Begriff
Unter Koalition (K.) im parlamentarischen System D.s wird der Zusammenschluss zweier oder mehrerer → Parteien bzw. ihrer → Fraktionen zum Zwecke der Bildung und Unterstützung einer Regierung verstanden. K.en werden im parlamentarischen System erforderlich, wenn eine Partei allein nicht die notwendige Mehrheit aller Mandate erreicht hat bzw. über eine zu geringe Mehrheit verfügt. Die Bildung einer K. kann bedingt werden durch die Art des →politischen Systems, des → Parteiensystems wie auch des → Wahlsystems. K.en sind zeitlich befristete Bündnisse, die in der Regel für eine Legislaturperiode geschlossen werden. In einer K. können die beteiligten Parteien notwendigerweise nicht ihre eigene Programmatik durchsetzen, sondern müssen Kompromisse eingehen. Dabei können die Interessen des kleineren K.spartners stärkere Berücksichtigung finden, als es sein Wählervotum aussagt, wenn er für die Bildung der K. unbedingt erforderlich ist. Der K.sbildung in D werden rechtliche Grenzen gesetzt durch das freie Mandat des → Abgeordneten (Art. 38 GG), durch das Vorschlagsrecht des → Bundeskanzlers zur Ernennung von Ministern (Art. 64,1 GG) sowie durch die Richtlinienkompetenz des Kanzlers (Art. 65 GG). Diese staatstheoretischen Bestimmungen sind jedoch in der politischen Praxis der BRD immer weniger bedeutsam geworden, so dass die politische Entwicklung diese Rechte zunehmend eingeschränkt hat.
Nach erfolgreichen K.sverhandlungen werden K.svereinbarungen getroffen, die die politischen Ziele (Gesetzesvorhaben u. a. m.) und personellen Vorstellungen (Aufteilung und Besetzung der Ministerien und Staatssekretäre) der beteiligten Parteien widerspiegeln. In der politischen Praxis bedürfen die K.svereinbarungen der Zustimmung der Fraktionen, meist auch der Parteivorstände oder sogar der Parteimitglieder. Auf Landesebene stimmen meistens Sonderparteitage über die K.svereinbarungen ab. K.en setzen in der Regel auch die Existenz einer → Opposition voraus. Meistens geht die stärkste Parlamentsfraktion mit einer kleinen Fraktion eine sog. kleine K. ein. Allerdings ist es auch möglich, gegen die stärkste Fraktion eine kleine K. zu bilden. Eine Große K., aus den stärksten Fraktionen gebildet, widerspricht dem eigentlichen Sinn eines parlamentarischen Systems, das auf dem Grundsatz von Mehrheitsregierung und starker Opposition beruht. Eine Große K. wird daher eigentlich nur in Krisenzeiten (Krieg, nationaler Notstand, dringend erforderliche Reformen, die nur mit verfassungsändernder Mehrheit möglich sind) und wenn politisch eine andere Mehrheit nicht möglich ist, gebildet. Angesichts der Fragmentierung des Parteiensystems ist vielleicht das Dreiermodell das Modell der Zukunft.
Koalitionsvereinbarungen
Nach einer Wahl übernimmt i. d. R. die politische Führung der stärksten Partei die Initiative zur Führung von K.sgesprächen mit dem Ziel, die Regierung zu bilden. Dabei treten die Spitzenpolitiker der die neue K. anstrebenden Parteien – i. d. R. Vorsitzende, Vorstandsmitglieder, Generalsekretäre, einzelne Minister, teilweise auch Ministerpräsidenten der Länder sowie die Fraktionsführungen (→ politische Elite) – zu Gesprächen zusammen, um politische Absprachen über die zukünftige Politik der K. zu treffen. Seit 1961 hat es sich auf Bundesebene eingebürgert, K.svereinbarungen abzuschließen. Solche Abkommen können die Zusammenarbeit während der gesamten Legislaturperiode ebenso beinhalten wie das Versprechen, im → Bundestag nicht mit wechselnden Mehrheiten zu stimmen. Die Teilnahme der Fraktionsvorsitzenden an Kabinettssitzungen, die Formulierung politischer Grundsätze in den verschiedenen Bereichen der Politik können weitere Absprachen der K.svereinbarungen sein. Auch kann eine zeitliche Begrenzung der K. oder eine zeitliche Begrenzung der Amtsdauer des Regierungschefs vereinbart werden, um vorzeitig Neuwahlen herbeizuführen. K.svereinbarungen sind rechtlich nicht bindend und können nicht eingeklagt werden. Um die K.svereinbarungen zu überprüfen und die in einer K. mit Sicherheit während einer Legislaturperiode auftretenden Spannungen zu entschärfen, wird ein K.sausschuss eingerichtet, dem die Spitzenpolitiker der die K. eingehenden Parteien angehören. Er hat neben der allgemeinen Koordination die Aufgabe, aufkommende Streitigkeiten zwischen den K.spartnern auszugleichen, die parlamentarische Arbeit vorzubesprechen, Initiativen der Regierung zu klären und somit die Regierungs- und Parlamentsarbeit zu koordinieren.
Koalitionen in Deutschland
Grundsätzlich sollten in einem parlamentarischen System alle im Parlament vertretenen Parteien untereinander koalitionsfähig sein. Durch den Einzug von Extremparteien in den Bundestag verringerte sich die parlamentarische Basis für die K.sbildung. Die Bildung von K. entzieht sich weitgehend dem Wählerwillen und ist in das Ermessen von Parteien gestellt. Zwar werden seit längerem von den Parteien vor den Wahlen K.saussagen getroffen, doch werden diese nicht immer eingehalten, wenn z. B. die Mehrheitsverhältnisse eine solch beabsichtigte K.sbildung nicht zulassen. Die Bildung einer K. kann strukturprägend für eine gesamte Epoche wirken. So hat die Bildung einer bürgerlichen K. aus CDU/CSU, → FDP und DP 1949 die ununterbrochene 20jährige Regierungsherrschaft der CDU ebenso begründet wie die Tatsache, dass diese Partei die ersten drei Bundeskanzler (Adenauer 1949–1963, Erhard 1963–1966, Kiesinger 1966–1969) stellte. Mit der Bildung der Großen K. 1966 wies die SPD ihre Regierungsfähigkeit auf Bundesebene nach und konnte – nicht zuletzt aufbauend auf den Erfolgen als Regierungspartei – 1969 eine kleine K. mit der FDP eingehen, die bis 1982 Bestand hatte. In dieser Zeit regierten die sozialdemokratischen Bundeskanzler Brandt (1969–1974) und Schmidt (1974–1982).
Die Regierungsparteien versuchen auf der Länderebene analoge K.en einzugehen, um möglichst auch im → Bundesrat über die Mehrheit zu verfügen. So gab es während der Regierungszeit der sozial-liberalen K. auch viele sozial-liberale Länderregierungen. Aufgrund des → Föderalismus und der Zunahme der Anzahl der Länder durch die Wiedervereinigung (→ Vereinigung) ist es aber unwahrscheinlich, dass in allen → Ländern gleiche K.en wie auf Bundesebene gebildet werden. Länderk.en haben nicht nur die Funktion, den Berliner Oppositionsparteien eine Möglichkeit zur Regierungsausübung auf Länderebene zu bieten, sondern sind gleichzeitig Experimentierfeld für eine mögliche zukünftige K. auf Bundesebene. Je mehr Parteien eine K. bilden, desto anfälliger dürften K.en sein. Eine mit einer kleinen Mehrheit agierende K. kann politisch schlagkräftiger als eine große K. sein, da die Fraktionsdisziplin in kleinen K.en i. d. R. größer ist. K.en können systemoppositionelle Parteien einbinden und damit zu evolutionärer Veränderung beitragen, indem sie gleichzeitig das politische System stabilisieren.
Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Wichard Woyke