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Gender/Geschlechterpolitik | bpb.de

Gender/Geschlechterpolitik

Ilse Lenz

Während Geschlechterfragen grundlegend für viele Politikfelder wie etwa die Arbeitspolitik, die Familienpolitik oder auch die Sozialpolitik sind, hat sich seit den 1980er-Jahren die Geschlechterpolitik als eigenes Politikfeld herausgebildet. In diesem war zunächst die Gleichberechtigung und Förderung von Frauen zentral. In einer reflexiven Wendung wurden darauf auch Gleichheitsanliegen von Männern in der Vereinbarkeit oder Bildung, sowie Fragen geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, etwa die Gleichstellung von Homosexuellen wie auch Trans* und Inter* thematisiert (Lenz 2010). Ab etwa 2000 hat sich der Rechtspopulismus in Deutschland, der EU, Ostasien, Russland und den USA neu formiert. Er vertritt einen starren Geschlechtsdualismus mit ungleicher Arbeitsteilung wie auch die Ausgrenzung von EinwanderInnen und verbreitet rassistische und sexistische Stereotype. Parallel dazu mobilisieren feministische Strömungen international und vor Ort verstärkt gegen sexualisierte Gewalt und für gleiche politische, soziale und wirtschaftliche Partizipation. Deswegen dürften die Geschlechterkonflikte und die Bedeutung der Geschlechterpolitik noch zunehmen.

Geschlecht in der politischen Theorie

In der klassischen politischen Theorie wurde ‚der Mann‘ als Staatsbürger in der politischen Gemeinschaft gesehen und ‚die Frau‘ als Mutter und Hausfrau definiert, deren Wirken sich auf den Haushalt beschränken sollte. Zugleich wurden männliche und weibliche Sklaven als Dinge ohne menschlichen Charakter eingestuft. Trotz gleichheitlicher Züge übernahm das Christentum wie andere Weltreligionen die patriarchalen Normen. Die politische Philosophie der Neuzeit nun trat für Freiheit, Gleichheit und allgemeine Menschenrechte ein, die jedoch zunächst nur für ‚weiße‘ männliche Bürger galten.

Die sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung hat herausgearbeitet, dass Geschlecht zum durchgehenden Organisationsprinzip von Ungleichheit im modernen Staat und der internationalen Politik wurde. Geschlecht wurde neu gefasst als biologisch zugeschriebene Zweigeschlechtlichkeit von Frau und Mann, denen ungleiche Machtsphären und Aufgaben zugewiesen wurden, und zugleich mit der modernen Trennung von Öffentlich und Privat verkoppelt (Kortendiek et al. 2019). So wurde der ungleiche Geschlechtervertrag dem männlich zentrierten Gesellschaftsvertrag vorgelagert. ‚Der Mann‘ wurde zur allgemeinen Norm des Menschen und damit des Bürgers und Verteidigers der Nation erklärt, während Frauen als Mütter definiert und dem Haushalt zugeordnet wurden. Die öffentlichen Sphären von Politik, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft wurden als männlich zentrierte Machtfelder reorganisiert, von denen Frauen lange ausgeschlossen blieben. Auch der Privatbereich der Familie und des Haushalts, in dem Frauen die unbezahlte Versorgungsarbeit leisteten, wurde rechtlich der männlichen Autorität des Ehemanns oder Vaters unterstellt (vgl. Becker-Schmidt und Knapp 2000). Der Intersektionalitätsansatz untersucht die Wechselwirkungen von Geschlechterungleichheit mit weiteren Ungleichheitskategorien wie Klasse, Migration, ‚Rasse‘ und Sexualität (Lutz et al. 2013). Der Widerspruch zwischen universaler Freiheit und Gleichheit und Ausschluss in der Moderne kennzeichnet die politischen Kämpfe um Teilhabe, Freiheit und Gleichheit vonseiten der Frauen und weiterer ausgegrenzter Gruppen.

Das institutionalisierte männliche Machtmonopol und die Ausgrenzung und Unterordnung von Frauen wurde mit dem strukturtheoretischen Ansatz des Neopatriarchats und seiner ungleichen geschlechtlichen Arbeitsteilung und Machtverhältnisse erfasst (Becker-Schmidt und Knapp 2000). Neuere Zugänge arbeiten die diskursiven und hegemonialen Machtstrategien von Maskulinität und Kapitalismus im modernen Staatensystem heraus (Sauer 2001; Ludwig 2015).

Ein weiterer Theoriezugang analysiert vergleichend die Genderregimes in modernen Wohlfahrtsstaaten. In kritischer Weiterführung der Typologie von Gøsta Esping-Anderson werden die Muster der geschlechtlichen Arbeitsteilung und des daraus abgeleiteten Zugangs zu sozialer Sicherung analysiert. Sie waren aufgrund der Koppelung der sozialen Sicherung an die Lohnarbeit, also vor allem an den ‚männlichen Familienernährer‘, neopatriarchal geprägt. Im Typ des konservativen Wohlfahrtsstaats (Deutschland, Japan, Korea, Österreich) herrschte das Leitmodell von Ernährer/Hausfrau vor. Im sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat (Norwegen, Schweden) entwickelte sich demgegenüber ein Doppelernährer- und Doppelversorgermodell, nach dem Frauen wie Männer erwerbstätig sind und Sorgearbeit leisten. Die Genderregimes wandeln sich gegenwärtig.

Das Verständnis von Geschlecht veränderte sich im Zuge der Frauen- und anderer Emanzipationsbewegungen und des Wertewandels seit den 1970er-Jahren grundlegend. Die Geschlechterforschung versteht Geschlecht heute als soziokulturelles Verhältnis, das sich auf körperliche und biologische Zusammenhänge bezieht und diese kulturell unterschiedlich gestaltet. Dabei stützt sie sich u. a. auf ethnologische Untersuchungen zur Variabilität von Geschlecht und neuere biologische Ansätze (Kortendiek et al. 2019). Zudem ist Geschlecht vielfältig und nicht allein auf eine zweigeschlechtliche heteronormative Klassifikation von Frau und Mann zu reduzieren. Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt wurde im Kontext der Gleichstellung der homosexuellen Ehe und der Anerkennung von Inter-* und Trans* Personen zu geschlechterpolitischen Fragen.

Im Zuge der reflexiven Modernisierung und der Globalisierung haben sich Gesellschaft und Geschlechterverhältnisse grundlegend verändert. Geschlechtergleichheit stellt heute eine (nicht eingelöste) Leitnorm dar, die geschlechtliche Vielfalt wird politisch thematisiert und weitgehend anerkannt und die Trennung von Öffentlich und Privat vielfach durchbrochen. Frauen haben politische und gesellschaftliche Partizipation errungen, wenn sie auch weiterhin in Machtpositionen unterrepräsentiert sind (vgl. Kortendiek et al. 2019; Lenz et al. 2017; Rendtorff et al. 2019). Damit erodiert das Neopatriarchat als konsistente Struktur männlicher Vorherrschaft. Für die gegenwärtige Transformation wurde u. a. der Ansatz der asymmetrischen flexibilisierten Geschlechterordnung eingebracht (vgl. Lenz et al. 2017).

Politische Geschlechterfragen und Herausforderungen in der Bundesrepublik

Geschlechterpolitik bezieht sich sowohl auf die geschlechterpolitischen Ansätze (substantielle Repräsentation) in verschiedenen Politikfeldern als auch auf die geschlechtergerechte Repräsentation in der Politik (deskriptive Repräsentation) (Waylen et al. 2013). Angesichts des raschen sozialen Wandels steht sie heute vor komplexen alten und neuen Herausforderungen: Während die neopatriarchale Ungleichheit in der Familie und die Marginalisierung der Frauen in der Politik zurückgedrängt, aber nicht aufgehoben wurden, ergeben sich durch die Transformation der Geschlechterverhältnisse neue Fragen. Der demographische Wandel führt zu der Alterung der Bevölkerung und dem Sinken der Geburtenraten. Die Frauenerwerbstätigkeit ist rasch angestiegen. Zugleich verläuft eine Prekarisierung und Rationalisierung der Lohnarbeit, die alle Beschäftigten, aber Frauen besonders, betreffen. Angesichts der Auswirkungen beider Trends auf die soziale Sicherung und die unbezahlte Versorgungsarbeit, die herkömmlich von Frauen in der Familie geleistet wurde, sind neue Ansätze in der Sozialpolitik, der Familien- und Arbeitspolitik (u. a. zur Vereinbarkeit) und der Gleichheitspolitik dringend erforderlich. Weiterhin haben sich durch die Digitalisierung und Mediatisierung die politische Kommunikation und Repräsentation gewandelt, wobei Männer einen neuen Vorsprung gewannen.

Die Transformation von Geschlecht geht auch auf die neuen Frauenbewegungen zurück, die unter dem Motto „Das Private ist politisch“ bis dahin ins Private verwiesene Fragen in die Politik einbrachten. Sie forderten Selbstbestimmung auch über ihren Körper, ihre Sexualität und das Gebären, u. a. die Aufhebung § 218. Zudem thematisierten sie die umfassende, tief verwurzelte sexualisierte Gewalt wie sexuellen Missbrauch, Vergewaltigung in und außerhalb der Ehe und sexuelle Belästigung. Weiterhin verlangten sie eine grundlegende Veränderung der modernen geschlechtlichen Arbeitsteilung: Frauen sollten gleiche Chancen in der Lohnarbeit und Männer in der häuslichen Versorgungsarbeit erlangen und der Staat gute öffentliche Kinderversorgung und Altenpflege bereitstellen. Die Frauen- und Lesbenbewegungen forderten Gleichheit der Lebensformen und Antidiskriminierung. Die Trans* und Inter*Bewegungen erreichten u. a. über die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Bundestag 2018 die Einrichtung eines ‚dritten Geschlechts‘ im Personenstandsregister beschloss. So trugen diese Bewegungen grundlegend zur geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt bei (Lenz 2010).

Geschlechterpolitik seit der deutschen Vereinigung 1990

In der deutschen Vereinigung stießen zwei unterschiedliche Genderregimes aufeinander.

In Westdeutschland bestand ein konservatives Geschlechterwohlfahrtsregime, in dem das Ernährer-/Hausfrauenmodell vorherrschend war. Im Staatspatriarchat der DDR wurden die Vollzeiterwerbstätigkeit der Frau, eine umfassende berufliche Bildung und öffentliche Kinderversorgung verankert, wobei die sozialistische Emanzipationstheorie wie auch das Staatsinteresse an Arbeitskräften leitend waren.

Dieses widersprüchliche Erbe der DDR erbrachte einen tiefgehenden Modernisierungsschub für die Bundesrepublik, da die Frauen im Osten an der Vollzeiterwerbstätigkeit und der öffentlichen Kinderbetreuung festhielten und die im Westen zunehmend erwerbstätig wurden, allerdings oft in Teilzeitarbeit.

Seit der deutschen Vereinigung 1990 wurden eine Reihe wichtiger geschlechterpolitischer Gesetze beschlossen. Zudem wurde die Frauen- und Geschlechterpolitik zunehmend im internationalen Mehrebenensystem verortet, da interne und internationale Faktoren zusammenwirken. Relevant sind die Ebenen der Bundesländer, der Bundesregierung und der verschiedenen relevanten EU Instanzen (Kommission, Parlament) und der UN. Die Bundesrepublik beteiligte sich an der internationalen Normsetzung zur Gleichheit, wobei der Europa-Vertrag von Amsterdam 1997, die Weltaktionsplattform der Vierten UN Weltkonferenz für Frauen 1995 und das rechtsverbindliche Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) von 1979 die wichtigsten Verträge darstellen. Weiterhin wurden internationale Impulse u. a. aus Nordeuropa oder den USA kritisch rezipiert und etwa in das Gesetz zur Elternzeit eingebracht.

Zugleich erfolgte im Zuge der deutschen Vereinigung in Öffentlichkeit und Parteien eine grundlegende Debatte über Geschlechtergleichheit (vgl. Lenz 2010), die 1994 als Staatsziel in der Verfassung aufgenommen wurde. Die wichtigsten folgenden Entwicklungen werden nun zusammengefasst:

  1. Die Vereinbarkeitspolitik zwischen unbezahlter familialer Sorge- und Lohnarbeit wurde ab etwa 2000 unter dem Eindruck des demographischen Übergangs, insbesondere sinkender Geburtenraten, verstärkt. Die öffentliche Kinderbetreuung wurde ausgebaut, wobei das Angebot allerdings weiter klar unter dem Bedarf liegt. Ein Motiv war die Neuregelung des § 218 im Zuge der deutschen Vereinigung, da die Abtreibung in der DDR legal und in der vorigen Bundesrepublik strafbar war. 1995 wurde die Abtreibung insgesamt verboten, blieb aber im Fall einer vorigen Beratung der schwangeren Frau straflos. Die weitere Kriminalisierung der Abtreibung wurde von Frauen in Ostdeutschland und der Frauenbewegung heftig kritisiert. Sie fordern die reproduktive Selbstbestimmung der Frau, die das Kind austrägt und mit versorgt.

    Flankierend zur Reform des § 218 wurde ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder über drei Jahren festgesetzt, der 2013 auf Kinder unter drei Jahren erweitert wurde. Heute bedeutet die Teilhabe der Frauen an der Lohnarbeit ein anerkanntes gleichstellungspolitisches Ziel. Allerdings wird es oft durch Teilzeitarbeit von Müttern verwirklicht, die also beruflich weiterhin zurückstecken. Das Gesetz zur Elternzeit 2006 sah einen beträchtlichen Lohnersatz für einen Elternurlaub von einem Jahr vor und gibt durch eine entsprechende Verlängerung von zwei Monaten einen Anreiz für die Beteiligung beider Eltern. Bereits 2008 wurde Elternzeit von einem Fünftel der Väter und 2015 von einem Drittel der Väter genutzt.

  2. Die Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik

    Die Gleichstellungspolitik bezieht sich heute auf alle Geschlechter. Während sie weiterhin darauf abzielt, die Benachteiligung von Frauen aufzuheben, beschäftigt sie sich zugleich mit neuen Disparitäten, die Männer u. a. in bezug auf Bildung und Gesundheit erfahren (vgl. Theunert 2012). Ebenso setzt sie sich mit den Ungleichheiten und Diskriminierungen auseinander, die homosexuelle, trans* und inter*Personen. betreffen.

    Die rot-grüne Koalition (1998–2005) führte 2001 die eingetragene Lebenspartnerschaft für homosexuelle Paare ein. 2017 folgte die gleichgeschlechtliche Ehe und somit eine weitgehende Gleichstellung.

    Ferner beschloss die rot-grüne Koalition 2001 das Prostitutionsgesetz: Prostitution wurde im Sinne der Antidiskriminierung legalisiert und nun als Erwerbstätigkeit eingestuft, die Zugang zur Sozialversicherung und Steuerzahlung vorsieht. In der Folge nahmen die Prostitution und der internationale Frauenhandel in die Bundesrepublik zu. Nach einer leichten Neuregulierung um 2017 wird gegenwärtig ein Prostitutionsverbot mit einer Bestrafung der Freier in Deutschland und Europa kontrovers diskutiert.

    Die CDU-SPD Koalition verabschiedete 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), um die EU Richtlinien zur Antidiskriminierung und Gleichheit von 2000, 2002 und 2004 (Richtlinie 2000/43/EG, Richtlinie 2000/43/EG, 2002/73/EG, 2004/113/EG) umzusetzen. Es verbietet Diskriminierung, hält die Verantwortung der Unternehmen dafür fest und etablierte eine Bundesbeschwerdestelle.

    Die Bundesregierung richtete um 2009 ein Referat für Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer ein. Ebenso berief sie eine Sachverständigenkommission zur Gleichstellung. In ihren Berichten von 2011 und 2017 folgt sie dem Lebenslagenansatz, in dem die Weichenstellungen zur Ungleichheit im Lebenslauf identifiziert und Gegenmaßnahmen vorgeschlagen werden.

  3. Die Politik gegen Gewalt gegen Frauen und Kinder wurde meist im überparteilichen Konsens vorangetrieben wie bei der ‚Jahrhundertreform‘ 1997, dem Verbot der Vergewaltigung in der Ehe, die bis dahin nicht strafbar war. Die rot-grüne Koalition beschloss 2002 das Gewaltschutzgesetz, das den Opfern von häuslicher Gewalt den Verbleib in der Wohnung ermöglicht und die Täter daraus verweist. Das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung 2016 verbietet sexuelle Handlungen gegen den Willen der betroffenen Person entsprechend der Istanbulkonvention des Europarats von 2011.

  4. Für die gleiche Beteiligung von Frauen in Politik und Wirtschaft werden zunehmend institutionelle Maßnahmen gefordert. Dazu gehören die gleiche Vertretung von Frauen auf den Wahllisten der Parteien (Parität), die 2019 in Brandenburg und Thüringen beschlossen wurde, oder die gleiche sozioökonomische Repräsentation durch Quoten in der öffentlichen Verwaltung und der Privatwirtschaft. Wichtig sind Verfahren, die Gleichstellung und demokratische Repräsentation überzeugend verbinden.

Zur politischen Partizipation von Frauen

Die Wahl von Dr. Angela Merkel zur ersten Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland 2005 bedeutete einen Durchbruch für Frauen in der Politik. Nach einem raschen Anstieg in den 1980er-Jahren verharrt die politische Beteiligung von Frauen im politischen System insgesamt bei etwa 30–40 %, so dass trotz aller Fortschritte die Gleichheit aussteht.

Der Frauenanteil im Kabinett lag 2018 knapp unter der Hälfte (44 %). In den Bundesländern variiert er stark. Im Bundestag erreichte der Frauenanteil 1972 einen historischen Tiefstand von 5,8 Prozent und stieg auch unter dem Einfluss der Neuen Frauenbewegung ab ca. 1980 kontinuierlich auf 37,3 Prozent um 2013 an. Diese Zunahme ging u. a. auf die Frauenquoten der Parteien der Grünen (1980: 50 Prozent), der SPD (1988: 40 Prozent jedes Geschlechts) und das Quorum der CDU (1996: 30 %) zurück.

In der Bundestagswahl 2017 fiel der Frauenanteil jedoch deutlich ab, was aus dem geringen Frauenanteil der AfD und den niedrigen Anteilen der CDU/CSU und der FDP resultierte. Am höchsten lag er bei den Grünen, der Linkspartei und der SPD. In intersektionaler Sicht zeigt sich eine Zunahme und wachsende Sichtbarkeit von AbgeordnetInnen mit Migrationshintergrund von nur 2 Prozent um 2009 auf 8,2 Prozent 2017 bei einem Bevölkerungsanteil von 22,5 Prozent. Bei den Grünen, der Linken und der SPD war dieser Anteil, darunter auch der von Frauen mit Migrationshintergrund, höher als bei der AfD, der FDP und der CDU/CSU mit dem niedrigsten Anteil (Welt 28.09.2017). Das entspricht der wachsenden selektiven Inkorporation von EinwanderInnen in der beruflichen Spitze und Mitte und ihrem rasch gestiegenen Bildungsgrad. Auch die Zahlen und die Sichtbarkeit homosexueller AbgeordnetInnen haben sich erhöht. Der ArbeiterInnenanteil ist stark gesunken.

Diese Unterschiede verweisen auf die große Bedeutung der Parteien für eine geschlechtergleiche Partizipation, die allerdings unterschiedliche Geschlechterpolitiken und Partizipationschancen von Frauen aufweisen. Die rechtspopulistische AfD erscheint mit einem Frauenanteil von 16 Prozent und einer zu zwei Dritteln männlichen Wählerschaft als ‚Männerpartei‘. Bei den liberalen und konservativen Parteien CDU/ CSU und FDP beträgt der Frauenanteil etwa ein Viertel. Bei der SPD liegt er bei 32 Prozent und bei den Grünen und den Linken knapp unter 40 Prozent.

Die AfD hat mit ihrer nationalistischen Bevölkerungspolitik, ihrer Ablehnung der Abtreibung und alleinerziehender Mütter, ihrer Mobilisierung gegen Geschlechter- und Gleichstellungspolitik und dem sexualisierten Rassismus führender Sprecher den Geschlechterkonflikt von rechts angestoßen. Demgegenüber fordern breite Kreise ein Zusammendenken von sozialer und Geschlechtergerechtigkeit unter Einschluss von EinwanderInnen wie etwa bei der Unteilbar-Demonstration am 13.10.2018 in Berlin mit 240.000 Personen. Es bleibt zu sehen, wie sich die anderen Parteien angesichts der antifeministischen Mobilisierung verhalten werden.

In der Zivilgesellschaft sind autonome und institutionelle Strömungen der Frauenbewegung aktiv. Letztere sind im Deutschen Frauenrat mit mehr als zehn Millionen Mitgliedern zusammengeschlossen, der u. a. autonome Frauennetzwerke, konfessionelle Verbände und Berufsverbände, die Frauengruppen der Parteien, der Gewerkschaften und der Wohlfahrtsverbände zusammenführt. Er kooperiert mit dem Dachverband der Migrantinnenorganisationen DaMigra. Der Frauenrat bildet die deutsche Vertretung bei dem Dachverband European Women’s Lobby, der die europäischen Frauenbewegungen als Interessenverband in der EU repräsentiert. Das Bundesforum Männer hat sich 2010 als Interessenverband für Jungen, Männer und Väter aus der Männerarbeit der Kirchen und Gewerkschaften, sowie aus unabhängigen Männergruppen gebildet und setzt sich aus Männerperspektiven für Geschlechtergleichheit ein.

Die Geschlechterpolitik entwickelt sich im Spannungsfeld von internationalen, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Als Querschnittsanliegen umfasst sie zentrale Politikfelder wie Gleichstellung, Lohn- und Sorgearbeit, Bildung, demographischer Wandel, Gewalt, Kultur und Sozialpolitik. Insofern ist sie von zentraler Bedeutung für gesellschaftliche Entwicklung und Zusammenhalt.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Ilse Lenz

Fussnoten