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Hochschulen/Hochschulreformen | bpb.de

Hochschulen/Hochschulreformen

Barbara M. Kehm

Überblick über das deutsche Hochschulsystem

Aufgrund des deutschen Föderalismus, der den Bundesländern im Kultur- und Bildungsbereich die Hoheit verleiht, liegt das deutsche Hochschulsystem in der Verantwortung der Länder, die die Hochschulen auch finanzieren. Bis zum Jahr 2006 hatte die Bundesregierung noch die Verantwortung für (a) die übergreifenden Rahmenvorgaben, niedergelegt im Hochschulrahmengesetz, um die Gleichheit der Zulassungs- und Studienbedingungen zu garantieren; (b) die Ko-Finanzierung – gemeinsam mit den Ländern – des Hochschulbaus; und (c) ebenfalls gemeinsam mit den Ländern die Forschungsförderung. Im Zuge der 2006 in Kraft getretenen Föderalismusreform wurde die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft für die Rahmenvorgaben abgeschafft, so dass die Länder nun eigenständig über ihre Landeshochschulgesetze, die zuvor an das Rahmengesetz angepasst werden mussten, entscheiden können. Hochschulen sind in D definiert als Körperschaften des öffentlichen Rechts. In einigen Bundesländern besteht allerdings seit einigen Jahren die Möglichkeit, diesen Status in eine Stiftung öffentlichen Rechts umzuwandeln.

Im Jahr 2018 bestand das deutsche Hochschulsystem aus insgesamt 396 Hochschulen, darunter 156 nicht-staatliche aber staatlich anerkannte Hochschuleinrichtungen (117 private, 39 kirchliche). Es ist aufgeteilt in 121 Universitäten (darunter die Fernuniversität in Hagen und die Bundeswehrhochschulen in Hamburg und München), 218 Fachhochschulen bzw. Hochschulen für angewandte Wissenschaften (darunter 30 Hochschulen für öffentliche Verwaltung) und 57 Kunst- und Musikhochschulen (Hochschulrektorenkonferenz 2018). Das deutsche Hochschulsystem wird als ein binäres System bezeichnet, weil es überwiegend aus Universitäten und Fachhochschulen besteht. Universitäten weisen ein größeres Fächerspektrum auf und besitzen das Promotionsrecht. Fachhochschulen bieten eher anwendungsorientierte Studiengänge an und sind stärker praxisorientiert. Forschung findet an Fachhochschulen in eingeschränkterem Maße statt als an Universitäten. In acht Bundesländern gibt es außerdem Berufsakademien, auch „duale Hochschulen“ genannt, die ebenfalls zum tertiären Sektor zählen, und „duale“ Studiengänge anbieten. Die Studierenden dieser Studiengänge werden im Rahmen ihrer praktischen Ausbildung in einem Unternehmen zum Studium an eine Berufsakademie entsandt und kehren in den Semesterferien und nach Abschluss ihres dreijährigen Studiums wieder an ihre Ausbildungsstätte zurück. Der Abschluss ist in der Regel ein Bachelorgrad. In Baden-Württemberg gibt es darüber hinaus noch sechs Pädagogische Hochschulen, an denen Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet werden. In allen übrigen Bundesländern wurde die Lehrerausbildung im Verlauf der 1970er- und 1980er-Jahre in die Gesamthochschulen bzw. Universitäten integriert. Von den ursprünglich elf Gesamthochschulen, ein Reformmodell zur Integration der universitären und der Fachhochschulausbildung, gibt es heute keine mehr. Sie wurden im Verlauf der 1980er-Jahre zu Universitäten aufgewertet. Die Zahl der privaten Hochschulen (sowohl staatlich anerkannte als auch staatlich nicht anerkannte) ist in den letzten Jahren, insbesondere seit 2002, deutlich angestiegen. Das Statistische Bundesamt (Statistisches Bundesamt 2017) weist in seinem Bericht über private Hochschulen in Deutschland insgesamt 113 Privathochschulen für das Jahr 2016 aus, darunter 19 Privatuniversitäten (davon 17 mit Promotionsrecht), 105 private Fachhochschulen, vier private Kunsthochschulen, drei private theologische Hochschulen und eine private Verwaltungshochschule. Im Unterschied zu staatlichen Hochschulen fallen an privaten Hochschulen Studiengebühren in unterschiedlicher Höhe an. Im Jahr 2016 studierten insgesamt 243.406 (7,9 % aller Studierenden) Studierende an privaten Hochschulen in Deutschland.

An den deutschen Hochschulen gab es im Jahr 2018 insgesamt rund 2,845 Millionen Studierende, davon etwa 1,78 Millionen an Universitäten und 1,02 Millionen an Fachhochschulen. Gemessen an der Gesamtzahl aller Studierenden betrug der Anteil der weiblichen Studierenden 48,5 Prozent im Jahr 2018. Im selben Jahr gab es 374.583 ausländische Studierende an den deutschen Hochschulen (13,2 % aller Studierenden), die meisten von ihnen aus China und der Türkei, gefolgt von Indien, Italien und Rußland (Statistisches Bundesamt 2018).

Zwei weitere statistische Zusammenhänge sind von Bedeutung, gerade im internationalen Vergleich. Der Anteil der Studienanfänger an der jeweiligen Alterskohorte der 18- bis 20-jährigen betrug in Deutschland im Jahr 2017 etwa 60 Prozent. Damit hat Deutschland im Vergleich zum Durchschnitt aller OECD-Länder (66 %) aufgeholt, liegt aber mit seiner Studienanfängerquote immer noch deutlich niedriger als in etlichen anderen OECD-Ländern (Studienanfängerquoten zwischen 70 % und 80 % weisen Belgien, Österreich, Island, Japan, Norwegen, Polen, Slowenien und Spanien auf; über 80 % weisen Chile, Dänemark und die Schweiz auf; mit 91 % die höchste Studienanfängerquote hat Neuseeland) (OECD 2018, S. 262). Die im internationalen Vergleich relativ niedrige Studienanfängerquote in Deutschland ist nicht zuletzt dem als international vorbildlich geltenden System der beruflichen Bildung und Ausbildung geschuldet, das in Deutschland eine sehr gute Alternative zum Studium an einer Hochschule bietet. Demgegenüber werden in Deutschland ausgesprochen viele Doktorgrade verliehen, 29.303 im Jahr 2017, was einer Promotionsquote von 3,8 Prozent entsprach. Damit liegt in Deutschland die Promotionsquote deutlich höher als in den meisten anderen europäischen Ländern (mit Ausnahme Großbritanniens mit 4,0 %), die zumeist Anteile von drei und weniger Prozent aufweisen (OECD 2018, S. 262).

Etwa seit der Millenniumswende befindet sich das deutsche Hochschulsystem in einer tief greifenden Umbruchphase, die die unterschiedlichsten Bereiche erfasst hat. Die wesentlichen Herausforderungen dieses Reformprozesses werden im Folgenden kurz umrissen.

Neue Beziehungen zwischen Hochschule und Staat

Etwa ab Mitte der 1980er-Jahre wurde immer deutlicher, daß die Länder nicht mehr in der Lage waren, das seit den 1960er-Jahren stark expandierte Hochschulsystem zu finanzieren. Zudem wurde zunehmend Kritik an der Reformunfähigkeit der Hochschulen geäußert. Auch Defizite in der Qualität der Lehre wurden festgestellt. Eine Lösung des Problems wurde im Rückzug des Staates von der Detailkontrolle im Austausch für eine stärkere Rechenschaftspflichtigkeit der Hochschulen gesehen. Die neue Autonomie bestand nicht nur in der Einführung von Globalhaushalten sondern zunehmend auch in der Aushandlung von Ziel- und Leistungsvereinbarungen. Im Austausch für eine größere Autonomie und gestärkte Entscheidungsbefugnisse der Hochschulleitung und der Dekane verlangten die Länder die Beteiligung externer Interessenvertreter (Stakeholder) an den wesentlichen institutionellen Entscheidungsprozessen (Einführung von Hochschulräten), verstärkte Kooperation mit dem privaten Sektor und mehr Wettbewerb der Hochschulen untereinander um staatliche Gelder, die vielerorts allmählich auf der Grundlage von Kontrakten für (Dienst-)Leistungen in Forschung und Lehre und nach regelmäßiger Evaluation der Performanz vergeben wurden (LOM: leistungsorientierte Mittelzuweisung). Dem Staat blieb die Aufgabe, Reformen zu ermöglichen und Rahmenbedingungen vorzugeben, innerhalb derer die Hochschulen agieren sollen. Dies hat zu stärker hierarchischen Leitungsstrukturen an den Hochschulen selbst sowie zu einer Schwächung der Senate geführt und zu einer internen Mittelallokation, die ebenfalls zunehmend auf der Grundlage von Zielvereinbarungen der Hochschulleitung mit den Fachbereichen und der Dekane mit den Lehrenden und Forschenden beruhen. Zugleich lässt sich ein Trend zur Professionalisierung des institutionellen Managements beobachten.

Reform der Studienstrukturen und Abschlüsse

Im Jahr 1999 beschlossen die Bildungs- und Wissenschaftsminister von 29 europäischen Ländern anlässlich eines Treffens in Bologna, bis zum Jahr 2010 einen europäischen Hochschulraum zu schaffen, der die Hochschulbildung in Europa wettbewerbsfähiger und attraktiver für ausländische Studierende machen sollte. Zentrale Eckpunkte des im Rahmen der Bologna-Erklärung formulierten Reformprogramms, das mittlerweile von insgesamt 48 Ländern unterzeichnet wurde (unter anderem auch von Ländern, die weder EU-Mitgliedstaaten noch EFTA-Mitgliedstaaten sind, z. B. Rußland, Serbien, Türkei, Ukraine, Albanien, Weißrußland, Kasachstan, Georgien, Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien, Moldavien), waren die Einführung einer gestuften Struktur von Studiengängen und Abschlüssen (Bachelor und Master) und die Einführung eines Kreditpunktesystems zur Erleichterung der Anerkennung von im Ausland erbrachten Studienleistungen und zur Förderung studentischer Mobilität. Der Bachelor-Abschluss sollte nach einer drei- bis vierjährigen Studienzeit erworben werden und unmittelbar zum Übergang auf den Arbeitsmarkt qualifizieren. Der Master-Abschluss sollte nach weiteren ein bis zwei Jahren erreicht werden können. In Deutschland bieten sowohl Universitäten als auch Fachhochschulen Bachelor- und Master-Studiengänge an, die Fachhochschulen allerdings nur in ausgewählten Fächern. Bis zum Sommersemester 2018 waren 91,5 Prozent aller Studiengänge in Deutschland (19.135) auf die neue Struktur umgestellt. Der Großteil der Studiengänge mit den traditionellen Abschlüssen (Diplom, Magister, Staatsprüfungen) bestand in den staatlich regulierten Studiengängen, die mit einer Staatsprüfung abschließen. Zwar werden in die Studiengänge mit traditionellem Abschluß bereits seit einigen Jahren keine neuen Studierenden mehr eingeschrieben, doch haben bereits eingeschriebene Studierende das Recht, ihr Studium zu den Bedingungen beenden zu können zu welchen sie es begonnen haben. Zur Sicherung der Qualität der neuen Studiengänge und zur Feststellung der Einhaltung von Mindeststandards wurde darüber hinaus ein Akkreditierungssystem etabliert (vgl. Punkt 6).

Wettbewerb um Forschung und Forscherausbildung

Ein Jahr nach der Bologna-Erklärung der Bildungsminister ergriff die Europäische Kommission eine vergleichbare Initiative für den Forschungsbereich, die ebenfalls nach dem Ort des Treffens, auf dem der Beschluss gefasst wurde, Lissabon-Strategie genannt wird. Die den Hochschulbereich betreffenden Kernpunkte der Strategie sind eine Erhöhung der öffentlichen Ausgaben für Forschung und Innovation auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts und eine Steigerung der Zahl der Promovierten, die in den wissensproduzierenden und wissensintensiven Wirtschaftssektoren tätig werden sollen. Zugleich soll die Abwanderung von hoch qualifizierten jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ins Ausland („Brain-Drain“) reduziert werden. Dies hat sich bisher vor allem auf die bestehenden Formen der Doktorandenausbildung an deutschen Universitäten ausgewirkt. Die Promotion soll strukturierter verlaufen und den Promovierenden sollen zusätzliche Schlüsselqualifikationen vermittelt werden, die ihnen den Einstieg in außeruniversitäre Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten ermöglichen. Zunehmend wird daher die Doktorandenausbildung im Rahmen von Doktorandenprogrammen und Graduiertenschulen angeboten und gefördert. Davon verspricht man sich drei Vorteile: (a) die Verbesserung der Qualität der Betreuung durch Schaffung einer kritischen Masse von möglichen Betreuern und Beratern zu einem Dissertationsthema, so dass die persönliche Abhängigkeit der Doktoranden von einem Betreuer reduziert wird; (b) die Reduktion der Zahl von Abbrechern und die Verkürzung der Dauer der Promotionsphase; (c) eine größere Berücksichtigung von Themen mit gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Relevanz.

Das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBF) begleitet den Prozeß der Reform der Doktorandenausbildung seit einigen Jahren durch einen „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs“, der einmal pro Legislaturperiode vorgelegt wird und sowohl aus einer Fortschreibung und Aktualisierung der bestehenden Daten- und Informationslage als auch wechselnden thematischen Schwerpunkten besteht. Der vierte und nächste „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs“ wird 2021 erscheinen und hat zum Schwerpunktthema die Postdoktorandenphase sowie Personal- und Personalstrukturentwicklungen an Hochschulen. Der dritte und zuletzt erschienene „Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs“ wurde 2017 publiziert mit dem Schwerpunktthema „Vereinbarkeit von Familie und akademischer Karriere“ (Konsortium Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2017).

Im Kontext des Wettebwerbs um hochtalentierte Forscherinnen und Forscher wurde bereits seit langer Zeit die Habilitation kritisiert, die traditionell den Weg zur Professur eröffnet. Der Weg galt als zu lang, die Abhängigkeiten als zu groß und und die Wahrscheinlichkeit des Erlangens einer Professur als zu unbestimmt, um eine akademische Karriere noch attraktiv erscheinen zu lassen. Statt dessen wollten die politischen Entscheidungsträger mit der Einführung der (sechsjährigen) Juniorprofessur im Jahre 2002 einen schnelleren und attraktiveren Weg in die akademische Unabhängigkeit und zu einer Professur schaffen. Nicht alle Disziplinen waren damit zunächst einverstanden und insistierten weiterhin auf der Habilitation. Inzwischen ist aber die Zahl der Juniorprofessuren gewachsen, von etwas über 100 im Jahr 2002 auf 1,613 im Jahr 2014. Demgegenüber gingen die Habilitationen zurück, von 2,302 im Jahr 2002 auf 1,627 im Jahr 2014 (Statistisches Bundesamt 2015). Zunehmend häufiger werden die Juniorprofessuren auch mit einem „tenure track“ versehen, d. h. nach erfolgreich durchlaufenen Evaluationen, in der Regel nach dem dritten und dem sechsten Jahr, erfolgt die Beförderung auf eine reguläre Professur an derselben Universität.

Erweiterung der Finanzierungsquellen von Hochschulen und Exzellenzinitiative

Aufgrund der massiven Expansion der Studierendenzahlen seit den 1960er- und 1970er-Jahren sowie der angestrebten weiteren Erhöhung des Anteils derjenigen einer Alterskohorte, die ein Studium aufnehmen, werden die Hochschulen seit einigen Jahren ermutigt, sich nicht mehr ausschließlich auf eine weitgehende Finanzierung durch die öffentliche Hand zu verlassen. Zudem hat ein Umdenken eingesetzt, welches die traditionelle Auffassung von (Hochschul-)Bildung als einem öffentlichen Gut zugunsten der Auffassung von (Hochschul-)Bildung als einem sowohl privaten als auch öffentlichen Gut aufgegeben hat. Die Erweiterung der Finanzierungsquellen zur Deckung der Hochschulhaushalte steht bereits seit einigen Jahren auf der Tagesordnung. Allerdings ist die zwischenzeitliche Einführung von moderaten Studiengebühren in neun von 16 Bundesländern wieder vollständig zurückgenommen worden. Dennoch sind die Hochschulen aufgefordert, „unternehmerischer“ zu werden und vermehrt Partnerschaften mit Unternehmen des privaten Sektors einzugehen. Diese „public private partnerships“, wie sie auch genannt werden, reichen vom Sponsoring von Projekten, Veranstaltungen, neuen Gebäuden und Professuren, über die Finanzierung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten und die Organisation von Wissenstransfer bis hin zu maßgeschneiderten Weiterbildungsangeboten oder der Zusammenarbeit bei der Entwicklung eines Produkts bis zur Marktreife. Deshalb ist „Fundraising“, neben vermehrter Alumniarbeit, eines der neuen und zunehmend wichtigeren Tätigkeitsgebiete an Hochschulen geworden.

Mit der im Jahr 2005 beschlossenen Exzellenzinitiative wurde in Deutschland politisch gesehen neues Terrain betreten (Kehm, Pasternack 2009). Bund und Länder investierten zusammen 1,9 Millionen Euro in einen Wettbewerb, aus dem die besten Universitäten des Landes hervorgehen sollten. Von diesen erwartete man mittelfristig einen Aufstieg in die Liste der globalen Spitzenuniversitäten, die sich in globalen Rankings behauptet hatten. Das Geld wurde in drei Kategorien vergeben: Graduiertenschulen (Doktorandenausbildung), Exzellenzcluster in der Forschung und institutionelle Entwicklungskonzpte. Die Begutachtung und Auswahl der Anträge wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Wissenschaftsrat koordiniert und von international zusammengesetzten Jurys getroffen. Nach der ersten Runde, die in zwei Stufen in den Jahren 2006 und 2007 stattfand, hat es 2012 eine weitere Runde gegeben. Die dritte Auswahl- und Vergaberunde, diesmal unter dem Namen „Exzellenzstrategie“ und für längere Dauer angelegt, fand 2019 statt. Gefördert wurden nur noch Exzellenzcluster und Exzellenzuniversitäten. Den Empfehlungen der nach ihrem Leiter Dieter Imboden benannten Imboden-Kommission (Internationale Expertenkommission zur Evaluierung der Exzellenzinitiative 2016) folgend, hatte die Gemeinsame Wissenschaftskommission, bestehend aus Wissenschaftsrat und Deutscher Forschungsgemeinschaft, die Förderung von Graduiertenschulen abgesetzt. Im Ergebnis der beiden ersten Runden wurden 40 Graduiertenschulen und 39 Exzellencluster gefördert. Für die Auswahl der institutionellen Entwicklungskonzepte bestanden etwas andere Bedingungen, weil in dieser höchstdotierten Förderkategorie die zukünftigen deutschen Eliteuniversitäten gefunden werden sollten. Nach der dritten Auswahlrunde (2019) werden derzeit insgesamt 57 Exzellenzcluster an 34 Universitäten gefördert sowie zehn Universitäten und ein Universitätsverbund (Berlin) als Exzellenzuniversitäten (Gemeinsame Pressemitteilung, Juli 2019).

Aber mit der Exzellenzinitiaitve ist nicht nur deutlich mehr Geld in das deutsche Hochschulsystem geflossen, es wurde auch mit einem politischen Tabu gebrochen. Im Prinzip war (und ist) die Exzellenzinitiative der Abschied von der legalen Homogenität und Gleichbehandlung aller deutschen Universitäten. Die in Massensystemen erforderliche Strukturierung war in Deutschland immer horizontal im Sinne einer Ausdifferenzierung von institutionellen Typen verlaufen. Mit der Exzellenzinitiative erfolgte die Einführung eines eher vertikal strukturierten Systems von Spitzenuniversitäten mit deutlich mehr Geld und besserer Ausstattung und anderen Universitäten. Fachhochschulen durften bei diesem Wettbewerb gar nicht erst mitmachen. Die Abwendung von der horizontalen Differenzierung und die Hinwendung zur vertikalen Hierarchisierung des deutschen Hochschulsystems ist vor allem von denjenigen Universitäten nicht begrüßt worden, die sich wenig Chancen ausrechneten, in diesem Wettbewerb zu gewinnen. Damit wurden erstmalig in Deutschland explizit Qualitätsunterschiede zwischen den Universitäten offen gelegt.

Die Suche nach Qualität

Wie bereits in Punkt 4 angedeutet, wurde den Hochschulen mit dem Rückzug des Staates aus der Detailkontrolle eine Rechenschaftspflicht bezüglich ihrer Effektivität und Effizienz bei der Verausgabung öffentlicher Mittel auferlegt. Daraus ist mit der Zeit eine neue Kultur der Qualitätsbewertung, Qualitätssicherung und Qualitätsverbesserung in Forschung und Lehre entstanden. Die entsprechenden Aktivitäten (Evaluationen und Akkreditierungen) werden zum Teil hochschulintern, zum Teil von externen Agenturen durchgeführt. Die Evaluation unterscheidet sich von der Akkreditierung dadurch, dass sie in der Regel keine eindeutige Ja/Nein-Entscheidung trifft, sondern auf der Grundlage einer Analyse der Stärken und Schwächen zu Verbesserungsempfehlungen kommt. Mit der Akkreditierung teilt die Evaluation das Merkmal, dass die „Peers“, also das Kollegium der Lehrenden und Forschenden innerhalb eines Faches, bei der Bewertung eine wichtige Rolle spielen. Es sind bereits viele Versuche unternommen worden, die Qualität von Forschung und Lehre an Hochschulen zu definieren. Eine klare und breit geteilte Definition gibt es bisher nicht. Zweckangemessenheit und dem Standard entsprechend sind derzeit die allgemeinsten Definitionen von Qualität, die zugleich implizieren, dass Qualität nicht länger ausschließlich nach innerwissenschaftlichen oder disziplinären Kriterien von Güte oder Exzellenz definiert wird, sondern zunehmend auch durch die Nutzer der Ergebnisse oder Produkte (Relevanz). Dies hat dazu geführt, dass eine wachsende Anzahl quantitativer Indikatoren und Normen entwickelt worden sind, mit denen Qualität gemessen wird. Nationale und internationale Rankings haben diesen Trend verstärkt. Für die Lehre wurden auf europäischer und auf nationaler Ebene so genannte Qualifikationsrahmen entwickelt, die die Standards dessen definieren sollen, was ein Bachelor-Absolvent, ein Master-Absolvent und ein Promovierter an Schlüsselqualifikationen und analytischen Fähigkeiten mitbringen sollte, wenn er oder sie auf den Arbeitsmarkt übertritt.

Internationalisierung

Die Internationalisierung der Hochschulen ist bereits seit etlichen Jahren auf der Tagesordnung. Seit die Europäische Kommission in den 1980er-Jahren die ersten Mobilitätsprogramme im Hochschulbereich aufgelegt hat (Erasmus), wurden Internationalisierung und ein temporäres Auslandsstudium zunehmend als wichtiger Bestandteil des Studiums angesehen und ein internationales Profil als wertvolles Element der Reputation einer Hochschule. In einer zunehmenden Zahl von Fällen hat sich aus der engen Kooperation von Hochschulen in Europa die Entwicklung von integrierten internationalen Studiengängen mit Doppelabschluß der beteiligten Hochschulen ergeben. Laut einer DAAD-Übersicht gab es im Jahr 2018 etwa 100 solcher Studiengänge. Außerdem sind deutsche Hochschulen an vielen EU-geförderten trinationalen ERASMUS Mundus-Studiengängen beteiligt.

Innerhalb des EU-Kontextes beruhte Internationalisierung und Mobilität lange Zeit auf wechselseitigem Vertrauen der miteinander kooperierenden Hochschulen und auf der Annahme einer ungefähren Äquivalenz der Studienerfahrungen an der Heimat- und an der Gasthochschule, so dass die Anerkennung der im Ausland erbrachten Studien- und Prüfungsleistungen bewerkstelligt werden konnte. Im Laufe der Jahre ist jedoch das Kooperationsparadigma durch ein Wettbewerbsparadigma ergänzt worden, das auf die Anwerbung der talentiertesten Studierenden und jungen Wissenschaftler aus dem Ausland setzt. Zugleich wird die Wahl der ausländischen Partnerhochschulen zu Zwecken der Kooperation zunehmend selektiver und von Gesichtspunkten strategischer Allianzen im internationalen Wettbewerb geprägt. Nationale und internationale Ranglisten haben nicht gerade wenig zu dieser Entwicklung beigetragen. Darüber hinaus ist mit dem „General Agreement on Trade in Services“ (GATS) der Welthandelsorganisation ein neuer Gesichtspunkt hinzugetreten, der global wirksam wird. Dabei geht es um die Liberalisierung von Bildung als Dienstleistung und als Ware auf einem Konsummarkt. Internationalisierung in diesem Kontext besteht weniger aus der Bewegung großer Zahlen von Studierenden und kleinerer Zahlen von Lehrenden im Rahmen eines zeitlich begrenzten Auslandsaufenthaltes, sondern aus der Etablierung von institutionellen Zweigniederlassungen, von Franchises und von Studiengängen als Exportartikel. Abschlüsse werden wie Markennamen gehandelt und Hochschulbildung als Geschäft entdeckt. Nicht immer ist jedoch die Qualität solcher Angebote durchgängig garantiert.

Schließlich soll in diesem Abschnitt noch ein weiterer Punkt angesprochen werden, der in den letzten Jahren zu einer verstärkten Internationalisierung der deutschen Hochschulen beigetragen hat. Viele deutsche Hochschulen haben sich vorbildlich darum bemüht, Flüchtlingen zu helfen und ihnen die Integration in Deutschland zu erleichtern. Dies reichte von Sprachkursen über die Begleitung bei Behördengängen, die Schaffung von Notunterkünften bis hin zu Studienangeboten und Stipendien. Sich auf den Hochschul-Bildungs-Report 2020 des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft berufend (Stifterverband 2017), berichtete Spiegel Online am 20.11.2017, daß bis 2020 mindestens 40.000 Flüchtlinge ein Studium an einer deutschen Hochschule aufnehmen werden.

Dieser kleine Überblick über die derzeit im Vordergrund stehenden Hochschulreformen soll verdeutlichen, dass das Arbeiten und Studieren an Hochschulen sich in den letzten fünf bis zehn Jahren deutlich verändert hat. Die Lehrenden und Studierenden sind mobiler und flexibler in der Wahl ihres Studien- und Arbeitsortes geworden und lebenslanges Lernen sowie internationale Mobilität hat die traditionelle Zusammensetzung der Studierendenschaft sichtbar verändert. Die Leitung von Hochschulen ist zu einer hochprofessionellen Karriereoption geworden und die Hochschulen selbst spielen regional wie international eine bedeutsame Rolle bei der Weiterentwicklung der bestehenden Wissensgesellschaft und Wissensökonomie.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Barbara M. Kehm

Fussnoten