Rechtsgrundlagen
Die Unterzeichnung der Pariser Verträge 1954 durch die Bundesregierung legte den Grundstein für den Aufbau dt. Streitkräfte. Art. 87a Grundgesetz (GG) lautet: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben“. Somit wird der Auftrag der Bundeswehr eindeutig durch die Verfassung festgelegt und sichert dem Parlament ein wichtiges Mitspracherecht hinsichtlich der Zahl, der Organisation, der Struktur der Streitkräfte sowie bei allen Friedensmissionen im Rahmen von Aktionen der NATO und der WEU zur Umsetzung von Beschlüssen der UNO. Lange Zeit war es Konsens der politischen Parteien, dass das GG die Aufgabe der Streitkräfte auf die Verteidigung beschränkt. So war und ist es die Aufgabe der Bundeswehr, die Unversehrtheit des Territoriums sowie die Freiheit der Eigenentwicklung des politischen Systems zu gewährleisten. Ein Angriffskrieg ist verboten. Neben der äußeren Sicherheit weist das GG der Bundeswehr auch Aufgaben im Inneren zu. So können die Streitkräfte bei Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen eingesetzt werden. Auch kann die Bundeswehr im Spannungs- und Verteidigungsfall zum Schutz ziviler Objekte herangezogen werden wie auch zur „Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche Grundordnung des Bundes oder eines Landes“. Allerdings unterliegt diese grundgesetzliche Möglichkeit sehr restriktiven Bedingungen, um nicht die Gefahr einer Verselbständigung der Streitkräfte zu schaffen.
Neben diesen nationalen Normen wird die Bundeswehr des vereinten Ds auch durch internationale Bestimmungen geprägt. So verpflichtete sich D im Zwei-Plus-Vier-Vertrag vom September 1990 seine Streitkräfte bis 1994 auf eine Personalstärke von 370.000 Mann (Land-, Luft- und Seestreitkräfte) zu verringern. Mit der Unterzeichnung des KSE-Vertrages 1990 ging D die Verpflichtung ein, die Zahl seiner Kampfpanzer, seiner Schützenpanzer etc. deutlich zu reduzieren. Die Mitgliedschaft in der NATO und der UNO bilden weitere Rahmenbedingungen für die dt. Streitkräfte. Durch die Beteiligung in der NATO verzichtet die Bundeswehr auf eine rein nationale operative Verteidigungsplanung und hat diese an integrierte Kommandobehörden des Bündnisses übertragen.
Zur Veränderung des Auftrags
Die Überwindung des Ost-West-Konflikts sowie die dt. Einigung setzten neue Rahmendaten für die Sicherheitspolitik Ds und damit auch für die Aufgaben der Bundeswehr. Lag die BRD im Ost-West-Konflikt an der Nahtstelle zwischen beiden Systemen und wurde die Bedrohung hier unmittelbar deutlich und von allen Bündnispartnern auch am stärksten perzipiert, so hat sich das Bedrohungsszenario in den 90er-Jahren vollkommen gewandelt. Im Weißbuch 2016 werden der Bundeswehr folgende Aufgaben zugewiesen: Schutz der territorialen Integrität, der Souveränität sowie der Bürgerinnen und Bürger unserer Verbündeten; Schutz der Bürgerinnen und Bürger sowie der Souveränität und territorialen Integrität unseres Landes; Aufrechterhaltung der regelbasierten internationalen Ordnung auf der Grundlage des Völkerrechts; Wohlstand unserer Bürgerinnen und Bürger durch Prosperität unserer Wirtschaft und freien sowie ungehinderten Welthandel; Förderung des verantwortungsvollen Umgangs mit begrenzten Ressourcen und knappen Gütern in der Welt; Vertiefung der europäischen Integration und Festigung der transatlantischen Partnerschaft.
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von 1994 über den Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebiets ist jeder bewaffnete Einsatz der Bundeswehr innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit unter der Bedingung zulässig, dass der Bundestag jedem einzelnen Einsatz mit konstitutiver Mehrheit zustimmt. Neben der UNO werden auch OSZE, NATO und WEU als kollektive Sicherheitssysteme verstanden. Das BVerfG erkennt damit eine weitgehend eigenständige Entwicklungsfähigkeit dieser Bündnisse über die Verteidigung ihrer Mitgliedstaaten hinaus auch auf dem Gebiet der internationalen Friedenssicherung an. Seit dieser Zeit fand auch ein Wandel der Strukturen der Streitkräfte statt, die 2018 aus insgesamt 179.000 Soldaten – Heer (60.000), Luftwaffe (28.000), Marine (20.000) – bestehen. Seit Oktober 2000 gibt es die Streitkräftebasis (SKB) als zweitgrößten Bereich der Bundeswehr. In ihm sind Unterstützungsleistungen für die anderen Bereiche gebündelt. Mit dem Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum (CIR) stellt sich die Bundeswehr modern gegen digitale Bedrohungen auf. Die größten Einsätze seit 1994 erfolgten mit der Teilnahme an Friedenstruppen in Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Kosovo und Afghanistan. Im März 1999 beteiligte sich D am von der UNO nicht mandatierten Kampfeinsatz der NATO gegen Jugoslawien unter Milosevic und führte damit erstmals seit 1945, wenn auch im Rahmen der NATO, wieder Krieg. Darüber hinaus wirkt D an den weltweiten Einsätzen gegen den internationalen Terrorismus (Enduring Freedom) mit. 2017 waren 3500 Soldaten in 15 Auslandsmissionen von Pristina bis Bamako auf drei Kontinenten im Einsatz.
Gesellschaftliche Probleme der Bundeswehr seit der Vereinigung
Es ist ohne Vorbild, dass Teile der Armee des „Klassenfeinds“ in die Streitkräfte einer Demokratie übernommen wurden. Am Tag nach der Einigung befanden sich noch ca. 90.000 Soldaten, davon rund 50.000 Zeit- und Berufsoldaten und 48.000 zivile Mitarbeiter der NVA im Dienst. Etwa 12.000 Offiziere, 12.000 Unteroffiziere und 1000 Mannschaftsgrade bewarben sich für ein Dienstverhältnis, überwiegend als Berufssoldat, in der Bundeswehr. Von ihnen wurden 3027 Offiziere, 7369 Unteroffiziere und 207 Mannschaftsgrade bis 1994 übernommen. Für eine erfolgreiche Integration der ostdt. Soldaten war es von außerordentlicher Bedeutung, sie mit den Prinzipien der politischen Bildung, der inneren Führung und der Rolle des „Staatsbürgers in Uniform“ vertraut zu machen. So war z. B. die Einrichtung eines Wehrbeauftragten, der vom Bundestag mit absoluter Mehrheit gewählt wird, in der NVA vollkommen unbekannt gewesen. Der Wehrbeauftragte hat vor allem über die Einhaltung der Grundsätze der Inneren Führung sowie die Wahrung der Grundrechte der Soldaten zu wachen. Liegen ihm Hinweise auf Fehlentwicklungen vor, hat er die näheren Umstände zu untersuchen. Wichtige Erkenntnisse über den Zustand des inneren Gefüges der Bundeswehr finden sich im Jahresbericht des Wehrbeauftragten an den Bundestag, welcher der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Einem Soldaten, der sich an den Wehrbeauftragten wendet, dürfen daraus keine Nachteile entstehen. Alle Dienststellen und Angehörigen der Bundeswehr müssen dem Wehrbeauftragten Auskunft geben und Akteneinsicht gewähren. Der Wehrbeauftragte ist somit ein „Hilfsorgan des Bundestages“ bei der parlamentarischen Kontrolle der Bundeswehr. Seine besten Verbündeten sind die Massenmedien, die über seine Erkenntnisse berichten. Die Vereinigung und die damit verbundene Reduzierung der Streitkräfte hatte auch enorme Auswirkungen auf die Gesellschaft, z. B. Verkleinerung der Kasernenstandorte mit allen daraus entstehenden Folgewirkungen. Aufgrund eines veränderten strategischen Umfelds und innerer Rahmenbedingungen ließ sich die Wehrpflicht nicht aufrechterhalten und wurde zum 1. Juli 2011 ausgesetzt.
Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Wichard Woyke