Unter dem Begriff der Digitalisierung werden unterschiedliche Phänomene zusammengefasst, die zumeist aus technologischen Entwicklungen im Umfeld von Computern und Datennetzen resultieren. Grundlegend wird dabei von der Umwandlung analoger Informationen in verschiedene digitale Formate ausgegangen, wobei nicht allein die kommunikative Dimension („digitale Medien“) relevant ist, sondern zunehmend auch Produktion und Distribution immaterieller Güter, die Prozessierung großer Datenmengen sowie die Entwicklung und der Einsatz von Algorithmen eingeschlossen werden. Entstanden ist somit eine weit verzweigte „digitale Infrastruktur“ mit Computern und Netzwerken als zentralen Artefakten; darüber hinaus bilden Standards, Protokolle, Daten und Code einen dynamischen, sich im Zeitverlauf verändernden Rahmen (vgl. Kübler 2018; Neugebauer 2018). Schließlich wirkt die weit verbreitete Anwendung digitaler Technologien längst auch auf Gesellschaft, Politik und Kultur ein – nicht erst seit dem Aufkommen des Internets, sondern seit der Nutzung elektronischer Datenverarbeitungssysteme zu Verwaltungszwecken in den 1960er- und 1970er-Jahren (vgl. Stalder 2016).
Inzwischen sind dadurch zahlreiche gesellschaftliche Akteure, Organisationen, Prozesse und Normen erfasst, weshalb Digitalisierung innerhalb des politischen Systems als ein wichtiger fach- und gesellschaftspolitischer Gegenstandsbereich gilt. Für die Skizzierung wesentlicher Entwicklungslinien bieten sich zwei Perspektiven an: Zum einen der Blick auf politische Aktivitäten entlang zentraler technologischer Innovationen, zum anderen die systematische Einordnung mit Blick auf Akteure, Prozesse und Normen.
Technologische Entwicklungsschritte
Die Wurzeln der Debatte um Politik und Digitalisierung reichen zurück bis in die 1970er-Jahre, dabei zeigt sich ein besonderes Wechselspiel zwischen Technologie und Politik. Das Aufkommen leistungsfähiger Computersysteme hatte einen Schub zur Modernisierung der öffentlichen Verwaltung ausgelöst, parallel dazu entfaltete sich eine Diskussion zur elektronischen Datenverarbeitung. Daraus resultierten unmittelbar erste Datenschutzgesetze, in deren Folge die in den 1980er-Jahren auftretenden Konflikte um die Volkszählung Spannungen im Verhältnis von Bürgerschaft, Politik und Verwaltung offengelegt haben. Somit hatte die Digitalisierung und Integration von Datenbanken Einfluss auf die Entwicklung eines neuen Rechtsrahmens im Umgang mit personenbezogenen Informationen. In den 1980er-Jahren fand ein kontinuierlicher Aufbau relevanter Infrastruktur statt (Netzwerke, Übertragungstechnik, Protokolle, Software, Computer und weitere Endgeräte), auf deren Basis weitere Digitalisierungsprozesse ermöglicht wurden. Diese notwendigen Entwicklungsschritte fanden jedoch „im Rücken“ der Politik statt, allenfalls technologiepolitische Perspektiven setzten sich mit „Digitalisierung“ als Innovationstreiber auseinander. Im Bereich massenmedialer Kommunikation fand in diesem Zeitraum mit dem Ausbau kommerzieller Funk- und Fernsehanbieter ein zweiter Entwicklungsschub statt, der die gesellschaftliche Bedeutung von Digitalisierungseffekten ebenfalls begünstigen sollte. Die sukzessive Ausbildung des dualen Rundfunksystems wurde dabei jedoch als eigenständiger Prozess der „Medialisierung“ begriffen, die besondere Bedeutung kommerzieller Medienakteure in „digitalen Öffentlichkeiten“ sollte sich erst viel später zeigen (Verweis Massenmedien).
Mit dem globalen Siegeszug des Internets seit den 1990er-Jahren ist die Verbindung von Digitalisierung und Persönlichkeitsrechten zu einer Konstante im öffentlichen Diskurs geworden, da in immer neuen Kontexten weitere Datenarten generiert werden, die ihrerseits mit politischen Prozessen verwoben sind. Die Datenschutz-Debatten der 1980er-Jahre waren insofern nur ein Vorläufer der zahlreichen politischen Konflikte, die mit der öffentlichen Nutzung von Computern, Computernetzen und digital prozessierten Daten verbunden sind – die NSA-Affäre von 2013 und die Äußerung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel „Das Internet ist für uns alle Neuland“ wirken wie ein stark verzögertes Echo und unterstreichen die Schwierigkeiten einer verspäteten Wahrnehmung der politischen Dimension des technologischen Wandels (Verweis Datenschutz). Erst nach der flächendeckend erfolgten Ausbreitung der Computernetze und der kommerziellen Nutzung des Internets durch breite Teile der Bevölkerung etwa zu Beginn der 2000er-Jahre wird die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Digitalisierung greifbar, die Nutzung mobiler Kommunikation und die damit verbundene Multiplikation vernetzter Geräte und Daten verleiht dem Phänomen eine neue, weiterreichende Bedeutung. Als Klammer für die verschiedenen Teilaspekte dieser Debatte hat sich der Begriff der „Digitalen Bürgerrechte“ herausgebildet, der explizit auf die gesellschaftspolitische Dimension der Technologieentwicklung verweist (vgl. Bieber 1999; Borucki und Schünemann 2019).
Im Sinne eines Modernisierungsimpulses wurde der Bereich der digitalen Kommunikation in der Zeit um den Jahrtausendwechsel vor allem im Rahmen von Wahlkämpfen genutzt, über den Einsatz neuer digitaler Plattformen und Formate im World Wide Web setzten sich politische Akteure (Parteien, Parlamente, Regierungen, Bewegungen, individuelle Politiker) verstärkt mit den kommunikativen Aspekten der Digitalisierung auseinander (vgl. Bieber 1999). Eine systematische digitale Durchdringung politischer Akteure, Strukturen und Prozesse fand dabei jedoch nicht statt, vielmehr blieb es bei lokal, zeitlich oder ideologisch begrenzten Initiativen und Experimenten ohne nachhaltige Veränderung auf organisatorischer oder institutioneller Ebene.
Eine Intensivierung der „digitalen Politisierung“ geht mit dem Aufkommen des „Web 2.0“ einher, das zur Entstehung einer Reihe von Online-Plattformen (Soziale Netzwerke) und verschiedenen Formen nutzergenerierter Inhalte („user-generated content“) geführt hat. In diesen Zeitraum fällt auch die Entstehung einer explizit auf die gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung ausgerichteten politischen Gruppierung, der Piratenpartei (vgl. die Beiträge in Niedermayer 2013). Durch diesen unmittelbar im politischen Wettbewerb sichtbaren Akteur erhielt das Feld einer Netz- bzw. Digitalpolitik weitere Konturen, die sich in der Folgezeit auch in parlamentarischen Gremien wie der Enquete-Kommission „Internet und Digitale Gesellschaft“ oder dem Bundestagsausschuss „Digitale Agenda“ niedergeschlagen haben.
Aktuelle Technologieschübe zeigen sich schließlich in der Herausbildung des „Internet der Dinge“ und einer abermaligen Vervielfältigung der Datenquellen durch Sensoren, Kameras und weitere Elemente digitaler Infrastrukturen in Gestalt von „cyber-physical systems“ – also der Verschmelzung digitaler und physischer Artefakte zu integrierten Einheiten (vgl. Neugebauer 2018). Größere Aufmerksamkeit erhalten dabei auch die Prozesse maschinellen Lernens und die damit verbundene Entwicklung von Formen Künstlicher Intelligenz. Deren Einsatz als autonome Einheiten (Roboter, Autos), intelligente Umgebungen (Smart Home, Smart City), persönliche Assistenzsysteme (Siri, Alexa, Cortana) oder Verfahren algorithmischer Entscheidungsfindung verweisen auf eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten, die in gesellschaftspolitischer Hinsicht relevant werden. Auch in diesem Zusammenhang formieren sich allmählich spezialisierte Gremien und Diskurse, die sich mit den Implikationen der Digitalisierung auseinandersetzen; zu nennen sind hier etwa der Digitalrat der Bundesregierung oder die öffentliche Debatte um die Notwendigkeit einer digitalen Ethik.
Digitalisierung und Politik: Akteure, Prozesse, Normen
Vor dem Hintergrund einer mehrere Jahrzehnte andauernden technologischen Lern- und Entwicklungskurve sind vielfältige Digitalisierungseffekte erkennbar, die hier jedoch nur auszugsweise – und auch mit einer Fokussierung auf das politische System der Bundesrepublik Deutschland – vertieft werden sollen. Hilfreich ist eine Unterscheidung solcher Effekte nach politischen Akteuren, Prozessen und Themen. Dabei wird bereits deutlich, dass Digitalisierung sämtliche Ebenen politischer Systeme erfasst und nicht nur punktuelle, episodische Veränderungen ausgelöst werden. Gleichwohl ist zu konstatieren, dass grundlegende oder disruptive Transformationen, die die Gestalt politischer Systeme nachhaltig umformen, bislang kaum zu beobachten sind. Insofern können Digitalisierungseffekte als Teil einer Anpassung an dynamische Kontextveränderungen verstanden werden, die häufig mit dem Begriff der Modernisierung beschrieben wird. Dabei ist es naheliegend, dass die jeweiligen Spezifika politischer Systeme besonders starke Wirkungen entfalten.
Als zentrale Akteure im politischen System Deutschlands sehen sich Parteien seit Mitte der 1990er-Jahre vielfältigen Herausforderungen durch Digitalisierungsprozesse gegenüber. Mit dem Aufkommen des World Wide Web wurden zunächst die Informations- und Kommunikationsaktivitäten von Parteien an die Erfordernisse digitaler Öffentlichkeiten angepasst, typischerweise äußerte sich dies im Aufbau von Redaktionsstrukturen zur Begleitung von Web-Präsenzen, die sich mit der wachsenden Ausrichtung auf organisationsinterne Kommunikationsprozesse hin zu „digitalen Parteizentralen“ entwickelt haben (vgl. Bieber 1999; Borucki und Schünemann 2019). Frühzeitig kamen dabei auch experimentelle Formate zum Einsatz. So können der „Virtuelle Ortsverein“ (SPD), der „Virtuelle Landesverband“ (FDP) oder der „Digitale Parteitag“ (Die Grünen) als Vorläufer jüngerer Debatten um die digitale Modernisierung der Parteiorganisationen gelten. Doch gerade die Versuche, klassische Strukturen der Mitgliederpartei mit digitalen Werkzeugen und Ansätzen zu erneuern, haben keine dauerhafte Wirkung gezeigt oder sind an den formal-rechtlichen Limitierungen des Parteiengesetzes gescheitert. Erst mit der Gründung der Piratenpartei und deren elektoraler Erfolge zwischen 2009 und 2012 wurden die Debatten um die Nutzung von Online-Plattformen zu Kampagnenzwecken sowie zu innovativen Werkzeugen zur innerparteilichen Organisation und Entscheidungsvorbereitung wieder aufgenommen (vgl. Niedermayer 2013). Insbesondere der Einsatz der Software Liquid Democracy gilt nach wie vor als weitestgehende Form digitaler Beteiligung innerhalb von Parteistrukturen, dabei wurden einerseits Parteitagsbeschlüsse und andererseits die interne Personalauswahl vorbereitet und durchgeführt (vgl. Adler 2018).
Die politikwissenschaftliche Forschung fragt mit Bezug auf die Digitalisierungsbemühungen politischer Parteien nach sich verändernden Kommunikations- und Organisationspraktiken, die auf ihre strukturverändernde Qualität überprüft werden. Dabei werden insbesondere parteiinterne Meinungs- und Willensbildungsprozesse untersucht. Zuletzt sind dabei auch Verfahren der Personalauswahl oder die Vorbereitung von Koalitionsvereinbarungen in den Blick geraten. Formale Regelungen, etwa durch die satzungsmäßige Anerkennung neuer Gremien oder Verfahren, sind dabei bislang kaum festzustellen. Jedoch scheint sich auch die Parteienforschung erst allmählich auf derartige Entwicklungsdynamiken einzustellen; aktuelle empirische Untersuchungen liegen dazu bislang nicht vor.
In Reaktion auf die Schwierigkeiten einer innerparteilichen Adaption haben sich im Umfeld der meisten Bundestagsparteien so genannte Netzvereine etabliert, die als ideologisch kongruente Innovationsagenturen fungieren und Themen aus den öffentlichen Debatten um gesellschaftliche Aspekte der Digitalisierung in parteiinterne Diskurse hineintragen. Beispiele dafür liefern etwa D64 e.V. (SPD), c-netz e.V. (CDU, CSU) oder Load e.V. (FDP). Der Verein Digitale Gesellschaft e.V. versteht sich als überparteiliche Vereinigung mit einem Fokus auf digitale Bürgerrechte und Verbraucherschutz. In solchen Vereinen sind auch Parteimitglieder aktiv, die ihr Engagement nicht selten mit der Ausbildung eines fachpolitischen Profils im Bereich der Digitalisierung verbinden, um so neue Karriereperspektiven zu entwickeln.
Im parlamentarischen Raum haben vor allem neu oder temporär eingerichtete Gremien dazu beigetragen, Digitalisierung als Prozess des gesellschaftlichen Wandels wahrzunehmen. Im Deutschen Bundestag nahm die Enquete-Kommission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft“ (1996–1998) insbesondere technisch-infrastrukturelle und ökonomische Perspektiven in den Blick, während die Enquete-Kommission „Internet und Digitale Gesellschaft“ (2010–2013) sich weitaus intensiver mit Online-Inhalten, Nutzungsvorgängen und der kommunikativen Dimension der Digitalisierung beschäftigt hat. Mit der 2018 eingerichteten Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale“ wird die Reihe der auf Digitalisierungsphänomene ausgerichteten Gremienbildung fortgesetzt. Die Kommission „Internet und Digitale Gesellschaft“ darf dabei als Resultat der episodischen Erfolge der Piratenpartei verstanden werden, die für die Enquete relevante Themen wie digitale Bürgerrechte, Transparenz, Urheberrecht, Netzneutralität oder Internet Governance durch ihre Wahlerfolge zuvor auf die Agenda hatte setzen können (vgl. Niedermayer 2013). Die durch eine Mitgliedschaft in den Kommissionen erworbene Expertise hat bei einigen Abgeordneten zur Profilierung als Fachpolitiker/in beigetragen und die Übernahme verantwortlicher Positionen in Parlament oder Regierung ermöglicht. Nach den vor allem als Informationswerkzeug für Bundestagsabgeordnete und Bundestagsverwaltung wirkenden Enquete-Kommission hat sich mit dem Bundestagsausschuss „Digitale Agenda“ zudem ein eigenständiges Gremium der parlamentarischen Alltagsarbeit etabliert, das als dauerhaftes Forum zur Verhandlung netzpolitischer Themen genutzt wird.
Auf Seiten der Bundesregierung fehlt dem parlamentarischen Gremienspektrum bislang ein zentrales Gegenüber – ein „Digitalministerium“ ist auf Bundesebene bislang nicht eingerichtet worden, stattdessen finden sich in verschiedenen Ressorts Gruppen und Abteilungen, die sich mit netzpolitischen Elementen auseinandersetzen. Zwar beansprucht das Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur eine Führungsrolle, doch konkurrieren vor allem die Ministerien für Wirtschaft und Energie (digitale Märkte), Justiz und Verbraucherschutz (Rechtsfragen, Konsumentenschutz) oder das Innenministerium (Hate Speech, Cybercrime) im legislativen Prozess. Darüber hinaus stehen in der Leitung des Bundeskanzleramts sowie einer Staatsministerposition gleich zwei Stellen im unmittelbaren Umfeld der Regierungsspitze bereit, die um eine Koordination der netzpolitischen Aktivitäten bemüht sind. Auch diese dezentrale Organisation der Regierungsarbeit hat dazu beigetragen, dass sich der Bereich der Digitalisierungsthemen nur zögerlich im Sinne eines konsistenten Politikfeldes formiert hat. Auf der Ebene der Bundesländer zeigt sich eine differenzierte Dynamik: So sind in Bayern und Hessen nach den Landtagswahlen 2018 zwei genuine „Digitalministerien“ entstanden, die gebündelte netzpolitische Kompetenzen aufweisen, während in Nordrhein-Westfalen der Digitalbereich im Wirtschaftsministerium eingegliedert ist oder in Thüringen ein Kombinationsressort „Wirtschaft, Wissenschaft und digitale Gesellschaft“ geschaffen wurde.
Neben Parteien als politischen Organisationen und institutionell verfassten Akteuren hat die individuelle Nutzung digitaler Formate zur Ausweitung politischer Kommunikation geführt – besonders deutlich wird dies in Wahlkämpfen, bei Themen- und Protestkampagnen oder auch in Begleitung der regulären politischen Arbeit als Amts- und Mandatsträger. Vor allem das Feld der Wahlkampfkommunikation ist Gegenstand zahlreicher empirischer Untersuchungen geworden, dabei wird auch immer stärker auf automatisierte Formen der Datenerhebung und Auswertung zugegriffen (vgl. Blätte et al. 2018). Im Umfeld des US-Präsidentschaftswahlkampfs 2016 haben manipulative Eingriffe in die Wahlberichterstattung und die Verformung der politischen Öffentlichkeit durch Verfahren automatisierter Kommunikation auf die besondere Bedeutung von Sozialen Netzwerken als dominante Plattformen der Online-Kommunikation verwiesen (vgl. Stichwort Soziale Medien). Eine Folge davon sind Differenzierung, Diversifizierung und auch Fragmentierung politischer Öffentlichkeiten, mit Auswirkungen für die Organisation politischer Debatten. Die Frage nach den Konsequenzen für die Gestalt demokratischer Diskurse und letztlich die Qualität demokratischer Systeme erfordert eine disziplinübergreifende Forschung im Schnittfeld von Politik-, Kommunikations- und Medienwissenschaft, die um daten- und computerwissenschaftliche Kompetenzen ergänzt werden muss.
Die kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem breiten Themenspektrum der gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung dokumentiert sich auch in der Orientierung des Akteursspektrums auf das Feld der Netzpolitik als policy. Hier zeigt sich erneut die empirische Vielschichtigkeit des politischen Handlungsbedarfs und die „Zerstreuung“ der Thematik über verschiedene Ressorts. Die verschiedenen Dachbegriffe „Internet-“, bzw. „Netz-“ sowie vereinzelt auch „Datenpolitik“ berühren bereits vorhandene Politikfelder wie Technologie-, Innovations- oder Standortpolitik und fokussieren auf Teilbereiche der Wirtschafts-, Infrastruktur- oder Verbraucherpolitik. Regulierungsfragen gehören auch in den Bereich der Rechts- oder Sicherheitspolitik, sind bisweilen jedoch nicht klar von traditioneller Medienpolitik zu trennen. Zugangs- und Nutzungsmöglichkeiten digitaler Medien spielen in sozial- und bildungspolitischen Perspektiven eine wichtige Rolle. Schließlich bieten die zahlreichen Ausdrucks- und Aneignungspraktiken in digitalen Kommunikationsräumen Anknüpfungspunkte zu identitäts- und kulturpolitischen Aushandlungsprozessen.
Der anfangs vor allem technisch codierte Begriff der Digitalisierung ist also längst in die Domäne gesellschaftspolitischer Debatten und Konflikte eingetreten und übt eine starke Prägekraft auf politische Systeme aus. Deren zentrale Akteure – Parteien, Parlamente, Regierungen, aber auch Verbände, Interessengruppen und Vertreter der Zivilgesellschaft – müssen sich dieser Entwicklung stellen, um weiterhin gestaltende Kraft zu entfalten. Die von den Apologeten einer digitalen Gesellschaft propagierten Verheißungen eines „neuen athenischen Zeitalters“ (Al Gore) sind nicht eingetreten, dystopische Szenarien einer digitalen Überwachungswelt deuten sich am Beispiel des chinesischen Modells des „Social Scoring“ an (vgl. Zuboff 2018). Die konkreten politischen Auseinandersetzungen in den verschiedenen Politikbereichen zeigen, dass die entlang der gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung aufscheinenden Konflikte keineswegs eine Modeerscheinung, sondern von dauerhaftem Charakter sind.
Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Christoph Bieber