Begriff und historischer Hintergrund
Obwohl der Begriff Mitbestimmung (Mb) im Hinblick auf Träger und Objektbereich offen ist, wird er meist auf Mb der Arbeitnehmer in der Wirtschaft eingeengt. Im Folgenden wird unter Mb jede institutionalisierte Teilhabe der Arbeitnehmer an der Leitung und Gestaltung des Wirtschaftsprozesses verstanden. Die von den Gewerkschaften propagierte „paritätische“ Mb erscheint daher nur als eine spezielle, nämlich gleichgewichtige Form.
Mb-Forderungen und -Konzepte haben in D eine lange Tradition. Nach vergeblichen Vorstößen einer Minderheit in der Frankfurter Nationalversammlung 1848 (gewählte Fabrikausschüsse und mehrstufige Gewerbekammern) wurde in Art. 165 der Weimarer Reichsverfassung die gleichberechtigte Mitwirkung von Arbeitern und Angestellten „an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte“ gefordert und ein abgestuftes System von Arbeiterräten sowie deren Beteiligung an Wirtschaftsräten bis hin zu einem Reichswirtschaftsrat mit Gesetzesinitiativrecht vorgesehen. Verwirklicht wurden vor allem Betriebsräte, die begrenzte Mitwirkungsrechte erhielten und ein bis zwei Mitglieder in die Aufsichtsräte der Kapitalgesellschaften entsenden konnten. Der Reichswirtschaftsrat dagegen, in dem neben den dominanten Arbeitgeber- und Arbeitnehmergruppen z. B. auch Vertreter der freien Berufe, der Verbraucher und Sachverständige berücksichtigt wurden, blieb wirkungslos. Programmatisch legte sich der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) 1928 auf das Konzept der Wirtschaftsdemokratie als Weg zum Sozialismus fest, in der umfassende Mb insbesondere mit partieller Vergesellschaftung der Produktionsmittel und planwirtschaftlicher Lenkung kombiniert wurde.
Der politische Kampf um die Mb in der BRD
In der BRD wurden die Mb-Regelungen sowohl zu einem charakteristischen Merkmal der Wirtschafts- und Sozialordnung als auch zum Objekt einer politischen Dauerauseinandersetzung. Der DGB knüpfte auf seinem Gründungskongress 1949 programmatisch an Weimar an und legte ein Konzept vor mit den drei Kernelementen zentrale volkswirtschaftliche Planung, „Mitbestimmung der organisierten Arbeitnehmer in allen personellen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen der Wirtschaftsführung und Wirtschaftsgestaltung“ sowie Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum. Da mit der Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft zentrale Planung und Vergesellschaftung chancenlos wurden, rückte die Mb ins Zentrum der gewerkschaftlichen Forderungen. Sie wurde mit vier, teils umstrittenen Begründungen untermauert: Demokratisierung der Wirtschaft, Machtkontrolle, gleichberechtigtes Verhältnis von Kapital und Arbeit sowie Humanisierung der Arbeitswelt. Diese haben u. a. Konsequenzen für die vorrangigen Ebenen der Mb. Ungeachtet möglicher weiterer Ausdifferenzierungen werden in der Regel vier potenzielle Ebenen unterschieden: Arbeitsplatz, Betrieb, Unternehmen, Gesamtwirtschaft. Der DGB hat stets die wechselseitige Abhängigkeit und Verzahnung der verschiedenen Ebenen der Mb betont und in seinem Konzept grundsätzlich alle Ebenen einbezogen. Die politische Auseinandersetzung hat sich allerdings auf die Betriebs- und Unternehmensebene konzentriert.
Unmittelbar nach Kriegsende wurde unter für die Gewerkschaften günstigen politischen Rahmenbedingungen unter alliierter Kontrolle in den Eisen- und Stahlwerken eine gewerkschaftlichen Wünschen entsprechende paritätische Mb eingeführt. Nach Rückfall der Zuständigkeit an die dt. politischen Akteure gelang es den Gewerkschaften, unter Generalstreikdrohung das Montanmitbestimmungsgesetz von 1951 für den Kohle- und Stahlbereich durchzusetzen, das sich weitgehend am Modell der alliierten Treuhandverwaltung orientierte. Charakteristika sind ein paritätisch von Kapital und Arbeit besetzter Aufsichtsrat, wobei ein von beiden Seiten zu wählender „Neutraler“ eine Pattsituation verhindern soll, sowie ein vom Vertrauen der Arbeitnehmervertreter abhängiger „Arbeitsdirektor“ im Vorstand und eine starke Position externer Gewerkschaftsvertreter auf der Arbeitnehmerbank.
Weit hinter den gewerkschaftlichen Forderungen zurück blieb dagegen das Betriebsverfassungsgesetz von 1952. Es sieht auf Unternehmensebene nur eine Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat von Kapitalgesellschaften vor. Der Schwerpunkt liegt aber auf der Betriebsebene, wo für Betriebe ab fünf Arbeitnehmern ein Betriebsrat vorgesehen ist, der im Wesentlichen paritätische Rechte bei sozialen Fragen (z. B. Arbeitszeit, Urlaub), schwächere Kontrollrechte bei personellen Fragen (z. B. Einstellungen, Kündigungen) und sehr schwache Informations- und Beratungsrechte in wirtschaftlichen Fragen besitzt. Das Betriebsverfassungsgesetz ist 1972, 1989 und 2001 unter unterschiedlichen Regierungskoalitionen novelliert worden, wobei die Mb-Rechte auf Arbeitsplatz- und Betriebsebene verstärkt worden sind. 1989 sind in Verbindung mit der Novellierung vom DGB bekämpfte Sprecherausschüsse für leitende Angestellte neben dem Betriebsrat verankert worden. Die Regelungen zur Mb auf Unternehmensebene des Betriebsverfassungsgesetzes sind im „Drittelbeteiligungsgesetz“ 2004 neu gefasst worden.
Politische Bewegung in die Mb auf Unternehmensebene kam mit dem Eintritt der den DGB-Forderungen nahestehenden SPD in die Regierung der Großen Koalition 1966, die sich mit der Berufung einer Sachverständigenkommission erst einmal zeitlichen Spielraum verschaffte. Bericht und Vorschläge der „Biedenkopf-Kommission“ haben zwar, anders als wohl von der Kommission erhofft, wenig zur Befriedung beigetragen, die weitere Diskussion in Einzelpunkten aber beeinflusst. Das heftig umstrittene „Mitbestimmungsgesetz“ von 1976 für Unternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten ist charakterisiert durch Verzicht auf den „Neutralen“ und eine formale Parität im Aufsichtsrat, die aber durch den Stichentscheid des im Normalfall von der Kapitalseite gestellten Aufsichtsratsvorsitzenden und damit das Letztentscheidungsrecht der Kapitalseite sowie die verbindliche Einbeziehung eines leitenden Angestellten in die Arbeitnehmerbank eingeschränkt wird. Der Arbeitsdirektor aus dem Montanmodell wird übernommen, benötigt aber nicht mehr die Stimmen der Arbeitnehmervertreter. Die Zahl der externen Gewerkschaftsvertreter, die sich zudem der Wahl im Unternehmen stellen müssen, wird verringert. Gegen das Mb-Gesetz ’76 haben die Arbeitgeber das Bundesverfassungsgericht angerufen – Begründung: Beeinträchtigung der Eigentumsgarantie, der Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie. In seinem Urteil von 1977 hat das Bundesverfassungsgericht die Klage zurückgewiesen, aber strikt vermieden, weitergehende Aussagen, wie zur Verfassungskonformität einer ausgeweiteten Montan-Mb, zu machen.
Betrachtet man die bunte Landschaft zur Mb in D, so können die vielfältigen gesetzlichen Regelungen, zu denen noch spezielle Personalvertretungsgesetze für den öffentlichen Dienst treten, insbesondere für die Unternehmensebene sachlich nicht befriedigen und sind nur als Ergebnisse politischer Kompromisse erklärbar. Bei den Hauptkontrahenten – den Gewerkschaften und Unternehmerverbänden – liegt eine typische Gegenmachtkonstellation vor, wobei die für D charakteristische Verrechtlichung der Arbeitsbeziehungen dazu geführt hat, dass der Bundesgesetzgeber – und damit die Parteien – im Zentrum der Beeinflussungsversuche stand. Tarifvertragliche und unternehmensbezogene Vereinbarungen zur Mb haben bisher nur eine Nebenrolle gespielt.
Die Gesetzgebung zur Mb ist primär von der parteipolitischen Konstellation abhängig gewesen, jedoch sind auch die Gerichte und die Wissenschaft als Akteure in dieser zentralen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung mobilisiert worden. Die Gewerkschaften sind dabei insbesondere bei der „Besitzstandswahrung“ erfolgreich gewesen, insofern die Montan-Mb als ihr „Faustpfand“ durch immer neue Sicherungsgesetze im wesentlichen auch für die Konzerne aufrechterhalten worden ist, bei denen der Montanbereich nicht mehr das zentrale Tätigkeitsfeld bildet. Der wirtschaftliche Strukturwandel hat allerdings den gesamtwirtschaftlichen Stellenwert des Montanbereichs stark reduziert und damit auch den Einfluss des Montanmodells. Umfragen zeigen durchgängig, dass Mb allgemein in der Bevölkerung – stärker noch bei Arbeitnehmern und am stärksten bei Gewerkschaftsmitgliedern – Rückhalt findet, aber bei allen Gruppen nicht zu den vorrangigen Aufgaben gezählt wird und die Kenntnisse zudem gering sind. Ebenenbezogen zeigt sich eine klare Unterstützungshierarchie, und zwar entgegen der gewerkschaftlichen Prioritätensetzung mit Vorrang für Mb am Arbeitsplatz.
Wichtige Streitpunkte und Perspektiven
Die kritischen Diskussionspunkte für konkrete Modelle der Mb umfassen insbesondere:
Wo, d. h. auf welcher Ebene, soll Mb ansetzen?
Welche Unternehmen sollen erfasst werden? Das heißt, sind Differenzierungen nach Größe (strittig hier auch die Kriterien), Unternehmensrechtsform, Unternehmenszweck und -bereich (z. B. Ausklammerung der „Tendenzunternehmen“) angebracht?
Wer soll mitbestimmen? Zum Beispiel, Einbeziehung einer dritten Bank „öffentliches Interesse“ neben Kapital und Arbeit, Zulassung externer Gewerkschaftsvertreter, Differenzierung nach Arbeitnehmergruppen (Streitpunkt leitende Angestellte), Wahlmodus: direkt oder indirekt, Mehrheits- oder Verhälniswahl?
Was soll mitbestimmt werden? Differenzierung nach Objektbereich, wie soziale, personelle, wirtschaftliche Fragen?
Wieviel Mb, die „Gretchenfrage“ der Parität?
Wie soll mitbestimmt werden? Soll z. B. bei der Aktiengesellschaft nur beim Aufsichtsrat oder auch beim direkten Leitungsorgan Vorstand angesetzt werden?
Die Wirkungen der verschiedenen Regelungen sind auch wissenschaftlich umstritten. Eine grundlegende ideologische Streitfrage ist die nach dem Verhältnis von Mb (vor allem Montanmodell) und Wirtschaftsordnung, zugespitzt also nach dem systemstabilisierenden oder -überwindenden Charakter der Mb. Diese Kontroverse ist aber inzwischen abgeklungen, und vor dem Hintergrund der realen Entwicklung bleibt zumindest festzuhalten, dass die bisherigen Regelungen der Mb keine Systemtransformation bewirkt, die Wettbewerbsfähigkeit der dt. Wirtschaft anscheinend nicht merklich beeinträchtigt und keine größere Unternehmensflucht ausgelöst haben. Ob bestimmte Merkmale, z. B. positiv die geringe Streikhäufigkeit, negativ Abschottungstendenzen der betrieblichen Arbeitsmärkte, kausal mit Regelungen der Mb verknüpft werden können, bleibt weiterhin strittig.
Eine weitere Bestandsaufnahme und Perspektivenabklärung ist von einer gemeinsam von der Bertelsmann-Stiftung und der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung berufenen „Kommission Mitbestimmung“ 1998 vorgelegt worden. Betont wird die zunehmende „Verbetrieblichung“ der Mb, die Vielfalt der Mb-Kulturen durch die nach Branchen und Unternehmen sehr unterschiedliche Ausfüllung des gesetzlichen Rahmens und der verstärkte Anpassungsdruck durch veränderte Umwelt-, insbesondere Wettbewerbsbedingungen, seit Mitte der 90er-Jahre. Neue internationale Trends der Unternehmensstrategie und Arbeitsorganisation haben zur Verstärkung managementinduzierter Partizipationsformen auf der Arbeitsplatzebene mit dem Ziel größerer Flexibilität und Produktivität geführt – Stichworte Qualitätszirkel, total quality management, teilautonome Arbeitsgruppen. Offen bleibt dabei, inwieweit neue Formen direkter Arbeitnehmerpartizipation traditionelle Formen repräsentativer Mb beeinflussen – sie ergänzen, verändern, partiell mit ihnen konkurrieren. Die Kommission Mitbestimmung plädiert mit Blick nicht auf den Staat, sondern die aus ihrer Sicht Hauptakteure Betriebe, Unternehmen, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften für verstärkte Verhandlungslösungen in Form von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen bei Beachtung der Grenzen zwischen Tarifverträgen und Mb sowie einen dauerhaften politischen Dialog über Mb zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften.
Einen neuen staatlichen Vorstoß hat Bundeskanzler Schröder 2005 unternommen mit der Ernennung einer „Kommission zur Modernisierung der deutschen Mitbestimmung“, der unter Vorsitz wiederum von Kurt Biedenkopf Wissenschaftler sowie Vertreter der Gewerkschaften und Unternehmensverbände angehörten. Die Kommission endete im Streit. Der Ende 2006 vorgelegte, allein von den Wissenschaftlern verantwortete und von kritischen Stellungnahmen der Verbandsvertreter flankierte Endbericht betont die wachsende Bedeutung knapper, hoch qualifizierter Beschäftigter für die Unternehmen und sieht keinen grundlegenden Reformbedarf für die dt. Mb, plädiert aber für Änderungen im Detail (z. B. Einbeziehung im Ausland beschäftigter Belegschaften).
In internationaler Perspektive hat sich das dt. Mitbestimmungsmodell nicht als exportfähig erwiesen. Es steht in einem verschärften Wettbewerb unterschiedlicher nationaler gesellschaftsrechtlicher Modelle und corporate governance, wobei in Integrationsräumen wie der EU sich die Konkurrenzfrage in zugespitzter Form stellt. Mit stark auf unternehmensspezifische Vereinbarungen setzenden Regelungen der Mb im Rahmen der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea – SE) ist die pluralistische Angebotspalette innerhalb der EU noch erweitert worden und hat in Einzelfällen wohl auch zu einer „Mitbestimmungsflucht“ in diese Rechtsform geführt. Auf die Klage eines Kleinaktionärs (Fall TUI AG mit überwiegend im Ausland tätigen Beschäftigten), dass die Privilegierung in D tätiger Arbeitnehmer bei der dt. Mb gegen das Europarecht verstoße (Diskriminierungsverbot und Arbeitnehmerfreizügigkeit) hat der Europäische Gerichtshof 2017 entschieden, dass die dt. Regelungen mit dem Europarecht vereinbar seien. Die ökonomischen Auswirkungen des dt. MB bleiben bei den Verbänden wie auch in jüngeren Untersuchungen der Wissenschaft umstritten (u. a. pro: stärkere Orientierung auf Nachhaltigkeit, höhere Kapitalinvestitionsquote, bessere Krisenbewältigung; contra: Standortnachteil Ds insbesondere für Holdinggesellschaften, zu langsame und aufwändige Entscheidungsprozesse). Einigkeit besteht allerdings darüber, dass die Regelungen zur Mb bei grundlegend veränderten Rahmenbedingungen, insbesondere verstärkte Globalisierung und Digitalisierungsrevolution, vor einer neuen Bewährungsprobe stehen.
Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Uwe Andersen