Definition
Der Begriff der Republik (R.) ist einem fundamentalen Bedeutungswandel unterworfen. N. Machiavelli hatte die aristotelische Dreiteilung (Alleinherrschaft, Herrschaft weniger, Herrschaft vieler) auf eine Zweiteilung reduziert und die Staaten der Welt nach R.en und Monarchien unterschieden. In den R.en herrschten viele, in den Monarchien gehe die Staatsgewalt von einem Einzigen aus. Aufgrund der Parlamentarisierung vieler Monarchien hat sich heute der Bedeutungsgehalt grundlegend gewandelt. Mit R. ist jede Nicht-Monarchie gemeint: Das Staatsoberhaupt wird nicht durch Erbfolge bestimmt. Die Frage der Staatsform – R. oder Monarchie – ist demnach weitaus weniger wichtig als die Frage nach der Regierungsform – Demokratie oder Diktatur. Die Mehrheit der Monarchien sind funktionierende Demokraten, die Mehrheit der R. hingegen Diktaturen bzw. defekte Demokratien (Gallus und Jesse 2007). Schließlich sagt die jeweilige Staatsform noch nichts über die tatsächlichen Herrschaftsträger und über die Legitimität des Staates aus. Die → DDR war ebenso eine R. wie es die BRD ist. Es gibt also demokratische wie nicht-demokratische R.en. In diesem Sinne ist R. ein bloßer Formalbegriff, der eine klare Einteilung der Staaten nach diesem Kriterium ermöglicht. Da die Propagierung der Monarchie heute fast nirgendwo eine Rolle spielt, ist der Begriff R. weithin ohne Substanz. Er hat geradezu eine Entwertung erfahren (vgl. Langewiesche 1993).
Doch gibt es zunehmend eine Position, die den Begriff der R. aufzuwerten sucht (vgl. Henke 1987), ihn in einem positiven Sinne versteht. R. wird wieder mit der römischen „res publica“ in Verbindung gebracht. Danach sind Staaten mit einer freiheitlichen Ordnung R.en – Staaten, die an den Bürgersinn appellieren, das Gemeinwohl zu verwirklichen suchen, eine rechtsstaatliche Ordnung aufweisen und den „Verfassungspatriotismus“ fördern. Die Idee des Republikanismus (Thiel und Volk 2016) löst sich gänzlich von dem Staatsstrukturprinzip der R., kann also auch in einer parlamentarischen Monarchie reüssieren. Wer den Republikanismus defensiv auslegt, fasst ihn so auf, als wohne ihm mit dem Prinzip der Ämterordnung ein antiutopischer und antiradikaler Sinngehalt inne. Wer ihn hingegen offensiv interpretiert, begreift ihn im Sinne von Radikaldemokratie. Interpretiert die erste Richtung ihn in einem limitierenden Verständnis von Demokratie, so ist für die zweite ein expansives Verständnis von Demokratie gemeint. Die 1983 gegründete Partei der „Republikaner“ wollte mit ihrem Namen nicht den Gegensatz zur Monarchie betonen, sondern die Verankerung in einem freiheitlichen Gemeinwesen – unabhängig davon, ob dies berechtigt war.
Wer R. nicht bloß als Gegensatz zur Monarchie versteht, kommt in Schwierigkeiten bei der Begründung, worin sich denn die R. von der Demokratie oder dem Rechtsstaat unterscheidet. Mit dieser Verwischung ist einer klaren Begrifflichkeit nicht gedient. Auch die Herleitung aus der Tradition – der Begriff R. ist römischen Ursprungs und geht maßgeblich auf Cicero zurück – überzeugt nicht: „Republik ist freiheitliche Ordnung. Demokratie ist Freiheit schlechthin. Die Republik stammt aus der römischen, die Demokratie aus der griechischen Tradition. Beide antiken Welten haben unsere Kultur geprägt, aber auf verschiedene Weise. Römisch ist das Gesetz und das Festhalten und vorsichtige Ändern des Überkommenen, griechisch ist das freie Denken und Gestalten“ (Henke 1987, S. 879 f.). Der Begriff der „gemischten Verfassung“ und des demokratischen Verfassungsstaates erscheint sinnvoller als der Rekurs auf den Begriff der R., um zum Ausdruck zu bringen, dass der demokratische Verfassungsstaat sich nicht in der Volkssouveränität erschöpft.
Kommunistische Staaten verstanden sich als „Volksdemokratien“ und „Volksrepubliken“. Mit diesen Termini, die auf eine Tautologie hinauslaufen, wollten sie sich von westlichen Demokratien abgrenzen. In der DDR setzten sich die Termini nicht durch. Noch heute führen Algerien, China, Laos und Nordkorea den Begriff „Volksrepublik“ im Namen.
BRD
Art. 20 GG schreibt die Staatsstrukturprinzipien Ds fest: Republik, → Demokratie, → Bundesstaat, → Sozialstaat und → Rechtsstaat. Gemäß dem „Ewigkeitsgebot“ von Art. 79 Abs. 3 GG können diese nicht geändert werden. Im Hinblick auf das R.-Prinzip ist das nicht konsequent. Schließlich gehört dieses – zu Recht – nicht zu den Merkmalen der → freiheitlichen demokratischen Grundordnung – im Gegensatz zu den erwähnten anderen (bis auf den Bundesstaat). Anhänger einer parlamentarischen Monarchie britischen Musters etwa verstoßen nicht gegen Prinzipien einer freiheitlichen Ordnung. Im Übrigen muss diese Diskussion angesichts fehlender Stimmen für die Einführung der Monarchie jedoch als reichlich akademisch gelten. In D ist das Prinzip der R. auf allen Seiten längst akzeptiert, während nach dem Ersten Weltkrieg „Herzensmonarchisten“ „Vernunftrepublikanern“ gegenüberstanden. Der Reichspräsident fungierte seinerzeit als eine Art Ersatzmonarch. Drei Länder in D (Bayern, Sachsen, Thüringen) begreifen sich als „Freistaat“ und knüpfen damit eigens an republikanische Traditionen an.
Seit der deutschen Einheit, vor allem nach der Entscheidung des Deutschen → Bundestages für BE als Regierungssitz (1991) und nach dem Umzug der Regierung (1999), ist vielfach von einer „Berliner Republik“ die Rede. Der Terminus zielt nicht nur auf die neue Bundeshauptstadt. Wer diesen Begriff gebraucht, will damit andeuten, durch die deutsche Einheit sei eine im Kern neue R. entstanden. Gewiss haben sich gravierende Änderungen vollzogen – in einigen Bereichen mehr (wie der Außenpolitik), in anderen weniger (wie der institutionellen Ordnung) –, aber dies bedeutet keineswegs, dass die Vereinigung Ds das Koordinatensystem verschoben hat. Zudem gehen nicht alle Wandlungen auf die deutsche Einheit zurück. Der Begriff der „dritten R.“ (Michael Gehler) ist irreführend, wird doch damit die Kontinuität zur BRD vor der deutschen Einheit heruntergespielt. Ein unreflektierter Umgang mit dem Terminus der „Berliner Republik“ verursacht Probleme. Sollte sich der Begriff der „Berliner Republik“ in der öffentlichen Meinung durchsetzen, so muss dies freilich nicht heißen, als stehe diese R. in einem Gegensatz zur (alten) „Bonner Republik“. Hingegen ist D. eine „komplexe Republik“ (Marcus Höreth), kommt doch auf diese Weise gut das Zusammenwirken der Verfassungsorgane zum Ausdruck, wenngleich Republik in diesem Zusammenhang nicht die Bedeutung einer Anti-Monarchie besitzt.
Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Eckhard Jesse