Gründung
In den 1960er-Jahren vollzog sich in den westlichen Industriestaaten ein tief greifender gesellschaftlicher Wandel, durch den neben Pflicht- und Akzeptanzwerte verstärkt der Wunsch nach Selbstentfaltung trat. Vor dem Hintergrund wachsenden Wohlstands und einem Ausbau der Wohlfahrtsstaaten nahmen postmaterialistische Einstellungen zu; Themen wie Ökologie, Gleichstellung der Geschlechter oder Abrüstung gewannen an Relevanz. In Verbindung mit einem gestiegenen Anspruch auf politische Partizipation äußerte sich das im Aktivismus der Studentenbewegung und den Neuen Sozialen Bewegungen. Diese gesellschaftlichen Entwicklungen bildeten das Fundament für das Aufkommen einer neuen ökologisch-libertären Parteienfamilie in den 1970er-Jahren.
In Deutschland befeuerte dabei besonders die polarisierte Auseinandersetzung über die Atomenergie die Unterstützung für eine solche Partei (Kitschelt 1989). Zunächst entstanden grüne Landesverbände mit engen Anbindungen an Bürgerinitiativen zu Fragen von Umwelt- und Naturschutz. Kurzzeitig dominierten konservative Gruppen, eine prominente Führungsfigur war der ehemalige CDU-Abgeordnete Herbert Gruhl (Mende 2011). Mit zunehmendem Erfolg und steigender Sichtbarkeit engagierten sich linke Aktivisten aus der Studentenbewegung, den zerfallenden K-Gruppen sowie aus pazifistischen und feministischen Gruppierungen in der Partei (Raschke 1993). Neben den ersten parlamentarischen Vertretungen in Landtagen war die Teilnahme an der ersten Direktwahl des Europaparlaments 1979 (unter dem Namen „Sonstige Politische Vereinigung/Die Grünen“) ein Kristallisationspunkt der Parteiwerdung, da dieser Organisationszusammenhang den Vorläufer der Bundespartei „Die Grünen“ bildete, die im Jahr danach formal gegründet wurde. Die neue Partei positionierte sich als radikaler Außenseiter und generierte durch ungewöhnliches Auftreten, einen alternativen Politikstil und das Aufgreifen neuer Themenstellungen viel Aufmerksamkeit. 1983 gelang den Grünen erstmals der Einzug in den Bundestag.
Programmatik
Aufgrund unterschiedlicher Hintergründe der in der Gründungsphase engagierten Akteure fiel das inhaltliche Spektrum der neuen Partei breiter aus, als die mit dem Parteinamen assoziierten ökologischen und umweltpolitischen Themen. Die Integration der heterogenen Positionen gestaltete sich schwierig: Anfängliche Versuche über die Definition als progressive Kraft („Nicht rechts, nichts links, sondern vorne“) verfingen nur bedingt und radikale, ökosozialistische Deutungsmuster traten hinzu (Raschke 1993). Zugleich führte die hohe Autonomie der Landesverbände zu einer starken Variation programmatischer Profile (radikaler und sozialistischer im Norden und in den Stadtstaaten, gemäßigter und ökolibertärer im Süden).
Das erste Grundsatzprogramm stützte sich auf die bereits im Europawahlprogramm enthaltenen vier Grundprinzipien: ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei. Ein roter Faden fehlte dem Dokument, der Text versammelte als Kompromisspapier katalogartig Interessen einzelner parteiinterner Gruppierungen.
Eine Mäßigung zeichnete sich 1986 im von der grünen Bundestagsfraktion initiierten Umbauprogramm ab, in welchem reform-orientierte Maßnahmen eine radikal-revolutionäre Rhetorik ersetzten. Es fand sich jedoch eine Spannung von Skepsis gegenüber dem Staat auf der einen wie dem Wunsch nach umfassender staatlicher Steuerung (z. B. bei Umweltschutz oder Umverteilung) auf der anderen Seite.
Die nach der Wiedervereinigung im Rahmen der Fusion mit dem ostdeutschen Bündnis 90 (daher der heutige Name) erarbeiteten politischen Grundsätze standen für eine weitere Normalisierung und Etablierung. Regimekritiker und Bürgerrechtler aus der ehemaligen DDR trugen zu einem positiveren Verständnis (rechts-)staatlicher Institutionen bei und dämpften die Begeisterung für sozialistische Experimente.
Das zweite offizielle Grundsatzprogramm „Die Zukunft ist grün“ wurde 2002 auf einem Parteitag in Berlin verabschiedet. Die Erarbeitung parallel zur Regierungsbeteiligung im Bund bedingte einen nüchternen und staatstragenden Ton, das Programm bildete die Entwicklung von einer Protest- zu einer Reformpartei ab (Switek 2015). Zentral war ein „erweiterter Gerechtigkeitsbegriff“, wobei ökologische und soziale Fragen über die Ideen von Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit verhandelt wurden. Der innerhalb der Grünen umstrittene Begriff der Freiheit – da häufig als marktliberal verstanden – fand sich als Selbstbestimmung wieder. Erkennbar zeigte sich eine Aussöhnung mit marktwirtschaftlichen Logiken (z. B. Anreize für umweltfreundliche Technologien). In der Finanzpolitik plädierten die Grünen nun für Haushaltskonsolidierung und Schuldenabbau. Ein Kurswechsel fand sich ebenfalls in der Verteidigungspolitik, wo die ehemals überzeugten Pazifisten Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht mehr prinzipiell ausschlossen.
Analysen des grünen Programms zur Bundestagswahl 2017 platzierten die Partei am progressiv-libertären Pol einer gesellschaftspolitischen bzw. kulturellen Konfliktdimension sowie zwischen SPD und Linken auf einer soziökonomischen Achse von freiem Markt und staatlicher Steuerung. Anders als noch 2013 standen 2017 ökologische Themen wieder stärker im Mittelpunkt (z. B. Abschaltung Kohlekraftwerke, E-Mobilität, Agrarwende).
2018 startete ein neuer Grundsatzprogrammprozess, dem aufgrund der zeitgleichen personellen Erneuerung an der Parteispitze erkennbar Potenzial für weitreichende Veränderungen zukommt.
Ohne Zweifel sind die Grünen eine Programmpartei, bei denen Programmprozessen eine hervorgehobene Bedeutung zukommt. Mitgliederbeteiligung und Zahl der Änderungsanträge fallen stets hoch aus, mehr noch als in anderen Parteien versteht sich die Basis als Wächter über die Parteiprogrammatik.
Parteiorganisation
Die Wurzeln in den Neuen Sozialen Bewegungen, das Ideal der Basisdemokratie und die Ablehnung etablierter Parteien führte dazu, dass die Formierung als Parteiorganisation misstrauisch beäugt wurde. Entsprechend wiesen die frühen Grünen viele organisatorische Besonderheiten auf, wie die kollektive Führung durch geteilte Vorsitzendenämter, das Rotationsprinzip bei Abgeordnetenmandaten, die Trennung von Amt und Mandat sowie die Begrenzung der Gehälter und Diäten (Poguntke 1993). Ziel war es, die Herausbildung einer potenziell entkoppelten Elite und damit die Verwässerung programmatischer Ziele zu verhindern. Die feministischen Wurzeln äußerten sich in einer strikten Quotierung aller Ämter und Listen nach Geschlecht.
In der politischen Praxis gerieten diese Regeln jedoch unter Druck, die grüne Parteigeschichte lässt sich auch als Abfolge von Organisationsdebatten und -reformen erzählen (die Trennung von Amt und Mandat wurde erst 2003 über eine Urabstimmung gelockert). Die Spannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit brachte eine hochgradig informelle Strukturierung der Partei durch Flügel und Strömungen hervor (Klein und Falter 2003, S. 52–70). Waren diese anfangs ideologisch oder programmatisch fundiert und stark institutionalisiert (Realos vs. Fundis), wandelten sie sich mit der Zeit zu loseren Netzwerken (Reformer vs. Regierungslinke), die bei der Besetzung von Ämtern und Listen allerdings weiterhin eine wichtige Rolle spielen.
Die Partei wird von zwei gleichberechtigten Vorsitzenden (seit Januar 2018 Annalena Baerbock und Robert Habeck) sowie vier weiteren Vorstandsmitgliedern geführt, die auf zwei Jahre gewählt sind. Dem Vorstand steht ein 16-köpfiger Parteirat als Beratungsgremium zur Seite, der Spitzenpolitiker aus allen Ebenen versammelt (Vorsitzende und politischer Bundesgeschäftsführer sind qua Amt Mitglied). Oberstes Organ der grünen Partei ist die Bundesdelegiertenkonferenz, die in der Regel ein bis zwei Mal im Jahr zusammentritt und deren 820, aus den Kreisverbänden entsandte Delegierte über Programme und Satzung abstimmen, Parteiämter besetzen sowie die Europawahlliste aufstellen. Daneben existiert als kleiner Parteitag der Länderrat, dem neben Delegierten aus den Landesverbänden die Parteiratsmitglieder, Vertreter aus Bundestag und Europaparlament sowie der Nachwuchsorganisation Grüne Jugend und den thematisch gegliederten Bundesarbeitsgemeinschaften angehören. Für die frauenpolitische Arbeit existiert ein eigener Bundesfrauenrat. Bündnis 90/Die Grünen sind einflussreiches Mitglied der transnationalen europäischen Parteiorganisation „European Greens“.
Historisch spielten neben der Parteiorganisation im engeren Sinne die Fraktionen in Bund und Ländern eine bedeutsame Rolle, indem sie häufig als Motor der programmatischen Entwicklung agierten und pragmatische Positionen in die Partei trugen. Neben Parteizentrale und Bundestagsfraktion entwickelte sich mit der steigenden Zahl der Beteiligungen an Landesregierungen in den letzten Jahren ein weiteres Machtzentrum: die informellen Abstimmungsrunden vor Bundesratssitzungen. Die strategische Koordinierung einer Mehrebenenpartei im Föderalismus bedingt, dass zentrale Fragen dort teilweise vorentschieden werden, wobei sich aufgrund der Zusammensetzung eine Dominanz der Regierungsperspektive ergibt.
Nach einer anfänglichen Zurückhaltung vieler aus den Bewegungen stammenden Grünen-Sympathisanten hinsichtlich eines formalen Partei-Engagements stiegen die Mitgliederzahlen der Grünen bis Ende der 1980er-Jahre steil an, wo sie dann bei etwa 40.000 stagnierten. Die programmatische und organisatorische Neuausrichtung nach dem verpassten Wiedereinzug in den Bundestag 1990 führte durch einen Austritt vieler Radikalökologen zu sinkenden Zahlen, danach wuchs die Mitgliederzahl bis zum Eintritt in die erste rot-grüne Bundesregierung um fast 15.000 an. Ein zweiter Rückgang ergab sich aufgrund der Entscheidung von Rot-Grün zum Einsatz der Bundeswehr im Kosovo-Konflikt, wodurch vor allem Mitglieder mit pazifistischen Wurzeln der Partei den Rücken kehrten. Ab 2009 stiegen die Zahlen wieder, 2018 verfügen Bündnis 90/Die Grünen über etwa 70.000 Mitglieder (nur etwa 7 % davon stammen aus den neuen Bundesländern, ohne Berlin). Die Mitglieder sind im Vergleich zu anderen Parteien tendenziell weiblicher und jünger und verfügen über einen hohen formalen Bildungsgrad.
Wahlen
Einen ersten Achtungserfolg erzielten die Grünen mit 3,2 Prozent bei der ersten Europawahl 1979 (was ihnen allerdings keine Mandate einbrachte). Im selben Jahr gelang im Oktober der Bremer Grünen Liste als erster grünen Landespartei knapp mit 5,1 Prozent und vier Abgeordneten der Einzug in ein Landesparlament. Bei der Bundestagswahl im Oktober 1980 kam man auf nur 1,2 Prozent, erst 1983 gelang mit 5,6 Prozent der Sprung über die Fünfprozenthürde. Nach einem verbesserten Ergebnis 1987 blieben die westdeutschen Grünen 1990 wieder unter 5 Prozent, so dass nur die ostdeutschen Bündnis 90/Die Grünen mit acht Abgeordneten im Bundestag vertreten waren. Dennoch schloss sich in den Bundesländern eine Stärkephase der Partei an, Anfang der 1990er-Jahre waren die Grünen in 14 Landesparlamenten vertreten. In der Folge zeigten sich Schwierigkeiten in den neuen Bundesländern, wo mehrfach der Einzug in die Parlamente verfehlt wurde. Auf Bundesebene kam man nach dem geglückten Wiedereinzug 1994 bei der Wahl 1998 mit der SPD auf eine Mehrheit, deren Verteidigung – durch Zugewinne der Grünen – 2002 gelang. Die erfolgreichste Phase der Partei begann 2011, als die baden-württembergischen Grünen vor dem Hintergrund des Reaktorunglücks in Fukushima, den Protesten gegen Stuttgart 21 und eines populären Spitzenkandidaten Winfried Kretschmann bei der Landtagswahl knapp vor der SPD landeten und damit erstmals als Seniorpartner einer Koalition einen grünen Ministerpräsidenten stellen konnten. In den folgenden Jahren waren die Grünen in allen 16 Landesparlamenten vertreten und die Zahl der Regierungsbeteiligungen stieg kontinuierlich an. Allerdings transportierte sich diese Stärke nur bedingt auf die Bundesebene, wo man bei den Wahlen 2013 und 2017 zwischen 8 und 9 Prozent landete.
Zwei Entwicklungen spielten den Grünen in den letzten Jahren in die Hände: Einerseits trieb ihnen die anhaltende Schwäche der SPD links-orientierte rot-grüne Wähler zu; andererseits bilden die Grünen mit ihren auf Multi-Kulturalismus und Vielfalt bezogenen Positionen den Gegenpol zur neu etablierten Alternative für Deutschland, die auf nationalstaatliche Souveränität, traditionelle Werte sowie eine geschlossene und homogene Gesellschaft setzt. Besonders deutlich manifestierte sich das im Herbst 2018 bei den Landtagswahlen in Bayern (17,6 %) und Hessen (19,8 %), wo die Grünen jeweils ihre besten Ergebnisse erzielten und damit beide Male die SPD als zweitstärkste Kraft ablösten. Dabei profitierten die beiden Landesverbände von ihren pragmatischen, ökolibertären und teilweise wertkonservativen Positionen, wodurch sie auch in ländlichen Gebieten gute Ergebnisse erzielten.
Insgesamt sind die Hochburgen der Grünen weiterhin Groß- und Universitätsstädte (das beste Zweitstimmenergebnis bei der Bundestagswahl 2017 erreichte man in Freiburg mit 21,2 % vor Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg/Prenzlauer Berg Ost mit 20,4 %). Grünen-Wähler sind in der Regel formal höher gebildet und stammen überdurchschnittlich häufig aus dem öffentlichen Dienst und Dienstleistungsberufen. Eine Konsequenz der weiterhin strikt angewandten Frauenquote ist die hohe Attraktivität für Wählerinnen. Obwohl die Grünen inzwischen etablierter Teil des Parteiensystems sind, kultivieren sie weiterhin ein alternatives und unangepasstes Bild, wodurch sie auch bei jüngeren Wählern überdurchschnittlich gut abschneiden.
Koalitionen
In ihrer Gründungsphase sahen sich die Grünen mit ihren radikalen Veränderungsansprüchen als Teil der außerparlamentarischen Opposition. Einige parteiinterne Strömungen verstanden die Bewegungen als Standbein und die parlamentarischen Vertretungen als Spielbein, wobei letzteren die Rolle von Provokateuren zur Entblößung der Machtorientierung der etablierten Parteien zukam. Dass man sich dennoch partiell auf eine ernsthafte parlamentarische Arbeit einließ, führte zu einer gewissen Mäßigung, zugleich erkannten die grünen Parlamentarier Einflusskanäle und Gestaltungspotenziale. Hierdurch wuchs bei Teilen der Partei der Wunsch, den Einfluss über Regierungsbeteiligungen zu potenzieren – allerdings war diese Position in der Partei heftig umstritten, da manche die damit verbundene Kompromissfähigkeit als Aufgabe der grünen Identität begriffen. Zugleich musste sich genauso die SPD zur Zusammenarbeit mit den Grünen durchringen, was aufgrund des unkonventionellen Politikstils der jungen Partei, deren intensiven Strömungskonflikten, sowie den Partizipationsforderungen der grünen Basis alles andere als leicht fiel. Die ersten rot-grünen Koalitionsgespräche 1985 in Hessen führte man auf Wunsch der Grünen noch öffentlich. Rot-grüne Landesregierungen waren anfangs Konfliktbündnisse, die oft keine ganze Legislaturperiode überdauerten. Mit der Zeit bildete sich ein rot-grünes Koalitionsmodell heraus, was die programmatische Grundlage, die Verteilung der Ministerämter wie die Arbeitsweise umfasst. Aufbauend auf den Erfahrungen in den Bundesländern kam es 1998 zur ersten rot-grünen Koalition auf Bundesebene, in der die Grünen drei Ministerien besetzten. Vor allem der grüne Außenminister Joschka Fischer genoss hohe Popularität und beförderte das realpolitische Profil der Partei. Die Zusammenarbeit wurde nach der Bundestagswahl 2002 fortgesetzt und endete nach den vorgezogenen Neuwahlen 2005 aufgrund einer fehlenden rot-grünen Mehrheit. Auch wenn die Grünen danach an keiner Bundesregierung mehr beteiligt waren, zeigte sich auf Länderebene eine interessante Entwicklung: Durch die Etablierung der LINKEN nach 2005 gerieten die Koalitionsroutinen unter Druck, da klassische Zweiparteienbündnisse oft keine Mehrheit mehr erreichten. Die Grünen reagierten äußerst flexibel, indem sie Bündnisse mit der Union eingingen, aber auch Dreierbündnisse mit CDU und FDP, SPD und FDP sowie mit SPD und Linken realisierten (Switek 2015). Zwar scheiterten diese Experimente anfangs (wie im Saarland oder in Hamburg), dennoch rückten die Grünen dadurch in eine mittige Position mit Anschlussfähigkeit in beide Richtungen. In Baden-Württemberg waren sie 2011 und wieder 2016 größte Partei in einer Landesregierung, wodurch sie Zugriff auf das Amt des Ministerpräsidenten erhielten. In Sachsen-Anhalt stützten sie 2016 erstmals eine Koalition aus CDU und SPD, die alleine nicht mehrheitsfähig waren.
Die Koalitionsflexibilität auf Länderebene bereitete die Partei selbst wie die Öffentlichkeit auf die Bundestagswahl 2017 vor, nach welcher Union, FDP und Bündnis 90/Die Grünen mehrere Wochen intensiv über die Bildung einer gemeinsamen Regierung sondierten („Jamaika-Koalition“). Es existieren unterschiedliche Deutungen, wie nah man einer Einigung war, bevor die Liberalen die Gespräche beendeten. Die umfangreichen und detaillierten Sondierungspapiere verdeutlichen jedoch, dass ein solches Bündnis – in den 1980er-Jahren noch völlig undenkbar – inzwischen eine realistische Option bildet, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
Nach einem Höchststand 2017 von 11 Regierungsbeteiligungen in den Ländern ging diese Zahl wieder leicht zurück, dennoch bilden die Koalitionen weiterhin ein breites Spektrum an Konstellationen ab. Gerade die Balance zwischen den Strömungen ist dabei ein Erfolgsrezept, da hierüber Anknüpfungspunkte nach links wie rechts bestehen – fraglich ist aber, ob ein solcher Spagat auf Dauer gelingen kann.
Fazit
Die Grünen haben sich in den knapp vierzig Jahren seit ihrer Gründung umfassend organisatorisch, programmatisch und personell gewandelt. Viele ihrer Themen, anfangs als abseitig belächelt, sind inzwischen in der gesellschaftlichen Mitte angekommen. Mit dem Wegfall des Atomkonflikts fehlt ihnen zwar ein wichtiges mobilisierendes Element, die Partei bemühte sich aber, ihren grün-ökologischen Markenkern für angrenzende Bereiche, wie Verbraucherschutz, Ernährung, Verkehr oder Finanzpolitik anschlussfähig zu machen. Gleichzeitig betont man stets die linken Wurzeln und versucht die Profilierung in Fragen sozialer Gerechtigkeit. Dieser Dualismus ermöglichte eine äußerst erfolgreiche Koalitionsstrategie, birgt aber zugleich Konfliktpotenzial. Die Integration der parteiinternen Strömungen, die Balance der Spannung von Opposition und Regierungsbeteiligung sowie der Stärke im Westen und Schwäche im Osten sind die großen Herausforderungen bei der Formulierung des neuen Grundsatzprogramms, das zum vierzigjährigen Bestehen der Partei 2020 vorliegen soll.
Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Niko Switek