Funktionen
In den → politischen Systemen der Gegenwart hat sich der Umfang der wissenschaftlichen Beratung politischer Entscheider*innen erheblich ausgeweitet. Die Träger*innen der Politikberatung, Expert*innen aus Forschungs- und Beratungsinstituten, verfolgen dabei das Ziel, ihre Adressat*innen, Fachbeamt*innen und Politiker*innen, über das Umfeld und die Auswirkungen politischer Entscheidungen zu informieren. Dabei nimmt die Politikberatung. zwei Funktionen wahr: Information und Legitimation. Im ersten Fall dienen die Gutachten und sonstigen Hinweise der Expert*innen dazu, Informationsdefizite von Verwaltung und Politik zu beseitigen; im zweiten Fall, beabsichtigte politische Entscheidungen durch empirische Analysen zu bestätigen oder bereits vollzogene Handlungen fachlich zu legitimieren.
In Deutschland hat sich die Politikberatung überwiegend etatistisch und verwaltungsbezogen entwickelt. Adressatin der Mehrzahl der Stellungnahmen der Experten*innen ist hier die Verwaltung. Diese Informationen werden durch Beiräte, Sachverständigenausschüsse, staatliche und kommerzielle Forschungsinstitute, Universitätseinrichtungen und einzelne Expert*innen erarbeitet und im Rahmen offizieller, ständiger Beratung, ferner durch Einzelaufträge und informelle Gespräche bereitgestellt. Das Verhältnis zwischen Beratenden und Beratenen wird in Wissenschaft und Praxis kontrovers beurteilt.
Modelle
Die sozialwissenschaftliche Diskussion um das Verhältnis von Wissenschaft und Praxis hat drei Modelle wissenschaftlicher Politikberatung aufgezeigt: das technokratische, das dezisionistische und das pragmatische Modell. Diese Modelle und die Diskussion um die ihnen zugrunde liegenden wissenschaftstheoretischen und politischen Perspektiven haben die sozialwissenschaftliche und politische Diskussion nachhaltig geprägt.
Das technokratische Modell
Grundlage des technokratischen Modells sind die Ideen Saint-Simons, der von der Vorstellung eines rational-deduktiv erfahrbaren, mechanistischen Weltmodells ausging, das die individuellen Verhaltensweisen als Elemente eines technischen Zusammenhanges begreift. Der Saint-Simonismus unterstellt zwei Annahmen: 1. Die menschlichen Bedürfnisse und die menschlichen Fähigkeiten sind konstant. 2. Die Ausnutzung des natürlichen Leistungsvermögens hängt von der Menge des verfügbaren Wissens ab.
In den Vereinigten Staaten wurde die Technokratie-Diskussion vor allem von Veblen und Scott bestimmt. Die Analyse des gegenwärtigen Gesellschaftssystems sollte zur Entfaltung eines sozialen Modells führen, das eine wirksame Koordination von Produktion und Distribution ermöglicht und eine Nutzung knapper Energiequellen gewährleistet. Diese Gedanken wurden in Deutschland von Schelsky aufgegriffen und zu der Behauptung verdichtet, die Konstruktion der wissenschaftlich-technischen Zivilisation habe traditionelle Herrschaftsverhältnisse als Macht von Personen über Personen obsolet werden lassen. An die Stelle politischer Normen seien Sachgesetzlichkeiten der wissenschaftlich-technischen Zivilisation getreten. Da diese nicht als politische Entscheidungen im traditionellen Sinne verstanden werden könnten, verliere auch die Idee der → Demokratie ihre klassische Substanz: An die Stelle des Volkswillens trete die Sachgesetzlichkeit.
In seiner Kritik des technokratischen Modells betont Lompe, der/die Wissenschaftler/in könne dem/der Politiker/in das Entscheidungsrisiko nicht abnehmen und keine fertigen Rezepte liefern, deren Zuverlässigkeit außer Zweifel stände. Da in fast allen politischen Entscheidungsbereichen nahezu unbegrenzten technischen Möglichkeiten begrenzte Budgets gegenüberstünden, werde „technische Machbarkeit“ durch „politische Wünschbarkeit“ relativiert. Weil politische Entscheidungen in offenen → Gesellschaften und pluralistischen Demokratien aufgrund unterschiedlicher Interessen und Ideologien verschieden beurteilt würden, könne „politische Wünschbarkeit“ nicht sachlogisch hergeleitet werden. Die dem technokratischen Modell zugrunde liegende These, Politik werde im technischen Staat weggeregelt und politische Herrschaftsdisziplin damit zur wissenschaftlichen Sachdisziplin, überschätzt daher die Konsensfähigkeit wissenschaftlich geleiteten Problemlösungsverhaltens. Technische Argumente pflegen sich nicht wertfrei, interessenungebunden und „unideologisch“ durchzusetzen. Ihre Durchsetzung hängt vielmehr von Grundsatzentscheidungen der politisch Verantwortlichen ab. Über die diesen zugrunde liegenden Wertsysteme kann nicht im Namen der Wissenschaft verbindlich entschieden werden.
Das dezisionistische Modell
In der Tradition der Rechtswissenschaft bezeichnet „Dezisionismus“ (von lat. decidere = abschneiden) die rechtsverbindliche Entscheidung eines Streitfalles durch Gesetz oder Richterspruch. In den Sozialwissenschaften bringt der Begriff demgegenüber ein bestimmtes Verhältnis von Wissenschaft und Politik zum Ausdruck. Dem dezisionistischen Modell liegen die wissenschaftstheoretischen Vorstellungen Max Webers, insbesondere seine Forderung nach einer scharfen Trennung von Sach- und Wertaussagen, zugrunde. Dieses Prinzip der Werturteilsfreiheit der Wissenschaft wurde vom Dezisionismus als Forderung der Ausklammerung von politischen Werten und Zielen aus dem Objektbereich der Wissenschaft überhaupt verstanden. So konnte dem Beitrag der Wissenschaft zu einer rationalen Auswahl von Mitteln für gegebene Ziele die Irrationalität der politischen Zielfindung gegenübergestellt werden. Das dezisionistische Modell ist somit durch eine strikte Trennung der Funktionen des/der Sachverständigen und der des/der Politiker/in gekennzeichnet. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass der Dezisionismus Beziehungen zwischen verfügbaren Techniken und praktischen Entscheidungen ignoriert und die öffentliche Mitwirkung der Bürger*innen auf die Legitimation der Führungsgruppen einschränkt. Die Notwendigkeit mittel- und langfristiger Planung verbietet jedoch Wertungen, die politischer Willkür überlassen werden. Die dezisionistische Betrachtung des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik übersieht, dass auch Wertentscheidungen Gegenstand wissenschaftlicher Kritik sein können, den Sachverstand fordern und nicht einem irrationalen Wertdezisionismus überantwortet bleiben dürfen. Die bloße Verständigung zwischen Wissenschaftler*innen und Politiker*innen erfordert auch eine Diskussion der Wertvorstellungen, Ziele und Interessen, die von den Mitgliedern der beiden Bezugssysteme vertreten werden. Ist aber die Notwendigkeit einer rationalen Politik und einer rationalen Diskussion zwischen Wissenschaft und Politik unbestritten, so ist ebenso eine Kommunikation in Wertfragen erforderlich. Dem Dezisionismus ist daher entgegenzuhalten, dass er die politische Beteiligung der Bürger*innen auf die Legitimation von Führungsgruppen beschränkt, die Notwendigkeit mittel- und langfristiger Planung ignoriert, konzeptionelle Politik verhindert, Wertentscheidungen wissenschaftlicher Kritik entzieht, dadurch den Erkenntnis- und Anwendungsbereich der Wissenschaft verkürzt, die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Politik erschwert und somit nicht in der Lage ist, den Beitrag der Wissenschaft zu einer rationaleren Politik zu entfalten und nutzbar zu machen.
Das pragmatische Modell
Ziel des pragmatischen Modells ist es, das empirisch-strategische Wissen der Wissenschaft und die Wertorientierung der Politik einer wissenschaftlich fundierten Diskussion zugänglich zu machen. An die Stelle einer strengen Trennung zwischen den Funktionen der Politiker*innen und der Berater*innen tritt ein kritisches Wechselverhältnis: Wissenschaftler*innen beraten die politischen Entscheidungsträger*innen, Politiker*innen beauftragen die Wissenschaftler*innen mit der Untersuchung praktisch bedeutsamer Fragen. Auf dieser Grundlage erstrebt das pragmatische Modell eine institutionelle Lösung des Problems wissenschaftlicher Politikberatung, die auf eine wechselseitige Aufklärung über wissenschaftlichen Kenntnisstand und praktische Erfordernisse zielt.
Den Begriff „pragmatisches Modell“ (ursprünglich: „pragmatistisches Modell“) hat Jürgen Habermas von der philosophischen Richtung des Pragmatismus abgeleitet. Dessen Vertreter (Pierce, Dewey, James u. a.) haben betont, dass die praktische Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnis nicht an Wertorientierungen gebunden sein muss, die der wissenschaftlichen Kritik entzogen bleiben. Vielmehr könnten auch überlieferte Wertvorstellungen pragmatischen Bewährungsproben unterworfen werden. Folglich besteht der Pragmatismus auf einer rationalen Diskussion der Beziehungen zwischen wissenschaftlich verfügbaren Techniken und praktischen Entscheidungen. Im Gegensatz zum Dezisionismus sieht das pragmatische Modell daher auch eine wissenschaftliche Diskussion politischer Wertentscheidungen vor.
Auf dieser Grundlage lassen sich die Wechselbeziehungen zwischen Wissenschaft und Politik durch folgende Beratungsstufen bestimmen (Lompe 1972):
Das jeweilige, oft umgangssprachliche Problem wird präzisiert.
Die Interpretation der Zielvorstellungen soll beteiligte Interessen, inhaltliche Zielbestimmungen und Zielkonflikte aufdecken.
Die Entscheidung für ein interpretiertes Zielsystem ist dadurch gekennzeichnet, dass Grundentscheidungen und abgeleitete Ziele widerspruchsfrei, überschneidungsfrei und in einer eindeutigen, klaren Rangordnung formuliert sind.
Die gegebene gesellschaftliche Situation wird beschrieben und erklärt, Entwicklungstendenzen werden analysiert und prognostiziert.
Auf dieser Grundlage werden diejenigen Handlungsmöglichkeiten ermittelt, die mit der vorgegebenen Rangordnung der Ziele vereinbar sind (Minimumlösung). Durch schrittweise Spezifizierung der Zielsetzungen bei mehreren Handlungsmöglichkeiten wird die jeweils beste Lösung ermittelt (Optimumlösung).
In der sechsten Stufe geht es darum, den wissenschaftlichen Lösungsvorschlag in die Sprache der Politik zu übersetzen und politische Handlungsalternativen zu verdeutlichen.
Praxis in Deutschland
Wissenschaftliche Politikberatung hat sich in Deutschland im Vergleich zu den USA insgesamt weniger durch gesonderte Institutionen (wie etwa große, fest etablierte Think Tanks) als vielmehr durch Beiräte und Kommissionen vielfältiger Art entwickelt, deren Arbeit überwiegend einer dezisionistischen Perspektive folgt. Es gibt hier keine Ideenagenturen oder Denkfabriken im amerikanischen Sinne, wohl aber lassen sich starke Tendenzen der Politisierung und Professionalisierung in Forschungsinstituten und → politischen Stiftungen erkennen. Hierin spiegelt sich zugleich ein Bedeutungsverlust der politischen → Parteien wider, die das Instrument der wissenschaftlichen Politikberatung mit Ausnahme einiger Politikfelder wie der Gesundheitspolitik nur wenig zu nutzen gewusst haben (Kuhne 2008). Insgesamt sind vielfältige Beratungsprozesse und Kooperationsformen zu erkennen, in denen politische und gesellschaftliche Akteure mit wissenschaftlichen Berater*innen zusammenwirken.
Da das Selbstverständnis der wissenschaftlichen Politikberatung und der beratenen Praktiker*innen divergiert, verwundert es nicht, dass Ergebnisse der Politikberatung sehr unterschiedliche Folgen aufweisen: Weithin unbeachteten Studien stehen solche gegenüber, die die praktizierte Politik rechtfertigen („Alibifunktion“). Neben Studien, die wegen unerwünschter Befunde geheim gehalten werden, finden sich veröffentlichte Untersuchungen, denen ein gewisser Einfluss auf politische Entscheidungen zuzusprechen ist. Dazu kommen Analysen, deren Geheimhaltung geradezu Voraussetzung ihrer Vergabe und Verwendung ist. Hieran zeigt sich, dass die wissenschaftliche Beratung der Politik im Spannungsverhältnis von Diagnose, Prognose, Handlungsempfehlung und Prävention stattfindet. Findet ein wirklicher Dialog zwischen Ratgeber*innen und Berater*innen im Sinne des pragmatischen Modells statt, kann dieser für Politik und Wissenschaft trotz unterschiedlicher Funktionslogiken eine Bereicherung darstellen.
Die institutionellen Voraussetzungen der Politikberatung weisen aus international vergleichender Perspektive in Deutschland einige Besonderheiten auf (Fretschner und Hilbert 2006, S. 69):
Die Dezentralisierung der Standorte,
die Dominanz staatlicher Finanzierung,
den Primat der Wissenschaftlichkeit gegenüber Medienpräsenz und Politiknähe und;
die Konzentration auf Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik
Die Infrastruktur der Politikberatung hat sich in Deutschland immer weiter ausdifferenziert. Dieser Prozess der Pluralisierung hat sich sowohl in den Formen der Beratung wie auch in ihrer politischen Verortung niedergeschlagen. Zugleich hat sich die Spannweite der Beratungsformen erheblich ausgeweitet (Rudloff 2004). In Fragen der → Außen- und Sicherheitspolitik werden Regierung und Parlament von der „Stiftung Wissenschaft und Politik“, der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“ und dem „German Institute of Global and Area Studies“ (GIGA) mit seinen Instituten für Afrika-, Asien-, Lateinamerika- und Nahost-Studien beraten. Der Dialog dieser Institutionen mit Politik und Verwaltung reicht über die Präsentation von Studien hinaus und findet häufig in Gestalt von Arbeitskreisen und Gesprächsrunden aus → Abgeordneten, politischen Planer*innen und Expert*innen statt. Vielfältige Kontakte und Netzwerke verzahnen so die Erkenntnislogik der Wissenschaft mit der Handlungslogik der Außenpolitik. Die neuen Netzwerke bieten wiederum neue Chancen des Dialogs der operativen Politik mit der Wissenschaft.
Die Geschichte der Politikberatung in Deutschland lässt sich als wissenschaftliche Regierungsberatung hinter verschlossenen Türen (1949–1969) darstellen, in einer zweiten Phase als Regierungs- und Öffentlichkeitsberatung unter zunehmender Einbeziehung der Öffentlichkeit (1969–1989) und schließlich als wählermarktnahe Beratung in der Öffentlichkeit (1989 bis heute) (Falk und Römmele 2009). Wichtige Akteure der Politikberatung sind: Kommunikationsagenturen, Beratungsfirmen, Stiftungen, wissenschaftliche Institute, Expert*innenkommissionen, Beiräte, Think Tanks, Einzelberater*innen und Marktforschungsinstitute. Ihre zentralen Formen der Einflussnahme sind Politiker*innenberatung, Verwaltungsberatung und Publikumsberatung (Steiner 2009). In diesen sich stetig erweiternden und ausdifferenzierenden Netzwerken wirken verstärkt auch private Beratungsunternehmen und Think Tanks mit, die vielfach eine größere Praxisnähe als die wissenschaftlichen Beratungsinstitute für sich in Anspruch nehmen. Hierbei verwischen sich gelegentlich die Grenzen zur „Politikberatung von innen“ (Korte und Fröhlich 2006), zu der die Zuarbeit von Planungsabteilungen, informelle Netzwerke zur Zielfindung, „runde Tische“, persönliche Berater*innen und Vertreter*innen der Medien zu zählen sind. So wird die Regierungsweise modernisiert, der Primat der Politik aber unterlaufen.
Zusammenfassend lässt sich Politikberatung als Medium der Problemerkennung und als „Frühwarnsystem“ verstehen, das der Vorbereitung politischer und administrativer Entscheidungen dient, zwischen divergierenden Interessen vermittelt und letztlich Kontrolle und Legitimation politischer Entscheidungen gewährleistet. Zwischen der Handlungslogik von Politik und Verwaltung und der Unabhängigkeit der Berater*innen besteht jedoch ein Spannungsverhältnis.
Perspektiven
In der Praxis stößt der durch Politikberatung ermöglichte Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis auf zahlreiche Probleme: So vor allem konzeptionelle und sprachliche Hemmnisse bei der Umsetzung wissenschaftlicher Beratung in praxisrelevante politische Entscheidungsalternativen, die einseitige Interpretation von Daten und Forschungsgläubigkeit auf Seiten der Auftraggeber und schließlich das mangelnde wechselseitige Verständnis von Zielvorgaben, Arbeitsmethoden, Zeitbudgets und Informationsbedürfnis.
Was das Interesse der ratsuchenden Politik an substanziellen Empfehlungen für ausstehende Probleme betrifft, legt das starke Gewicht habitualisierter Deutungsmuster für die praktische Politik die Folgerung nahe, dass im Zweifel auf klassisches Beratungswissen zurückgegriffen wird. (Martinsen und Rehfeld 2006)
Im Vergleich zu früheren Zeiten stoßen Wissenschaftler*innen auf ein höheres politisches Interesse an Ihrem Wissen, konkurrieren dabei aber mit einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure in einem immer komplexeren Markt.1 Die Nachfrage und das Angebot politisch relevanter Informationen haben sich dabei stärker ausdifferenziert drei Schwerpunkte der Politikberatung sind zu unterscheiden:
Die Policy-Beratung der materiellen Politik in unterschiedlichen Politikfeldern
Beratung der Prozesse der Politik (political consulting) mit kommunikativ-strategischer Perspektive,
Beratung bei der institutionellen Gestaltung des politischen Systems (Verfassung, Wahlrecht) als Politiy-Beratung.
Eine wachsende Bedeutung wird dabei den Expert*innenkommissionen beigemessen, die vielfach nur auf Zeit eingesetzt werden. Ein gemeinsames Problem der unterschiedlichen Formen der wissenschaftlichen Politikberatung ist dabei, dass nicht immer streng zwischen Erkenntnis und Interesse, Evidenz und Ideologie, wissenschaftlicher Distanz und großer Nähe zu advokatischer Politik unterschieden wird: Die wissenschaftlichen Beratungsergebnisse müssen evidenzbasiert und überprüfbar sein und den Stand der Forschung im Beratungsfeld reflektieren.
Politikberatung zeichnet sich insgesamt noch immer durch drei Defizite aus: das Transparenzproblem, d. h. die mangelnde Durchsichtigkeit für Parlament, Medien und Öffentlichkeit; das Pluralitätsproblem, d. h. die mangelnde Vielfalt von wissenschaftlichen Erkenntnisperspektiven und praktischen Beratungsinteressen; und das Publizitätsproblem, d. h. die fehlende Verpflichtung der politischen Institutionen zur Veröffentlichung von Beratungsergebnissen. Mit dem Problem eingeschränkter Pluralität ist die oft fehlende Interdisziplinarität der Beratungspraxis eng verknüpft, da nur selten Vertreter*innen verschiedener Disziplinen beteiligt werden. Zugleich werden die Grenzen zwischen Politik und Wissenschaft fließend. Während in diesem Beratungsprozess die Politik auch Sachkompetenz einbringt, übernimmt die Wissenschaft auch ein Mindestmaß an Bewertungskompetenz und damit auch Verantwortung für das Ergebnis der Beratung: die politische Entscheidung. Umso notwendiger sind Diskurse zwischen Wissenschaftler*innen und Politiker*innen zu anstehenden und künftigen Fragen politischer Entscheidungen.
Hier setzt die ethische Politikberatung an, der viele in der Tradition Max Webers mit Skepsis begegnen, weil sie die Erörterung moralischer Grundsatzfragen der Politik einer räsonierenden Öffentlichkeit vorbehalten wissen wollen. Dessen ungeachtet ist es das Ziel insbesondere dieser Politikberatung, die eigenverantwortliche Urteils- und Entscheidungskompetenz politischer Akteure zu stärken und die normativen Dimensionen alternativer politischer Programmentwürfe einem offenen Diskurs zugänglich zu machen. Um einseitigen Stellungnahmen und Verwertungen entgegenzuwirken, sollten die Beratungsergebnisse veröffentlicht, die Kriterien der Auswahl von Expert*innen offengelegt, Unabhängigkeit und Verantwortung der Berater*innen gesichert und die Wahrnehmung der Beratungsfunktionen zeitlich befristet werden. Durch eine breite Ausbildung und eine nicht auf wenige Disziplinen beschränkte Rekrutierung des Verwaltungsnachwuchses ist außerdem sicherzustellen, dass die Verwaltung die Ergebnisse wissenschaftlicher Beratung angemessen verarbeiten kann. Nur unter diesen Voraussetzungen kann Politikberatung auf Dauer einen wertvollen Beitrag zur politischen Planung und zur Früherkennung gesellschaftlicher Probleme leisten: durch die Erstellung von Problemanalysen, die Abschätzung sozialer und technologischer Trends, Zielanalysen und -bewertungen, das Aufzeigen alternativer Handlungskonzeptionen und die Evaluierung politischer Maßnahmen. So wird Politikberatung zu einem Instrument rationaler Politik: durch einen Reflexionsdiskurs, der auf der Klärung von Sachverhalten beruht, und außerdem durch einen Gestaltungsdiskurs, der auf die Bewertung von Handlungsoptionen abzielt.
Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Paul Kevenhörster