Historischer Hintergrund
Das „Bindestrich“-Land SH hat eine lange und äußerst komplexe gemeinsame Geschichte und ist über die Jahrhunderte sowohl Brücken- und Bindeglied zwischen D und Skandinavien als auch Kampfplatz und Streitobjekt insbesondere im Verhältnis zu Dänemark gewesen. Fixpunkt war die anlässlich der Wahl des Königs von Dänemark zugleich zum Herzog von Schleswig und Grafen von Holstein im Ripener Freiheitsbrief (1460) enthaltene Zusicherung: „Dat se bliven ewich tosamende ungedelt“. Im Zusammenhang mit den nationalen Bewegungen im 19. Jh. kam es sowohl zu dem dänischen Expansionsversuch, Schleswig stärker in den dänischen Gesamtstaat zu integrieren („Eiderdänen“), als auch im Zuge der dt. Revolution 1848 zur niedergeschlagenen Erhebung in SH, mit der vergeblich versucht wurde, aus den drei Herzogtümern Schleswig sowie den dem Deutschen Bund angehörenden Holstein und Lauenburg ein vereintes dt. SH zu schaffen. Nach der Niederlage Dänemarks gegen Preußen und Österreich 1864 und dem Sieg Preußens gegen Österreich 1866 wurde SH zwar staatlich vereint, aber gegen den Willen weiter Teile der Bevölkerung nicht selbständig, sondern als Provinz in Preußen eingegliedert. Nach der Niederlage Ds im Ersten Weltkrieg wurde die schon 1866 vorgesehene, aber nicht durchgeführte Volksabstimmung in Grenzgebieten zu Dänemark nachgeholt. Die in ihren Einzelheiten umstrittene Volksabstimmung von 1920 führte zu einer dauerhaften Grenzverschiebung, bei der SH ein Fünftel seines Staatsgebietes verlor. Im Zusammehang mit der wirtschaftlichen Krisensituation gerade auch der Landwirtschaft in der Weimarer Republik wurde SH schon vor der Machtergreifung eine der stärksten Bastionen des Nationalsozialismus. Der Zweite Weltkrieg brachte mit der Besetzung Dänemarks eine weitere gravierende Belastung des Verhältnisses zum nördlichen Nachbarn, und die Niederlage führte kurzfristig auch zu einer Revitalisierung einer dänischen Option im Landesteil Schleswig, die allerdings nur bei einer Minderheit auf Resonanz stieß. Noch vor der formellen Auflösung Preußens durch den Alliierten Kontrollrat ernannte die britische Besatzungsmacht 1946 einen Landtag, der eine „vorläufige Verfassung“ erließ. Sie wurde 1949 durch eine vom gewählten Landtag beschlossene „Landessatzung“ (LS) abgelöst, die SH als „Glied“ – der Begriff Gliedstaat wurde bewusst vermieden – der BRD konstituierte.
Bevölkerung – Gesellschaft – Wirtschaft
SH als das nördlichste Bundesland zwischen Nord- und Ostsee ist mit 15.799 qkm der nach dem SL kleinste Flächenstaat Ds. Mit einer Bevölkerungszahl von 2,9 Mio. (2018) belegt es unter den Bundesländern den neunten, bei der Einwohnerdichte von 183 E. pro qkm den elften Rang. SH erlebte gegen Kriegsende bedingt durch Flüchtlinge und Vertriebene geradezu eine Bevölkerungsexplosion, was ungeachtet gleicher Nationalität zu erheblichen Spannungen zwischen Einheimischen und Zuwanderern führte. Die Bevölkerung nahm von 1,6 Mio. 1939 um mehr als 1 Mio. auf 2,7 Mio. 1949 zu. Bis Mitte der 50er-Jahre sank die Bevölkerung aufgrund freiwilliger und staatlich unterstützter Abwanderung auf 2,3 Mio., um seitdem bei Geburtendefiziten, aber leichten Wanderungsgewinnen (vor allem im Umfeld von HH) nur noch leicht anzusteigen. Mit 8,8 % (2018) hatte SH den geringsten Ausländeranteil unter den alten Bundesländern, primär aufgrund der geografischen Lage und der Wirtschaftsstruktur. Mit einer dänischstämmigen Minderheit vor allem im Grenzraum Flensburg und der friesischen Volksgruppe an der nördlichen Nordseeküste gibt es aber auch unter den dt. Staatsangehörigen Gruppen mit ausgeprägter eigenständiger Kultur und Sprache. Konfessionell ist SH ein eindeutig protestantisch geprägtes Land.
Die Wirtschaft in SH hat traditionell mit der Randlage und Strukturschwächen zu kämpfen. Obwohl der Produktions- und Beschäftigtenanteil im primären Sektor (Land- und Forstwirtschaft, Fischerei) relativ zum dt. Durchschnitt nach wie vor hoch ist, war SH bereits in der Startphase der BRD kein Agrarland mehr (1950 knapp ein Fünftel des BIP und gut ein Viertel der Beschäftigten). Im Zuge der landwirtschaftlichen Strukturveränderung musste mehr als die Hälfte der Betriebe aufgeben, während sich die durchschnittliche Betriebsfläche mehr als verdoppelte und die Zahl der Erwerbstätigen noch stärker abnahm. 2018 betrug der Anteil der Erwerbstätigen im primären Sektor 2,3 % bei einer Wertschöpfung von 1,3 %. Der im Vergleich zum dt. Durchschnitt schwache sekundäre Sektor – produzierendes Gewerbe – ist im Zuge der allgemeinen Entwicklung rückläufig und hat zudem mit speziellen Branchenkrisen zu kämpfen. Traditionelle Branchenschwerpunkte in SH sind der Schiffbau, Nahrungs- und Genussmittel sowie der Maschinenbau. Arbeitsplätze hat insbesondere die Werftenkrise, aber auch der Strukturwandel innerhalb der Textil- und Bekleidungsindustrie gekostet. 2018 war noch ein Fünftel der Erwerbstätigen im produzierenden Gewerbe beschäftigt. Der schon 1950 relativ zur BRD besonders hohe Anteil des tertiären Sektors ist ständig dominanter geworden und umfasste 2018 78,1 % der Beschäftigten. Dabei spielt der staatliche Sektor, bedingt u. a. durch die starke Stellung von SH als Bundeswehrstandort, eine wichtige Rolle. Bei der „weißen Industrie“ (Tourismus) wie auch bei der Windenergie nimmt SH bezogen auf die Einwohnerzahl eine führende Position unter den Bundesländern ein, regional konzentriert in den Kreisen Ostholstein und Nordfriesland. Beim Außenhandel liegt der Wirtschaftsaustausch mit Dänemark an der Spitze, und allgemein spielt Skandinavien eine wichtige Rolle. SH versucht zunehmend, auch eine wirtschaftliche Brückenfunktion zu Skandinavien zu übernehmen und hatte nicht zuletzt zur Überwindung seiner Randlage starkes Interesse an. der Norderweiterung der EU.
Trotz der Bemühungen, wirtschaftlich aufzuholen, liegt SH beim BIP pro Kopf (2018 33.555 €) unter den alten Bundesländern noch auf dem letzten Platz, während es bei der Arbeitslosenquote unter allen Bundesländern mit 5,5 % 2018 immerhin schon Platz 10 erreicht. Dabei ist allerdings die regionale Differenzierung innerhalb des Landes, insbeondere mit dem Wachstumsschwerpunkt im Umfeld von HH und der strukturschwachen Nordseeküstenregion zu berücksichtigen. Bei den Steuereinnahmen pro Kopf hat SH seine Situation auch relativ verbessert, profitiert aber weiterhin von den Gemeinschaftsaufgaben (insbesondere Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes). Die schwierige Finanzlage des Landes zeigt sich u. a. in einer hohen Pro-Kopf-Verschuldung (2018 12.158 €), die SH nach dem SL und NRW einen problematischen dritten Rangplatz unter den Flächenländern sichert. Nach der neuen Schuldenbremse im Grundgesetz müssen alle Länder die Neuverschuldung bis 2020 auf Null zurückführen. Zusammen mit vier weiteren finanzschwachen Ländern erhält SH eine Konsolidierungshilfe (von 2011–19 jährlich 80 Mill. €), sofern es seine Neuverschuldung in kontinuierlichen Raten abbaut.
Politisches System
Verfassung
Der erste gewählte Landtag SHs verabschiedete 1949 eine LS, die analog dem Grundgesetz (GG) nicht nur im Namen den vorläufigen Charakter betonte, sondern auch hinsichtlich der Geltungsdauer („… dem Tage, an dem die von Schleswig-Holstein erstrebte Neugliederung des Bundesgebietes in Kraft tritt“). Bewusst wurde die LS erst nach dem GG verabschiedet, so dass ein Großteil der Bestimmungen eng an das GG angelehnt und auf einen eigenen Grundrechtsteil verzichtet werden konnte. Im Gefolge der Barschel-Affäre 1987, einem der folgenreichsten politischen Skandale in der BRD, schlug der eingesetzte Untersuchungsausschuss strukturelle Konsequenzen vor, insbesondere eine Enquête-Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine umfassende Verfassungs- und Parlamentsreform. Der Schlussbericht dieser Enquete-Kommission wurde 1989 vorgelegt und bildete die Basis für eine grundlegende Verfassungsreform, die erste in der BRD. Die geänderte und nunmehr auch so bezeichnete Verfassung wurde nach erfolgreicher Kompromisssuche vom Landtag am 30.05.1990 einstimmig verabschiedet. Neue Elemente sind u. a. Staatszielbestimmungen, wie der Verfassungsrang für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und die Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern. Betont wird der Schutz der kulturellen Eigenständigkeit und der politischen Mitwirkung nationaler Minderheiten und Volksgruppen, wobei der nationalen dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe ausdrücklich ein Anspruch auf Schutz und Förderung eingeräumt wird (Art. 5).
Organisation des politischen Systems
Die geänderte Verfassung zeichnet sich auch durch den Versuch aus, sowohl die Partizipationsmöglichkeiten des Bürgers als auch die Rolle des Parlaments im Verhältnis zur Regierung sowie innerhalb des Parlaments die Stellung der Opposition zu stärken. Mit der Verfassungsänderung ist die Möglichkeit von Volksinitiativen (Anträge an den Landtag von mindestens 20.000 Stimmberechtigten), Volksbegehren (mindestens 5 % der Stimmberechtigten) und Volksentscheid (Mehrheit, aber mindestens ein Viertel der Stimmberechtigten) verankert worden.
Der aus 75 Abgeordneten – in der Regel voll alimentierte Berufspolitiker – bestehende Landtag wird in der Verfassung als das „oberste Organ der politischen Willensbildung“ (Art. 10) hervorgehoben. Aufgrund negativer Erfahrungen mit der Pattsituation nach der Landtagswahl 1987 erhielt der Landtag ein Selbstauflösungsrecht (mit Zwei-Drittel-Mehrheit). Auch die Rolle des einzelnen Abgeordneten ist gestärkt worden (z. B. Recht der Gesetzesiniative), Ausschüsse tagen nunmehr grundsätzlich öffentlich. Das Auskunftsrecht des Landtages gegenüber der Regierung ist massiv ausgebaut worden, bis hin zur Aktenvorlage (auf Verlangen von einem Viertel der Mitglieder). Entstehen dabei Konflikte mit der Regierung, wird ein neu geschaffener Einigungsausschuss eingeschaltet, und im Nichteinigungsfall bleibt der Regierung nur noch die Anrufung des Verfassungsgerichts. Auch die Rolle der Untersuchungsausschüsse und dabei die Stellung von Minderheiten ist gestärkt worden. In Art. 12 erhält die parlamentarische Opposition (sowie der Oppositionsführer als Fraktionsvorsitzender der stärksten Oppositionsfraktion) ausdrücklich Verfassungsrang und normativ das Recht auf politische Chancengleichheit. Die beabsichtigte Stärkung von Parlament und Opposition zeigt sich auch darin, dass die Präsidenten der oberen Landesgerichte und die Mitglieder des Richterwahlausschusses sowie die Spitze des Rechnungshofes mit Zwei-Drittel-Mehrheit vom Landtag gewählt werden.
Der ebenfalls vom Landtag gewählte Ministerpräsident ist in der Konstruktion stark am Modell des Bundeskanzlers orientiert (Ministerauswahl, Richtlinienkompetenz, konstruktives Misstrauensvotum). Anders als in der alten LS endet seine Amtszeit aber nunmehr mit dem Zusammentreten des neu gewählten Landtages. SH hat erst 2008 ein eigenes Landesverfassungsgericht eingerichtet, nachdem es vorher als einziges Bundesland bei Landeskonflikten entsprechend Art. 99 GG hilfsweise auf das Bundesverfassungsgericht zurückgegriffen hatte.
Auf der kommunalen Ebene zeichnet sich SH trotz seiner Gebietsreform durch eine weiterhin große Zahl von Gemeinden unter 500 E. aus, deren Verwaltungskraft durch die Kooperation in „Ämtern“ gestützt wird. Die Kommunalverfassung differenzierte lange nach Größe, insofern für die größeren Städte die Magistratsverfassung, ansonsten die Bürgermeisterverfassung galt. Mit der neuen Kommunalverfassung von 1990 wurden auch auf kommunaler Ebene Partizipationsrechte der Bevölkerung – z. B. Bürgerbegehren und -entscheid, Einwohnerantrag – ausgebaut, und nach 1996 ist mit der Einführung der Direktwahl des Bürgermeisters auch die Magistratsverfassung abgeschafft worden.
Parteien, Wahlen, Wählerverhalten
Im Vergleich zum restlichen D ist die Parteienlandschaft in SH etwas bunter. Das noch durch Lizenzierung von der britischen Besatzungsmacht kontrollierte Parteiensystem und das mehrheitsbegünstigende Wahlrecht führten bei der ersten Landtagswahl 1947 dazu, dass nur drei Parteien Mandate erhielten. Zur dominierenden politischen Kraft wurde die SPD, die mit 44 % 10 Prozentpunkte vor der CDU lag und mit einer klaren Mehrheit der Mandate allein die Regierung übernahm. Die schwierige Umbruchsituation brachte auch der Vertretung der dänischen Minderheit – SSV, 1948 in Südschleswigscher Wählerverband (SSW) umbenannt – mit fast 10 % einen beachtlichen Erfolg. Mit Aufhebung der Lizensierung bildeten sich weitere Parteien, und bei der Landtagswahl 1950 gelangten trotz Fünf-Prozent-Sperrklausel sechs Parteien in das Parlament. Spektakulär war insbesondere der Erfolg des Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), der bei der in SH besonders großen Gruppe der Flüchtlinge und Vertriebenen Resonanz fand und fast ein Viertel der Wähler hinter sich brachte. Zudem gelangten auch zusätzlich Deutsche Partei (DP) und FDP in den Landtag, während CDU und SPD jeweils 15 Prozentpunkte einbüßten. Mit der wachsenden wirtschaftlichen Stabilisierung und Integration der Vertriebenen nahmen aber die Stimmenanteile von CDU und SPD kontinuierlich zu, und ab 1962 kamen meist nur noch CDU, SPD und FDP über 5 %. Ausnahmen waren zeitweilige Erfolge der Rechtsparteien – Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 1967 bzw. Deutsche Volksunion (DVU) 1992 – sowie das Scheitern der FDP 1971, 1983 und 1988. Der SSW wurde nach seinem Scheitern bei der Landtagswahl 1954 von der Fünf-Prozent-Sperrklausel ausgenommen und ist seitdem bei einem Stimmenanteil von 1–4 % regelmäßig im Landtag vertreten.
SH ist von der Wählerstruktur her kein „geborenes“ CDU- oder SPD-Land, zumal die traditionellen Kernwählergruppen beider Parteien – Katholiken und Arbeiter – in SH nur wenig vertreten sind. Die Führung beider Parteien bei den Wählern hat mehrfach gewechselt, teilweise gegenläufig bei Landtags- und Bundestagswahlen. Dennoch hat die CDU von 1950 bis 1987 die Landesregierung geführt, ab 1971 sogar mit absoluten Mehrheiten als Alleinregierung. 1987 wurde die SPD erstmals seit 1954 wieder stärkste Partei, und es kam zu einer Pattsituation im Landtag sowie dem Skandal um den CDU-Ministerpräsidenten Barschel. Die Bereinigung der Krise über Neuwahlen führte zur absoluten Mehrheit der SPD und einem Absturz der CDU auf ein Drittel der Stimmen. Bei der Landtagswahl 1992 verlor die SPD zwar ihre absolute Mehrheit der Stimmen, blieb aber mit 12 Prozentpunkten vor der CDU und konnte ihre Alleinregierung behaupten, da die Grünen mit 4,97 % denkbar knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten. Bei der Landtagswahl 1996 dagegen sackte die SPD trotz der Popularität der ersten Ministerpräsidentin eines Bundeslandes, Heide Simonis, knapp unter die 40 %-Grenze, während die CDU sich auf 37 % erholte und Bündnis 90/Die Grünen mit satten 8 % erstmals in den Landtag einzogen. Die Konsequenz war die sachlich schwierige Bildung einer rot-grünen Regierungskoalition, die bei der Landtagswahl 2000 mit deutlicher Führung der SPD bestätigt wurde. Unter besonderer politischer Aufmerksamkeit stand die Wahl des Ministerpräsidenten in SH nach der Landtagswahl 2005. Dabei war die CDU knapp stärkste Fraktion geworden und erlangte 30 Sitze im Landtag. Die SPD erhielt 29 Sitze, B90/Die Grünen und die FDP jeweils 4 Sitze und die Partei der dänischen Minderheit 2 Sitze. Nach erfolgreichen Koalitionsverhandlungen wollte die amtierende Ministerpräsidentin Simonis gemeinsam mit den Grünen bei Tolerierung des SSW eine Koalition bilden mit einer Stimme Mehrheit im Landtag. Als ihr jedoch bei der Wahl zur Ministerpräsidentin auch nach viermaliger Abstimmung die nötige Mehrheit im Landtag verwehrt blieb, trat Heidi Simonis zurück. Erfolgreiche Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD – ohne Simonis – führten zu einer Großen Koalition unter dem CDU-Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen im April 2005, die aber 2009 scheiterte. Die vorgezogenen Neuwahlen ermöglichten aufgrund starker Gewinne der FDP (14,9 %) und trotz Mandatsgewinne der Linken eine knappe Mandatsmehrheit für eine christlich-liberale Koalition wiederum unter Ministerpräsident Carstensen. Die Mehrheit trotz einer geringeren Stimmenzahl als die Oppositionsparteien beruhte auf einer unklaren Wahlrechtsbestimmung, die die Zahl der Ausgleichsmandate begrenzte. 2010 erklärte das neue Landesverfassungsgericht diese Regelung für verfassungswidrig, verpflichtete den Landtag zu einer Wahlrechtsänderung und setzte vorgezogene Neuwahlen an. Bei dieser Landtagswahl im September 2012 lagen CDU und SPD fast gleichauf, ebenso wie die FDP (mit starken Verlusten) und die erstmals in den Landtag gewählten Piraten, während Die Linke wieder ausschied. Im Sechs-Fraktionen-Parlament ergab sich eine knappe Mandatsmehrheit für eine Koalition aus SPD, Grünen und SSW unter dem neuen Ministerpräsidenten Torsten Albig, der sich in der SPD bei einem Mitgliederentscheid durchgesetzt hatte. Bei der nächsten regulären Landtagswahl 2017 wurde diese „Dänenampel“ aber abgewählt, und statt der Piraten schaffte die AfD mit 5,9 % den Einzug in den Landtag. Angesichts der schwierigen Ausgangslage kam es zu einer Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP unter dem neuen CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther.
Politische Rolle in Deutschland
SH als nach Fläche, Bevölkerung und Wirtschaftskraft kleines „Grenzland“ gehört innerhalb der Bundesländer sicherlich nicht zu den politischen Schwergewichten. Von wachsender Bedeutung ist die Brückenfunktion nach Skandinavien, und der Schutz sowie die Förderung der nationalen Minderheiten in Nordschleswig (Dänemark) und Südschleswig (D) gilt inzwischen international als positiver Modellfall. Einige Ministerpräsidenten SHs haben auch bundespolitisch eine wichtige Rolle gespielt (z. B. von Hassel, Stoltenberg – beide CDU – und der über eine Affäre gestolperte zeitweilige SPD-Vorsitzende und -Kanzlerkandidat Engholm). Die bundesweit diskutierte Barschel-Affäre war wichtiger Anstoß zu einer grundlegenden Verfassungsreform, die SH die wohl modernste und experimentierfreudigste Landesverfassung unter den alten Bundesländern beschert hat, die auch bei den Verfassungsdiskussionen in Ostdeutschland eine Rolle gespielt hat. Die engen Verflechtungsbeziehungen insbesondere zu HH und die neue Kooperation mit MV haben Überlegungen verstärkt, für den Fall einer Länderneugliederung die genannten drei Bundesländer eventuell zusammenzufassen.
Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Uwe Andersen