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Parteiorganisation | bpb.de

Parteiorganisation

Uwe Jun

Grundlegende Struktureigenschaften von Parteien

Politische Parteien in Demokratien sind gesellschaftliche Organisationen auf Basis von freiwilliger Partizipation und selbst gewählten Formen von Engagement derjenigen Individuen, die mit einer Partei aus unterschiedlichen Motiven heraus sympathisieren. Sie konstituieren eine Struktur ihrer Organisation, um ein Mindestmaß an formellen Regeln durchzusetzen, welche die Interaktionen ihrer Mitglieder bzw. Sympathisanten zumindest teilweise regulieren und eine überindividuelle Kontinuität gewährleisten sollen (vgl. den überblick bei Scarrow und Webb 2018). Durch ihre Organisationsstruktur nehmen sie die ihnen zugedachten Funktionen wie Interessenartikulation und -aggregation, Legitimationsbeschaffung, Rekrutierung politischer Ämter oder Zielfindung wahr, versuchen sie die Ansprüche ihrer Mitglieder zu befriedigen, diese zu integrieren und für jeweils bestimmte Zwecke oder Anliegen zu mobilisieren. Der Aspekt der Freiwilligkeit bedeutet für politische Parteien die Notwendigkeit ein Anreiz- und Gratifikationssystem zu entwickeln, um Sympathisanten für sich zu gewinnen und möglichst dauerhaft an sich zu binden. Neben ihrer gesellschaftlichen Anbindung sichert die Organisationsstruktur einer Partei auch die Möglichkeit in den Staatsapparat hineinzuwirken und auf das Handeln ihrer öffentlichen Amts- und Mandatsträger einzuwirken.

Moderne Parteiorganisationen werden als Stratarchien betrachtet, was bedeutet, dass Parteien als vertikal und horizontal verschränkte und zerklüftete Organisationen zu verstehen sind (vgl. Cross 2018), die sich in verschiedene Teilorganisationen (Gruppen, Vereinigungen, Flügel, Landesverbände, Ortsvereine etc.) untergliedern, die wiederum unterschiedliche, im Extremfall sogar widersprüchliche Handlungen vollziehen. Es wird davon ausgegangen, dass Parteien keine strikte Hierarchie ausbilden, in der von oben nach unten ‚herunterregiert‘ werden kann, wenngleich Parteiführungen bei Entscheidungsprozessen innerhalb von Parteien durchaus erhebliche Machtspielräume besitzen können. Die in vielen Demokratien zu beobachtende Professionalisierung der Parteiapparate hat eine Stärkung der Berufspolitiker und ihrer Mitarbeiter gegenüber den ehrenamtlichen Amateuren mit sich gebracht und ihre Autonomie erhöht. Dies beinhaltet jedoch, dass Parteien insgesamt eher als eine Sammlung von einzelnen Teilen zu begreifen, die lose miteinander verkoppelt sind (vgl. Wiesendahl 1998, S. 242). Führung von Parteien bedarf daher der steten Organisation von Zustimmung und Folgebereitschaft. Die unterschiedlichen Gesichter von Parteien spiegeln sich in ihren drei Formen wider: der „party in public office“ (Mandats- und Amtsträger der Parteien in öffentlichen Einrichtungen wie Parlamenten und Regierungen), „party in central offices“ (Parteiführung und deren hauptamtliche Mitarbeiter) und „party on the ground“ (Parteibasis mit ehrenamtlichen Mitgliedern bzw. Sympathisanten; vgl. Katz und Mair 1993).

Formale Strukturen in Deutschland

In Deutschland sind politische Parteien als Mitgliederparteien organisiert, das heißt Mitgliedern obliegen unterschiedliche Rechte und Pflichten (siehe dazu Korte et al. 2018, S. 44 ff.). Zu den Rechten zählen wesentlich Mitwirkungsmöglichkeiten bei inhaltlichen und programmatischen Fragen und bei der Personalauswahl für innerparteiliche Ämter bzw. bei Kandidaturen für öffentliche Ämter. Zu den Pflichten zählen das Entrichten von Beiträgen und ein Mindestmaß an Loyalität gegenüber den Werten und Zielen der eigenen Partei. Die im Parteiengesetz festgelegte und in den jeweiligen Parteisatzungen bzw. -statuten konkretisierte formale Organisationsstruktur von Parteien in Deutschland gliedert sich in Bundes-, Landes-, Regional- und Kommunalverbände, die entsprechend der genannten Strukturen von Parteien jeweils innerhalb der einzelnen Partei ein gewisses Maß an Unabhängigkeit haben. Gleichzeitig besteht die Notwendigkeit des Zusammenwirkens, um in Entscheidungsprozessen handlungsfähig zu sein und nach außen die im Parteienwettbewerb vorteilhafte Geschlossenheit herzustellen. Auf der lokalen Ebene stehen die Ortsverbände, in denen Parteiarbeit in den Kommunen im Vordergrund steht; Parteimitglieder organisieren hier nicht nur Wahlkämpfe, sondern treffen sich auch zu ehrenamtlichen Aktionen, die von der gemeinsamen Reinigung von Stadtteilen über die Veranstaltung kleinerer Feste oder aber auch nur einem einfachen Beisammensein reichen können. Über diesen Ortsverbänden stehen den Stadt- und Landkreisen entsprechende Kreisverbände (bei der SPD heißen diese Unterbezirke). Eine Stufe über diesen Kreisverbänden befindet sich dann der Landesverband, der sich in einer wichtigen Scharnierposition befindet: Kommunikation und Konsens sowohl in als auch zwischen den Landesverbänden ist häufig auch für Entscheidungen auf der Bundesebene tonangebend. Entscheidungen auf Bundesparteitagen werden gelegentlich von Landesverbänden vorbereitet und Absprachen finden nicht selten im Vorfeld statt. Weiterhin relevant sind die Landesverbände bei der Besetzung von Ämtern und Mandaten auf der Bundesebene sowohl in der Partei wie bei der Besetzung von Positionen in Parlamenten und der Bundesregierung. So gibt es beispielsweise innerhalb der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD Landesgruppen mit eigenen Statuten. Besonders Landesverbände mit hohen Mitgliederzahlen haben innerhalb der Parteien erheblichen Einfluss. Der Bundesverband einer Partei umfasst alle bestehenden Landesverbände, bestimmt die Parteiführung (Bundesvorstand, Präsidium) und unterhält eine Bundesgeschäftsstelle in Berlin.

Höchstes Organ und damit formal zentrales Entscheidungsgremium einer Partei ist der Parteitag. Ein Parteitag besteht auf allen Ebenen (Kreis, Land, Bund). Die Delegierten der jeweiligen Parteitage werden immer auf den Parteitagen von der jeweils darunter liegenden Ebene gewählt. Parteitage müssen nicht aus Vertretern, also Delegierten, bestehen, sondern können auch als für alle Mitglieder offen zugängliche Mitgliederversammlungen stattfinden. Die etablierten Parteien sind – bis auf die FDP – dazu übergegangen, zwischen den jährlich oder alle zwei Jahren stattfindenden ordentlichen Parteitagen sogenannte ‚Kleine Parteitage‘ zu veranstalten, da die thematische Breite, der sich Parteien stellen müssen, nicht mehr im Rahmen der ordentlichen Parteitage vollständig abzuarbeiten ist.

Ein weiteres wesentliches Organ bilden die Vorstände, welche vor allem auf Bundesebene den schon erwähnten Parteiapparat benötigen, um die ihnen zugewiesenen Aufgaben der ‚Geschäftsführung‘ auch erfüllen zu können. Zur effektiveren Organisation bilden diese Vorstände Präsidien aus, die als enger Zirkel entscheidungs- und leistungsfähig sein sollen und den organisatorischen Kern der Vorstände bilden.

Man kann zusammenfassend die Parteitage als eine Art ‚Legislativorgan‘ begreifen, also als diejenige Instanz, die über grundsätzliche Fragen beschließt und diese verbindlich für die Partei verabschiedet, wohingegen die Vorstände und vor allem die Präsidien damit befasst sind, die Beschlüsse der Parteitage auszuführen, was diese demnach zur ‚Exekutive‘ macht. Vorstand und Präsidium leiten die Partei im Alltagsgeschäft der Politik.

Für alle Ebenen gilt, dass Sachentscheidungen durch Abstimmungen zustande kommen und die Besetzung von innerparteilichen Ämtern sowie die Kandidatur für öffentliche Mandate und Ämter der Wahl unterliegt, wodurch ein Mindestmaß an innerparteilicher Demokratie gewährleistet werden soll.

Wenngleich die Beschreibung der Strukturen und Funktionen einer Parteiorganisation recht eindeutig scheint, so war doch lange unklar, wie Parteizentralen konkret arbeiten. So ist es gerade Aufgabe der hauptamtlichen Parteimitarbeiter in den Geschäftsstellen der Parteien als Teil der „Party in central office“, die Zahnräder der Parteiarbeit ineinander greifen zu lassen und das ‚Getriebe zu schmieren‘. Sie erledigen die bürokratischen Arbeiten, die bei der Aufrechterhaltung der innerparteilichen Infrastruktur anfallen und organisieren nicht nur Parteikampagnen, sondern verwalten auch die Parteimitglieder, drucken und versenden Informationsmaterial und sind meist eng verzahnt mit der Partei ‚vor Ort‘. Zum größten Teil sind die bezahlten Geschäftsstellenmitarbeiter Mitglied der jeweiligen Partei und zeigen sich daher engagiert bei der Arbeit vor Ort; wer morgens also noch in der Geschäftsstelle vor dem Rechner sitzt und die Mitgliederkarteien verwaltet, der sitzt abends im örtlichen Gemeinde-, Bezirks- oder Stadtrat.

Weiterhin zu nennen in der Organisationsstruktur von Parteien sind die Parteischiedsgerichte. Diese können bei Satzungsstreitigkeiten angerufen werden, Entscheidungen bei Wahlanfechtungen treffen und Sanktionsmaßnahmen verhängen. Sie können auch Parteimitglieder aus der Partei ausschließen, wobei dabei hohe Hürden gesetzt sind.

Zuletzt sollen noch die sogenannten Kollateralorganisationen und Arbeitsgemeinschaften der Parteien genannt werden, die auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtet sind und diese zur Mitarbeit in den Parteien animieren sollen. So sind bei der SPD vor allem die Jungsozialist(inn)en (Jusos) bekannt, sowie bei der CDU die Junge Union (JU). Die Jugendorganisationen der Parteien ermöglichen eine Mitgliedschaft jedoch nur bis zu einem gewissen Alter. Aber auch Organisationen, in denen einzelne Gruppen wie beispielsweise Frauen, Arbeitnehmer, Juristen, Schwule und Lesben, Senioren, Christen und Christinnen oder Migranten organisiert sind, existieren als Vereinigungen innerhalb der Parteien. Zudem gibt es Gruppen, die nicht nach Status, sondern nach bestimmten Interessengebieten unterscheiden, wie beispielsweise Ökologie, Verkehr oder Tierschutz. Diese Arbeitsgemeinschaften, die auch unter anderen Bezeichnungen wie ‚Themenforen‘ (SPD) oder ‚Vereinigungen‘ und ‚Sonderorganisationen‘ (CDU) auftreten können, sind meist die Orte, an denen sich Parteimitglieder gezielt einem Thema widmen und dieses mit anderen Parteimitgliedern bearbeiten können. Davon zu unterscheiden sind jedoch Expertengremien, die von den Vorständen eingesetzt werden und ihnen inhaltlich zuarbeiten sollen. Diese heißen beispielsweise ‚Fachausschüsse‘ (FDP) oder auch ‚Beiräte‘ (so z. B. der ‚Koordinierungsbeirat Medienpolitik‘ bei den Grünen) und können zeitlich befristet sein.

Informelle Gruppierungen innerhalb der Parteien

Neben den formal eine Partei strukturierenden Organisationseinheiten existieren eher informelle Gruppen oder Faktionen, die sogenannten Flügel oder Strömungen (vgl. Korte et al. 2018, S. 32 ff.), denen sich Mitglieder, vor allem Delegierte und Mandatsträger, primär ideologisch zuordnen. Faktionen bilden die programmatische und politische Diversität von Parteien ab. Häufig bilden sie klar zu identifizierende Strukturen aus, die durchaus auch formalisiert sein können. Eine solche Faktion wirkt identitätsbildend, agiert innerhalb der Partei als kollektiver Akteur und teilt gemeinsame Standpunkte. Ihr Ziel ist die Durchsetzung von bestimmten Interessen, was bedingt, dass eine Faktion als Machtfaktor innerhalb der Partei wahrgenommen werden möchte. Die Zuordnung eines Mitglieds zu einer Faktion ist manches Mal offen, gelegentlich verdeckt, sodass meist zwar die führenden Akteure der Flügel oder Strömungen bekannt sind, die Zugehörigkeit einzelner Mitglieder jedoch nicht immer erkennbar ist. Flügel oder Strömungen schaffen informelle Netzwerke mit je eigenen Verfahrensweisen und Zielen, die untereinander um die programmatisch-ideologische Ausrichtung der Partei ringen und dabei Konflikte provozieren können, die nach außen sichtbar werden und damit das Bild einer intern zerstrittenen Partei vermitteln können. Die Interaktionen zwischen den Flügeln variieren von kooperativen bis hin zu konflikthaften Aushandlungsmechanismen oder offenen Konflikten. Kooperation kann innerparteiliche Integration und Kohäsion fördern, Konflikte können je nach Intensität bis hin zur Lähmung einer Partei führen

Der Typus der Volkspartei besteht seit jeher zur Integration unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen und programmatischer Ansätze aus Flügeln. Diese dienen der Ausdifferenzierung der Parteien, um so möglichst umfassend gesellschaftliche Interessen repräsentieren zu können. In der CDU gibt es beispielsweise einen konservativen, einen eher liberalen und einen sozial ausgerichteten Flügel. Schon seit ihrer Gründung gibt es bei der SPD unterschiedliche Flügel, seit vielen Jahren bekannt sind die drei Gruppierungen der eher traditionellen Parteirechten des Seeheimer Kreises, dem die Parteilinke, hauptsächlich in der Parlamentarischen Linken vereint, gegenübersteht. Die Netzwerker zeigen sich eher pragmatisch und agieren hauptsächlich auf der parlamentarischen Ebene. Lange Zeit dominant war bei den Grünen der innerparteiliche Wettbewerb zwischen Fundamentalisten („Fundis“) und Realpolitikern („Realos“), der sich zunächst an der Frage einer möglichen Regierungsbeteiligung, später (nach der Bildung von Koalitionen mit der SPD) an den Eintritt in Koalitionen mit der CDU entzündete, aber auch offen unterschiedliche politische Ansätze zum Inhalt hatte. Auch bei der Linkspartei wird zwischen pragmatisch orientierten „Reformern“ und ideologisch auftretenden „Orthodoxen“ unterschieden.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Uwe Jun

Fussnoten