Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Land Mecklenburg-Vorpommern | bpb.de

Land Mecklenburg-Vorpommern

Nikolaus Werz

Historischer Hintergrund

Dank der erstmaligen Erwähnung in einer Urkunde Ottos III. vom 10. Sept. 995 kann Mecklenburg (M.) auf eine lange Geschichte zurückblicken. M. und Vorpommern besitzen geographische, siedlungsgeschichtliche und kulturelle Gemeinsamkeiten, zu einer verwaltungsmäßigen Einheit wurden sie jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Gemeinsam ist beiden Landesteilen die slawische Herkunft: In Pommern endete die Greifendynastie mit dem Tode Bogislaw XIV. 1637, in M. dauerte die obotritische Herrschaft bis zur Abdankung Großherzogs Friedrich Franz IV. im Zuge der Novemberrevolution 1918.

Der Name M. wird auf den Stammsitz des obotritischen Slawenfürsten Niklot zurückgeführt. Einen Aufschwung erlebte die Region im 15. Jh., als sich die Städte Rostock, Anklam, Wismar, Stralsund und Greifswald unter lübischem Stadtrecht zum „Wendischen Kontor“ der Hanse zusammenschlossen. Die 1419 in Rostock gegründete erste Universität im Ostseeraum galt als „Leuchte des Nordens“. Der in seiner Blütezeit mehr als 200 Ostseestädte umfassende Bund spielt in der historischen Erinnerung nach wie vor eine Rolle. Im Jahre 1701 entstand das Herzogtum M.-Strelitz neben dem viermal größeren M.-Schwerin.

Tiefe Spuren hinterließ der Dreißigjährige Krieg (1618–1648), mehr als die Hälfte der Bevölkerung verlor damals das Leben. Vom 16. bis 18. Jh. verfügten die Herzöge und der Landadel weitgehend über den Grundbesitz, der Einfluss der Städte blieb gering. Die meisten Bauern mussten als „Erbuntertänige“ und Tagelöhner arbeiten. Auch deswegen wanderten in der zweiten Hälfte des 19. Jh. aus den beiden mecklenburgischen Großherzogtümern ca. 200.000 Menschen nach Übersee aus, davon 90 % nach Nordamerika. Neben Irland verzeichneten M. und Vorpommern damals die größte Auswanderung in Europa.

Reichskanzler Bismarck soll gesagt haben, wenn der Untergang der Welt vorausgesagt werde, gehe er nach M., weil dort alles fünfzig Jahre später passiere. Er bezog sich wohl auf die Verfassung von 1755, den „Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich“, der den Adel und die Ritterschaft bevorzugte.

Das heutige Bundesland MV geht auf drei historische Gebietseinheiten zurück: Bis zur Revolution 1918/1919 bestanden die Großherzogtümer M.-Schwerin und M.-Strelitz. Beide Gebiete wurden zu Freistaaten der Weimarer Republik. Eine parlamentarische Verfassung löste die ständische Herrschaftsordnung ab, die im Unterschied zu anderen deutschen Ländern bis dahin bestanden hatte. Ende 1918 konnten erstmals Landtags- und Kommunalwahlen in beiden Freistaaten stattfinden. Die Nationalsozialisten vereinigten zum 01.01.1934 die beiden M. zum Gau M.-Lübeck. Vorpommern gehörte als dritte historische Gebietseinheit als Teil der Provinz Pommern zu Preußen.

Mit Befehl vom 9. Juli 1945 richtete die Sowjetische Militäradministration (SMAD) zunächst das Land MV (ohne Stettin und Odermündung) ein. Im Zusammenhang mit der Liquidierung Preußens durch den Alliierten Kontrollrat wurde 1947 die Bezeichnung Vorpommern wieder abgeschafft. Schon 1952 wurde das Land M. als Folge der Zentralisierung der DDR in die Bezirke Neubrandenburg, Rostock und Schwerin aufgeteilt, den Bezirken Schwerin und Neubrandenburg wurden dabei ehemals brandenburgische Teilregionen zugeschlagen. Die letzten halbwegs freien Landtagswahlen fanden 1946 statt.

Nach 1945 nahm die Bevölkerung durch Flucht und Vertreibung aus dem Osten zu. Rostock wurde in den 1960ern als einziger Überseehafen der DDR zum „Tor zur Welt“ ausgebaut. Mit staatlicher Protektion erfolgten ein weiterer Aufbau der Werftenindustrie sowie der Nationalen Volksarmee (NVA); bis heute bleibt das Militär einer der größten Arbeitgeber in einer strukturschwachen Region.

Der politische Umbruch 1989 setzte im Norden mit einer gewissen Verzögerung ein. Schwierig gestaltete sich der Transformationsprozess aufgrund der bis dahin von staatlicher Seite massiv geförderten und protektionistisch geschützten maritimen Wirtschaft. Mittlerweile sind in Rostock, Wismar, Wolgast und Stralsund hochmoderne Werften vorhanden, die allerdings weniger als ein Viertel der früheren Beschäftigtenzahl haben.

Bevölkerung – Gesellschaft – Wirtschaft

Bevölkerung

MV hat eine Fläche von 23.189 qkm (etwa 6,5 % von D). Mit 1,611 Mio. Einwohnern (E.) (rund 2,0 % von D) und ca. 69 E. pro qkm bleibt es das am dünnsten besiedelte Bundesland. MV zählt zu den „Bindestrich-Ländern“, 1.149.184 Mio. sind Mecklenburger und rund 462.000 verstehen sich als Pommern. 1990 hatte MV noch den höchsten Anteil an Kindern und Jugendlichen und den geringsten Seniorenanteil. Durch Abwanderung und Veränderung des Geburtenverhaltens im Zuge des sogenannten Wende- und Geburtenschocks ging die Bevölkerung seit 1989 um über 300.000 zurück. In MV leben 68.923 Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, d. h. 4,3 % Ausländer. Landeshauptstadt ist Schwerin (95.668 E.), das im Stil der Neorenaissance Mitte des 19. Jh. umgebaute Schloss der Herzöge von M. ist Sitz des „schönsten“ Landtages von D. Rostock (207 513 E.) gilt als eigentliches Oberzentrum und einzige Großstadt. Mittelstädte sind Neubrandenburg (63.602 E.), Stralsund (59.610 E.) sowie die „Hauptstadt“ Vorpommerns Greifswald (60.140 E.) mit der 1456 gegründeten Ernst-Moritz-Arndt-Universität. Die Siedlungsstruktur zeigt das Bild eines vorwiegend agrarisch geprägten Landes. Einige Städte – wie Wismar (42.486 E.) – erlebten einen Aufschwung mit der Hanse, Güstrow (29.215 E.) und Neustrelitz (20.426 E.) waren früher Residenzstädte. Mit einer Gesamtlänge von 1945 km gilt MV zum einen als Küstenland, zum anderen als Land der Seen (13 % der Gesamtfläche) und Flüsse. Rügen ist die größte dt. Insel mit 930 qkm Landfläche. Die Region präsentiert sich als Urlaubs- und Gesundheitsland und wirbt im Wettbewerb der Länder seit 2014 mit dem Satz „Land zum Leben“. Ein Zuzug ist im Küstenstreifen und der Mecklenburgischen Seenplatte feststellbar; auch die westlich gelegenen Gebiete profitieren von der Lagegunst zu den Metropolen HH und BE. Seit 2013/2014 verzeichnet das Land ein leichtes Bevölkerungswachstum, welches ausschließlich auf Wanderungsgewinne, auch innerdt., zurückzuführen ist. Innerhalb des Landes verzeichnen die Städte Rostock, Greifswald, Schwerin und Neubrandenburg leichte Zugewinne auf Kosten der Landkreise. Prognostiziert wird indessen eine weitere Schrumpfung, innerhalb der EU gehört MV zu den Regionen mit dem stärksten Einwohnerrückgang. Demografisch hat das Land vor allem mit dem Problem der Überalterung zu kämpfen. Die Gruppe derjenigen, die über 65 Jahre alt sind, steigt, sie betrug 2013 mit 22,4 % der Bevölkerung mehr als das Doppelte im Vergleich zu 1990. Für das Jahr 2020 geht man von noch etwa 1,5 Mio. E. aus, wobei dabei mögliche Migration aus dem Ausland nicht berücksichtigt wird. Die religiöse Bindung ist gering: 18 % sind Protestanten, 3 % Katholiken, die Zahl der Konfessionslosen oder anderen Religionen liegt bei 79 %. Im Vergleich zu anderen Bundesländern ist die politische Öffentlichkeit schwach ausgeprägt.

Wirtschaft

Die agrarische Prägung zeigt sich nach wie vor. Immer noch leben rund 25 % der Bevölkerung in Gemeinden unter 2000 E. Die Privatisierung der früheren Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) der DDR führte zu keiner grundsätzlichen Änderung der Agrarstruktur. Die durchschnittliche landwirtschaftliche Betriebsgröße beträgt 275 ha, das ist das viereinhalbfache des Bundesdurchschnitts. Der Arbeitskräftebesatz je ha ist der geringste in D, was durch den großflächigen und wenig arbeitsintensiven Anbau von Getreide, Ölfrüchten und Silomais zu erklären ist. Nur 2,5 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche wird für den Obstbau, nur 0,3 % der Ackerfläche für den Gemüseanbau genutzt. Weniger als 3 % (2,8 %) aller Erwerbstätigen sind in der Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei beschäftigt (15.980). Zukunftschancen besitzt der Flächenstaat beim Ackerbau, der Viehzucht, dem Biolandbau und bei den nachwachsenden Rohstoffen. 10,4 % der landwirtschaftlichen Fläche werden ökologisch bewirtschaftet, wobei die Nähe zu den Absatzmärkten der Metropolregionen HH und BE durchaus Wachstumspotenziale birgt. Entlang der Autobahnen haben sich Firmen der Nahrungsmittelindustrie angesiedelt. Rund ein Drittel der Umsätze im verarbeitenden Gewerbe des Landes erfolgen in der Ernährungsindustrie. Sie ist damit die mit Abstand umsatzstärkste Branche des Landes. Schwach entwickelt ist der industrielle Sektor. Auch die Selbstständigenquote liegt mit weniger als 9 % unter dem Bundesdurchschnitt. Das Land hat außerdem das niedrigste BIP je Erwerbstätigen. MV trug mit rund 42,8 Mrd. Euro (2017) 1,3 % zum BIP der Bundesrepublik bei, im Jahr 2000 waren es 30,06 Mrd. Euro, d. h. 1,5 %. Die Arbeitslosenquote lag im September 2018 bei 7,2 % (58.738). Das ist der niedrigste Wert seit der Wiedervereinigung. Mit einem durchschnittlichen Arbeitnehmerentgelt von 33.296 € im Jahr 2017 belegt MV den letzten Platz im Ländervergleich. Die Pendlerquote in den Westen ist nach wie vor hoch.

Der Güterumschlag in den Seehäfen MV betrug 2016 insgesamt 27,3 Mio. Tonnen, drei Viertel der Umschlagmenge entfiel auf Rostock. Nach einem schwierigen Transformationsprozess erholten sich die Werften, sie konzentrieren sich mittlerweile auf Spezialaufträge. Seit 2017 werden an den Standorten Wismar, Stralsund und Rostock unter dem Namen MV Werften für das malaysich-chinesische Schifffahrtsunternehmen Genting Hong Kong Kreuzfahrtschiffe gefertigt. Aufgrund der Abwanderung von vielen Fachkräften im Zuge der Transformation mussten ab 2007 Facharbeiter im Ausland gesucht werden.

2006 erreichte das Land erstmals einen ausgeglichenen Haushalt. Das Parlament nahm 2011 die Schuldenbremse in die Landesverfassung auf; ab 2020 darf MV nur noch in Notsituationen Kredite aufnehmen. Für die Förderperiode 2014 bis 2020 wurde das Land als Übergangsregion, der mittleren von drei Förderstufen der EU, eingestuft. Von 2014 bis 2020 stehen MV insgesamt 2,289 Mrd. Euro-Fördermittel zur Verfügung. Bis 2019 erfolgen Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen (SoBEZ), weitere Mittel sind im Rahmen des Aufbau Ost zugesagt.

Chancen sieht MV vor allem als Gesundheitsland und im Tourismus. In den vergangenen Jahren hatte es die größten Zuwachsraten in diesem Bereich zu verzeichnen, rund jeder fünfte Arbeitnehmer ist in der Gesundheitswirtschaft beschäftigt. Sowohl die Infrastruktur als auch die Hotels sind modernisiert, die historischen Innenstädte wurden in den küstennahen Zonen und der Landeshauptstadt aufwändig renoviert. MV bietet eine der reizvollsten Kultur- und Erholungslandschaften Ds. Zu den Anziehungspunkten gehören Heiligendamm als ältestes, bereits 1793 gegründetes dt. Seebad, die berühmten Kreidefelsen der Insel Rügen und die Strände um Usedom, die als „Badewanne Berlins“ bezeichnet werden. Auch das Landesinnere und die Seenplatte um die Müritz mit ihrer Nähe zu BE sind touristisch interessant.

Verkehr

Das heutige MV galt lange Zeit als „Land am Rand“. Mittlerweile verfügt es über 568 km Bundesautobahnen, 1935 km Bundesstraßen, 3357 km Landstraßen, 4145 km Kreisstraßen und 10.005 km des überörtlichen Verkehrs.

Eine Autobahn verbindet Rostock mit der Hauptstadt BE und bildet einen Ausgangspunkt für den Fährverkehr in den Ostseeraum. Die Autobahn und ICE-Strecke HH-BE sorgen im südlichen M. für recht gute Verkehrsanbindungen. Als Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ entstand die unter Umwelt- und Naturschützern umstrittene West-Ost-Autobahn A 20 von Lübeck nach Stettin. Sie hat zu einer spürbaren Entlastung des Verkehrs an der Küste geführt und den Zugang zu den touristischen Gebieten sowie den Betrieben der Nahrungsmittelindustrie erleichtert. Das Schienennetz umfasst 1402 km, es bestehen jedoch nur wenige IC- oder ICE-Verbindungen.

Möglichkeiten zum weiteren Ausbau des Verkehrsaufkommens ergeben sich mit Blick auf die Zukunftsregion Ostseeraum. Die Fehmarnbelt-Querung zwischen Dänemark und SH dürfte zu einer Verlagerung des Verkehrs von der „nassen Autobahn“ (Ostsee) in einen fast 20 km langen Straßen- und Eisenbahntunnel in Richtung HH führen, was eher ein Nachteil für MV wäre. Die Anbindung des wichtigsten Flughafens Rostock-Laage an den internationalen Verkehr ist ausbaufähig; die Personenzahl hat im Sommer u. a. durch den internationalen Kreuzfahrertourismus zugenommen.

Kultur

Das bevölkerungsarme Land hat zwei traditionsreiche (Voll)-Universitäten, zwei Fachhochschulen in Neubrandenburg und Stralsund sowie eine Hochschule in Wismar. 1994 erfolgte die Gründung der Hochschule für Musik und Theater in Rostock mit vielen Studierenden aus dem Ausland. Dennoch hat MV bundesweit den geringsten Anteil von Beschäftigten in Forschung und Entwicklung. Der Umbau des Schulsystems hat Diskussionen hervorgerufen, mittlerweile wächst die Zahl privater Schulen. Ab 2020 soll der Übergang zur kostenfreien Kita erfolgen.

MV verfügt über vier Mehrfachspartentheater und zwar in den wirtschaftlichen bzw. politischen Zentren Rostock und Schwerin, darüber hinaus in Neubrandenburg in Verbindung mit dem Theater von Neustrelitz sowie einem weiteren Verbundtheater für Stralsund und Greifswald. Die Fritz-Reuter-Bühne, die nach dem niederdt. Mundartdichter benannt wurde, gehört zum Mecklenburgischen Staatstheater. Des Weiteren bestehen Bespiel- und Freilichtbühnen in den touristischen Gebieten. Besonders im Sommer finden im Rahmen der Festspiele MV in den renovierten Schlössern musikalische Veranstaltungen statt.

Die Museumslandschaft ist beachtlich. Das Land unterhält mit dem Staatlichen Museum in Schwerin, dem neu ausgebauten Pommerschen Landesmuseum in Greifswald und dem Meereskundemuseum in Stralsund Sammlungen von internationaler Bedeutung. Insgesamt bestehen in MV mehr als 200 museale Einrichtungen. Zum Teil neu aufgebaut wurden die Literaturhäuser: auf der Insel Hiddensee das Gerhart-Hauptmann-Haus, das Hans-Fallada-Haus in Carwitz bei Feldberg, das Ehm-Welk-Haus in Bad-Doberan, das Brigitte-Reimann-Haus in Neubrandenburg, das Uwe-Johnson-Haus bei Güstrow und das Ernst-Richter-Haus in Binz sowie das Wolfgang-Koeppen-Haus in Greifswald. Eine Reihe von bedeutenden Malern und Bildhauern wie Caspar David Friedrich (Greifswald) und Ernst Barlach (Güstrow) kamen aus bzw. lebten in der Region.

Politisches System

Verfassung

Mit dem im Juli 1990 verabschiedeten Ländereinführungsgesetz wurde das Land MV wieder errichtet. Der im Oktober 1990 gewählte Landtag setzte eine Kommission zur Erarbeitung einer Landesverfassung ein. Die neue Verfassung wurde im Mai 1993 mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag (gegen die Stimmen der PDS) verabschiedet; sie trat nach den Landtagswahlen 1994, die mit einer Volksabstimmung über die Verfassung verbunden waren, in Kraft. Mit Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid enthält sie auch plebiszitäre Elemente.

Organisation des politischen Systems

MV hat mit 71 Abgeordneten den kleinsten Landtag in den fünf neuen Bundesländern. Im Bundesrat verfügt MV über drei Stimmen, im Bundestag sind in der 19. Wahlperiode seit 2017 16 Abgeordnete gewählt worden (sechs direkt, zehn über Landeslisten). Mit 22.709 E. je Landtagsabgeordneten besitzt MV nach dem SL die höchste E.-Parlamentarier-Relation.

Ab 1990 wurde die Kommunal- und Landesverwaltung mit Unterstützung aus SH und den Hansestädten HH und HB aufgebaut. Im Zuge des Rückgangs der Bevölkerung wurden weitere Reformen notwendig. Anfang 2005 gab es noch 871 Gemeinden. Die große Mehrheit lebte in Gemeinden, die bis zu 2000 E. haben. Seit 1994 wohnten die E. in sechs kreisfreien Städten und zwölf Landkreisen. Mit der sechsten Landtagswahl am 04.09.2011 trat eine Kreisgebietsreform in Kraft, wonach das Land nur noch sechs Kreise und zwei kreisfreie Städte hat, Rostock und Schwerin. Vorausgegangen war eine knappe Entscheidung des Landesverfassungsgerichtes in Greifswald, nachdem fünf Kreise Beschwerde erhoben hatten. Damit liegen nun die bundesweit größten Landkreise im Nordosten. Hintergrund für solche Reformen sind Bevölkerungsprognosen, darüber hinaus sollten 2019 die Sonderzuweisungen aus dem Solidarpakt entfallen. Die Verwaltungsreform sollte zu Deregulierung und Bürokratieabbau führen, die Funktionalreform, d. h. eine Neuordnung der Verwaltungsaufgaben zwischen Land, Kreis und Amt bzw. Gemeinde, zur Modernisierung beitragen. Besonders in Vorpommern waren die Reaktionen der Bürger negativ, da die Reform als ein Rückzug des Staates wahrgenommen wurde. Die hohen Wahlresultate für die AfD im Nordosten werden u. a. darauf zurückgeführt.

Die Legislaturperiode betrug zunächst vier Jahre, erst 2006 wurde sie auf fünf Jahre verlängert. Zunächst ähnelte die Regierungskoalition in MV der im Bund. Von 1990 bis 1994 regierte eine Koalition aus CDU und FDP unter Ministerpräsident Alfred Gomolka (CDU), auf den 1992 nach der Werftenkrise Berndt Seite (CDU) folgte, der die Regierung von 1994–1998 mit einer großen Koalition aus CDU und SPD fortsetzte. Unter Harald Ringstorff (SPD) kam es von 1998 bis 2006 zur ersten rot-roten Koalition aus SPD und PDS in der Geschichte Ds. Ab 2006 regierte Ministerpräsident Ringstorff mit einer großen Koalition aus SPD und CDU; nach seinem Rückzug wurde im Oktober 2008 Erwin Sellering vom Landtag zum Regierungschef gewählt, er gab aus gesundheitlichen Gründen 2017 sein Amt auf. Beiden gelang es einen „Landesvaterbonus“ aufzubauen. Seit dem 04.07.2017 ist Manuela Schwesig (SPD) Ministerpräsidentin und steht an der Spitze einer Koalition aus SPD und CDU.

Parteiensystem, Wahlen, Wählerverhalten

Parteiensystem

Die Parteiengeschichte ist geprägt durch den Übergang vom System der Blockparteien zu einem demokratischen Parteiensystem. Die vormaligen Blockparteien haben seit 1990 viele Mitglieder verloren, die neugegründete und seit 1994 (mit)regierende SPD, die seit 2008 den Ministerpräsidenten stellt, hat 2721 Mitglieder. Mittlerweile liegt die Gesamtzahl der Mitglieder aller Parteien bei unter 14.000. Eine weitere Herausforderung für die demokratischen Parteien und die politische Bildung ist die Tatsache, dass es sich um einen Flächenstaat handelt. Die Verkehrsbedingungen und die dünne Besiedelung erschweren die Tätigkeit der Parteien vor allem im ländlichen Raum. Bis 1994 waren vier Parteien im Landtag vertreten, zwischen 1994 bis 2006 handelte es sich um ein Drei-Parteien-System mit der CDU und der PDS als entgegengesetzten Polen und der SPD in einer mittleren Position. Damit hatte die SPD stets zwei Koalitionsmöglichkeiten, während für die CDU die Koalitionsoptionen begrenzt blieben. In den Landtag 2006 zogen die FDP und erstmals die rechtsextreme NPD ein. Bei den Wahlen 2011 wurden erstmals B 90/Die Grünen in den Landtag gewählt; die FDP blieb unter der 5 % Hürde, die NPD knapp darüber, womit ein Fünfparteiensystem entstand. 2016 gelangte die AfD mit einem Wahlergebnis von 20,8 % in den Landtag, sowohl die NPD als auch B 90/Die Grünen schafften die 5-Prozent-Hürde nicht. Nach der Abspaltung von vier Abgeordneten der Bürger für MV von der AfD 2017, sie sehen sich als konservative Regionalpartei und orientieren sich an der CSU, besteht wiederum ein Fünfparteiensystem.

Wahlen

Bei der ersten Landtagswahl im Okt. 1990 hatte MV noch die schwächste Wahlbeteiligung aller fünf neuen Länder. Von 1994 bis 2002 fanden die Landtags- und Bundestagswahl zeitgleich statt. Die in keinem anderen Bundesland über einen so langen Zeitraum vorhandene Koinzidenz sorgte für eine hohe Partizipation. Sie ermöglichte zunächst finanzielle Einsparungen bei der Wahlorganisation, vereinfachte die Suche nach Wahlhelfern und erleichterte den größeren Parteien die Mobilisierung im Wahlkampf. Sie führte allerdings zu einer Überlagerung der Landesebene durch den Bundestrend.

Beim Wahlkampf 1990 stand die schnelle dt. Einigung im Vordergrund, schon 1994 wurden jedoch Ost-Themen aufgegriffen. Bereits damals wäre eine rot-rote Koalition möglich gewesen, die ab 1998 im Land regierte. Mit dem Umzug der Hauptstadt nach BE ging der Anti-Bonn-Affekt verloren, seit 2005 regiert mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in D darüber hinaus eine Politikerin, die ihren Wahlkreis in MV hat. Das auffälligste Merkmal im Bindestrich-Land ist das unterschiedliche Wählerverhalten in M. und Vorpommern: Während in dem westlicher gelegenen M. die SPD traditionell gute Resultate erzielt, wählt Vorpommern in stärkerem Maße CDU bzw. 2016 die AfD. Zu den Besonderheiten im nordöstlichsten Bundesland gehörten darüber hinaus zunächst die guten Wahlergebnisse der PDS. Die Regierungsbeteiligung ab 1998 hat jedoch zur „Entzauberung“ der PDS beigetragen. Von dem Protestwählerpotenzial profitierte nicht zuletzt die NPD und nach 2015 die AfD. Die Landtagswahlen 2011 brachten folgendes Ergebnis: SPD 35,7 %, CDU 23,1 %, Die Linke 18,4 %, Grüne 8,4 % und NPD 6,0 %. Bei den Landtagswahlen 2016 mussten die drei großen Parteien Einbußen hinnehmen, die AfD landete vor der CDU: SPD: 30,6 %; AfD: 20,8 %, CDU: 19,0 %; DIE LINKE: 13,2 %; Grüne: 4,8 %; NPD: 3,0 %; FDP: 3,0 %.

Möglicherweise aufgrund der langjährigen Gleichzeitigkeit von Land- und Bundestagswahlen zeigt sich in MV eine bemerkenswerte Kontinuität im Wählerverhalten. Spätestens nach der Wahl 1998 war ein rechtsradikales bzw. rechtspopulisisches Wähler- und Protestpotenzial besonders bei jungen Männern nicht zu verkennen, was sich mittlerweile verfestigt hat.

Politische Rolle in Deutschland

MV hatte im Zuge der Transformation schwierige Jahre zu durchlaufen. Mit seinen Erfolgen als Tourismusland, dem weiteren Ausbau des Straßennetzes sowie der durch die Weltwirtschaft begünstigten Konjunktur bei der Werftenindustrie und im Ernährungsanbau hat sich die Situation ab 2006 gebessert. Die Regierung in Schwerin setzt neben dem weiteren Ausbau zum Tourismus- und Gesundheitsland vor allem auf die Ostseeregion. Als „Tor zum Norden und Bindeglied zum Osten“ möchte man die Kontakte zu Polen und dem Ostseeraum ausbauen.

Für die Zukunft setzt auch MV auf erneuerbare Energien. Das Land fördert die Gesundheitswirtschaft, versucht seine Naturschönheiten und kulturellen Chancen zu nutzen. Zumindest indirekt könnte dabei helfen, dass Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie der erste Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes und spätere Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel aus der Region kommen.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Nikolaus Werz

Fussnoten