Begriff/Definition/Relevanz
In deskriptiver Hinsicht kann Innere Sicherheit (iS) definiert werden als ein System von staatlichen Institutionen und Einrichtungen, die durch Verfassung und Organe der demokratischen Willensbildung legitimiert sind, das öffentliche Gewaltmonopol im Rahmen kodifizierter Regeln exekutiv unter Anwendung auch von unmittelbaren Zwang auszuüben. iS ist in diesem Sinne weiterführend als ein Politikfeld zu verstehen. iS als Politikfeld weist daraufhin, dass an der zugrunde liegenden Politikproduktion neben den exekutiven Institutionen und Einrichtungen (vor allem Polizei und Staatsanwaltschaften) weitere Akteure beteiligt sind. Zu nennen sind die Innenministerien, parlamentarische Institutionen (Ausschüsse), des weiteren Parteien und Verbände (Polizeigewerkschaften) sowie föderale Verhandlungsgremien (Innenministerkonferenz, Ausschüsse des Bundesrates). iS in normativer Hinsicht zu definieren, hieße, materiell zu bestimmen, welche Form und welches Maß ein von den beauftragten Behörden exekutiertes Konzept „innerer“ Sicherheit gesellschaftlich und politisch wünschbar wäre. Die verschiedenen nationalen und politischen Systeme geben hierauf sehr gegensätzliche Antworten, die auf unterschiedliche, historisch vermittelte Einstellungs- und Wertemuster zurückzuführen sind. Für den Zusammenhang von politischer Kultur (pK) und iS ist von Interesse, welcher systematische Zusammenhang zwischen dieser pK-Konfiguration eines politischen Systems und der Legitimations-, Struktur- und Funktionsweise des jeweiligen staatlich-institutionellen Sicherheitssystems besteht.
Im internationalen Vergleich treten die unterschiedlichen Verständnisse von Staatlichkeit und iS deutlich hervor (vgl. Würtenberger et al. 2012). Zu verweisen ist nur auf das angelsächsische, insbesondere amerikanische Verständnis, wonach iS eine gesellschaftliche Aufgabe, d. h. in der Regel eine von der Bürgerschaft zu organisierende Einrichtung darstellt. Dem Staat fallen allein überörtliche Aufgaben zu, die aufgrund ihrer Spezialisierung oder Aufgabenweite von kommunalen Gemeinschaften nicht zu leisten sind. In der Folge des 11. September 2001 sind allerdings auch in Großbritannien und in den USA gewichtige Verlagerungen von Sicherheitsaufgaben auf zentralstaatliche Behörden festzustellen, wie insgesamt im internationalen Vergleich unterschiedlich ausgeprägte Tendenzen der Versicherheitlichung beobachtbar sind.
In D ist Polizei auch in historischer Perspektive fast ausschließlich staatliche Angelegenheit. Der Staat ist demnach in der Zuschreibung eine prinzipiell neutrale, über den gemeinen Interessen der Gesellschaft stehende Institution. Ihm allein obliegt das öffentliche Gewaltmonopol, welches er vor allem in Form der staatlichen Polizei exekutiert.
Der moderne preußische Staat verstaatlicht im 19. Jh. die kommunalen Polizeien weitgehend. Polizei ist allumfassend tätig (so auch als Baupolizei, Gewerbepolizei, Sittenpolizei u. a.). Im Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik ändern sich zwar Strukturen und Funktionen der Polizei, doch bleibt die Dominanz des Staates auch im Selbstverständnis der polizeilichen Akteure bestehen. Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus, der die Idee der staatlichen Allzuständigkeit pervertierte, drängen die Alliierten darauf, die staatliche Dominanz in der iS zugunsten einer stärker kommunal organisierten Polizei zurückzunehmen. Doch sobald die dt. Akteure die Grundsätze der Polizeipolitik selbst bestimmen können, beseitigen sie die kommunalen Elemente aus dem Polizeisystem. Mitte der 70er-Jahre werden die letzten kommunalen Polizeien „verstaatlicht“. In den späten 60er und 70er-Jahren führen die erheblichen gesellschaftlichen Umwälzungen (Außerparlamentarische Opposition – APO, Wertewandel) dazu, dass die Sicherheitsbehörden nicht nur neu organisiert und besser ausgerüstet werden, sondern es vollzieht sich auch ein Einstellungswandel der Polizei, der wegführt von der autoritär auftretenden Staatspolizei hin zu einer sich stärker präventiv verstehenden Bürgerpolizei. Doch zeigt sich auch in dieser Reformära, dass immer dann, wenn die öffentliche Sicherheit als gefährdet erscheint, so wie unter dem Eindruck der Terrorismusbedrohung (Rote-Armee-Fraktion – RAF), die Rückkehr zum Modell der Staatspolizei als alleiniger Garant iS zu beobachten ist. Dies wird deutlich in den sogenannten Sicherheitsgesetzen der 80er-Jahre, die die Eingriffskompetenzen von Polizei, Staatsanwaltschaften und Nachrichtendiensten erheblich ausweiten. Mit der Europäisierung seit Anfang der 90er-Jahre gilt vor allem die Organisierte Kriminalität als Anlaß für weitere Gesetzesverschärfungen – bis hin zum grundgesetzlich verankerten „Großen Lauschangriff“ im Jahre 1998.
Zu Beginn des 21. Jh. löst der (international auftretende) Terrorismus nach den Anschlägen von New York und Washington (11. September 2001) erneut tiefgreifende Veränderungen in der Wahrnehmung von „Sicherheit“ aus, deren Folgen nach wie vor präsent sind (vgl. Daase 2011). Hatten in den 80er und 90er-Jahren sowohl in der Sicherheitspolitik als auch in der Arbeit insbesondere der Polizeibehörden zunehmend bürger- und präventionsorientierte Sicherheitskonzepte sich durchgesetzt, wird jetzt zum Schutze vor Terrorismus unvermittelt wieder der „starke“ und repressiv vorgehende Staat eingefordert. Zudem wird die bisherige, auch verfassungsrechtlich garantierte Trennung zwischen „innerer“ und „äußerer“ Sicherheit in Frage gestellt. Klassische internationale Konflikte (Kriege, Bürgerkriege) können angesichts der zunehmend verflochtenen Weltinteressen viel schneller „importiert“ werden, als dies bislang denkbar war (z. B. Irak, Syrien). Die immer komplexere Technikabhängigkeit (Internet, elektronischer Zahlungs- und Börsenverkehr) legt zugleich die Verletzbarkeit der westlichen Gesellschaften und die begrenzten Möglichkeiten, diesen Risiken national zu begegnen, offen. Zunehmende und ungelöste Flucht- und Migrationsprobleme stellen für das liberale Selbstverständnis schwer erträgliche Fragen: können, müssen und dürfen verbindliche Grundwerte für moderne plurale Gesellschaften zugrunde gelegt werden, ist „Sicherheit“ selbst ein Grundwert oder ein Herrschafts-, Repressions- und Kontrollanspruch des Staates? Kann es umfassende Sicherheit gegen alle Risiken (technische Katastrophen, Cyberangriffe, Terroranschläge) geben und zu welchem Preis kann diese realisiert werden im Verhältnis zu den Grundwerten von Freiheit und Demokratie selbst? Und wer ist legitimiert, über Einschränkungen von Selbstbestimmung einzelner zu entscheiden (die Mehrheit gegen der Minderheit?) und nach welchen Leitorientierungen exekutieren die Sicherheitsbehörden solche Einschränkungen (als repressive Staatspolizei oder kundenorientierte Bürgerpolizei?).
Theorien/Konzepte/Modelle
Auf einer Metaebene ließe sich so valide feststellen, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen der pK, dem hegemonialen Staatsverständnis und den Prinzipien der Organisation von iS vorliegt. Auf eine (konkretere) Mesoebene kann die Zielsetzung dann gebracht werden, wenn pK im Zusammenhang mit Verwaltungskultur (Vk) thematisiert wird. Vk würde danach fragen, inwieweit zwischen den einzelnen Bereichen der öffentlichen Sicherheitsverwaltung eines Staates feststellbare Differenzen bzw. Variationen auftauchen, sich also das dominante Staatsverständnis innerhalb der Polizei als Teil der öffentlichen Verwaltung z. B. von dem der Akteure in der Justizverwaltung unterscheidet. Die Erforschung von Vk fällt in diesem Sinne zusammen mit einer policy-orientierten Verwaltungsanalyse. Die Erforschung von Vk wird gerade angesichts der anhaltenden Verwaltungsreformen bedeutsam. Wenn innerhalb der Verwaltung eines Staates Differenzen zwischen den Verwaltungseinheiten bestehen, so kann in der Konsequenz nicht von einem homogenen Modell einer Verwaltungsreform ausgegangen werden, sondern es müssen spezifische Besonderheiten berücksichtigt werden. So ist im Polizeibereich zu beobachten, dass auch hier eine verstärkte Rezeption des Neuen Steuerungsmodells vorgenommen wird. Die Vorstellungen darüber, was im Sicherheitsbereich nun konkret Kundenorientierung oder Effizienz bedeuten kann, inwieweit Hierarchieebenen abzubauen sind und überhaupt eine stärkere Wirtschaftlichkeit des polizeilichen Verwaltungshandelns anzulegen ist, führen zu bedeutsamen Abweichungen im Vergleich mit den in der Leistungsverwaltung favorisierten Reformen. Staatliche Steuerungsansprüche werden komplizierter, verlieren an Akzeptanz und werden als „Kontrollverlust“ beklagt.
Ein theoretisches Instrumentarium, Vk zu erforschen, eröffnet der koalitionstheoretische Ansatz. Dieser geht davon aus, dass die bestimmenden Akteursgruppen in einem Policy-Subsystem durch ein differenziertes Set von Handlungsorientierungen geprägt sind. Zu unterscheiden sind fundamentale Überzeugungen, Policy-Kernüberzeugungen und sekundäre Aspekte der Handlungsorientierungen. In die fundamentalen Überzeugungen fließen Makro-Identitäten ein, wie sie als Merkmale der hegemonialen pK eines nationalstaatlichen Systems feststellbar wären. Im dt. Kontext bedeutet dies, die nach wie vor virulente Vorstellung einer „natürlichen“ Zuständigkeit des Staates für Belange der iS vorzufinden. Zu den Policy-Kernüberzeugungen gehören die spezifischen Handlungsorientierungen und damit per se gegensätzlichen Orientierungen der einzelnen Akteursgruppen, die im Politikfeld iS involviert sind. Hier sind z. B. die Orientierungen der Beschäftigten in der Polizei andere als die der privaten Sicherheitswirtschaft, wobei die Orientierungen der Polizisten untereinander sich wiederum aufgrund ausbildungsbedingter Sozialisationsprozesse unterscheiden (z. B. Kriminal- versus Schutzpolizisten). Politiker verfolgen in diesem Subsystem wiederum andere Ziele, wobei diese durch unterschiedliche Parteizugehörigkeiten und Prozesse der politischen Sozialisation ebenfalls erheblich voneinander abweichen können. Zudem stehen sie verstärkt unter dem Druck, auf populistische Kritiken und Forderungen („mit Härte durchgreifen“) auch weiterhin mit rechtsstaatlich konformen, damit im Regelfall komplexen Antworten reagieren zu müssen. Inwieweit diese gegensätzlichen Orientierungen sich in den Aushandlungssystemen des Politikfeldes durchsetzen, ist Gegenstand entsprechender Politikfeldstudien. Im Ergebnis werden immer Kompromisse, Arrangements wie überhaupt Koalitionsbündnisse vorzufinden sein, wobei die sekundären Aspekte der Handlungsorientierungen die strategische Verhandlungsmasse für die Akteure bilden. Aufgrund der zunehmenden Europäisierung gerade auch im Politikfeld iS wächst die Notwendigkeit, das traditionell nationalstaatlich geprägte Sicherheitssystem mit den Systemen der anderen EU-Staaten kompatibel werden zu lassen.
Ein jüngerer Theorieansatz knüpft an Konzepten von pK und Vk an und fragt nach dem Wechselverhältnis von Sicherheitsverständnissen und „Sicherheitskulturen“. Zunächst ging es um den Umgang mit großtechnischen Systemen (z. B. Atomkraftwerke) hinsichtlich der Risikobereitschaft, diese anzuwenden, sie durch Sicherheitsmaßnahmen gegebenenfalls einzuschränken, Fehleranfälligkeiten in Kauf zu nehmen oder (nach gravierenden Unfällen) auf deren Nutzung zu verzichten. Es geht in diesem Sinne also um Sicherheitspraktiken und um die Beobachtung, dass diese auch bei den gleichen Gefahren und Risiken in unterschiedlichen Gesellschaften zum Teil sehr gegensätzlich gehandhabt werden. Nicht nur das – auch innerhalb eines Gesellschaftssystems fällt die Ausgestaltung von Sicherheitspraktiken in den Teilsystemen und auch von Organisation zu Organisation sehr unterschiedlich aus. In diesem Sinne kann die Analyse von Sicherheitskulturen als ein (neuer) Aspekt des Konzepts der pK gesehen werden (vgl. Rauer et al. 2014). Maßgeblich sind die kulturellen Prägungen und Sozialisationsverläufe der handlungsrelevanten Akteure. Das Verständnis von Gefahr, Unsicherheit und Risiko verliert die „objektive“ Zuschreibung, maßgeblich ist vielmehr die kulturell geprägte Wahrnehmung einzelner Akteursgruppen, beispielsweise in den Sicherheitsbehörden, in den Medien, letztlich in den unterschiedlichen Schichtungen und Gruppierungen der Bevölkerung. Sicherheitskultur und die Frage, ob ein bestimmtes Verständnis von Sicherheit zum entscheidungsdominanten Verständnis aufsteigt, um bestimmte Sicherheitsmaßnahmen politisch durchzusetzen, wird somit zum Konfliktthema in der politischen Auseinandersetzung. Im gleichen Maße, wie eine steigende Anzahl von potenziellen Gefahren, Unsicherheiten und Risiken in die öffentliche Wahrnehmung drängen (internationaler Terrorismus, Organisierte Kriminalität, weltweite Flüchtlingsbewegungen, ungelöste Migrationsfragen, Klimawandel, Verschmutzung der Meere, Energie- und Ressourcenknappheit und entsprechende Verteilungskonflikte, Sicherheit des Internets u. v. a. m.), fallen die einzelnen Problemlösungsversuche zunehmend gegensätzlich und widersprüchlich aus. Sicherheit bzw. die mehr und mehr als unlösbar wahrgenommene Sicherheitssituation in ihrer Gesamtheit stellt das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates und der Demokratie in Frage und fördert populistische Vereinfachungen und die Tendenz zu quasi-fundamentalistischen radikalen (vermeintlichen) Alternativen.
Ausblick/offene Fragen
Die Sicherheitsfrage ist in allen westlichen Demokratien zu einer grundsätzlichen Konfliktlinie geworden. Damit ist eine sehr weitgehende Ausdehnung des Sicherheitsbegriffs verbunden. Themen der Terrorismusbekämpfung, der Datensicherheit im Internet, der Auswirkungen des Klimawandels, des Umgangs mit Migration, sie alle werden als Bedrohung der gesellschaftlichen Sicherheit wahrgenommen. Entsprechend schwer bzw. kaum lösbar erscheint es, darauf politisch angemessen mit einem Gesamtkonzept reagieren zu können. Die Versicherheitlichung von mehr und mehr Lebens- und Politikbereichen ist in der Folge zu beobachten. Um dem zu entgegnen ist zum einen eine differenzierende wissenschaftliche Analyse und Politikberatung notwendig, die Phänomenbereiche und Ursachenverläufe trennen, z. B. den vermeintlichen Zusammenhang von Terrorismus und Migration. Zum anderen bedarf es einer stärkeren Ausarbeitung normativer Bewertungsansätze, die es ermöglichen, Handlungsalternativen im Sicherheitsbereich wissenschaftlich abzuwägen. Zu nennen ist hier beispielsweise der Ansatz einer angewandten Sicherheitsethik, die geplante Sicherheitspraktiken vor ihrer Implementation mit grundsätzlichen Wertebezügen, seien sie abgeleitet aus der Verfassung, aus dem Demokratieverständnis oder der Wertehaltung potenziell betroffener Menschengruppen (vgl. Ammicht Quinn 2016) in Beziehung setzt.
Innerhalb des politisch-institutionellen Systems liegt wiederum eine oftmals kleinteilige Lösungspraxis vor, die sich ableitet aus tradierten Zuständigkeitsregelungen und Interessenarrangements. Hier stellen sich Fragen nach veränderten integrativen Verwaltungsstrukturen, zu nennen ist das System der öffentlichen Sicherheitsverwaltung mit ihrer Vielzahl an Einzelbehörden, ebenso nach einer Aufgabenteilung im Sicherheitsgefüge der EU sowie nach neuen Aus- und Fortbildungsinhalten im Bereich des Sicherheitspersonals, die den sich wandelnden Sicherheitsanforderungen geeignet entsprechen (vgl. Lange 2018; Lange et al. 2019).
Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Hans-Jürgen Lange