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Bundesrat | bpb.de

Bundesrat

Ursula Münch

Der Bundesrat stellt aufgrund seiner Zusammensetzung und Funktionsweise das prägende Merkmal des deutschen → Bundesstaates dar. Über dieses föderative Verfassungsorgan sind die Länder im Bund vertreten und gestalten so die Willensbildung des Bundes mit. Der Bundesrat ist ein Bundesorgan; der Ausdruck „Länderkammer“ ist daher irreführend.

Das Bundesratsmodell

Die Mitwirkung der Gliedstaaten an der Politikgestaltung eines Zentralstaates kann grundsätzlich nach dem Bundesrats- oder dem Senatsmodell erfolgen. Die Beurteilung der Arbeit des Bundesrates im Kaiserreich und die negativen Erfahrungen mit dem Reichsrat der Weimarer Republik sowie das gute Funktionieren des Länderrates der Bizone bestärkten die Landesregierungen 1948/49, aber auch Mitglieder des Parlamentarischen Rates, dass die klassische Bundesratslösung für den neu zu schaffenden deutschen Bundesstaat am besten geeignet sei. Gegner dieser Einschätzung argumentierten, die Mitglieder eines Bundesrates wären nur unzureichend demokratisch legitimiert, durch ihre Weisungsabhängigkeit würden die Entscheidungen des Bundesrates auf anonyme Gremien verlegt und die Bürokratisierung werde die Arbeit des Bundesrates überwuchern. Als Alternativlösung schlugen sie einen Senat vor, bei dem die Mitglieder vom Volk in den Gliedstaaten gewählt werden, jeder Gliedstaat über die gleiche Anzahl von Mitgliedern verfügt und der gleichberechtigt am Gesetzgebungsverfahren mitwirkt. Der Parlamentarische Rat entschied sich schließlich für eine Modifikation des Bundesratssystem in Form der „abgeschwächten Bundesratslösung“: Der Bundesrat ist dem → Bundestag nicht gleichberechtigt, und die Stimmenzahl der Länder im Bundesrat ist nach der Einwohnerzahl abgestuft. Seit der deutschen Einheit, in deren Folge die Stimmzahl der großen Länder erhöht wurde, verteilen sich die Stimmen wie folgt: Bad.W., Bay., NW, Nds. je 6 Stimmen, Hess. 5, B., Bbg., R.P., Sa., Sa.A., S.H., Thür. je 4 Stimmen, HB, HH, M.V., Sal. je 3 Stimmen; Gesamtzahl: 69 Stimmen.

Zusammensetzung des Bundesrates

In Art. 51 GG heißt es: „Der Bundesrat besteht aus den Mitgliedern der Regierungen der Länder, die sie bestellen und abberufen“. Wer einer Landesregierung angehört, richtet sich nach den Verfassungen der Länder. In der Regel bestehen die Landesregierungen aus dem Regierungschef und den Ressortministern; in einigen Ländern gehören ihr auch die Staatssekretäre an. Die Bestellung und Abberufung der Bundesratsmitglieder durch die Landesregierung (in einigen Ländern wirken die Landesparlamente mit) verleiht eine mittelbare demokratische Legitimation.

Die Organisation des Bundesrates

Der Bundesrat regelt seine Organisation und Verfahrensweise eigenständig (Art. 52 GG). Er hat einen Präsidenten und ein Präsidium (Präsident und drei Vizepräsidenten). Nach Art. 52 Abs. 1 GG wird der Präsident auf ein Jahr gewählt. Aufgrund einer Vereinbarung von 1950 („Königsteiner Abkommen“) wird jeweils ein Landesregierungschef, beginnend mit dem einwohnerstärksten Land, endend mit dem einwohnerschwächsten Land, unabhängig von den parteipolitischen Mehrheitsverhältnissen zum Präsidenten gewählt. Der Präsident beruft die Sitzungen ein, bereitet sie formell vor und leitet sie. Nach Art. 57 GG nimmt er die Befugnisse des → Bundespräsidenten wahr, wenn dieser verhindert ist.

Kompetenzen des Bundesrates

Zitat

„Durch den Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mit“

Art. 50 GG

Mitwirkung bei der Gesetzgebung

Die wichtigste Aufgabe des Bundesrates besteht in seiner Mitwirkung bei der → Gesetzgebung. Dabei ist zu unterscheiden zwischen einer beratenden, initiierenden und einer beschlussfassenden Mitwirkung. Gesetzesentwürfe der → Bundesregierung müssen nach Art. 76 Abs. 2 GG erst dem Bundesrat zur Stellungnahme, dem sog. „ersten oder politischen Durchgang“, zugeleitet werden. Seine möglichen Einwände und Gegenvorschläge muss die Bundesregierung mit ihrem Gesetzesentwurf dem Bundestag zuleiten. Der Bundesrat hat selbst das Recht zur Gesetzesinitiative nach Art. 76 Abs. 1 GG, macht jedoch nur selten davon Gebrauch. Zwar werden von den Landesregierungen regelmäßig Gesetzesentwürfe in das Plenum eingebracht – sie finden dort jedoch nur in wenigen Fällen eine Mehrheit. Gesetzesentwürfe des Bundesrates müssen über die Bundesregierung, die ihrerseits Stellung nehmen kann, an den Bundestag geleitet werden.

Die beschlussfassende Mitwirkung des Bundesrates am Gesetzgebungsverfahren variiert aufgrund des „abgeschwächten Bundesratsmodells“ je nach Gesetzesbeschluss des Bundestages: Verfassungsändernde Gesetzesbeschlüsse bedürfen nach Art. 72 Abs. 2 GG der Zustimmung von 2/3 der Stimmen des Bundesrates. Werden diese nicht erreicht, ist keine Änderung des → Grundgesetzes möglich. Der Bundesrat hat hier ein absolutes Veto. Einer Zustimmung mit absoluter Stimmenmehrheit bedürfen Gesetzesbeschlüsse, die u. a. die Finanzen der Länder beeinflussen können, deren Verwaltungshoheit berühren oder Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a GG zum Gegenstand haben. Der Bundesrat muss diesen Parlamentsbeschlüssen zustimmen; verweigert er die Zustimmung, kommt kein Gesetz zustande. Der Bundesrat hat auch hier ein absolutes Veto. Bei anderen Gesetzesbeschlüssen, den sog. „einfachen Gesetzen“ bzw. „Einspruchsgesetzen“, kann der Bundesrat mit absoluter Mehrheit Einspruch einlegen, der jedoch vom Bundestag mit absoluter Mehrheit zurückgewiesen werden kann (Art. 77 Abs. 3 und 4 GG); erfolgt die Zurückweisung nicht, kommt kein Gesetz zustande. Der Bundesrat hat hier ein aufschiebendes oder suspensives Veto.

Bei divergierenden Entscheidungen von Bundestag und Bundesrat kann der → Vermittlungsausschuss, bestehend aus Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates, angerufen werden.

Nach Art. 51 Abs. 3 Satz 2 GG kann ein Land nur einheitlich und nur durch anwesende Mitglieder oder deren Vertreter (darunter ein sog. „Stimmführer“) votieren. Jede Landesregierung entscheidet bereits im Vorfeld über ihr Abstimmungsverhalten im Bundesrat. In den Ländern mit Koalitionsregierungen müssen sich die Partner also einigen und halten dies normalerweise im Koalitionsvertrag fest.

Der Bundesrat nach der Föderalismusreform

Ein Ziel der im Jahr 2006 in Kraft getretenen Föderalismusreform I bestand darin, die Ebenen des Bundes und der Länder deutlicher in ihren Zuständigkeiten und ihrer Finanzverantwortung abzugrenzen. Zu diesem Zweck sollten u. a. die Verhinderungsmöglichkeiten des Bundesrates im Gesetzgebungsprozess und damit die Quote der Zustimmungsgesetze beschränkt werden. Dies geschah über die Neuregelung von Art. 84 Abs. 1 GG, auf den bis dahin die meisten zustimmungspflichtigen Bundesgesetze zurückzuführen waren (Bestimmungen über die Behördeneinrichtung und Verwaltungsverfahren im Bereich der landeseigenen Verwaltung). Obwohl im Zuge der Föderalismusreform sogar ein weiterer Auslöser für die Zustimmungspflichtigkeit hinzugefügt wurde (Art. 104a Abs. 4 GG) und der bislang zweitwichtigste Auslöser von Zustimmungspflichtigkeit in Art. 105 Abs. 3 GG (Gesetzgebung über Steuern, deren Aufkommen den Ländern oder Gemeinden ganz oder zum Teil zufließt) unverändert blieb, sank der Anteil der Bundesgesetze, die als zustimmungspflichtiges Gesetz verabschiedet wurden, tatsächlich deutlich: In der 18. Legislaturperiode des Bundestages (2013–2017) lag er bei 35,8 % und damit so niedrig wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik.

Weitere Befugnisse des Bundesrates

Der Bundesrat wirkt beim Erlass von Rechtsverordnungen sowie Verwaltungsvorschriften des Bundes mit, hier ist seine Zustimmung erforderlich (Art. 80 Abs. 2, Art. 83 ff. GG). Er wählt nach Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG die Hälfte der Richter des Bundesverfassungsgerichts, in jeden der beiden Senate vier, und nach § 9 BVerfGG im Wechsel mit dem Bundestag den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und seinen Stellvertreter. Er kann selbst das Bundesverfassungsgericht anrufen, wenn er der Ansicht ist, dass andere Verfassungsorgane ihn in seinen Rechten oder Pflichten verletzt hätten (Art. 93 Abs. 1 Ziff. 1 GG), dass der Bundespräsident gegen das Grundgesetz oder gegen anderes Bundesrecht verstoßen habe (Art. 61 GG) oder dass eine politische Partei verfassungswidrig sei (Art. 21 Abs. 2 GG). Außerdem kann sich der Bundesrat an Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht beteiligen. Durch die → Notstandsverfassung ist der Bundesrat institutionell und verfahrensmäßig in alle Ausnahmemaßnahmen einbezogen (Art. 53a GG; Art. 87a Abs. 4 Satz 2 GG; Art. 115a ff. GG). Zunehmend wichtig wird die Rolle des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union: Art. 23 GG sieht abgestufte Mitwirkungsrechte vor – von der durch die Bundesregierung in ihrer Europapolitik zu berücksichtigenden Stellungnahme über die maßgebliche Berücksichtigung der Auffassung des Bundesrates bis hin zum Vertretungsrecht eines vom Bundesrat benannten Vertreter der Länder.

Die politische Funktion des Bundesrates

Politikwissenschaftlich ist von Interesse, welche Stellung der Bundesrat bei der Willensbildung des Bundes einnimmt, wie sich die Veränderungen im Parteiensystem auf seine Entscheidungsfindung und sein Verhältnis zum Bundestag auswirken, ob Landesinteressen womöglich von Parteipolitik verdrängt werden und ob er im Gesamtsystem Ds eine eigenständige politische Kraft darstellt.

Die administrative Funktion des Bundesrates

Der Bundesrat ist insgesamt v. a. an der Lösung von Verwaltungsproblemen orientiert. Die Kategorien des Bewahrens, der Praktikabilität und des reibungslosen administrativen Ablaufes dominieren seine Arbeit. Gerade die Landesbeamten, die in den Bundesratsausschüssen als vollberechtigte Mitglieder häufig an die Stelle der Minister treten und die Arbeitsweise des Bundesrates prägen, legen Wert auf eine sachbezogene Arbeit des Bundesrates.

Die politische Funktion des Bundesrates

Der Bundesrat ist zwar ein Mitwirkungs- und kein Leitungsorgan im deutschen Regierungssystem, gleichwohl wirkt er auch direkt auf die politische Debatte und das staatliche Handeln ein. Sein Plenum ist der erste Ort, an dem ein Gesetzesvorhaben der Bundesregierung öffentlich begründet und diskutiert wird. Die Vertreter der Landesregierungen prüfen nicht nur die verfassungsrechtliche Qualität und Zulässigkeit, die verwaltungspraktische Verwendbarkeit und die zu erwartenden Kosten, sondern erörtern politische Alternativen und verlangen ggf. Veränderungen. So wird in diesem sog. „ersten“ oder „politischen Durchgang“ häufig politisch Kontroverses und auch Grundsätzliches diskutiert – in den letzten Jahren am Beispiel der gesetzlichen Festlegung „sicherer Herkunftsstaaten“ sehr häufig die Flüchtlingspolitik.

Die opponierende Funktion des Bundesrates

Dem Bundesrat kommt auch die Aufgabe zu, gegen Bundestagsmehrheit und Bundesregierung zu opponieren, sofern durch diese eine Beeinträchtigung von Landesinteressen zu befürchten ist. Als Beispiele lassen sich nennen: Kompetenzverlagerungen zugunsten des Bundes oder der EU, eine Reduzierung der Finanzausstattung der Länder oder Eingriffe in deren Verwaltungsstruktur. Die bundesdeutsche Gesetzgebungstätigkeit muss sich schon seit Jahren darauf einstellen, dass Regierungsmehrheit und Gesetzgebungsmehrheit nicht übereinstimmen. Während der Amtszeit der sozialliberalen Bundesregierung (1969–1982) war der Bundesrat phasenweise von einer Mehrheit der CDU/CSU-regierten Länder geprägt, die gelegentlich im Bundesrat das zu erreichen versuchte, was der Minderheit im Bundestag nicht gelungen war, nämlich entweder ein Gesetz überhaupt zu verhindern oder ihre Ziele über den → Vermittlungsausschuss durchzusetzen. Inzwischen wurde diese frühere Lagerbildung durch eine neue Konstellation abgelöst: Infolge der Veränderungen im → Parteiensystem und des Umstands, dass in den Ländern immer häufiger auch parteienlagerübergreifende Dreierkoalitionen regieren, scheitern Zustimmungsgesetze inzwischen häufig an der Zahl der Enthaltungen. So vereinbaren gerade Landesregierungen, in denen eine Partei an der Bundesregierung beteiligt ist, häufig, sich bei strittigen Fragen im Bundesrat der Stimme zu enthalten. Da der Bundesrat nach Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GG seine Beschlüsse mit mindestens der Mehrheit seiner Stimmen fassen muss (derzeit 35 Stimmen), wirken solche Stimmenthaltungen faktisch wie eine Ablehnung des Beschlusses durch das Land. Um dem entgegenzuwirken, erscheint eine Änderung von Art. 52 Abs. 3 GG und die Einfügung eines neuen zweiten Satzes sinnvoll: „Bei Abstimmungen über Gesetze, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, sind Stimmenthaltungen nicht zulässig“. Eine derartige Reform der Abstimmungsregeln wäre ein Beitrag, um die Handlungsfähigkeit des politischen Systems insgesamt langfristig zu sichern.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Ursula Münch

Fussnoten