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(Die) AfD | bpb.de

(Die) AfD

Simon Franzmann

Gründung und Entwicklung

Die Alternative für Deutschland (AfD) ist die jüngste der derzeit im Deutschen →Bundestag vertretenen →Parteien. Nach ihrer Gründung im Frühjahr 2013 scheiterte sie im Sept: 2013 mit 4,7 % der gültigen Wählerstimmen nur knapp am Einzug in den Bundestag. Der AfD gelang ab diesem Zeitpunkt der Einzug ins Europaparlament, in alle Landesparlamente und zur 19. Legislaturperiode der Einzug in den Deutschen Bundestag. Sie stellt dort derzeit die stimmenstärkste Oppositionsfraktion gegenüber der Koalition aus →CDU/CSU und →SPD.

Das programmatische Profil sowie das Personaltableau entwickeln sich bis heute stürmisch und waren bis in die jüngste Vergangenheit durch Rücktritte und Parteispaltungen geprägt. Heute wird die AfD zur rechtspopulistischen Parteifamilie gezählt, während sie im ersten Jahr nach der Gründung ebenso als nationalkonservativ wie als nationalliberal gekennzeichnet wurde. Offizieller Gründungsanlass war 2013 die Euro-Krise. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gründungsursache in einer weit verbreiteten Unzufriedenheit mit der mangelnden Wahrnehmung konservativer Positionen durch die Unionsparteien zu finden ist. Ihre Kandidatinnen und Kandidaten wiesen zudem schon zur Bundestagswahl 2013 im Vergleich zu den etablierten Parteien höhere populistische Einstellungen auf (Lewandowsky et al. 2016). Im Jahr 2019 sind die aktuellen Kernthemen der AfD Islamkritik bis Islamfeindlichkeit sowie eine skeptische bis ablehnende Haltung gegenüber Migration. Insbesondere in Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik weist sie derzeit kein einheitliches Profil auf. Sie repräsentiert damit im deutschen →Parteiensystem innerhalb des in anderen europäischen Staaten schon länger etablierten, neuen kulturellen Konflikts den Pol autoritärer, nationaler und traditioneller Wertehaltungen in Ablehnung kosmopolitischer Wertehaltungen (Franzmann 2018).

Gründung und Grundströmungen

Die AfD konnte sich bei ihrer Gründung auf wenigstens vier gesellschaftliche wie politische Strömungen stützen. Zum ersten hatte sich schon direkt nach der Bundestagswahl 2009 innerhalb der CDU der konservative Berliner Kreis gegründet. Hier war neben dem späteren AfD-Parteisprecher Konrad Adam auch der langjährige hessische CDU-Politiker Alexander Gauland aktiv, der zur Gründung der AfD ihr stellvertretender Parteisprecher war und seit Dez. 2017 Ko-Parteisprecher ist. Der Berliner Kreis opponierte innerhalb der Union gegen den gesellschaftlichen Modernisierungskurs unter Angela Merkel. Die Frage nach dem Euro war für diese Personengruppe zweitrangig (Franzmann 2016). Eine zweite Strömung speiste sich aus Unzufriedenheit innerhalb der →FDP. Große Teile der FDP hatten Bedenken gegen die schnell beschlossenen Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro. In einem parteiinternen Referendum konnte die damalige FDP-Parteiführung sich Ende 2012 nur knapp mit ihrer Zustimmung zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) als der Euro-Rettung durchsetzen. In Verbindung mit der moderaten Regierungspolitik der von ihr mitgetragenen Regierung Merkel war die FDP nun sowohl für Eurokritiker als auch für viele Libertäre, die sich in der von Hayek-Gesellschaft engagierten, nun nicht mehr glaubwürdig. Innerhalb der akademisch organisierten deutschen Volkswirtschaftslehre hatte sich als dritte Strömung schon in den 1990er-Jahren an den Universitäten eine breite Euro-Skepsis etabliert. Der Hamburger Volkswirtschaftsprofessor Bernd Lucke initiierte 2010 das „Plenum der Ökonomen“, in dem sich zahlreiche deutsche Volkswirtschaftsprofessoren gegen die Euro-Rettungspolitik der →Bundesregierung aussprachen. Lucke, bis dahin passives CDU-Mitglied und neben der Euro-Politik mit dem gesellschaftspolitischen Modernisierungskurs der Union nicht einverstanden, gründete (unter anderem) mit Adam und Gauland die Wahlalternative 2013. Als vierte Strömung können die ehemals Aktiven und Sympathisanten einiger kleiner Vorläuferparteien mit rechtspopulistischen Zügen wie dem „Bund freier Bürger“, der „Republikaner“ sowie „Die Freiheit“ angesehen werden, die sich von Beginn an eher auf kommunal- und landespolitischer Ebene engagierten.

Von den drei auf dem Gründungsparteitag gewählten Parteisprechern Konrad Adam, Frauke Petry und Bernd Lucke genoss in den ersten Jahren bis zum innerparteilichen Bruch 2015 der Ökonom Bernd Lucke öffentliche Aufmerksamkeit. Als Spitzenkandidat zur Bundestagswahl 2013 dominierte er öffentliche Auftritte, verfasste einen Großteil der Presseerklärungen und entwarf das knappe, zweiseitige Bundestagswahlprogramm. Lucke setzte im →Wahlkampf im Wesentlichen auf das Eurothema und kritisierte grundsätzlich die Zugehörigkeit der südeuropäischen Länder zum Euro. Dabei ließ er seiner Empörung über die Politik der Bundesregierung freien Lauf und achtete nicht darauf, direkt oder indirekt populistische Ressentiments in der Bevölkerung gegenüber der Politik als Ganze zu adressieren. Mit Lucke engagierten sich eine ganze Reihe weiterer Volkswirtschaftsprofessorinnen und -professoren in der AfD. Sie engagierten sich im wissenschaftlichen Beirat und arbeiteten intensiv in der Programmkommission. Von Beginn an sah sich aber dieser Ökonomenflügel innerparteilicher Kritik ausgesetzt von Gruppierungen, die einen stärker migrationskritischen Kurs forderten. Zur Europawahl legte die AfD auf Luckes Betreiben hin ein im Ton moderates, inhaltlich nationalkonservatives Wahlprogramm vor, das sich in keiner Weise populistisch äußerte. Mit den 7,4 %, die die AfD bei der Europawahl mit dem moderaten Programm erreichte, und der Aufnahme in die von den britischen Konservativen dominierte Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), sah es scheinbar so aus, als würde der moderate Ökonomenflügel reüssieren. Mit Lucke zogen vier weitere prominente Vertreter des Ökonomenflügels ins Europäische Parlament ein. In Brüssel, weit weg von den innerparteilichen Auseinandersetzungen, war nun dieser bis dahin in der deutschen Öffentlichkeit dominante Ökonomenflügel erheblich geschwächt. Innerhalb der AfD-Wählerschaft zeigte sich von Beginn an nur eine verhaltene Unterstützung für den rein ökonomisch begründeten Euroskeptizismus der Professoren um Bernd Lucke. Zwar unterstütze ein nicht unerheblicher Anteil der AfD-Wähler 2013 den Anti-Eurokurs, doch eine einheitliche Befürwortung gab es lediglich bei den einwanderungskritischen Positionen.

Von der Europawahl 2014 bis zum innerparteilichen Bruch 2015

Es war insbesondere das Ansehen und die vermeintliche Expertise der Ökonomieprofessoren, die als bürgerliche Türöffner für zuvor in der deutschen Öffentlichkeit nicht, populistische Positionen dienten (Arzheimer 2015). Die Ökonomen etablierten – mutmaßlich unbeabsichtigt – ein populistisches Element im deutschen Politikdiskurs. Sie ignorierten in ihrer Argumentation mögliche politische Gründe für die Euro-Rettung und bauten einen Antagonismus vom guten deutschen Volk auf der einen und einer unfähigen Politikerelite in Europa und D auf der anderen Seite auf.

Im Herbst 2014 zogen die ideologisch nationalkonservativen, einwanderungskritischen Landesverbände in Ostdeutschland mit zweistelligen Prozentergebnissen in ihre jeweiligen →Landtage ein. Mit dem Selbstbewusstsein des Gewinners ausgestattet traten ihre Spitzenkandidaten Frauke Petry, Alexander Gauland und Björn Höcke an die Presse und forderten einen stärker einwanderungskritischen Kurs. Somit standen sich nun zumindest moderate, meist westdeutsche Landesverbände den ostdeutschen, einwanderungskritischen Landesverbänden gegenüber. Zur gleichen Zeit startete in Ostdeutschland die PEGIDA-Bewegung ihre „Montagsspaziergänge“. Schon früh proklamierten Vertreter des rechten Flügels, dass die AfD der politische Arm dieser rechtspopulistischen sozialen Bewegung sei. Lucke und seine Mitstreiter distanzierten sich direkt von diesen Äußerungen (Franzmann 2016). In den Folgemonaten eskalierte der Streit um die ideologische Ausrichtung. Bei den Wahlen in →HB und →HH im Frühjahr 2015 dominierte das moderate Element. Parallel hierzu versuchte Lucke alleiniger Parteisprecher der AfD zu werden und die AfD inhaltlich auf die Möglichkeit von künftiger Regierungsverantwortung einzustimmen. In diesem Vorgehen sahen vor allem die programmatisch stark rechts stehenden Protagonisten innerhalb der AfD einen Affront. Sie gründeten im Frühjahr 2015 die Gruppe „Der Flügel“. Ihr erklärtes Ziel war unter anderem zu verhindern, dass die AfD zu technokratisch und kompromissbereit werde, was ein kaum versteckter Angriff auf die Person und den inhaltlichen Kurs von Lucke war. Vertreter des Ökonomenflügels positionierten sich mit einer Gegenresolution und verteidigten den Kurs Luckes. Der strengte unterdessen ein innerparteiliches Amtsenthebungsverfahren gegen Björn Höcke an, nachdem dieser Teile der NPD als Nicht-Extremisten bezeichnet hatte (Franzmann 2018). Im Juni 2015 kam es zum innerparteilichen Showdown auf dem Parteitag in Essen, der sich in einer Kampfabstimmung zwischen Frauke Petry und Bernd Lucke um einen Parteisprecherposten entlud. Petry siegte mit 2/3 der Stimmen gegen Lucke, der sich anschließend nicht mehr um den zweiten Sprecherposten bemühte. Zweiter Parteisprecher wurde Jörg Meuthen, der als Fachhochschulprofessor für Volkswirtschaftslehre die Tradition der Partei der Ökonomieprofessoren an der Parteispitze weiterführte. Lucke und mit ihm zahlreiche Vertreter des Ökonomenflügels verließen die AfD und bildeten mit den Liberal-Konservativen Reformern (LKR, zuerst ALFA) bislang erfolglos eine neue Partei. Die sieben Europaabgeordneten der AfD spalteten sich auf: die fünf zu ALFA und dann zu LKR gewechselten Vertreter des Ökonomenflügels wurden dauerhaft Mitglied der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), die von den britischen Konservativen dominiert wurden und dem Ökonomenflügel programmatisch tatsächlich am nächsten kamen. Die beiden anderen Abgeordneten, Marcus Pretzell und Beatrix von Storch, traten nach ihrem Ausschluss aus der EKR-Fraktion im Frühjahr 2016 jeweils zwei verschiedenen rechtspopulistischen Fraktionen bei. Pretzell wurde Mitglied der Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ (ENF), die von der niederländischen PVV, der italienischen Lega Nord (LN), der österreichischen FPÖ sowie dem französischen Rassemblement National (vormals: Front National) dominiert wird. Beatrix von Storch schloss sich der Fraktion „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“ (EFD) an, die sich vor allem auf die britische UKIP sowie die italienische 5-Sterne-Bewegung stützt.

Neuformierung nach dem innerparteilichen Bruch bis zur Bundestagswahl 2017

Die Aufspaltung der zwei verbliebenen Europaabgeordneten deutete schon an, dass die unterschiedlichen Strömungen auch nach dem Abgang von Lucke und dem gesamten Ökonomenflügel sich innerhalb der AfD weiterhin um den Parteikurs streiten würden. Direkt nach dem innerparteilichen Bruch stand die AfD in den Umfragen zur Bundestagswahl bei unter 5 %. Der gesamte Prozess zur Ausarbeitung eines neuen Grundsatzprogramms kam kurzzeitig zum Erliegen, da nicht nur der wissenschaftliche Beirat, sondern auch ein Großteil der Programmkommission zusammen mit Lucke die AfD verlassen hatte. Alice Weidel, spätere Spitzenkandidatin des Bundestagswahlkampfes und heutige Ko-Sprecherin der Bundestagsfraktion, organisierte bis 2016 die Debatte um das Grundsatzprogramm. Die AfD gibt sich seitdem nun auch offiziell eindeutig als rechtspopulistische Partei. Dass die AfD im Sommer 2015 an den innerparteilichen Querelen nicht zu Grunde ging, kann im Wesentlichen auf drei Faktoren zurückgeführt werden. Zum Ersten schärfte sie mit dem Abgang Luckes ihr Profil als einwanderungskritische Partei und bediente damit das ohnehin schon in ihrer Wählerschaft am stärksten unterstützte Alleinstellungsmerkmal (Franzmann 2018). Zum Zweiten erlangte mit der fast zeitgleichen Entscheidung Merkels, zum Höhepunkt des Flüchtlingsandrangs die Balkanroute nicht zu schließen, genau das Thema Einwanderung die höchste Priorität auf der politischen Agenda. Die AfD hatte zwar nur ein Thema, aber genau zur richtigen Zeit die Themenführerschaft in Anti-Migrationsfragen. Zum Dritten fielen sowohl die parteiinternen Spaltungen als auch der Höhepunkt der Flüchtlingskrise in einen Zeitraum ohne Landtagswahlen. Die AfD hatte Monate Zeit, um sich nach dem Bruch in Folge des Essener Parteitags neu zu organisieren. Allerdings wurden nicht alle Streitpunkte in dieser Zeit beigelegt. Die AfD stritt nun wiederum um die Frage, ob sie sich in ihrem Selbstverständnis als künftige Regierungs- oder natürliche Oppositionspartei positionieren solle. Letzteres wurde vom nationalkonservativen Flügel favorisiert, während Parteisprecherin Frauke Petry ihre Meinung zugunsten eines zukünftigen Regierungseintritts änderte.

In der täglichen Arbeit in den Parlamentsfraktionen spiegelte sich diese Spaltung in einen konstruktiv wirkenden „parlamentsorientierten“ Flügel sowie einen „bewegungsorientierten“ Flügel, der auf Fundamentalopposition setzt (Schroeder et al. 2018, S. 96). Die Fraktionen in→B und →RP können dabei dem ersteren, die Fraktionen in →BB, →TH und →ST dem zweiten Typus zugeordneten werden. Ungeachtet dieser allgemeinen Orientierung gegenüber dem Parteiensystem weisen alle AfD-Parlamentsfraktionen eine vergleichsweise hohe Aktivität im Stellen so genannter „kleiner Anfragen“ in den Parlamenten auf, die inhaltlich sich überwiegend auf Fragen der Migration sowie Sicherheit und Ordnung beziehen (ebd.). Die Spaltung zwischen Bewegungs- und Parlamentsorientierten zieht sich aber auch durch einzelne Landtagsfraktionen, wie sich →BW offenbarte. Dort hatte die AfD mit 15,1 % im März 2016 ihr bis dahin bestes Ergebnis in einem westdeutschen Bundesland erzielt. In der von Bundesparteisprecher Jörg Meuthen geführten Fraktion äußerte sich der AfD-Abgeordnete Wolfgang Gedeon antisemitisch und verharmloste den Holocaust. Das von Meuthen betriebene Ausschlussverfahren gegen Gedeon scheiterte daran, dass nicht 2/3 der AfD-Landtagsfraktion dem Ausschluss zustimmten. Daraufhin gründeten Meuthen und elf weitere AfD-Abgeordnete vorübergehend eine neue Landtagsfraktion, die zwar vom AfD-Bundesvorstand als legitime AfD-Fraktion anerkannt wurde, nicht jedoch von der damaligen Parteisprecherin Frauke Petry. Im Okt. 2016 erfolgte die Wiedervereinigung der Fraktionen.

Auch auf Bundesebene begann sich im Frühjahr 2017 Geschichte der innerparteilichen Kämpfe aus dem Jahr 2015 in gewisser Art zu wiederholen. Der AfD-Bundesvorstand startete erneut einen Ausschlussprozess gegen Björn Höcke, wobei er diesmal vollständig aus der Partei entfernt werden sollte. Besonders Gauland und der neue Ko-Sprecher Jörg Meuthen widersprachen dem Anliegen, dass Höcke aufgrund seiner ideologischen Nähe zum Nationalsozialismus ausgeschlossen werden müsse. In Abgrenzung zu dem von Höcke mit initiierten „Flügel“ gründete sich die „Alternative Mitte“ als Gruppierung innerhalb der AfD, um ein Gegengewicht zu den stärker extremistischen Strömungen zu bilden. Trotz dieser Unterstützung scheiterte auch Petry ähnlich wie Lucke im Jahr 2015. Höcke wurde nicht ausgeschlossen und Petry wurde nicht Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der Bundestagswahl.

Die AfD trat mit der Programmkommissionschefin Alice Weidel sowie Alexander Gauland als Spitzenkandidaten an. Programmatisch betonte sie in ihrem Bundestagswahlprogramm nun explizit nativistische Positionen, also die Überlegenheit der deutschen Kultur, die Verteidigung der Souveränität des Nationalstaates sowie islam- wie einwanderungskritische Positionen. Die 2013 noch in der öffentlichen Rhetorik dominierende Euroskepsis war zwar weiterhin virulent, lag aber in ihrer Wichtigkeit weit hinter den kulturellen Ressentiments.

Nach der Bundestagswahl 2017

Die AfD wurde mit 12,6 % der gültigen Wählerstimmen drittgrößte Partei im Deutschen Bundestag und nach der abermaligen Bildung einer großen Koalition größte Oppositionsfraktion. Innerhalb der neuen kulturellen Konfliktlinie repräsentiert die Anhängerschaft der AfD die so genannten Kommunitaristen, die sich gegen neue Lebensformen, gleichgeschlechtliche Ehen und Multikulturalismus aussprechen. Ihre Wählerschaft speist sich dabei grundsätzlich aus modernisierungsskeptischen Bürgerinnen und Bürgern, nicht unbedingt aus Modernisierungsverlierern. Modernisierungsverlierer sind kulturellen Ressentiments gegenüber Einwanderern offener; es sind aber im Kern nicht die ökonomischen Vorbehalte, wie sie Lucke 2013 gegenüber dem Euro formuliert hatte, sondern schicht- und klassenüberübergreifend einwanderungs- und modernisierungskritische Einstellungen, die der AfD die Wähler zutreiben.

Die AfD hat ihre Hochburgen weiterhin in Ostdeutschland sowie in Westdeutschland dort, wo früher andere rechtspopulistische Vorläuferparteien wie die Republikaner Erfolge feiern konnten (Görres et al. 2018). Auffallend ist hingegen ihre vergleichsweise Schwäche in Nordwestdeutschland.

Die innerparteiliche Transformation war mit den Bundestagswahlen noch nicht abgeschlossen. Die langjährige Parteisprecherin Frauke Petry sowie der Europaabgeordnete Marcus Pretzell verließen kurz nach der Bundestagswahl die AfD und gründeten die „blaue Partei“, die derzeit noch weniger erfolgreich als die liberal-konservativen Reformer (LKR) agiert. Alexander Gauland wurde nach einer längeren innerparteilichen Suche zum Bundesparteisprecher neben Jörg Meuthen gewählt. Meuthen wiederum rückte für Beatrix von Storch ins Europaparlament und ist dort derzeit stellvertretender Vorsitzender der EFD. Entsprechend dominiert in der bundespolitischen Wahrnehmung derzeit Gauland über Meuthen. Die Ko-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Alice Weidel, ist das zweite öffentlich wahrgenommene Gesicht der AfD. Programmatisch drängt der nationale Flügel um Björn Höcke auf ein stärker sozialpolitisches Profil. Dies trifft jedoch auf erheblichen Widerstand bei den wirtschaftlich-liberal orientierten Personen wie Meuthen und Weidel. Somit bleibt die AfD in ökonomischen Positionen weiterhin unbestimmt, was aufgrund der einheitlichen Unterstützung ihres einwanderungskritischen und gesellschaftlich konservativen Kurses innerhalb ihrer Kernwählerschaft derzeit noch keine negativen Auswirkungen hat. Die absehbar größte Herausforderung für die AfD wird die Frage sein, wer künftig die Rolle der Integrationsfigur der verschiedenen Strömungen einnehmen kann, sollte Alexander Gauland der Partei nicht mehr zur Verfügung stehen. Ungeklärt ist zudem die Frage der inhaltlichen Abgrenzung zur Identitären Bewegung und grundsätzlich zum Rechtsextremismus. Hier steht voraussichtlich ähnlich wie in der Gründungsphase, bei der über den rechtspopulistischen Charakter der Partei diskutiert wurde, in den kommenden Jahren sowohl öffentliche Debatten wie innerparteiliche Auseinandersetzungen bevor, inwieweit die AfD schon rechtsextreme Positionen übernommen hat.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Simon Franzmann

Fussnoten