Gesetzlicher Rahmen
Mit dem als „prozesspolitischem Grundgesetz“ eingestuften „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“ (StWG) von 1967 verband sich die Hoffnung auf eine „Globalsteuerung“ der Wirtschaft im Sinne einer systematischen Beeinflussung der gesamtwirtschaftlichen Zielgrößen und damit eine Gewichtsverlagerung von der Ordnungs- zu einer an Keynes orientierten Prozesspolitik. Der Schwerpunkt des StWG liegt bei der gesamtwirtschaftlichen Ausrichtung und Koordinierung der Einnahmen- und Ausgabenpolitik der verschiedenen Gebietskörperschaften. Abgesichert durch eine Änderung des Artikels 109 Grundgesetz (GG) wird in § 1 das Ziel vorgegeben: „Bund und Länder haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, dass sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen.“ Zur Erreichung dieses „magischen Zielvielecks“ wird eine Reihe zusätzlicher Instrumente bereitgestellt, die bei unterschiedlichen Ansatzpunkten vor allem auf eine Beeinflussung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zielen:
Information und Planung: Verpflichtung der Bundesregierung zu Jahreswirtschaftsberichten (jeweils im Januar mit Jahresprojektion in Form der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und Stellungnahme zum Jahresgutachten des → Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – SVR) und fünfjähriger, jährlich fortzuschreibender Finanzplanung sowie Aufstellung mehrjähriger Investitionsprogramme und alle zwei Jahre Vorlage eines Subventionsberichtes;
Antizyklische Finanzpolitik: zur Dämpfung kann die Bundesregierung bis zu 3 % der im Vorjahr erzielten Steuereinnahmen von Bund und Ländern als Konjunkturausgleichsrücklage bei der Bundesbank stilllegen und die Kreditaufnahme öffentlicher Stellen begrenzen (mit Zustimmung des Bundesrats und nach Beratung im neugeschaffenen „Konjunkturrat für die öffentliche Hand“); zur Belebung kann die Bundesregierung z. B. die aufgestellten Investitionsprogramme unter Rückgriff auf Konjunkturausgleichsrücklage und zusätzliche Kreditaufnahme vorzeitig realisieren;
Beeinflussung privater Investitions- und Konsumnachfrage: Investitionsbonus (Abzug von bis zu 7,5 % der Investitionskosten von Einkommen- und Körperschaftsteuer) und umgekehrt Kürzung oder Aussetzung von Sonderabschreibungen und degressiver Abschreibung; Möglichkeit der Variation der Einkommen- und Körperschaftsteuer um bis zu 10 %, wobei Mehreinnahmen in der Konjunkturausgleichsrücklage bei der Bundesbank stillzulegen sind;
Einbindung der Verbände: bei Gefährdung der in § 1 genannten Ziele muss die Bundesregierung „Orientierungsdaten für ein gleichzeitiges aufeinander abgestimmtes Verhalten (konzertierte Aktion) der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmensverbände“ zur Verfügung stellen. Der Bundeswirtschaftsminister „hat die Orientierungsdaten auf Verlangen eines der Beteiligten zu erläutern“ (§ 3).
Mit dem Ziel der Globalsteuerung und dem Instrumentenausbau des StWG war unvermeidlich eine Tendenz zur Zentralisierung und zur Machterweiterung der Bundesregierung verbunden. Die damit verbundenen Risiken versucht das StWG dadurch zu begrenzen, dass der Einsatz der neuen Instrumente auf der vertikalen Ebene an die Zustimmung des Bundesrates, auf der horizontalen Ebene an differenzierte Zustimmungs- bzw. Aufhebungsrechte des Bundestages gebunden wird.
Konzertierte Aktion
Unter den Instrumenten hat die vom SVR angeregte Konzertierte Aktion (KA) besonderes Interesse gefunden, zumal sie unter dem Einfluss des neuen, seit 1967 amtierenden Bundeswirtschaftsministers Schiller weit über die Minimallösung des StWG hinausging und sich als regelmäßiger Gesprächskreis institutionalisierte. Teilnehmer waren unter Vorsitz des Bundeswirtschaftsministers bis zu knapp 80 Repräsentanten der wirtschaftspolitisch wichtigen Bundesministerien, der Deutschen Bundesbank, des SVR sowie der als wichtig eingestuften Unternehmensverbände und Gewerkschaften. Die KA zielte darauf, die mit der Tarifautonomie verbundene offene einkommenspolitische Flanke der Globalsteuerung durch eine „orientierende Einkommenspolitik der leichten Hand“ (K. Schiller) abzudecken. Darüber hinaus waren mit dem „Tisch der gesellschaftlichen Vernunft“ (K. Schiller) Hoffnungen auf gesellschaftspolitische Integrationswirkungen verbunden, die die KA auch zum Modell für andere Bereiche (z. B. Konzertierte Aktion für das Gesundheitswesen) werden ließen.
Gerade die weitgespannten Erwartungen führten aber von Anfang an auch zu heftiger, theorieorientierter Kritik an der KA, in deren Mittelpunkt das Verhältnis von Staat und Verbänden stand. Während die einen vor einer versteckten Tendenz zum Verbändestaat warnten – „Vergesellschaftung staatlichen Handelns“ (K. Biedenkopf) – und die ungleichen Teilnahmechancen auf der Verbandsseite kritisierten – „Einladungswillkür“ des Bundeswirtschaftsministeriums –, befürchteten andere die Unterminierung der Tarifautonomie und eine Tendenz zu Staatsverbänden.
In der Praxis haben insbesondere gegensätzliche Erwartungen der Unternehmensverbände (Eingrenzung gewerkschaftlicher Lohnforderungen) und Gewerkschaften (Ansatz für gesamtwirtschaftliche Mitbestimmung) die Wirksamkeit der KA extrem begrenzt und Hoffnungen wie Befürchtungen weitgehend den Boden entzogen. Obwohl die KA zu einem beliebten Beispiel in der Neokorporatismusdebatte avancierte, ist sie ihrem Namen nie gerecht geworden und kann eher als institutionalisierte, gruppenbezogene und quantifizierte „Seelenmassage“ mit eng begrenzten Folgen charakterisiert werden. Anhaltende Befürchtungen und Kritik der Basis haben die Gewerkschaften 1977 veranlasst, die KA aus Protest gegen die Verfassungsklage der Arbeitgeber gegen das neue Mitbestimmungsgesetz zu verlassen.
Ungeachtet des Scheiterns der KA blieb der Grundgedanke einer regelmäßigen gemeinsamen Diskussionsrunde der wichtigsten wirtschaftspolitischen Akteure mit dem Ziel, einen handlungsorientierenden Minimalkonsens für Lageanalyse und Lösungsansätze zu suchen, wirksam. Als begrenzte funktionale Äquivalente können insbesondere die „Kanzlerrunden“ zur Diskussion speziell ostdt. Wirtschaftsprobleme im Gefolge der dt. Einheit gesehen werden, die angesichts des Stellenwertes „runder Tische“ in der Endphase der DDR in Ostdeutschland auf besondere Sympathien zählen konnten.
Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit
Im November 1995 machte der IG Metall-Vorsitzende Zwickel einen aufsehenerregenden Vorstoß zugunsten eines tripartistischen „Bündnisses für Arbeit“, das im Kern auf gewerkschaftliche Lohnzurückhaltung im Tausch gegen Arbeitsplatzverpflichtungen zielte und Anfang 1996 in einer Vereinbarung von Bundesregierung, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften über ein „Bündnis für Arbeit und zur Standortsicherung“ mündete. Dieses Bündnis scheiterte jedoch schnell durch Aufkündigung der Gewerkschaften, als die Bundesregierung nicht bereit war, auf Eingriffe in den sozialpolitischen Besitzstand (u. a. gesetzliche Lohnfortzahlungen, Kündigungsschutz) zu verzichten. Nachdem die Frage einer erfolgversprechenden Strategie gegen Massenarbeitslosigkeit und speziell eine Wiederaufnahme des Bündnisses im Bundestagswahlkampf 1998 eine wichtige Rolle gespielt hatte, wurde das Ziel eines „Bündnisses für Arbeit und Ausbildung“ Teil der Koalitionsvereinbarungen zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Im Dezember 1998 einigten sich Bundesregierung sowie Repräsentanten der Wirtschaftsverbände und der Gewerkschaften auf ein – auf Drängen der Wirtschaftsverbände bereits im Titel erweitertes – neues Bündnis. „Das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit ist … auf Dauer und als Prozess der Verständigung angelegt, in dem gegenseitiges Vertrauen geschaffen werden soll, aber auch unterschiedliche Interessen und verschiedene Meinungen ausgetragen werden“ (Gemeinsame Erklärung vom 07.12.1998). Das Bündnis ist von Bundeskanzler Schröder zum zentralen Projekt der damals neuen Bundesregierung, zum „Fokus unser Politik der neuen Mitte“ erklärt worden und hat damit auch symbolisch einen exponierten Stellenwert als Testfall erhalten.
Neben den offensichtlichen Gemeinsamkeiten sind einige Unterschiede im Vergleich von KA und Bündnis bemerkenswert. Das Bündnis musste auf neue Rahmenbedingungen (insbesondere strukturell verfestigte Massenarbeitslosigkeit und Globalisierung) reagieren und war daher thematisch sehr viel breiter angelegt. In den meisten europäischen Ländern liegen inzwischen Erfahrungen mit analogen, wenn auch sehr unterschiedlich akzentuierten Experimenten vor – in D wurde das niederländische Experiment mit der „Stiftung für Arbeit“ diskutiert –, wobei teilweise eine Verlängerung und Vernetzung nach „oben“, zur EU-Ebene, gefordert wird. Innerhalb Ds ist betrieblich, regional und auf Länderebene bereits eine Reihe von Bündnisversuchen gestartet worden, und unter dem Leitbegriff Subsidiarität ist eine solche Abstützung und Vernetzung des nationalen Bündnisses nach „unten“ ausdrückliches Ziel. Die Vertretungsmacht von Gewerkschaften wie Arbeitgeberverbänden ist zwischenzeitlich gesunken, was aber eher als Anreiz zur Beteiligung wirken dürfte. Institutionell wurde das Bündnis stärker ausgebaut. Einerseits ist der Teilnehmerkreis im Vergleich zur Spätphase der KA deutlich kleiner (Spitzenrepräsentanten der Regierung sowie Vorsitzende von Gewerkschaften – DGB, DAG, IG Metall, IG Bergbau, Chemie und Energie, ÖTV – und Spitzenverbänden der Wirtschaft – BDA, BDI, DIHT und ZDH) und – so wohl die Hoffnung – entscheidungsfähiger angelegt, damit aber auch in der Repräsentation betroffener Akteure verengt worden. Andererseits ist der Unterbau mit Steuerungs- und einer Benchmarkinggruppe, sieben themenbezogenen Arbeitsgruppen (Aus- und Weiterbildung, Steuerpolitik, Lebensarbeitszeit und vorzeitiges Ausscheiden, Reform der Sozialversicherungssysteme, Arbeitszeitpolitik, Aufbau Ost, Entlassungsabfindungen) sowie Fach- und Themendialogen (z. B. Mittelstand) in Verantwortung der jeweiligen Ressorts stark ausdifferenziert worden. Die Benchmarkinggruppe aus Ministerialbeamten und Wissenschaftlern sollte insbesondere die Erfahrungen anderer Länder unter dem Gesichtspunkt „best practice“ auswerten und für eine gemeinsame Datenbasis sorgen.
In der kontroversen Diskussion wurden wie bei der KA Notwendigkeit, Sinn und Erfolgschancen des Bündnisses – teilweise auch aus Teilnehmerkreisen – infrage gestellt, wobei die grundsätzliche Kritik sich in den Kriterien Legitimation und Transparenz bündeln lässt. Zweifellos handelte es sich bei dem Bündnis um ein ordnungspolitisch wie verbandspolitisch bedeutsames, aber auch mit Risiken verbundenes neues Experiment, das gerade wegen der ihm von der rot-grünen Bundesregierung zugewiesenen Bedeutung symbolisch überlastet war. Gemessen an den überhöhten Erwartungen waren die dürftigen Ergebnisse und die wechselseitigen Blockaden der Verbände extrem enttäuschend – eine Erfahrung, die an die mit der Konzertierten Aktion erinnert. Dennoch versuchte die zweite Regierung Schröder mit dem neuen Wirtschafts- und Arbeitsminister Clement einen neuen Anlauf, der aber scheiterte.
Reformdiskussion
Das StWG hat in der wirtschaftspolitischen Praxis seit Ende der 70er-Jahre kaum mehr eine Rolle gespielt. Anfang der 90er-Jahre unternommene parlamentarische Vorstöße der Grünen mit einem ausgreifenden „Gegenentwurf“ („Gesetz zur Förderung der umwelt- und sozialverträglichen Entwicklung der Wirtschaft“), in dem u. a. auf die Zielecke Wachstum und den „Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung“ (StWG) verzichtet wurde, und der SPD zur Erweiterung von Zielen (insbesondere Erhaltung und Verbesserung der natürlichen Lebensgrundlagen) und Instrumenten des StWG blieben erfolglos. Ein Gutachten für die Friedrich-Ebert-Stiftung, das auch für den SPD-Wahlkampf genutzt wurde, zielte auf ein neues, umfassendes „magisches Zielviereck“ unter dem Oberbegriff Nachhaltigkeit („materieller Wohlstand und ökonomische Nachhaltigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Nachhaltigkeit, Zukunftsfähigkeit der Staatstätigkeit und der Staatsfinanzen“ – Dullien und van Treeck 2012, S. 15) und den Umbau des StWG. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition wurde 2013, also fast 50 Jahre nach Verabschiedung des StWG, eine Überprüfung des Gesetzes in Zusammenarbeit mit dem SVR vereinbart. In seiner Stellungnahme verteidigte der SVR die Begrenzung des StWG auf makroökonomische Prozesspolitik und sah „keine Notwendigkeit einer Reform“ (SVR 2015, Titel). Da sich die Bundesregierung dem anschloss, steht das Instrumentarium des Gesetzes unverändert als Reserve für klassische konjunkturpolitische Extremlagen zur Verfügung.
Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Uwe Andersen