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Ministerialbürokratie | bpb.de

Ministerialbürokratie

Stefan Machura

Begriff und Statistik

Die Ministerialbürokratie umfasst die in den Ministerien des Bundes sowie der Länder Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung und deren vielfältige Funktionen. Die Personalstatistik des Bundes weist im Tätigkeitsfeld „Politische Führung und zentrale Verwaltung“ 17.080 Beschäftigte aus. Für den Landesbereich wird eine Zahl von 76.470 Beschäftigten in diesem Feld genant (Stichdatum jeweils 30.06.2017, Statistisches Bundesamt 2018, S. 47). Im Hinblick auf die zentralen Funktionen der Ministerialbürokratie im politischen System können aber auch lediglich die im höheren Dienst in den Ministerien beschäftigten Beamten und Angestellten zur Gruppe der Ministerialbürokraten gezählt und die übrigen Mitglieder des gehobenen, mittleren und einfachen Dienstes als deren Hilfspersonal verstanden werden. Diese Ministerialbürokraten sind, bildlich gesprochen, das Zwischenglied zwischen politischer Führung und Verwaltung.

Aufbau

Die Organisation in den Ministerien ist entsprechend den herkömmlichen Regeln der Bürokratie, wie sie klassisch Max Weber (1980, S. 126–127) definiert hat, arbeitsteilig und hierarchisch (Mayntz 1997; Machura 2005). Die Kommunikation verläuft formal über den Dienstweg herauf bzw. herunter und wird durch ein striktes System von Mitzeichnungsrechten bis hin zur Farbe der Paraphen reglementiert.

Der Minister ist nicht nur als Mitglied der Regierung parlamentarischer Entscheidungsträger und Verantwortlicher für das Ministerium, sondern gleichzeitig als Dienstherr und Ressortchef dessen Spitze. Er gehört aber aufgrund seiner rechtlichen Stellung und insbesondere seines Rekrutierungsmusters nicht zur Ministerialbürokratie, sondern zur Gruppe der Berufspolitiker.

Dem Minister arbeitet im Ministerbüro ein kleiner Kreis von loyalen und vertrauten Beamten als persönliche Referenten und dergleichen zu, die mit seinem Ausscheiden wechseln. Die behördeninterne Leitung in den Ministerien nehmen ein oder mehrere Staatssekretäre wahr, die als beamtete Staatssekretäre oft in dem Ministerium Karriere gemacht haben, im Gegensatz zu den parlamentarischen Staatssekretären, die zur Gruppe der Politiker gehören und der Ministerialbürokratie der einzelnen Häuser mehr oder weniger erfolgreich angegliedert sind. Die mittlere Leitungsebene in den Ministerien bilden die Abteilungs- und Unterabteilungsleiter, die vor allem Koordinierungsfunktionen ausüben. Abteilungsleiter oder Unterabteilungsleiter wie Staatssekretäre sind „politische Beamte“, die das besondere Vertrauen der Regierung bzw. ihres Ministers besitzen. Politische Beamte können daher bei Verlust dieses Vertrauens ohne weiteres in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Diese Regelung macht im parlamentarischen Regierungssystem Sinn, stößt aber in der steuerzahlenden Öffentlichkeit immer wieder auf Unverständnis.

Die Grundeinheiten der Ministerien, zugleich deren eigentliche Arbeitseinheiten, sind die stark spezialisierten Referate, in großen Ministerien wie dem Bundesinnenministerium bis an die 100 an der Zahl. In den Referaten ist der Referatsleiter die zentrale Figur, dem seinerseits Referenten und Sachbearbeiter zuarbeiten. Die Referate wie die sie zusammenfassenden Unterabteilungen und Abteilungen betreuen in der Regel einen Ausschnitt des Aufgabengebietes der Ministerien, doch daneben stehen in allen Ministerien Zentral- und Stabseinheiten wie das Haushalts-, Zentral- und das Organisationsreferat. Das Organisationsdiagramm ist das wichtigste Hilfsmittel zum öffentlichen und wissenschaftlichen Verständnis von Aufbau und Funktionieren der Ministerialbürokratie.

Aufgaben

Traditionell obliegen den Verwaltungen mit den Ministerialbürokratien an der Spitze vor allem Aufgaben der Umsetzung und Ausführung von Gesetzen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Doch auch klassische Exekutivaufgaben beinhalten in der Industriegesellschaft der Gegenwart nur zum geringsten Teil reine Vollzugsfunktionen, sondern erfordern den technischen Sachverstand und die politische Entscheidungskompetenz der Ministerialbürokraten z. B. bei der Genehmigung von Fernstraßenbauten. Zu den verwaltungsinternen Begleitaufgaben der Arbeit gehört auch die Kontrolle bzw. Steuerung nachgeordneter Verwaltungseinheiten. Da nach dem Grundgesetz der Gesetzesvollzug durch einen gestaffelten Verwaltungsaufbau weitgehend Aufgabe der Länder ist, sind diese Exekutivaufgaben für die Ministerialbürokratien auf Länderebene typisch.

Im Bund und damit auch für dessen Ministerialbürokratien dominieren hingegen die gesetzgeberischen Funktionen. Die vom Parlament zu beratenden und ratifizierenden Gesetze gehen heute mehr denn je auf Entwürfe der Regierung und damit auf Vorlagen aus den Ministerien zurück. An erster Stelle der Funktionen der Ministerialbürokratie des Bundes steht daher die Programmentwicklung, d. h. die Erarbeitung von Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften. Bei Landesgesetzen und bei der Planungstätigkeit haben auch die Ministerialbürokratien der Länder umfassend quasi-legislative Aufgaben.

Erarbeitung von Gesetzesvorlagen und Vollzug von beschlossenen Gesetzen legen zumindest in den klassischen Ministerien des Innern, des Äußeren und der Justiz für die Beamten des höheren Dienstes die juristische Vorbildung nahe (sog. Juristenmonopol). Darüberhinaus werden auch Absolventen anderer Studiengänge, z. B. der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, beschäftigt. In den Justizministerien werden in großem Umfang abgeordnete Richter und Staatsanwälte eingesetzt, in den Kultusministerien abgeordnete Lehrkräfte.

Neben den Programm- und Vollzugsfunktionen stehen umfangreiche Koordinierungsfunktionen der Ministerialbürokratie. Ihre Mitglieder auf Bundes- bzw. Landesebene haben sich im System des kooperativen Föderalismus untereinander und zwischen Bund und Ländern abzustimmen. Dies geschieht in zahlreichen formellen Gremien wie den Ministerkonferenzen und dem Bundesrat, noch mehr aber in einem informellen Netzwerk der mit gleichen und ähnlichen Funktionen betrauten Ministerialbeamten. Der Verwaltungswissenschaftler Frido Wagener (1979) hat dafür den anschaulichen Begriff der horizontalen und vertikalen „Fachbruderschaften“ geprägt. Weiterer Koordinierungsbedarf, insbesondere für die Ministerialverwaltung des Bundes, besteht mit der europäischen Politikebene.

Herrschaftsfunktionen zwischen Gesellschaft und Politik

Aufgrund dieser vielfältigen Funktionen haben die Ministerialbürokratien eine Schlüsselstellung im Konsensbildungs- und Konfliktregelungssystem der BRD. Sie verfügen im Vergleich zu Parlament und Parteizentralen über den ausdifferenziertesten und kompetentesten Apparat zur Beschaffung komplexer Informationen und Beobachtung der gesellschaftlichen Wirklichkeit. So laufen die Vermittlung von Wünschen und Forderungen gesellschaftlicher Gruppen an Regierung und Parlament sowie umgekehrt die Mitteilungen politischer Entscheidungsträger an Interessenverbände wesentlich über die einschlägigen Organe der Ministerialbürokratien (Baruth und Schnapp 2015; Benzner 1989; Häußermann 1977; Mayntz 1997). Dabei profitieren die organisierten gesellschaftlichen Interessen von der Tatsache, dass sie sich in der Arbeitsteilung zwischen und innerhalb der Ministerien weitgehend widerspiegeln und auf diese Weise institutionalisierte Ansprechpartner haben. Zwischen einzelnen Fachverwaltungseinheiten und ihrer Verbandsklientel bestehen symbiotische Beziehungen in Bezug auf wechselseitige Informationsbeschaffung, gemeinsame Interessen an der Erhöhung des politischen Gewichts ihres Bereiches und selbst den Austausch des Personals. „Fast jede Arbeitseinheit eines Ministeriums ist un-mittelbar mit seiner jeweiligen gesellschaftlichen Umwelt verbunden“ (Mai 2016, S. 214).

Während die klassische Ministerialbürokratie, wie sie von den beamteten Trägern der preußischen Reformen des frühen 19. Jhs. verkörpert wurde, sich als eigenständiger, der Gesellschaft übergeordneter Staatsstand sah, hat sich die heutige Ministerialbürokratie weitgehend in die pluralistische Gesellschaft integriert und agiert als deren Dolmetscher im politischen Entscheidungsprozess.

Neben der Integration von Staat und Gesellschaft verkörpert sich heute in der Ministerialbürokratie auch die Vermischung der Bereiche von Politik und Verwaltung. Traditionellerweise wird die Ministerialbürokratie als Hilfsorgan der politischen Führung verstanden, arbeitet dieser durch Gesetzesentwürfe zu und führt deren Gesetzesentscheidungen aus. Doch heute fallen die politischen Entscheidungen vielfach schon in den Ministerien, wenn z. B. den parlamentarischen Entscheidungsträgern nicht eine ganze Palette gesellschaftlicher Informationen und alternativer Gesetzestexte, sondern nur ein in sich geschlossenes Legislativprogramm zugeleitet wird. Die Ministerialbürokraten entlasten auf diese Weise den überforderten parlamentarischen Entscheidungsprozess, gefährden aber auch dessen demokratische Grundprinzipien der Öffentlichkeit und Verantwortlichkeit.

Dieser politische Machtzuwachs der Ministerialbürokratie hat einen neuen Beamtentypus hervorgebracht.

Die „klassischen Beamten“ waren jeder Parteipolitik abgeneigt und verstanden sich als neutrales sowie kontinuitätssicherndes Ausführungsorgan der wechselnden politischen Entscheidungsträger. Noch immer finden sich Ministerialbeamte, die den politischen Grundaspekt ihrer Arbeit abstreiten und einer vorgeblich rein sachlich-juristischen oder sonst fachspezifischen Orientierung den Vorzug geben. Hingegen agieren heute viele Ministerialbeamte bewusst weitgehend als „politische Beamte“: Sie sind mehr problem- als regelorientiert und scheuen politische Gestaltungsfunktionen nicht (Steinkemper 1974). Es kommt es zu einer „Mischung“ der Typen (Bogumil und Jann 2020, S. 191). Hinter diesem Bedeutungszuwachs der Ministerialbürokratien stehen keine individuellen und kollektiven Machtanmaßungen ihrer personellen Träger, sondern tiefergehende gesellschaftliche und politische Veränderungsprozesse.

Probleme und Perspektiven

Politik in der Bundesrepublik durchlief einen Prozess der Bürokratisierung. Die Komplexität ihrer Aufgaben lässt sich nur durch Aufteilung in kleinere und damit überschaubare Projekte reduzieren, die dann durch den in den Ministerialbürokratien organisierten Sachverstand abgearbeitet werden. Die Ministerialbeamten wie insgesamt das politische System neigen zu einer Strategie der kleinen Schritte („Inkrementalismus“). Von den Referenten ausgearbeitete Vorlagen, die den behördeninternen Hindernislauf überstanden haben, werden von der politischen Leitung der Ministerien lediglich im Hinblick auf ihre Vorgaben überprüft, doch eine Auswahl unter Alternativen erfolgt selten. Da die politische Führung des Ministeriums und insbesondere der Minister weitgehend durch politische Reparaturarbeiten und Profilierungsaktionen in Anspruch genommen wird, fallen die Zielvorgaben für die Programmentwicklung in den Ministerialbürokratien oft unklar aus. Wenn inhaltliche Orientierungshilfen für die Arbeit der Referate fehlen, wird ihre Steuerung durch die Personalpolitik umso wichtiger. Obwohl Ministerialbeamte unterhalb der Ebene der „politischen Beamten“ nicht entlassen werden können, sorgt doch die Beförderung von politisch nahestehenden bzw. die Umsetzung von politisch nicht konformen Mitgliedern der Ministerialbürokratie insbesondere nach Regierungswechseln dafür, dass aus den Ministerien jene Vorlagen und Entscheidungen hervorgehen, die in das politische Programm der Regierung sowie der sie tragenden Parteien passen. So hat der Prozess der Bürokratisierung der Politik umgekehrt die Politisierung der Ministerialbürokratie zur Konsequenz. Ohne Zweifel sind die Ministerialbürokratien, zumindest ihre höheren Bediensteten, heute ein wichtiger Bestandteil des politischen Entscheidungsprozesses, ihre Teilhabe an der Herrschaft entspricht den Anforderungen an Sachverstand und Kontinuität, wirft aber auch gravierende Fragen im Hinblick auf demokratische Öffentlichkeit und parlamentarische Verantwortlichkeit auf. Sowohl die herkömmliche beamtenständische Ideologie der politikneutralen Exekutivfunktion der Beamtenschaft als auch die Behauptung der Alleinherrschaft der Ministerialbürokratie erscheinen überzogen. Es bedarf heute einer Sicht der zentralen Rolle der Ministerialbürokratie im politischen System, die zugleich die Realität aufnimmt und den Prinzipien parlamentarischer Demokratie genügt.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Stefan Machura

Fussnoten