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Politikwissenschaft | bpb.de

Politikwissenschaft

Wilhelm Bleek Andrea Gawrich

Die Politikwissenschaft (PW) in D in ihrer heutigen Prägung ist eng verbunden mit der Nachkriegsgeschichte der jungen Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg. Gleichwohl reichen ihre inhaltlichen Traditionsstränge Jahrhunderte zurück. Die heutige PW stellt eine anerkannte moderne Sozialwissenschaft dar.

Ältere Lehre der Politik

Die Lehre von der Politik an den Universitäten ist so alt ist wie diese selbst: Beide gehen auf das europäische Mittelalter zurück, als unter dem Einfluss von aristotelischem Denken die Lehre von der Politik ein Anhängsel der praktischen Philosophie war. Sie wurde erst in der frühen Neuzeit zu einem eigenständigen Universitätsfach.

Zu dieser Zeit entwickelte sich dann ein Spektrum von politischen Wissenschaften. So die ältere Policeywissenschaft (innere Verwaltung), die Kameralwissenschaft (Finanzen), die Ökonomik (Haus- und Staatswirtschaftslehre), die ältere Statistik (Lehre staatlicher Zustände) und technologische Fächer (Landwirtschaftslehre, Forstwissenschaft, Bergbau u. a.). Diese Vielzahl wurde Mitte des 18. Jhs. als Staatswissenschaften bezeichnet (vgl. Bleek 2001).

Unter dem Einfluss der Aufklärung Ende des 18. Jhs. und der Kritik am absolutistischen Staat wandelten sich Teile dieser Fächerstruktur zur Verwaltungsrechtswissenschaft, zur Nationalökonomie, zur Statistik und Geschichtswissenschaft.

Das Kernfach der Politik überlebte in der ersten Hälfte des 19. Jhs. innerhalb der philosophisch (z. B. Hegel) oder historisch (insbesondere Dahlmann) orientierten Verfassungslehre. In dieser Spätblüte der älteren Politiklehre reichte die Ausstrahlungskraft „politischer Professoren“ weit in die Öffentlichkeit hinein, bspw. durch den Protest der Göttinger Sieben gegen den Verfassungsbruch des hannoverschen Königs (1837).

Die Mitwirkung von Politik-Professoren in der verfassungsgebenden Nationalversammlung 1848/49 stellte Höhepunkt und Wendemarke in der Bedeutung der Politik-Lehre dar. Gegen Ende des 19. Jhs. verschwand die bis dahin einflussreiche Universitätsdisziplin weitgehend.

Politische Wissenschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus

In der Weimarer Republik wurde Politik als Wissenschaft erneut etabliert. Dies fußte u. a. auf Postulaten von M. Weber und F. Naumann zur demokratischen Erziehung der politischen Elite. Jedoch war das Bestreben des preußischen Universitätsreformers C. H. Becker, Soziologie und PW an den Universitäten zu etablieren, nicht durchsetzbar. So konzentrierte man sich auf die 1920 in Berlin gegründete „Deutsche Hochschule für Politik“ (DHfP), welche nicht nur als Volkshoch- und Fachschule, sondern ab 1927 auch als akademische Hochschule existierte.

Diese Entwicklung wurde 1933 durch die nationalsozialistische „Machtergreifung“ abgebrochen. Die DHfP wurde als NS-Schulungsanstalt gleichgeschaltet und 1940 in die „Auslandswissenschaftliche Fakultät“ der Berliner Universität integriert. Unter der NS-Herrschaft waren „politische Wissenschaften“ dann nicht als Fach, sondern als eine auf die NS-Ideologie bezogene Politisierung aller Disziplinen zu verstehen. Die Mehrzahl der demokratischen Dozenten der DHfP der Weimarer Zeit emigrierte nach 1933. Viele von ihnen wurden in den USA durch die dortige professionelle und selbstbewusste „Political Science“ geprägt.

Wiedergründung in der Bundesrepublik

In der Bundesrepublik wurde die PW als Demokratiewissenschaft etabliert, die einen akademischen Beitrag zur Konsolidierung der neuen Verfassungsordnung leisten sollte. Am Anfang dessen stand 1948 die Wiederbelebung der Berliner DHfP als außeruniversitäre Institution.

Entscheidend für die (Wieder-)Gründung der PW in Westdeutschland wurde ihre Durchsetzung als universitäres Lehrfach. Insbesondere die amerikanische Militärverwaltung setzte sich über Vorbehalte an den Universitäten und in den Bundesländern hinweg und drängte im Rahmen ihrer „re-education“-Politik 1949/50 auf die Etablierung einer akademischen PW. Die ersten Lehrstühle wurden Anfang der 1950er-Jahre, zunächst in Hessen, mit ausgewiesenen Antifaschisten besetzt, die in Deutschland überlebt hatten. Hinzu kamen Rückkehrer aus der Emigration, die von Einflüssen der amerikanischen PW geprägt waren.

Zur Etablierung der PW in der Bundesrepublik zählte nach US-Vorbild, bzw. durch Impulse des Weltverbandes IPSA, auch der Aufbau eines Fachverbandes: 1951 wurde die „Deutsche Vereinigung für die Wissenschaft von der Politik“ gegründet (ab 1959 „Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft“, DVPW, und seit 2016 „Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft“). Als wissenschaftliches Fachorgan belebte sie zunächst die seit 1908 erscheinende „Zeitschrift für Politik“ wieder und gibt seit 1960 die „Politische Vierteljahresschrift“ (PVS) heraus.

Das Profil der jungen bundesdt. PW ergab sich aus ihrem Selbstverständnis als „Demokratiewissenschaft“. Dies erforderte zuvorderst die Auseinandersetzung mit der jüngsten dt. Vergangenheit, insbesondere die Erklärung des Scheiterns der Weimarer Demokratie sowie der nationalsozialistischen „Machtergreifung“. Zudem lehrte und forschte die bundesdt. PW zur kommunistischen Diktatur der DDR (später vergleichend Deutschlandforschung). Das dritte Feld war die Theorie und Empirie der Demokratie, insbesondere auf den Gebieten der Parlamentarismus-, der Parteien- und der Wahlforschung.

Mit meist nur einem Lehrstuhl an westdt. Universtäten in den 1950er-Jahren fokussierte sich die PW auf Beiträge zu einem staatsbürgerlichen Studium Generale und zur Politischen Bildung. Lediglich die Freie Universität in Westberlin nahm eine Sonderstellung ein, als Ende der 1950er-Jahre zehn PW-Professuren geschaffen wurden, aufgrund der Kooperation mit der DHfP und 1959 durch ihre FU-Eingliederung als „Otto-Suhr-Institut“.

Expansion und Professionalisierung

Bereits in den 1950er-Jahren drängten Fachvertreter darauf, die PW durch Ausbildungsanteile für den höheren Verwaltungsdienst und den Lehrer-Beruf dauerhaft zu etablieren. Als ab Ende der 1950er- und in den frühen 1960er-Jahren die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit an Bedeutung gewann und das gymnasiale Schulfach Sozialkunde bundesweit eingeführt wurde, wurde auch die PW (neben Soziologie und Nationalökonomie) fester schulischer Bestandteil.

Hilfreich für die weitere Ausdifferenzierung der PW als Universitätsdisziplin und schulisches Lehrfach war die im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft von M. R. Lepsius verfasste „Denkschrift zur Lage der Soziologie und der Politischen Wissenschaft“ (Lepsius 1961), welche die Entwicklung der PW zu einer theoretisch anspruchsvollen Einzelwissenschaft forderte, verbunden mit einem forschungsbezogenen universitären Ausbau. 1962 übernahm der Wissenschaftsrat die konkrete Forderung von Lepsius, an allen Universitäten mindestens eine politikwissenschaftliche Professur jeweils in politischer Theorie, politischer Institutionenkunde und Internationalen Beziehungen einzurichten sowie jeweils ein Forschungsinstitut mit angemessener Mitarbeiterzahl und adäquaten Sachmitteln zu gründen.

Dieses Programm wurde in den sechziger Jahren erstaunlich schnell umgesetzt. Die Gründungswelle neuer Universitäten erleichterte die Schaffung neuer politik- und sozialwissenschaftlicher Institute, während an etablierten Universitäten weiterhin Vorbehalte zu überwinden waren. Das Fach profitierte damit von der Expansionsstimmung im tertiären Bildungssektor. Dies trug auch dazu bei, dass weitere Lehr- und Forschungsgebiete hinzukamen, so Außenpolitik und Internationale Beziehungen, die Entwicklungsforschung sowie die Friedens- und Konfliktforschung. Parallel kamen außeruniversitäre Institutionen der Politikberatung und angewandten Forschung hinzu, wie sie bspw. auch Politische Stiftungen leisten.

Insgesamt kam es zwischen 1960 und 1975 zu einer substantiellen Zunahme politikwissenschaftlicher Professuren, Mittelbaustellen sowie Studierender im Fach PW. 1960 gab es 24 Lehrstühle der PW an 18 bundesdt. Universitäten (davon allein 10 in Westberlin). Diese Zahl stieg bis 1965 bereits auf 51 an und nahm bis 1975 auf 133 Professuren zu.

Krise und Konsolidierung

Im Gefolge dieser Fach-Expansion zeigten sich zunächst zwei unterschiedliche Prozesse: Zum einen konnte der akademische Stellenmarkt der größeren Zahl von in der PW Ausgebildeten zu wenig Karrierechancen bieten, allzumal nach der Wirtschaftskrise in der ersten Hälfte der 70er-Jahre. Zum anderen wurde infolge der thematischen Expansion die bisherige wissenschaftliche Homogenität des Faches auf die Probe gestellt.

Im Kontext der Studentenbewegung eskalierte der legitime Streit um zentrale Theorien (normativ-ontologisch, empirisch-analytisch oder historisch-kritisch) hin zu einem politischen Lagerkampf zwischen als restaurativ und systemaffirmativ oder als fortschrittlich wahrgenommenen Kräften.

Die eher politischen als wissenschaftlichen Differenzen in der bundesdt. PW während der 1970er-Jahre prägten auch die Auseinandersetzungen in ihrer Fachvereinigung. Sie führten in einer verspäteten Reaktion 1983 dazu, dass sich die „Deutsche Gesellschaft für Politikwissenschaft“ (DGfP) von der DVPW abspaltete. Erstere war zunächst durch wissenschaftlich wie politisch eher traditionell eingestellte Professoren geprägt. Heute ist die DGfP heterogener aufgestellt und beide Fachvereinigungen pflegen ein kooperatives Verhältnis.

Nachdem die (Wieder-)Gründung der Disziplin nach 1945 eher im geisteswissenschaftlichen Kontext vonstattengegangen war (womit sie an ältere Fachtraditionen anknüpfte), bemühte sich die PW in den frühen 1980er-Jahren um eine theoretische und methodische Profilierung als moderne Sozialwissenschaft. Dies war beeinflusst durch den amerikanischen Behaviorismus.

Zudem trat neben die Analyse von „polity“, also einer primären Fixierung auf den institutionellen Rahmen sowie die Untersuchung von „politics“, als den politischen Prozessen, die Erforschung von „policies“, als den Politikfeldern, die Prozesse und Resultate öffentlichen Handelns abbilden. Beispielhaft seien Arbeitsmarkt- und Umweltpolitik genannt. Inzwischen sind auch Forschungsgebiete und Professur-Profile politikfeldbezogen ausgerichtet (bspw. Europapolitik).

Nach 1990 wurde die bundesdt. PW im Prozess der dt. Vereinigung auch an den Hochschulen in den ostdt. Bundesländern etabliert. In der DDR entsprach es dem Selbstverständnis der herrschenden SED, dass es neben der Umsetzung der als wissenschaftlich postulierten Lehren des Marxismus-Leninismus keine PW zu geben hatte. Mit dem Zusammenbruch der DDR 1989 kollabierte auch das universitäre Fach des Marxismus-Leninismus. Angesichts des weitgehenden Fehlens einer institutionalisierten PW sowie von ausgebildeten PolitikwissenschaftlerInnen in der ehemaligen DDR war ein Neuaufbau der PW in den ostdt. Bundesländern unumgänglich.

Dieser fand unter Leitung der beiden bundesdt. Fachverbände der PW statt und lehnte sich an die etablierte Aufteilung von vier subdisziplinären Professuren an (Politische Theorie und Ideengeschichte; Deutsches Regierungssystem; Vergleichende Regierungslehre; Internationale Politik und Außenpolitik). Bis 1995 wurden an ostdt. Universitäten 53 Politikprofessuren besetzt – primär durch WissenschaftlerInnen aus der alten Bundesrepublik.

Die bundesdt. PW hatte sich gegen Ende des 20. Jhs. in der öffentlichen und interdisziplinären wissenschaftlichen Wahrnehmung zu einer „normalen“ Wissenschaft entwickelt, deren Existenz und Position nicht mehr in Frage gestellt wird. Zu dieser Stabilisierung trug wesentlich der Umgang mit der Öffentlichkeit bei, der nicht mehr auf gesellschaftliche Belehrung oder auf Abgrenzung zu Nachbarwissenschaften setzte, sondern sich außerhalb und innerhalb der Hochschulen kooperativ und interaktionsfreudig zeigte. Mit gut 360 Professuren ist die PW derzeit an den deutschen Universitäten passabel ausgestattet. Hinzu kommt ein nicht spezifizierbarer Anteil an politikwissenschaftlich ausgerichteten Professuren unter den gut 500 HochschullehrerInnenstellen, welche statistisch als „sozialwissenschaftlich“ klassifiziert werden.

Seit den 1990er-Jahren hat sich die deutschsprachige Disziplin insbesondere in den Teilbereichen Vergleichende PW, Methoden und Internationale Beziehungen (IB) weiter ausdifferenziert (Bernauer et al. 2018). Die Entfaltung und Ausdifferenzierung der IB als Teilbereich der PW ist seit den 1970er-Jahren sichtbar. IB-Professuren umfassen heute schätzungsweise ein Drittel aller Professuren in der PW.

Quantitative methodische Herangehensweisen gewannen u. a. durch eine stärkere Internationalisierung an Bedeutung, vorwiegend durch Einflüsse aus der US-amerikanischen PW. Auch die generelle Zunahme (internationaler) politikrelevanter Datensätze stärkten quantitative empirische Herangehensweisen. Heute scheinen die ab den 90er-Jahren zu beobachtenden Grabenkämpfe zwischen qualitativ und quantitativ arbeitenden ForscherInnen tendenziell überwunden zu sein, allzumal kombinierte Methodennutzungen („mixed methods“, Triangulation) als positiv wahrgenommen werden.

Als ein Teil der Konsolidierung ist auch die Internationalisierung des Faches zu nennen, die in allen Teildisziplinen sichtbar ist. Hier gilt es zu unterscheiden zwischen dem akademischen Diskurs und strukturellen Entwicklungen: Im Forschungsalltag der PW in D ist die aktive Mitwirkung an internationalen Konferenzformaten, wie bspw. dem 1970 gegründeten European Council of Political Research (inzwischen European Consortium for Political Research, ECPR), für alle Subdisziplinen des Faches zur Normalität geworden. Auch internationale Karrerieverläufe dt. PolitikwissenschaftlerInnen haben zugenommen. Jedoch ist die Internationalisierung sowohl in den Studiengängen als auch im festen Stellenpool der universitären PW in D weiterhin erheblich ausbaufähig.

Jüngere Tendenzen in der dt. PW

Globale Zäsuren und Prozesse prägen die dt. PW ebenso wie jene in anderen Staaten. Seit dem Ende des klassischen Ost-West-Konfliktes lässt sich aufgrund der Analyse von Transformation, Konsolidierung oder Hybridisierung von Regierungssystemen in verschiedenen Weltregionen ein anhaltender Bedeutungsgewinn der vergleichenden PW erkennen. PW als „Demokratiewissenschaft“ erlebt überdies einen Aufschwung durch Debatten zur Post-Demokratie oder durch Re-Autokratisierungstendenzen von bislang als konsolidiert erachteten Demokratien. Zudem hat die Befassung mit Demokratie-Indizes an Bedeutung gewonnen. Seit den 90er-Jahren wird auch die Fragilität von Staatlichkeit, bis hin zu gescheiterter Staatlichkeit (failed states), in verschiedenen Teildisziplinen verstärkt erforscht.

Die globalen Folgen der Terroranschläge vom 11. September 2001 führten in den IB zur Zunahme sicherheitspolitischer Themen verschiedenster Ausrichtungen (Berg-Schlosser 2016). Außerdem verstärkte sich die Bedeutung von Postcolonial Studies für die PW, also der zunehmenden theoretischen und empirischen Reflexion westlicher Hegemonialität.

Zu den prozesshaften Veränderungen in der PW zählt seit den 90er-Jahren der „governance“-Bezug verschiedener Teildisziplinen, folglich ein komplexeres Verständnis von politischer Steuerung sowohl in der vergleichenden PW (bspw. partizipatives Regieren) wie in der Europaforschung (Multi-Level-Governance) und in den IB (Global Governance).

Geschlechterbezogene Themen fanden in wissenschaftlicher Hinsicht und in Fragen der Gleichstellung seit den 90er-Jahren ihre sichtbare institutionelle Verortung im Fachverband und im Fachdiskurs (bspw. durch die Fachzeitschrift Femina Politica). Die Perspektive auf die bundesdt. PW war in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg nach wie vor männlich dominiert (siehe bspw. den Frauenanteil unter den Gewürdigten und den AutorInnen in Jesse und Liebold 2014). Zudem gilt auch für die PW, wie für viele andere Fächer, eine Unterrepräsentanz von Frauen, die zunimmt, je gehobener die akademische Position ist. So liegt heute der Frauenanteil in der PW unter den ProfessorInnen bei 31 % und auf MitarbeiterInnenebene bei 44 % (Statistisches Bundesamt 2018).

Bis in jüngere Zeit begleiten die deutsche PW zudem Prozesse der Selbst-Verortung und Selbst-Vergewisserung. So vergab die DVPW zwischen 2003 und 2012 den Theodor-Eschenburg-Preis an dt. PolitikwissenschaftlerInnen für ihr Lebenswerk. Nach kontroversen fachinternen und öffentlichen Diskussionen zu neueren Erkenntnissen über die Tätigkeit Eschenburgs während der NS-Zeit wurde der Preis 2013 abgeschafft.

Herausforderungen und Perspektiven

Der dt. PW lässt sich in ihrer modernen inhaltlichen und methodischen Ausdifferenzierung sowie in ihrer konsolidierten Internationalisierung ein wettbewerbsfähiges Leistungspotential bescheinigen. Ausbaufähig ist jedoch die Internationalisierung der universitären Ausbildung in der dt. PW sowohl in Bezug auf Mobilität als auch in Bezug auf englischsprachige Lehre. Zudem gibt es wiederkehrende Diskussionen, ob zentrale deutschsprachige Fachzeitschriften (wie die Politische Vierteljahresschrift, PVS oder die Zeitschrift für Internationale Beziehungen, zib) zur Stärkung internationaler Sichtbarkeit auf Englisch erscheinen sollen. Andere Organe, wie die Zeitschrift für Politik (ZfP) und die Zeitschrift für Vergleichenden Politikwissenschaft veröffentlichen in beiden Sprachen.

Derzeit gibt es keine Anzeichen, dass der Umfang der Professuren, Studiengänge oder Fördermittel systematisch abnehmen würde. Allerdings ist der Mangel an längerfristigen wissenschaftlichen Beschäftigungsoptionen problematisch für die Nachwuchsrekrutierung. Überdies bestehen innerhalb der PW, wie ebenfalls in anderen Fächern, Sorgen in Bezug auf eine „Zweiklassen-Wissenschaft“ zwischen Universitätsstandorten durch Ressourcen-Bündelungen im Zuge der bundespolitischen wissenschaftlichen Exzellenzpolitik.

In inhaltlicher Hinsicht ist das Fach von einer Tendenz zur Ent-Ideologisierung geprägt. Zuweilen gibt es Befürchtungen, die PW würde sich dabei inhaltlich und methodisch in apolitischen kleinteiligen Themensetzungen verlieren. In Bezug auf die aktuelle Methoden- und Theorievielfalt ist Akzeptanz bis hin zu Wertschätzung dieser Pluralität ein jüngeres Merkmal.

Thematisch hat sich die deutsche PW weiterhin jüngeren Herausforderungen wie der Krise des Parteiensystems, der Zunahme von Rechtspopulismus und grundlegenden Fragen sozialer Gerechtigkeit zu stellen, die zur De-Legitimierung der demokratischen Ordnung beitragen können.

Im internationalen Kontext stellen die Schwächung globaler Ordnungsstrukturen sowie jüngere sicherheits-, handels-, migrations- oder klimapolitische Dynamiken thematische Herausforderungen dar. Sowohl auf nationaler wie auf europäischer und internationaler Ebene spielen De-Legitimierungen bestehender Strukturen und Mechanismen eine zentrale Rolle.

Zu den jüngsten Herausforderungen, denen sich das Fach zu stellen hat, zählt eine neuartige Infragestellung wissenschaftlicher evidenzbasierter Erkenntnisse, einhergehend mit einer zunehmenden Wissenschafts-Skepsis. Am sichtbarsten wird der zunehmende öffentliche Druck anhand der AfD-seitigen Infragestellung der Gender Studies.

Insgesamt ist die Entfaltung gerade der PW wesentlich von freiheitlichen Grundstrukturen abhängig, denn sie bilden den Rahmen für politikwissenschaftliche Bemühungen in Forschung und Lehre.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Wilhelm Bleek

Fussnoten