfe geworden, punktuell ergänzt um format- und zielgruppenspezifische Angebote wie Instagram, Snapchat oder Pinterest sowie seit 2016 die für den individuellen Nachrichtenaustausch ausgelegten Messengerdienste wie etwa Whatsapp. Im Rahmen von Wahlkämpfen können dadurch auch neue Kontroll- und Regulierungsbedarfe entstehen, wie etwa unzulässige Wahlkampfunterstützung durch die Verbindung persönlicher Politikerprofile mit Parteiangeboten oder der Einsatz von „dark posts“ als nicht öffentlich einsehbare Formen von Wahlwerbung.

Die Nutzung sozialer Medien zur Organisation von Wahlkampfaktivitäten ist auf der Ebene von Kandidaten, Amts- und Mandatsträgern zum Standard geworden, jedoch nicht auf die individuelle Ebene beschränkt. Längst setzen auch die etablierten Parteien auf den systematischen Einsatz sozialer Medien zur Unterstützung der Binnenkommunikation ihrer Organisationen; besonders geeignet sind die Strukturen sozialer Medien auch für neue Parteien und politische Bewegungen. Für Deutschland kann hier die Piratenpartei als Vorreiter gelten, die insbesondere in ihrer parlamentarischen Phase zwischen 2011 und 2017 für zahlreiche Innovationen in der politischen Kommunikation gesorgt hat (vgl. Niedermayer 2013). Auch die Alternative für Deutschland (AfD) bindet soziale Medien intensiv zu Zwecken der internen und externen Kommunikation sowie auch zur Organisation interner Prozesse ein (vgl. Dietrich et al. 2017 ). Bei der AfD haben vor allem die von Facebook unterstützte Kommunikation und Organisation von (lokalen und regionalen) Gruppen sowie die Echtzeit-Aktivitäten via Twitter zu einer Positionierung und Etablierung in der politischen Öffentlichkeit beigetragen. Auch weniger verfasste politische Bewegungen haben zuletzt intensiv auf Social Media-Angebote gesetzt, im europäischen Kontext sind hier Podemos (Spanien), Movimento 5 Stelle (Italien) oder La République en Marche (Frankreich) zu nennen. Aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive kommen hier die Effekte des „konnektiven Handelns“ zum Tragen; dabei kann die Kommunikation in sozialen Netzwerken ähnliche Bindungskräfte und Identifikationsleistungen entfalten wie die Organisationslogiken klassischer Akteure und Organisationen (vgl. Bennett und Segerberg 2014).

Eine weitere, noch wenig untersuchte Nutzung sozialer Medien ist der Einsatz von Echtzeitkommunikation im parlamentarischen Alltag, z. B. die Verbreitung von Twitter-Nachrichten während Plenarsitzungen oder der Einsatz von Livestreaming-Formaten im Rahmen von Fraktionssitzungen, Koalitionsverhandlungen sowie als regelmäßiges Werkzeug zur öffentlichen Kommunikation mit Medien und Bürgerschaft. Vor allem durch die wachsenden Reichweiten solcher Formate eröffnen sich neue Möglichkeiten für politische PR, wenn Akteure des politischen Systems quasi-journalistische Formate anbieten, verstärkt als Sender fungieren und sich nicht mehr auf die Beobachtungs- und Transferleistungen massenmedialer Multiplikatoren verlassen (vgl. Bieber 2010). In den Fokus geraten sind die Möglichkeiten zur Verformung politischer Verfahrensroutinen vor allem durch die Twitter-Nutzung des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trumps, der durch seine Mitteilungen maßgeblich Themen und Ton der politischen Debatte bestimmt sowie häufig Einfluss auf Entscheidungsprozesse in unterschiedlichen Politikfeldern nimmt. Zunehmend werden auch in Deutschland Beiträge von Spitzenpolitikerinnen und – politikern zum Gegenstand von Kontroversen, jedoch erreichen bislang lediglich Partei- oder Fraktionsvorsitzende sowie institutionelle Profile (z. B. @RegSprecher) eine breite Öffentlichkeit.

Neben Staatsoberhäuptern, politischen Organisationen und Institutionen können unter bestimmten Umständen auch Vertreter der Zivilgesellschaft durch politische Echtzeit-Kommunikation themensetzend in der öffentlichen Arena einwirken. Eine wichtige Rolle spielen dabei Hashtags, die als semantische Markierung zur Ausbildung spontaner Öffentlichkeiten beitragen. Als hervorgehobene Beispiele gelten Hinweise auf bevorstehende Ereignisse wie Wahlen (#btw17 als Kürzel zur Bundestagswahl 2017) und den EU-Austritt Großbritanniens (#brexit), Debatten um Minderheitenrechte (#blacklivesmatter) sowie Sexismus und sexualisierte Gewalt (#aufschrei bzw. #metoo) oder die globalen Proteste zum Klimaschutz durch Schülerinnen und Schüler (#fridays4future).

Die Auffindbarkeit einzelner Mitteilungen und deren Gruppierung zu inhaltlich zusammengehörigen Clustern ist in der maschinellen Lesbarkeit und automatisierten Verarbeitung der Daten begründet. Die in der kommunikativen Architektur der Netzwerkplattformen angelegten Möglichkeiten zum Teilen und Verbreiten von Informationen werden auch von den Plattformbetreibern selbst genutzt, um die Sichtbarkeit und Reichweite der Kommunikationsbeiträge zu steigern und somit eine kommerzielle Verwertung der Daten zu optimieren. Die dafür eingesetzten Verfahren rücken Rolle und Bedeutung der Netzwerkplattformen für den politischen Diskurs in den Vordergrund, die aufgrund ihrer weiten Verbreitung inzwischen als neue Infrastruktur öffentlicher Debatten gelten. Ansatzpunkte zur Kritik liefern dabei die grundsätzliche Uneinsehbarkeit in die technische Struktur der Netzwerkplattformen sowie die von ihnen zur Ordnung und Steuerung von Inhalten eingesetzten Verfahren und Algorithmen. Die zunächst im Umfeld der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl aufgekommenen Vorwürfe zielten auf ein Misstrauen gegenüber künstlicher Kommunikation durch Bots, die ungehinderte Verbreitung von Fake News, den missbräuchlichen Umgang mit Nutzerdaten oder die ausbleibende Regulierung von Hassrede und inzivilem Verhalten im Internet. Die Organisation der Netzwerkplattformen als international agierende Unternehmen erschwert dabei eine Regulierung durch politische Akteure, da rechtliche Zuständigkeiten oftmals unklar bleiben bzw. einzelne Konzernbereiche strategisch über mehrere Standorte verteilt werden. Der Vorstoß der Bundesregierung, den Plattformbetreibern mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) Vorgaben zum Umgang mit problematischen Inhalten zu geben und einen Maßnahmenkatalog für Bestrafungen und Sanktionen zu entwickeln, fand internationale Beachtung und führte zu einer Intensivierung politischer Regulierungsaktivität auf europäischer Ebene wie auch im globalen Kontext.

Die Bedeutung sozialer Medien für das politische System liegt somit längst nicht allein im Bereich der politischen Kommunikation, sondern erstreckt sich auch auf prozessuale, strukturelle und normative Dimensionen der Demokratie.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Christoph Bieber

Fussnoten