BRD und DDR bis 1990
Schon in der frühen Nachkriegszeit fielen in den drei westlichen Besatzungszonen und der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) entgegengesetzte Entscheidungen sowohl über die politischen Grundlagen als auch über die Strukturen des Bildungswesens. Die 1946 im Westen gegründeten Länder knüpften – auch als Reaktion auf den nationalsozialistischen Einheitsstaat – an die Verhältnisse im Deutschen Reich vor 1933 an. Die föderalistische Ordnung, die ihren inhaltlichen Kern in der „Kulturhoheit“ der Länder hatte, wurde so auch im Bonner → Grundgesetz (1949) verankert. Die wichtigste historische Wurzel der Kulturhoheit der Länder lag darin, dass im Moment der Herausbildung der europäischen Bildungssysteme im 19. Jh. Deutschland nur aus souveränen Teilstaaten ohne gesamtstaatlichen Rahmen bestand.
In der SBZ dagegen erhielt die „Deutsche Verwaltung für Volksbildung“ (das spätere Ministerium für Volksbildung der → DDR) das Weisungsrecht gegenüber den noch bis 1952 bestehenden Länderverwaltungen. Der zentralistische Charakter der Bildungspolitik verstärkte sich in der Folgezeit durch den seit 1948/49 offen proklamierten und auch praktisch durchgesetzten Monopolanspruch der aus der Sowjetunion übernommenen marxistisch-leninistischen Parteiideologie in allen Fragen von Bildung, Erziehung und Wissenschaft sowie durch die Verknüpfung der Bildungspolitik mit der zentralen staatlichen Wirtschaftsplanung. Der weltanschauliche und an unterschiedliche Interessen gebundene → Pluralismus im westdeutschen Bildungs- und Wissenschaftsbereich stand seit den 1950er-Jahren in einem scharfen Kontrast zum Totalitätsanspruch der SED im Hinblick auf Jugenderziehung, Schule und Ausbildung.
Hinsichtlich der strukturellen Gliederung des Schulwesens kam es in den Ländern der BRD zunächst zu einer weitgehenden Wiederherstellung eines dreigliedrigen weiterführenden Schulwesens. Dagegen wurde in der SBZ/DDR von Anfang an die Idee der Einheitsschule, zunächst als achtjährige gemeinsame Schulbildung für alle Kinder, zum leitenden Prinzip der Schulpolitik. Über mehrere Zwischenschritte wurde 1965 schließlich das „einheitliche sozialistische Bildungssystem“ (vom Kindergarten bis zum Hochschulwesen) gesetzlich fixiert. Seinen Kern bildete die zehnklassige Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule, an die sich die zweijährige Erweiterte Oberschule (EOS) als Abiturstufe anschloss. Einen anderen Weg zum Abitur bildeten die dreijährigen Abiturklassen in den Einrichtungen der Berufsbildung, die zusammen mit der Hochschulreife eine Facharbeiterqualifikation vermittelten (simultane Doppelqualifikation). Die Mehrheit eines Altersjahrgangs ging jedoch nach der 10. Klasse (Abschluss der Pflichtschule) in eine meist zweijährige Lehrlingsausbildung, eine betriebsgestützte Ausbildung in der deutschen Tradition.
Seit Mitte der 60er-Jahre kam in der BRD eine Bildungsreformdebatte in Gang, die durch Untersuchungen zur Bildungsökonomie und Bildungsplanung inspiriert war. Nach diesen Untersuchungen sei in der BRD, gemessen an der Zahl der Hochschulzugangsberechtigten, ein „Bildungsdefizit“ zu befürchten. Es kam zu kleineren Reformschritten, die die gemeinsame Tendenz einer Expansion der weiterführenden Bildungswege vor allem des Gymnasiums zulasten der gerade aufgewerteten Hauptschule zeigten. Als Folge davon begann auch die Expansion des Hochschulwesens.
Mit der Gründung eines bedeutenden Konsultativgremiums, des Deutschen Bildungsrats (1965–1975) und der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK, seit 1970), die die KMK bei länderübergreifenden Aufgaben unterstützen sollte, sollte dagegen eine umfassende Strukturreform vorbereitet werden. Der Versuch des Deutschen Bildungsrates, mit seinem „Strukturplan“ eine Reform des Bildungswesens mit einer horizontal gestuften gemeinsamen Sekundarstufe I für alle Schüler in Gang zu setzen, scheiterte jedoch genauso am parteipolitischen Dissens wie der „Bildungsgesamtplan“ der BLK. Verwirklicht wurde lediglich die Einführung der Gesamtschule als 4. Schulform neben dem dreigliedrigen Sekundarschulwesen und eine Reform der Gymnasialen Oberstufe nach dem Leitprinzip der Schwerpunktbildung durch Wahldifferenzierung.
Die komplizierten bildungspolitischen Kompetenzaufteilungen im „dualen System“ der Berufsbildung mit seinem komplementären Nebeneinander von (vorwiegend) betrieblichen und (ergänzenden) schulischen Elementen machten diesen Bereich nach der Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes (1969) als Rahmen der betriebsgestützten beruflichen Bildung relativ resistent gegenüber gesamtstaatlichen bildungspolitischen Interventionen (die letzte Novellierung des Gesetzes erfolgte 2005).
Die Herstellung der Einheit Deutschlands, das Bildungswesen in den neuen Bundesländern und die Rückwirkung auf die alten Bundesländer
Die bildungspolitischen Entscheidungsprozesse auf dem Weg zur deutschen Einheit vollzogen sich in mehreren Stufen: Schon Ende 1989 und Anfang 1990 wurde die Schule der DDR auf Druck der Bürgerbewegungen von ideologischen Inhalten befreit. Nach den Volkskammerwahlen vom 18.03.1990 wurden eine Reihe von Bestimmungen und Gesetzen im Hinblick auf die Anpassung an die Regelungen in der BRD geändert, darunter die Übernahme des Berufsbildungsgesetzes. Ab Mai 1990 arbeitete eine gemeinsame Bildungskommission beider Staaten Grundsätze der Zusammenführung der beiden Bildungssysteme aus, wobei als zentrale Prämisse die Übernahme des Bildungsföderalismus gesetzt wurde. Im Einigungsvertrag schließlich wurde in dieser Logik darauf verwiesen, dass die Umgestaltung des Bildungswesens im Beitrittsgebiet Angelegenheit der neuen Länder sei. Diese seien aber in der Umgestaltung ihrer Bildungsinstitutionen an die geltenden Beschlüsse der KMK und insbesondere an das sog. „Hamburger Abkommen“ gebunden, das mit der Festschreibung der Schulabschlüsse als Hauptschulabschluss, Realschulabschluss und Abitur auch wesentliche Vorgaben für die Organisationsstruktur des Schulwesens machte. Damit war der Reformspielraum der neuen Länder von vornherein eingeschränkt: die Dreigliedrigkeit musste mindestens auf dem Gebiet der Abschlüsse bewahrt werden. Die südostdeutschen Bundesländer SN, ST und TH nutzten den verbleibenden Freiraum, um neben dem Gymnasium nur einen einzigen nicht-gymnasialen Schultyp je unterschiedlicher Denomination zu schaffen, der Haupt- und Realschulzweig zusammenfasste und folglich beide Abschlüsse anbot. BB verankerte anstelle der Hauptschule die Gesamtschule neben Gymnasium und Realschule als Hauptpfeiler des dreigliedrigen Schulsystems. Nur MV führte zunächst die traditionelle Dreigliedrigkeit ein, integrierte aber unter dem Druck des demografischen Tiefs ebenfalls Haupt- und Realschule zur Regionalschule. Die als Alternative dazu mögliche Gesamtschule fällt statistisch kaum ins Gewicht.
Auch die anderen ostdeutschen Bundesländer entwickelten ihre Schulstrukturen weiter. In TH wurde neben dem zweigliedrigen System (Regelschule/Gymnasium) seit 2011/12 eine „Gemeinschaftsschule“ aufgebaut, die im Prinzip von Klasse 1–12 mindestens aber bis Klasse 8 geht und durch besondere didaktische und methodische Ansätze ein längeres gemeinsames Lernen ermöglichen soll. Auch in ST wird der nicht-gymnasiale Zweig „Sekundarschule“ ab 2013 schrittweise in eine „Gemeinschaftsschule“ umgewandelt, die allerdings erst nach der 4. Klasse einsetzt und damit keine Gemeinschaftsschule wie in TH ist, sondern eine didaktische Weiterentwicklung der früheren Sekundarschule. Daneben ist auch hier der mögliche Gesamtschulbildungsgang eher marginal. In BB wurden Realschule und die bestehenden Gesamtschulen ohne Oberstufe zu einem neuen Schultyp, der „Oberschule“ umgewandelt. Nur in SN blieb die ursprüngliche Zweigliedrigkeit von Mittelschule (mit Hauptschul- und Realschulabschluss) und Gymnasium (mit Abitur) erhalten. Allerdings wurde die Bezeichnung des nicht-gymnasialen Schultyps von „Mittelschule“ in „Oberschule“ geändert, die durch ihren Namen ein höheres Prestige verhieß. Ein langjähriger Schulversuch zur innovativen „Gemeinschaftsschule“ wurde 2016 abgebrochen.
Die Idee der Zweigliedrigkeit wurde aber auch in den alten Bundesländern aufgegriffen (SH, SL und die Stadtstaaten, HH, HB und BE), allerdings auch hier mit unterschiedlichen Namen für den nicht-gymnasialen Schultyp. Das SL und SH nennen ihn „Gemeinschaftsschule“ allerdings nur in der Bedeutung wie sie ST gebraucht, BE spricht sachlich zutreffender von „Integrierter Sekundarschule“, HB von einer „Oberschule“, HH von einer „Stadtteilschule“ (offensichtlich in Analogie zur „Regionalschule“ im Flächenstaat MV). Die Reduzierung der Mehrgliedrigkeit ist in den alten Bundesländern verbunden mit der weiteren Marginalisierung der Hauptschule als Institution und den Versuch diese durch höherwertig klingende Namen aufzuwerten („Mittelschule“ in BY, „Sekundarschule“ in NW). In BW wird die zunehmende Ausdünnung der noch bestehenden Hauptschulen in der Gegenbewegung begleitet durch eine expandierende „Gemeinschaftsschule“ im ursprünglichen Sinne eines längeren gemeinsamen Lernens wie in TH. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass das zuerst in den neuen Bundesländern realisierte Konzept der Zweigliedrigkeit auch in den alten Bundesländern Eingang fand. Ähnliches gilt von der Idee der „Gemeinschaftsschule“ mit ihrem Prinzip des längeren gemeinsamen Lernens von der Grundschule an, ein Schulkonzept, das trotz seines aktuell skandinavischen Ursprungs Anklänge an die Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule der DDR hat.
Im Fazit fällt auf, dass im Vollzug der deutschen Einheit zwar eine – wenngleich bescheidene – wechselseitige Befruchtung der Schulstrukturen von West und Ost zu beobachten ist, allerdings wurde die strukturelle Vielfalt – Kritiker mögen sagen Heterogenität – der Schulmodelle in den Ländern der BRD dadurch noch größer.
Im Bereich von Hochschulwesen und Forschung evaluierte der Wissenschaftsrat die DDR-Forschung und die Lehrerbildung. In der Folge der Evaluation wurden die zentralen Forschungseinrichtungen, darunter die Akademie der Pädagogischen Wissenschaften, aufgelöst. Schon bald nach der Konstituierung der neuen Länder erfolgte die Neustrukturierung der Hochschulen. Beim Aufbau der Schul- und Hochschulverwaltungen wurde auf Beratungshilfe aus den alten → Bundesländern zurückgegriffen. Aber auch der Neuaufbau der ideologisch belasteten Fakultäten vor allem im sozialwissenschaftlichen Bereich geschah mit Hilfe von Gründungsdekanen aus den alten Bundesländern. Die Einführung von Fachhochschulen bedeutete eine strukturelle Neuerung für das Hochschulwesen auf dem Gebiet der früheren DDR.
Die Neustrukturierung der Schul- und Hochschullandschaft in den neuen Bundesländern verlief zwar nicht konfliktfrei, aber insgesamt konnte die Transformation der ostdeutschen Bildungslandschaft in formaler Hinsicht in relativ kurzer Zeit abgeschlossen werden. Dennoch stellen sich bis heute auch spezifische Probleme. Während im Hochschulbereich 28 Jahre nach dem Vollzug der politischen Einheit eine deutliche Durchmischung des Personals zu verzeichnen ist, wurden im Schulbereich größtenteils die im alten System ausgebildeten Lehrer für die neuen Strukturen übernommen. Gleichzeitig erfolgten infolge der demographischen Verwerfungen Einstellungen neu ausgebildeter Lehrer nur zögerlich. So entstanden mancherorts Friktionen in der Umsetzung der neuen Strukturen und Inhalte, da die Umgestaltung mit dem alten und zwischenzeitlich auch überalterten Lehrkörper vorgenommen werden musste.
In der Folgezeit ergaben sich auf gesamtdeutscher Ebene weitere Verwerfungen durch die Nicht-Einstellung der neu ausgebildeten Lehrer im Osten und deren Abwandern in die westlichen Bundesländer. Infolge der inzwischen eingetretenen schrittweisen Verrentung der älteren Lehrergeneration nicht nur, aber am stärksten in den neuen Bundesländern, verbunden mit deutlichen Fehlprognosen bezüglich des Lehrerbedarfs in Gesamtdeutschland entstand ein akuter Lehrermangel, den auch der jüngste, alle zwei Jahre erscheinende Bildungsbericht (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018, S. 46, 58) hervorhebt. Verschärft wird der steigende Personalbedarf durch eine steigende Bildungsbeteiligung, die sowohl durch stärkere Inanspruchnahme der vorschulischen Angebote als auch durch einen durchgängigen Trend zur Höherqualifizierung über die Pflichtschule hinaus erreicht wird.
Das deutsche Bildungswesen im internationalen Kontext
Die deutsche Bildungspolitik stand nach 1990 vor der doppelten Aufgabe, sowohl die „deutsche Bildungseinheit“ zu schaffen, als auch auf die Herausforderungen der Globalisierung zu reagieren. Hinsichtlich der internationalen Position Ds im Bildungsbereich fallen gut 28 Jahre später die folgenden Eckpunkte ins Auge:
Verstärkung des Bildungsföderalismus
Durch die Verfassungsreform von 2006 wurde der Kulturföderalismus noch verstärkt. Die Änderung des Grundgesetzes schwächte die Zuständigkeiten des Bundes für das Hochschulwesen wieder ab, die erst durch die Grundgesetzänderung von 1969 eingeführt worden waren. Insbesondere wurde die Rahmenkompetenz des Bundes für das Hochschulwesen ganz aufgehoben. Dadurch wurde auch der Staatsvertrag über die BLK von 1970 hinfällig. Nach dem neuen Artikel 91b GG muss die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Bereich von Hochschule und Forschung jeweils punktuell neu verhandelt werden.
Die auch durch internationale Vergleiche veranlassten Anregungen zur Weiterentwicklung des Bildungsföderalismus wurden nicht aufgegriffen. Alle bildungspolitischen Versuche einer Infragestellung des Bildungsföderalismus wurden durch den Hinweis auf ein älteres Urteil des Bundesverfassungsgerichts abgeblockt, nach dem die „Kulturhoheit“ den unantastbaren Kern der Staatlichkeit der Länder ausmache.
Schulzeitverkürzung und ihre Rücknahme
Seit langem schon wurde in der alten BRD darüber diskutiert, ob eine 13-jährige Schulzeit bis zum Abitur im Vergleich zu den europäischen Nachbarn nicht zu lang sei. Mit der deutschen Vereinigung bekam diese Debatte neue Nahrung, da einige neue Länder die frühere DDR-Regelung einer 12-jährigen Schulzeit bis zur Hochschulreife beibehielten. Nach jahrelangem Dissens in der KMK entschied sich die Mehrheit der Bundesländer 12 Jahre nach der Vereinigung schließlich für eine 12-jährige Schulzeit („G8“), die nach 2003 in allen Bundesländern außer RP eingeführt wurde. Dadurch schien sich zunächst zumindest ein Strukturmerkmal der DDR-Schule im Zeichen der Europäisierung für die gesamte Republik durchzusetzen.
Bei der Umsetzung der Reform wurde der gleiche Stoff, der früher auf 9 Gymnasialjahre verteilt war, jetzt auf 8 Jahre komprimiert. Das sorgte bei vielen Eltern und manchen Schülern für Unmut mit der Folge, dass die Reform mehr und mehr in Frage gestellt wurde. 2014 beschloss das Land NI als erstes die Rücknahme der Reform. Andere Länder folgten. Bis zum Jahr 2018 behielten unter den westlichen Bundesländern nur noch HH, HB und das SL sowie BE das achtjährige Gymnasium bei (der Bildungsweg zum Abitur über die nicht-gymnasialen Schultypen dauert immer 9 Jahre). SN und TH waren nie vom 8-jährigen Modell abgewichen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018, S. 94–96). Die gegenwärtige Situation (2018) zeigt also ein Nebeneinander von G8- und G9-Ländern und bisweilen sogar beide Systeme zugleich innerhalb desselben Bundeslandes. Der mühsam erreichte nationale Konsens ist wieder verloren. Je nach Perspektive lässt sich das entweder als föderale Vielfalt oder als Flickenteppich interpretieren.
Die Sonderstellung der Berufsbildung
Die Logik des Dualen Systems mit der Dominanz der betrieblichen Ausbildung und der systemischen Trennung zwischen Berufsbildung und Allgemeinbildung wurde als „deutscher Sonderweg“ im Kern unverändert beibehalten. Eine höhere Allgemeinbildung bringt keine formalen (wohl aber für manche Ausbildungsgänge faktische) Vorteile bei der Zulassung zur dualen Berufsbildung. Umgekehrt vermittelt die berufliche Qualifikation per se keinen höheren Allgemeinbildungsabschluss. Doppelqualifikationen können nur nacheinander (konsekutiv) erworben werden. Simultane Doppelqualifikationen (z. B. berufliche Qualifikation und Fachhochschulreife) werden nur marginal angeboten. Damit bleibt D abseits von den Entwicklungen in den Nachbarländern.
Allerdings ist zu beachten, dass das „Duale System“ der Berufsausbildung im Ausland auch infolge der ihm zugeschriebenen sehr niedrigen Jugendarbeitslosigkeit auch große Anerkennung genießt. Tatsächlich gibt der Bildungsbericht (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018, S. 145–146) eine Übernahmequote der ausgebildeten Jugendlichen durch ihre Ausbildungsbetriebe von 68 % an. Die zunächst verbleibenden 20 % arbeitslosen Jugendlichen haben sich 2 Jahre später auf 7 % reduziert. Allerdings ist der Ausbildungsmarkt für das Duale System seit 2007 rückläufig. Der zitierte Bildungsbericht (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018, S. 131) macht weiter darauf aufmerksam, dass im Berichtszeitraum unter den neuen Auszubildenden 47 % Schulabsolventen mit mittlerem Abschluss (Realschulabschluss) und 23 % Abiturienten sind, ein Indikator für die bleibende soziale Anerkennung des Dualen Systems im Inland selbst.
Internationale Schulleistungstests
Einen unerwarteten Einfluss auf die Bildungspolitik in D erhielten nach 2000 die internationalen Schulleistungstests, insbesondere die zyklisch alle drei Jahre durchgeführten PISA-Untersuchungen (Programme for International Student Assessment), die die Grundfähigkeiten der Schüler am Ende der Pflichtschule im Lesen, in Mathematik und Naturwissenschaften messen sollten. Leitgedanke dieser Untersuchungen war festzustellen, welche lehrplanunabhängigen Kompetenzen die Schüler weltweit in den Bereichen Lesefähigkeit und Textverständnis, mathematisches Denken und Naturwissenschaften im Alltag am Ende der Pflichtschule erworben haben um das Leben in einer globalisierten Welt meistern zu können. Das schwache Abschneiden Ds in der ersten Untersuchung 2000 im Vergleich zu anderen OECD-Ländern (Deutsches PISA-Konsortium 2001) löste starke bildungspolitische Aktivitäten auf Bundes- und KMK-Ebene aus. Der Bund schuf ein Förderprogramm zur Ganztagsbetreuung, die KMK definierte Handlungsfelder der Schulreform, unter denen die Formulierung bundesweiter Bildungsstandards in den Kernfächern am schnellsten realisiert wurde. Darunter verstand man die Definition gemeinsamer als allgemeine Kompetenzen formulierter Lernziele, die in allen Ländern gleich sein sollten, ohne dass die Curricula selbst angeglichen werden mussten. Eine Reform der Schulstruktur war in den Handlungsfeldern nicht vorgesehen. Da sich die Bildungsstandards in der Definition der Kompetenzen an den Vorgaben des Internationalen PISA-Konsortiums orientierten, entstand die neue Situation, dass faktisch die Lehrplanausgestaltung im deutschen Schulwesen von einer überstaatlichen Instanz beeinflusst wird.
Die Ergebnisse der letzten Untersuchung von 2015 (Reiss et al. 2016) brachten für D eine deutliche Verbesserung der Schülerleistungen in allen drei Lernfeldern, die jetzt über dem OECD Durchschnitt lagen, allerdings noch keinen Spitzenplatz erreichten. Der nationale Bildungsbericht (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018) unterstreicht, dass sich die auch im internationalen Vergleich besonders starke Abhängigkeit der Schulleistung von der sozialen Herkunft zwar verringert hat, aber immer noch bedeutend ist. Auffallend ist, dass der Leistungsunterschied zu den aus bildungsnahen Schichten kommenden Schülern sich vergrößert, wenn die Schüler sich in homogen schwachen Lerngruppen (Klassen) befinden. Das wird in den oben skizzierten Schulstrukturen allerdings begünstigt.
Der Bologna-Prozess
Auch auf dem Gebiet des Hochschulwesens wird der internationale Einfluss deutlich. In der sog. Bologna-Erklärung hat sich 1999 ein Großteil europäischer Hochschulminister (nicht nur der EU) verpflichtet, gemeinsame Studienstrukturen zu schaffen, um einen „europäischen Hochschulraum“ zu schaffen, der die Mobilität der Studierenden garantieren sollte. Dies betraf drei wesentliche Schritte: die Schaffung leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse, die Einführung eines gestuften Studiensystems (Bachelor/Master) und die Einführung eines Leistungspunktesystems, das sich an der Arbeitszeit der Studierenden orientiert. Dies war mit der Modularisierung des Studienablaufs verbunden, d. h. mit der inhaltlichen Definition fester Lehreinheiten (Hörner 2010).
Für D war die auch tatsächlich mit großem Eifer vorgenommene Reform der Studiengänge eine kleine Revolution: Nicht nur wurden „bewährte“ Abschlüsse wie das Diplom (auch der Dipl.-Ing.) abgeschafft, die Modularisierung bedeutete auch eine weitgehende bürokratische Fixierung der Studieninhalte zu Lasten der traditionellen Lehrfreiheit.
Das eigentliche Ziel des Bologna-Prozesses, die Förderung der internationalen Mobilität der Studierenden, scheint indes zu stagnieren: Durch die inhaltliche Festlegung der Module wird eine Anrechenbarkeit von Studienbausteinen bereits innerhalb Ds eher erschwert. Hier kommt es durch das Zusammentreffen von angelsächsisch inspirierten, auf der Logik allgemeiner Kompetenzen beruhenden Studieninhalten und formellem deutschem Prüfungsrecht (alle Inhalte müssen klagesicher sein!) zu unübersehbaren Friktionen, die erst der weitere praktische Umgang mit dieser Reform wird lösen können (Hörner 2010).
Das Inklusionsproblem
Im Jahr 2009 hat D die 2006 von der UNO verabschiedete Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Damit hat D sich verpflichtet das gemeinsame Lernen von behinderten und nicht-behinderten Schülern zu fördern und sonderpädagogische Förderung stärker in den allgemeinen Schulen zu verankern. Das bedeutet einen Rückbau der Förderschulen und eine stärkere Inklusion der Behinderten in die Regelschule (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018, S. 104).
Dieses gemeinsame Lernen von Behinderten und Nicht-Behinderten ist allerdings mit einem größeren Aufwand von Ressourcen verbunden, vor allem erfordert es den Einsatz von mehr als einem Lehrer pro Klasse (zusätzliche Förderlehrkraft oder sozialpädagogische Fachkraft). Deshalb entwickelte sich die Inklusion der Behinderten in den Regelunterricht zum bildungspolitischen Streitpunkt. Im Stichjahr 2016/17 hatten einen expliziten rechtlichen Anspruch auf Zugang zu einer allgemeinen Schule Behinderte nur in HB und HH, mit Einschränkungen auch in RP, NI und SL. In den meisten anderen Ländern (BE, BB, HE, MV, NW, SH, TH) stand die formell favorisierte Inklusion unter Ressourcen-Vorbehalt. Keinen Vorrang gegenüber dem Förderschulbesuch hatte die Inklusion in BW, BY, SN, ST und TH. In der Summe sind nach dem Bildungsbericht (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018, S. 104) im genannten Stichjahr 60 % der Schüler mit Förderungsbedarf noch in Förderschulen.
Es zeigt sich also auch in Bezug auf die international geforderte Inklusion ein breites Spektrum unterschiedlicher Stadien der Realisierung in den Bundesländern.
Als Fazit aus diesen sechs Beispiele der internationalen Verflechtung der deutschen Bildungspolitik zeigt sich, dass die Spannung zwischen den internationalen Pressionen und dem spezifischen Erbe der deutschen Bildungspolitik noch nicht aufgelöst ist.
Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Wolfgang Hörner