Entstehungsgeschichte
Gesetze sind schon aus der Antike bekannt. Seit der Aufklärungszeit wurden sie in neuer Qualität systematisch in den deutschen Staaten eingeführt. Damit sollte Willkür in der Herrschaftsausübung überwunden und einheitliche Prinzipien im ganzen Staatsgebiet durchgesetzt werden. Mit den Verfassungen, die sich die meisten deutschen Staaten zwischen 1810 (Sachsen-Weimar) und 1851 (Preußen) gaben, wurde die Mitwirkung der Parlamente an der Gesetzgebung festgelegt. Dabei wurde an das ältere ständische Haushaltsrecht angeknüpft. Legislative Rechte bekam 1871 auch der Reichstag, der dabei mit dem Bundesrat und dem Monarchen zusammenwirkte. Er beschloss das Bürgerliche Gesetzbuch, das Handelsgesetzbuch und das Strafgesetzbuch, die alle bis heute strukturierend wirken.
Institutionelle Zuständigkeiten
Nach Art. 70 GG sind die Bundesländer für die Gesetzgebung überall dort zuständig, wo diese nicht explizit dem Bund zugewiesen ist. In der Realität aber liegt das Schwergewicht der Gesetzgebung beim Bund, dem in den meisten Lebensbereichen die ausschließliche oder die konkurrierende Gesetzgebung zusteht. Er hat von diesen Zuständigkeiten in weitem Maß Gebrauch gemacht, wozu die zentralistische politische Kultur in D entscheidend beiträgt. Mit der Doktrin von der „Gesetzgebungskompetenz kraft Natur der Sache“ und „kraft Sachzusammenhangs“ ist die Bundeszuständigkeit noch weiter ausgedehnt worden (BT-Drucksache V/4002:8; Schindler 1999, S. 2322).
Die Länder haben nur in den Bereichen Bildung, Kultur und Medien, Polizei, Kommunales und Landesinstitutionen ihre legislative Autonomie aufrechterhalten können. Die den Ländern 2006 zugewiesenen zusätzlichen Zuständigkeiten für Bereiche wie Ladenschluss, Gaststätten, Freizeitlärm und Heimrecht sind wenig bedeutend, intensivierten aber das Bedürfnis nach Koordinationen. Diese findet etwa in der Kultusministerkonferenz statt, was die Autonomie der → Landtage faktisch einschränkt. In den meisten Ländern gibt es Möglichkeiten der Volksabstimmung über Gesetze, allerdings im Vergleich zur Schweiz sehr eingeschränkt (keine Finanzregelungen, hohe Quoren).
Die Bundesgesetzgebung wird entweder von → Bundestag und → Bundesrat gemeinsam ausgeübt (zustimmungspflichtige Gesetze) oder unter Verantwortung des Bundestags unter Beteiligung des Bundesrates (nicht-zustimmungspflichtige Gesetze). Die Abgrenzung zwischen den beiden Bereichen ist außerordentlich komplex. Die Föderalismusreform 2006 sollte die Zustimmungspflichtigkeit reduzieren und Bundes- und Landespolitik entkoppeln. Das ist nicht im erwarteten Maße gelungen. 1949–83 waren durchschnittlich 50,7 % der Gesetze zustimmungspflichtig, 1983–2005 56,2 %, 2005–09 41,8, 2009–13 38,3 und 2013–17 35,8 %. Die Zahl der endgültig durch den Bundesrat abgelehnten Gesetze war gering. Dies lässt auf die ausgeprägte Kompromissfähigkeit zwischen den beiden Häusern schließen, die auch bei unterschiedlichen Mehrheiten vielfach Lösungen möglich macht. Der → Vermittlungsausschuss ist in der Zeit der Großen Koalition 2013–17 nur ganze drei Mal angerufen worden, 1990–94 waren es 87mal gewesen. Da die Landesregierungen immer unterschiedlicher und komplexer zusammengesetzt sind, müssen immer mehr Partner in die Entscheidungen einbezogen werden.
Im → Grundgesetz wird nach den Erfahrungen von 1933 Wert auf Kontrollen und Gegengewichte gelegt. Vor dem → Bundesverfassungsgericht kann die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen überprüft werden (Normenkontrolle). Es wird von der → Opposition, von → Bundesländern, von Gerichten und von einzelnen Bürgern immer wieder angerufen. Zuweilen ist das Bundesverfassungsgericht über die Kontrolle hinausgegangen und hat dem Parlament rechtsschöpferisch Maßstäbe oder Vorschläge an die Hand gegeben, die in die Gesetzgebung eingeflossen sind. Beispiele sind die Urteile über Abtreibung, → Datenschutz und der „Halbteilungsgrundsatz“ in der Besteuerung. Auch die Koordination des Rechts („virtuelle Einheit“ – von Beyme 1997, S. 55) hat sich zunehmend auf das Bundesverfassungsgericht verschoben. Gleichwohl ist der Bundestag mit Recht als „vielleicht machtvollste gesetzgebende Kammer in Europa“ bezeichnet worden (Aberbach et al. 1981, S. 231). Als SPD-Fraktionsvorsitzender hat Peter Struck 1999 dementsprechend selbstbewusst formuliert, dass „kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es hineingekommen ist“ („Strucksches Gesetz“). Im Unterschied zum britischen Unterhaus ist der Bundestag kein Rede-, sondern ein Arbeitsparlament. Ein Schwerpunkt seiner Aktivität liegt in den Ausschüssen und der Gesetzesberatung. Eine besondere Stellung nimmt der Haushaltsausschuss ein, der letzte Änderungen in das Haushaltsgesetz einbringen und seine Ausführung überwachen kann.
Andere im Grundgesetz vorgesehene Kontrollen und Einschränkungen haben wenig oder keine Bedeutung erlangt. Das gilt für die Möglichkeit der → Bundesregierung, bei finanzwirksamen Gesetzen Einspruch zu erheben (Art. 113) ebenso wie für entsprechende Einspruchsmöglichkeiten des Finanzministers. Nie angewendet worden ist auch der in Art. 81 vorgesehene „Gesetzgebungsnotstand“, der bei Beschlussunfähigkeit des Parlaments eintreten sollte. Der Bundestag ist im Gegensatz zum Reichstag der Weimarer Zeit immer ein funktionsfähiges und trotz aller parteipolitischen Unterschiede kollegiales Arbeitsparlament gewesen. Auch die 1968 verabschiedete → Notstandsverfassung, mit der im Notstandsfall Gesetzgebung auf einen kleinen „Gemeinsamen Ausschuss“ übertragen werden kann, hat keine Bedeutung erlangt.
Verfahren und Interessen
80 % der 548 in der Legislaturperiode 2013–17 beschlossenen Bundesgesetze beruhten auf Entwürfen der Bundesregierung, die dazu die → Ministerialbürokratie nutzte. Weitere 9,5 % wurden von den Koalitionsfraktionen initiiert, in fünf Fällen zusammen mit Oppositionsfraktionen. 1,6 % der Gesetze entstammten Bundesratsentwürfen. 240 eingebrachte Vorlagen wurden nicht Gesetz, darunter 43 von der Regierung, 96 aus dem Bundestag und 101 vom Bundesrat. In der politischen Praxis hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Informalisierung beim Einbringen von Gesetzen ergeben (Lehmbruch 2000). Die Koalitionsfraktionen bringen bei Eilbedürftigkeit auch Gesetze ein, die mit Hilfe der Ministerialbürokratie ausgearbeitet worden sind.
Während der Anteil der einstimmig verabschiedeten Gesetze von der ersten Wahlperiode (1949–53) bis zur siebten Wahlperiode (1972–76) kontinuierlich von 19,3 % auf 72,9 % anstieg, sank er seitdem ab und 2005–09 wurden noch 21,6 % der Gesetze einstimmig verabschiedet. Dies hängt mit dem Einzug der Grünen und später der PDS in den Bundestag zusammen, die sich oppositionell profilierten. Seit 2017 ist der Bundestag mit der AfD noch kontroverser geworden.
Am Anfang des Gesetzgebungsverfahrens steht üblicherweise ein Referentenentwurf im zuständigen Ministerium. Es folgen die Abstimmungen innerhalb des Ministeriums, mit anderen Ministerien und dem Bundeskanzleramt, die Anhörung der einschlägigen Verbände, Kabinettsvorlage und -beschluss und die Beratung im Bundesrat. Anschließend wird der Entwurf im Bundestag eingebracht, der ihn nach der ersten Lesung an die zuständigen Ausschüsse überweist. Danach erfolgen die Berichte der Ausschüsse, die zweite und dritte Lesung und wenn nötig eine erneute Befassung des Bundesrates und bei kontroverser Beschlussfassung des Vermittlungsausschusses. Ein Bundesgesetz wird anschließend durch die zuständigen Minister, den → Bundeskanzler und schließlich den → Bundespräsidenten unterzeichnet, ein Landesgesetz durch Minister und Ministerpräsident. Es ist strittig, inwieweit der Bundespräsident bei der Unterzeichnung ein Prüfungsrecht wegen der Verfassungsmäßigkeit hat. Die Bundespräsidenten haben dieses Recht nach sorgfältiger Abwägung in einigen wenigen Fällen in Anspruch genommen.
Von Anfang an sind im Allgemeinen → Interessengruppen an der Formulierung von Gesetzesvorhaben beteiligt; dies geht auf vor- und frühkonstitutionelle Zustände zurück (Loewenberg 1969, S. 342). Besonders eng ist traditionell die Zusammenarbeit des Wirtschafts- und des Landwirtschaftsministeriums mit den entsprechenden Verbänden. Nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung, die sich bis auf wilhelminische Vorbilder zurückverfolgen lässt, werden ausschließlich Spitzenverbände zur Konsultation herangezogen, was diesen Einfluss gibt und die Verbändelandschaft strukturiert. Auch die entsprechenden Parlamentsausschüsse sind verbandlich gefärbt und insofern mit einem interessenbezogenen Sachverstand ausgestattet. Die organisierte Parteien- und Verbändestruktur in D wirkt sich eher in einer Bevorzugung zentral organisierter Gruppen aus. Dagegen wird in den USA mit ihrem eher auf die einzelnen Abgeordneten abgestellten System auf lokale und persönliche Interessen abgehoben.
Die komplexe institutionelle Situation kann unterschiedliche materielle Ergebnisse zeitigen, die Loewenberg (1969, S. 339) anhand von fünf Fallgruppen skizziert hat: die völlige Umformulierung einer Vorlage der Ministerialbürokratie durch den Bundestag, die Durchsetzung von Interessengruppen, die Durchsetzung einer einzelnen Interessengruppe , die Blockierung einer Vorlage durch die Mehrheitsfraktion (Reisegesetz 1961) und das parteipolitisch motivierte Leistungsgesetz vor der Wahl. In den letzten Jahrzehnten sind weitere Typen wichtig geworden: die Blockierung zwischen Bundestag und Bundesrat entweder aufgrund parteipolitischer oder institutioneller Gegensätze, die Abbildung der Komplexität der Institutionen in den Gesetzen (Beispiel Kindergeld und Kinderfreibeträge) und die symbolischen Gesetze, die weniger der Lösung eines Problems als der Führung von Kampagnen gelten und oft in kurzem Abstand denselben Gegenstand neu regeln (Asylgesetze). Überstürzte Entscheidungen aus politischer Opportunität führen zu Gesetzesformulierungen, die schon nach kurzer Zeit revidiert werden müssen, so etwa bei den Atomausstiegsgesetzen 2011. Dem Bundestag bleib dabei oft wenig Zeit für gründliche Beratungen. Der ehemalige Bundestagspräsident Lammert hat dies wiederholt kritisiert, konnte sich aber gegen die Macht der Kanzlerdemokratie nicht durchsetzen.
In den letzten Jahren sind Gesetzentwürfe vor allem im Finanzbereich wiederholt von externen Rechtsanwaltskanzleien ausgearbeitet worden, was privaten Interessenten direkt einen problematischen Einfluss auf Regierungshandeln gibt.
Nicht so sehr die Zahl als der Umfang der Gesetze ist angestiegen, abgenommen hat die Verständlichkeit. Besonders gravierend ist dies beim Steuerrecht, dessen Unübersichtlichkeit finanzstarke Bürger begünstigt. Dagegen sind in den letzten Jahren im Zivil- und Sozialrecht große neue Kodifizierungen gelungen, die mehr Übersichtlichkeit bringen. Mit seiner „Wesentlichkeitsdoktrin“, d. h. der Auflage, alles Wichtige in Gesetzen zu regeln, hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber zu einer weiten Ausdehnung seiner Aktivitäten veranlasst und dadurch die Flexibilität staatlicher Leistungsverwaltung reduziert (kritisch dazu Herzog 1987, S. 299).
Deutsche Einheit und europäische Dimension
Im Prozess der deutschen Einheit hatte das „Beitrittsgebiet“ das gesamte Recht der Bundesrepublik zu übernehmen – ausgenommen zunächst nur die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs. Die Bonner Ministerien setzten dabei einheitliche Regelungen durch, ganz in der Tradition der unitarischen politischen Kultur (Lehmbruch 2000; Schäuble 1991). Die Überstülpung des bundesdeutschen Rechtssystems verursachte ökonomische, politische und humane Kosten, da die soziale Realität ebenso wie die Verwaltungen auf die neuen Gesetze und deren historisch gewachsene Komplexität einerseits nicht vorbereitet waren. Andererseits versuchte die Regierung, bestimmte Maßnahmen durch Einzelfallgesetze zu verwirklichen, vor allem um Verkehrsprojekte rasch zu realisieren. Gefährdet wird dadurch die Allgemeingültigkeit der Gesetze und die systematische Trennung zwischen Gesetzgebung und Vollzug, die Legitimität und Korrekturpositionen sichert (vgl. Art. 19 GG).
Eine weitere Herausforderung für den deutschen Gesetzgeber ist die europäische Ebene, durch die der Bundestag als Gesetzgeber ebenso ausgehebelt zu werden droht, wie dies die → Landtage erlebt haben. Wenn die EU-Institutionen gesetzeswirksame Richtlinien beschließen, die dann von den nationalen Parlamenten nachvollzogen werden müssen, verliert der Bundestag an Kompetenz (Sturm und Pehle 2012). Von daher wird es entscheidend sein, die demokratischen Prozesse auf EU-Ebene transparent zu gestalten und das Europäische Parlament zu stärken.
Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Dietrich Thränhardt