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(Die) Linke | bpb.de

(Die) Linke

Viola Neu

Von der SED zur PDS

Kommunistische Parteien prägt ein großes Traditionsverständnis, da sie ihre Entstehung und Entwicklung nach der Marxschen Lehre als zwangsläufig, dem Lauf der Geschichte folgend, verstehen und so eine „gesetzmäßige Legitimität“ ihres Handelns herleiten. Es ergibt sich die Frage, ab wann man die Geschichtsschreibung der Linken beginnen lassen kann. Feiern könnte die Linke den 1. Januar 1919, an dem sich die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) konstituierte. Dann könnte man den Vereinigungsparteitag von SPD und KPD zur SED vom 22. April 1946 anführen, als – dem Willen der sowjetischen Besatzungsmacht gehorchend – die Zwangsvereinigung stattfand. Für die PDS wird es hingegen schwieriger, einen Gründungsparteitag oder einen Gründungstag zu finden, da sie sich lediglich nicht mehr SED nannte und diesen Namen mehrfach wechselte. Während der Umbruchsphase in der DDR 1989/1990 hat sich die SED innerhalb kürzester Zeit zweimal umbenannt: Zunächst in SED-PDS (auf der zweiten Tagung des außerordentlichen Parteitags, 16./17. Dezember 1989) und dann auf Beschluss des Parteivorstands vom 4. Februar 1990 in PDS. Den Namen PDS behielt sie bis zum 17. Juli 2005 bei. Im Vorfeld der Bundestagswahl und in Vorbereitung der damals bereits angestrebten Fusion mit der WASG nannte sie sich in Linkspartei.PDS (Abkürzung Linke) um. Am 16. Juni 2007 war schließlich das Geburtsdatum der Linken, als sich die Linkspartei.PDS mit der WASG zur Linken zusammenschloss.

Die PDS ist zwar durch Umbenennung aus der SED entstanden. Es wäre jedoch zu vordergründig, sie als SED-Nachfolgepartei zu bezeichnen. Die PDS ist weder eine neue Partei noch die nahtlose Fortsetzung der SED. Dass SED und PDS nicht identisch sind, ergibt sich allein schon zwingend durch die Bedingungen der unterschiedlichen Systeme. Die PDS ist keine diktatorische Staatspartei; sie muss sich in einem Konkurrenzparteiensystem behaupten. Die PDS hat unzweifelhaft mit zentralen SED-Dogmen gebrochen. Sie beansprucht nicht das Wahrheitsmonopol des Marxismus-Leninismus als der einzig richtigen und wissenschaftlichen Weltanschauung. Zudem ist der innerparteiliche Wandel immens. Die Strukturen der PDS sind nicht mit denen der SED vergleichbar. Das Verbot der „Fraktionsbildung“ ist aufgehoben, wodurch unterschiedliche Auffassungen artikuliert werden und Pluralismus besteht. Auch in ihrem zurückgeschraubten Anspruch – sie will nicht mehr die „führende Partei“ und zugleich Repräsentantin der Arbeiterklasse sein, sondern nur noch Sammelbecken „der Linken“ – unterscheidet sich die PDS deutlich von der SED. Auch die Frage um die SED-Finanzen verdeutlicht, dass die PDS keinen Anspruch auf das SED-Vermögen geltend machen konnte (sie erhielt nur zugesprochen, was die KPD rechtmäßig erworben hatte).

Zu den innerparteilichen Konfliktlinien (vereinfachend mit den Begriffen Reformer/Pragmatiker und Orthodoxe/Radikale/Traditionalisten versehen) gesellten sich im Zuge des Vereinigungsprozesses mit der WASG einige weitere hinzu. Bedeutsam ist vor allem der Flügel, der den Sozialstaat erheblich ausbauen möchte, aber der gesellschaftlichen und politischen Utopie des Sozialismus verhalten gegenübersteht.

Erst über die WASG gewann die PDS ab 2005 neue Mitglieder im Westen, von denen viele aus den Gewerkschaften und der SPD stammen. Das Verhältnis der PDS zu den West-Linken war und blieb gespannt, da deren Interessen weit von der Rettung des Erbes des Sozialismus in den Farben der DDR entfernt lagen. Obwohl Amts- und Mandatsträger aus dem Westen in der PDS kontinuierlich überrepräsentiert waren, war die Macht der westlichen Landesverbände beschränkt.

Die Etablierung der PDS 1990–1993

Erstaunlich ist die Tatsache, dass es der PDS von 1991 bis 1994 gelang, sich auf dem Wählermarkt zu festigen, obwohl die Auseinandersetzung der unterschiedlichen Flügel auch durch die Verabschiedung des zweiten Programms (1993) nicht eingedämmt werden konnte, sondern vielmehr voll entbrannte.

Die Erholung, die ihr in dieser Zeit glückte, ist auch deshalb für viele Beobachter überraschend, da sich die Partei zwischen 1990 und 1993/1994 von Skandal zu Skandal hangelte (u. a. Versuche, die Partei illegal mit SED-Geldern zu finanzieren und einige IM-Entdeckungen), den absoluten Verfall ihrer Parteistrukturen im Osten erleben musste und die Westausdehnung stockte bzw. sich im Niedergang befand. Gleichermaßen wusste die Partei nicht, wie sie die Verankerung in der Gesellschaft organisieren sollte. In der öffentlichen Wahrnehmung war die Partei diskreditiert und im parlamentarischen Betrieb isoliert.

1993 beschloss die PDS schließlich ihr 2. Parteiprogramm und wählte den Brandenburger Fraktionschef Lothar Bisky zum Nachfolger von Gregor Gysi als Parteivorsitzenden. Das Programm selbst war ein Formelkompromiss zwischen den unterschiedlichen Strömungen der Partei, bei dem der Reformerflügel der Partei zentrale Positionen nicht durchsetzen konnte und gegenüber 1990 sogar Rückschläge verzeichnen musste.

Die zentralen Stichworte für die ideologische Positionierung der PDS 1993 sind strikter Antikapitalismus und Antifaschismus, verbunden mit dem Signal an die Parteimitglieder, dass eine Revolution nicht endgültig von der Tagesordnung gestrichen wurde. Die PDS erklärte den „außerparlamentarischen Kampf“ für entscheidend. Sie sei für diejenigen da, die der „kapitalistischen Gesellschaft Widerstand entgegensetzen wollen und die die gegebenen Verhältnisse fundamental ablehnen“.

Regierung und Opposition: Die PDS von 1994–2005

Das Wahljahr 1994 wurde für die PDS zum politischen Comeback. Von der wirtschaftlichen Entwicklung Ds enttäuscht und die eigene Vergangenheit verklärend („Ostalgie“), wandten sich Wähler in den neuen Ländern verstärkt der Partei zu. Am 12. Juni 1994 blieb sie mit 4,7 Prozent zwar bei der Europawahl knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde, doch machte sie auch deutlich, dass sie politisch alles andere als eine zu vernachlässigende Größe war. Gleichermaßen konnte sie aufgrund der schwachen Resonanz im Westen (1,0 Prozent) auch bei der Bundestagswahl am 16. Oktober 1994 bundesweit nur 4,4 Prozent erreichen. Wie auch bei anderen Bundestagswahlen zog die Partei durch den Gewinn von Direktmandaten in Gruppengröße (ohne Fraktionsstatus) in den Bundestag ein. Erforderlich sind hierzu drei Direktmandate.

Die größte Überraschung des sogenannten „Superwahljahres“ waren nicht die Wahlergebnisse auf Bundesebene, sondern die politischen Folgen der Landtagswahl in ST, als die Partei – wenn auch nur am „Katzentisch“ – in die politische Verantwortung zurückkehrte. Obwohl die Bundes-SPD sich für eine große Koalition ausgesprochen hatte, entschied sich Reinhard Höppner für eine Tolerierung der rot-grünen Minderheitsregierung durch die PDS (sogenanntes „Magdeburger Modell“). Die echte Teilnahme an einer Regierung war von da an nur noch eine Frage der Zeit und politischen Opportunität.

Innerparteilich heizte die Tolerierung der Minderheitenregierung in ST den Machtkonflikt zwischen den Orthodoxen und Reformern erheblich an. In dem Maße, in dem die PDS sich über den Weg der prinzipiellen Opposition zum Staat auf der Straße des Tolerierens und Regierens befand, verfestigte sich die Kritik am Programm. Wie vormals der Kampf von „Fundis“ gegen „Realos“ bei den Grünen, prägte die Schlacht zwischen Reformern und Orthodoxen nachhaltig und über Jahre hinweg das öffentliche Erscheinungsbild der Partei.

Die Orthodoxen sahen sich von den Reformern regelmäßig herausgefordert, da die Reformer permanent versuchten, ihre Positionen mehr oder weniger durch die Hintertür beschließen zu lassen. Im Mittelpunkt stand die Frage, welcher Weg zum Ziel Sozialismus führen soll. Auch wenn die Einteilung in zwei Lager die Spannungslinien grob vereinfacht, lässt sich das Konfliktpotenzial idealtypisch beschreiben. Während der orthodoxe Teil der Partei jeglichen „Reformismus“ ablehnte und durch die Mobilisierung gesellschaftlicher „Gegenmächte“ auf einen revolutionären Systemwechsel hinarbeiten möchte, befürwortete das Lager der Reformer eine schrittweise Transformation der Gesellschaft nach dem Weg Antonio Gramscis („Erringen der kulturellen Hegemonie“). Dieser schwelende Konflikt kulminierte 1995 in einer massiven Auseinandersetzung. Nach der Tolerierung der Regierung in ST grassierte die Angst, dass eine Anpassung an das „System“ dazu führen könne, das eigentliche Ziel, die Verwirklichung des Sozialismus, aus den Augen zu verlieren. Wesentlich für den späteren innerparteilichen Konsens war die im Parteitagsbeschluss enthaltene Aussage, dass die PDS als sozialistische Partei „nicht anti-kommunistisch“ sein kann („Sie ist nicht bereit, auf demokratisch-kommunistische Positionen in ihren Reihen zu verzichten.“). Die Reformer konnten durchsetzen, dass sie nicht nur in „prinzipieller Opposition zu den herrschenden Verhältnissen“ stehen müssen, sondern sich auch in der Situation einer Tolerierung oder einer Regierungskoalition befinden können und „in die Gesellschaft hineinbegeben“ dürfen. Jedoch schaffte es das Lager der Traditionalisten seitdem nicht mehr, den Weg der Reformer aufzuhalten. Der orthodoxe Flügel zwang die Partei in eine programmatische Stagnation, während in der politischen Realität ohne viel Aufhebens Regierungsbeteiligungen geschlossen wurden und die Linke seit 2014 auch einen Ministerpräsidenten stellt.

Im Wahlkampf von 1998 hatte sich die PDS strategisch darauf eingestellt, dass die Wahlen im Osten gewonnen werden müssen. Zwar versuchte sie dem Vorwurf zu begegnen, die PDS sei eine reine Ostpartei; eine intensive Auseinandersetzung um und mit dem Westen wurde aber weitgehend vermieden. Wenn auch denkbar knapp, so übersprang die PDS mit 5,1 Prozent die Fünf-Prozent-Hürde und war das erste Mal in Fraktionsstärke im Bundestag vertreten.

Im Frühjahr 1998 hoffte die PDS in ST auf eine volle Regierungsbeteiligung, doch kam es erneut zu einer Tolerierung (diesmal einer SPD-Alleinregierung). Zur ersten formellen rot-roten Koalition kam es ein halbes Jahr später in MV. Hier profitierten die Postkommunisten von dem Umstand, dass Bundes- und Landtagswahl am gleichen Tag stattfanden. Im Windschatten der Bundespolitik konnten beide Parteien dadurch relativ unbehelligt ihr Zusammengehen besiegeln.

Doch verlief die Entwicklung nicht krisenfrei: 2000 musste die Parteiführung bei ihrem ersten in den alten Ländern abgehaltenen Bundesparteitag (Münster) eine herbe Niederlage einstecken, die zum Rückzug von Gregor Gysi und Lothar Bisky führte.

Nach dem Bankenskandal in BE konnte die PDS 2001 bei der Abgeordnetenhauswahl mit ihrem Spitzenkandidaten Gregor Gysi ein hervorragendes Wahlergebnis einfahren (22,6 Prozent), das die Grundlage ihrer zweiten Regierungsbeteiligung bildete (vor der Wahl hatte die PDS bereits die rot-grüne Minderheitsregierung für eine kurze Zeit toleriert).

Die Amtszeit der Parteivorsitzenden Gabriele Zimmer (2000–2003) war von Richtungsstreitigkeiten und Glücklosigkeit geprägt. Insbesondere die verlorene Bundestagswahl 2002, bei der die PDS mit 4,0 Prozent der Zweitstimmen an der Sperrklausel scheiterte und nur noch zwei direkt gewählte Abgeordnete ins Parlament entsenden konnte, galt als Folge der innerparteilichen Selbstblockaden. Nach der Bundestagswahl stürzte die PDS in eine tiefe Krise, was u. a. in der Abstrafung des Reformerflügels bei den Vorstandswahlen zum Ausdruck kam. Als Retter in der Not wurde Lothar Bisky 2003 (bis 2010) erneut zum Parteivorsitzenden gewählt, dem es in der Folge gelang, die Partei zu befrieden und die lang erwartete Verabschiedung des – mittlerweile dritten – Grundsatzprogramms in die Wege zu leiten. 2004 zeigte sich die Partei von ihrer Niederlage bei der Bundestagswahl erholt. Bei den Landtagswahlen und der Europawahl stabilisierte und verbesserte sie ihre Vorwahlergebnisse, indem sie von der Unzufriedenheit mit der rot-grünen Bundesregierung profitierte, die in den Protesten gegen die Sozialreformen der Bundesregierung (Hartz IV) ihren Ausdruck fanden und von der PDS aktiv begleitet wurden.

Von der WASG zur Linken: 2005–2007

In Folge des Übertritts des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine in die WASG im Juni 2005 (also nach der Ankündigung von Neuwahlen durch Bundeskanzler Gerhard Schröder) haben sich die strategischen Möglichkeiten der PDS verschoben, da sich ihr zum ersten Mal die tatsächliche Option öffnete, als soziale Protestpartei in das Wählerpotenzial der SPD einzudringen. Ohne die Kooperation der Parteien und ohne den populären Spitzenkandidaten Lafontaine ist der Wahlerfolg der Linkspartei.PDS (umbenannt am 17. Juli 2005) bei der Bundestagswahl 2005 nicht erklärbar. Zum einen schaffte er es, dass die Partei auch im Westen wählbar wurde, zum anderen gelang es ihm, das negative „DDR-Image“ der Partei in den Hintergrund zu drängen und sie als soziale Protestpartei zu profilieren. Mit bundesweit 8,7 Prozent erzielte sie ihr bis dahin bestes Bundestagswahlergebnis. Der Erfolg ist in erster Linie auf die gewachsene Unterstützung in den alten Ländern zurückzuführen, wo die Linkspartei 4,9 Prozent der Stimmen erreichte. Hier wirkte sich vor allem der Protest gegen den Reformkurs der Regierungskoalition von SPD und Grünen wählermobilisierend aus. Seit 2005 konnte sich die Linke neue Wählerschaften erschließen (Arbeitslose; Arbeiter). Bis dahin wies die Wählerschaft ein nur schwach konturiertes Profil aus.

Auf der Landesebene zeigten die Wahlergebnisse demgegenüber ein gemischtes Bild. Wo die PDS in der Opposition war, konnte sie im Vergleich zu den Vorwahlen zum Teil deutlich zulegen. Wo sie selber regierte, musste sie dagegen Verluste verzeichnen, die in Berlin 2006 besonders drastisch ausfielen. Die Postkommunisten wurden von ihrer eigenen Klientel für die oft schmerzhaften Maßnahmen der Regierung(en) in Mithaftung genommen.

2007 gelang ihr in HB der erste Einzug in ein westdeutsches Parlament. Seit dieser Zeit ist ihr der Einzug in westdeutsche Landtage gelungen.

Die Linke 2007–2018

Am 16. Juni 2007 folgte der Zusammenschluss von WASG und Linkspartei unter dem Namen die Linke. Sie harmonierten jedoch inhaltlich weniger, als zu erwarten gewesen wäre. Statt eines Programms einigte man sich auf die Verabschiedung sogenannter „Programmatischer Eckpunkte“. Erst 2011 gab sich die fusionierte Partei ein Grundsatzprogramm. Dieses steht jedoch nicht dafür, dass die Partei gangbare Kompromisse gefunden hat. Umstritten sind neben einigen inhaltlichen Punkten im Wesentlichen strategische Fragen, die eng im Zusammenhang mit einer potenziellen Regierungsbeteiligung auf Bundesebene standen. Doch hat diese Konfliktlinie keine Koalition verhindert, zudem davon auszugehen ist, dass die Linke wohl auch auf Bundesebene bereit wäre, in eine Regierung einzutreten.

Nach dem Rückzug von Oskar Lafontaine und Lothar Bisky (der 2013 überraschend verstarb) aus der Führung der Partei, schlitterte die Partei unter den Nachfolgern Klaus Ernst und Gesine Lötzsch zunächst in eine Krise, die sich aus mehreren Elementen speiste. Zu nennen sind dabei der nur kurzfristig gestoppte Mitgliederschwund in Ost und West. Während in den neuen Ländern nach wie vor die Überalterung der Mitglieder das Hauptproblem ist, krankt die Partei in den alten Ländern an der Zusammensetzung der Mitglieder sowie der Anzahl. Mehrfach mussten die Angaben in den alten Ländern nach unten korrigiert werden. Zudem sind in den alten Ländern nicht, wie erhofft, vor allem Sozialdemokraten zu der Partei gestoßen, sondern, wie befürchtet, eine große Anzahl sektiererischer Linker aus unterschiedlichen, zum Teil linksextremen Kleinstgruppen oder Parteien.

Seit 2012 wird die Partei von Katja Kipping und Bernd Riexinger verhältnismäßig unspektakulär geführt. Sie erfüllen zwar die Kriterien des parteiinternen Quotenschlüssels (Mann-Frau, Ost-West und Reformer-Fundamentalisten), führen die Partei jedoch glanzlos. Auch die Bundestagsfraktion, die seit dem Rückzug von Gregor Gysi ebenfalls von einer Doppelspitze geleitet wird (Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht, bis 2011) versteht es nicht, politischen Debatten eigene neue Impulse zu geben. Die internationalen Probleme vom Bürgerkrieg in Syrien über die Frage des Existenzrechts Israels bis zur Annexion der Ostukraine durch Russland (um nur wenige große Konflikte zu erwähnen) verunsichern die Partei in ihrer ideologisch geprägten Argumentationsstrategie. Als traditionell russlandfreundliche Partei passt ihre Positionierung nicht mehr in die weltpolitische Gemengelage. Auch die Antworten auf die Flüchtlingssituation seit 2015 wirken ein wenig aus der Zeit gefallen. Die Linke versucht Abschiebungen zu verhindern und weiterhin einen unbegrenzten Zuzug zu ermöglichen. Sie spricht sich für die Bekämpfung von Fluchtursachen aus.

Die programmatische Ausrichtung der Linken

Die programmatische Neuausrichtung 2011 hatte erneut ideologische Differenzen sichtbar werden lassen. Die politischen Ansichten der Lager stehen sich in vielen Politikfeldern diametral gegenüber. Zu den politischen Forderungen zählen vor allem sozialpolitische Reformen und grundlegende Änderungen im Wirtschaftssystem, die auf erhebliche Umverteilungen, Verstaatlichungen größerer Unternehmen sowie auf einen Ausbau des öffentlichen Sektors hinauslaufen. Die Partei bleibt sich ihrer grundlegenden Ausrichtung treu: Sie möchte nach wie vor einen umfassenden Systemwechsel von der parlamentarischen Demokratie zum Staatssozialismus.

Die programmatische Ausrichtung der Partei führt in der Parteienforschung zu unterschiedlichen Einstufungen. Wissenschaftler, die eher parteiensoziologische Studien verfassen, sehen in der Linken eine „normale“ Partei. Programmatische Kernziele der Partei fließen kaum in die Analysen ein. Wissenschaftler, die mit einer Kombination von parteiensoziologischen und normativen Ansätzen arbeiten, kommen regelmäßig zu der Schlussfolgerung, dass die Linke in Teilen extremistisch ist, wobei zwischen dem „harten“ Extremismus der NPD und dem „smarten“ Extremismus der Linken (Jesse und Lang 2008) deutlich differenziert wird. Doch sind für die Linke in ihrer Politik wie Programmatik von jeher eine bestimmte Mischung aus „antis“ bestimmend: antikapitalistisch, antiwestlich und antifaschistisch. Verbunden mit dem Ziel der Abschaffung (im Sprachgebrauch der Partei „Überwindung“) des „kapitalistischen“ Systems ist sie damit am Ende antidemokratisch, da die existierende parlamentarische Demokratie in der Deutung der Linken das kapitalistische System ist, welches „wahre“ oder eine „alternative“ Demokratie schlicht unmöglich mache.

Die Wahlergebnisse der Linken

Bereits bei der Bundestagswahl 2005 war ein eindeutiger „Lafontaine-Effekt“ beim Abschneiden der damaligen Linkspartei nicht zu übersehen. Sie konnte ihr Ergebnis mehr als verdoppeln und erreichte 4,0 Prozent. Oskar Lafontaine war vor allem im Westen für die Partei ein Gewinn. Dort konnte sie von mageren 1,1 Prozent ihren Anteil auf 4,9 Prozent steigern. 2009 wirkte dieser Effekt so stark, dass sie mit 11,9 Prozent ihr bestes Wahlergebnis erzielte, davon 28,5 Prozent im Osten und 8,3 Prozent im Westen. Mit dem Rückzug Lafontaines aus der aktiven Politik begann, wenn auch nicht zeitgleich, ein schleichender Verlust, der sich 2013 in einem Gesamtergebnis von 8,6 Prozent niederschlug. 2017 konnte sie zwar ihr Wahlergebnis leicht verbessern, doch tritt bei dieser Wahl eine neue Asymmetrie auf: Die Linke gewann im Westen und verlor im Osten und der Unterschied zwischen den Wahlregionen war noch nie so gering wie bei dieser Wahl. Dies zeigt sich auch daran, dass die Situation der Linken in den alten Ländern nicht mehr so prekär ist wie früher, auch wenn die Bilanz durchwachsen ist. 2019 ist sie neben Berlin in den Landtagen des SL, HE, HH und HB vertreten. Vor allem der Südwesten der Republik kann als Diaspora bezeichnet werden. Mit Ausnahme des SL, in dem die Linke aufgrund des Nimbus des ehemaligen Ministerpräsidenten Lafontaines einen erheblichen Rückhalt hatte, diesen jedoch weitgehend einbüßen musste, schneidet sie dort klassisch schwach ab.

Die Linke hat zwar in NRW von 2010 bis 2012 die rot-grüne Landesregierung toleriert, doch hat diese versucht, mit wechselnden Mehrheiten zu regieren, wodurch die Eindeutigkeit der Tolerierung nicht vergleichbar ist mit der in Magdeburg, wo die PDS über zwei Legislaturperioden zu einer Tolerierung bereit war. Die Linke gilt in den alten Bundesländern nach wie vor als nicht regierungsfähig, was vor allem an dem personellen und programmatischen Angebot liegt. In den neuen Ländern hat die Linke mittlerweile (außer in SN) in jedem Land Regierungsverantwortung geteilt und stellt mit Bodo Ramelow seit 2014 in TH den Ministerpräsidenten. Diese Bereitschaft, gegebenenfalls Verantwortung zu tragen, wird die Linke – auch wenn sie sich aus taktischen Gründen dagegen häufig sträubt – auch auf der Bundesebene zeigen. Ob eine Koalition hingegen rechnerisch möglich und politisch durchsetzbar sein wird, hängt weniger von der Linken als von den potenziellen Koalitionspartnern ab.

Die Wählerschaft der Linken

Die Wählerschaft der PDS und der Linken hat sich in ihrer Zusammensetzung mehrfach deutlich verändert. Bis 1993 trug sie Merkmale einer Eliten- und Protestpartei. Die Wähler der PDS waren überdurchschnittlich gut qualifiziert und mit vergleichsweise hohem Einkommen ausgestattet. Ende 1993 setzte ein Nivellierungstrend ein. Die PDS hat sich dadurch in den neuen Ländern zur Volkspartei entwickelt, deren Wähler dem Bevölkerungsdurchschnitt in vielen Merkmalen entsprechen. Im Unterschied zu den Wählerschaften anderer Parteien war die Altersstruktur der PDS-Wähler zunächst recht homogen. Arbeiter blieben unterrepräsentiert und Angestellte, vor allem leitende, fanden sich überdurchschnittlich häufig. Nachdem die Partei 2002 auf ihre Kernklientel geschrumpft war, zeigte sich die Wählerschaft deutlich gealtert. Mit der Bundestagswahl 2005 ist die Linkspartei. PDS/Linke die bevorzugte Adresse des sozialen Protests geworden. Der Schwerpunkt der Wählerschaft verlagerte sich nun in Richtung der unteren Schichten (Prekarisierung). Zuwächse hatte die Partei vor allem bei Arbeitslosen. Seit 1990 ist der hohe Anteil konfessionsloser Wähler typisch für die Partei. Seit der Bundestagswahl 2013 hat die Linke jedoch mit der AfD Konkurrenz um die Gunst der Protestwählerschaft erhalten. Bei den Landtagswahlen in den östlichen Ländern hat sie zum Teil deutliche Verluste zu verzeichnen gehabt, die zu einem großen Anteil auf das Konto der AfD gingen. Strukturell hat sich ihre Wählerschaft mit der Wahl 2017 erneut verschoben: sie wird westlicher, städtischer, jünger und besser gebildet. Die Prekarisierungsphase der Wählerschaft kann damit als beendet oder unterbrochen gelten. Die hohen Zuwächse bei Arbeitslosen und Arbeitern in der Lafontaine-Ära gehören der Vergangenheit an.

Neue Herausforderungen im Parteiensystem

Seit 2015 kämpft die Linke zudem mit einem Problem, mit dem sie nicht gerechnet hat: dass Wähler von der Linken in zum Teil erheblichen Ausmaß zur AfD wechseln. Aufgrund einer der Linken nicht abzusprechenden ideologischen Verbohrtheit und einem starren Festhalten an einer klassischen Zuordnung der Partei zum rechtsextremen, völkischen und neoliberalen Lager, hat sie den Kampf um ihre ehemaligen Protestwähler weitgehend verloren. Ideologisch gefestigt hat die Linke, von Fakten unberührt, die Festlegung getroffen, die AfD sei Fleisch vom Fleische der Union, eine historische Fehleinschätzung. Doch hat ihr diese Positionierung zumindest in den alten Ländern in städtischen Bereichen, wo vermutlich auch ein antifaschistisch-affines Wählermilieu beheimatet ist, Zustimmung gebracht.

Mit ihrer politischen Positionierung im Bereich der Flüchtlingspolitik nimmt die Linke im Parteiensystem die radikalste Position innerhalb des linken Lagers ein. Auch gelegentliche Versuche des Ehepaars Lafontaine/Wagenknecht, dem entgegenzusteuern oder andere Akzente zu setzen, werden an der grundsätzlichen Ausrichtung wenig ändern. Auch der Versuch Wagenknechts mit der Bewegung „Aufbruch“ einen indirekten Einfluss auf die Linke auszuüben, scheint gegenwärtig gescheitert zu sein. Auch wenn die Linke schon immer diesen Standpunkt vertritt, haben sich die politischen Rahmenbedingungen durch die Flüchtlingssituation seit 2015 verändert. Für die Wählerschaft war bis 2015 die Positionierung der Partei in dieser Frage unerheblich, die Linke hat die Brisanz für ihre Wahlergebnisse bis heute nicht erkannt.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Viola Neu

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