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Ausschüsse | bpb.de

Ausschüsse

Jürgen Plöhn

Definition und strukturelle Differenzierung

Im sozialwissenschaftlichen Sinne ist unter einem Ausschuss ein Gremium mit festem Mitgliederkreis zu verstehen, das von einer oder mehreren Institutionen zur Wahrnehmung bestimmter Aufgaben in wiederkehrender Teilzeittätigkeit bestellt worden ist. Der parlamentsrechtliche Ausschussbegriff ist enger und umfasst nur solche Gremien, die zur Wahrnehmung von Parlamentsfunktionen unter Beteiligung aller → Fraktionen allein aus → Abgeordneten gebildet werden. Hiernach ausgesondert werden gemischte Gremien, die „Leitungsorgane“ Präsidium und Ältestenrat sowie Gremien bei anderen Einrichtungen.

Strukturell lassen sich die Ausschüsse des → Bundestages nach „ständigen“ und „besonderen“ Ausschüssen sowie Sonder- und Untersuchungsausschüssen differenzieren. Seine Fach- bzw. „ständigen“ Ausschüsse setzt der Bundestag – überwiegend autonom – für die Dauer einer Wahlperiode (WP) ein. Nur wenige (z. B. für Petitionen und Verteidigung) sind ihm verfassungsrechtlich vorgeschrieben (Art. 45 (n.F.), 45a, 45c GG), einige andere (z. B. Haushaltsausschuss) sind gesetzlich verankert. Für spezielle Einzelaufgaben können Sonderausschüsse gebildet werden. Gleiches gilt für Untersuchungsausschüsse, die nach Art. 44 GG auf Verlangen einer qualifizierten Minderheit einzusetzen sind und über spezielle Rechte verfügen. Für den Verteidigungssektor kann ein Antrag aus den Reihen der Mitglieder des Verteidigungsausschusses dessen Untersuchungsrechte aktivieren (Art. 45a GG). Bei den „besonderen“ Ausschüssen handelt es sich um Gremien mit gesetzlich geregelten Kontroll-, Vorschlags- oder Beschlussrechten.

Entwicklung des Ausschusssystems

In den ersten beiden Wahlperioden des Bundestages entwickelte sich die Ausschussstruktur stark projekt- und ad-hoc-orientiert. Nach einer Konsolidierungsphase richten sich die Fachausschüsse seit der 6. WP weitgehend an den Ressorts der → Bundesregierung aus. Doch sind nachfolgend neben die thematisch definierten Ausschüsse für Petitionen und Geschäftsordnungsfragen weitere Gremien ohne gouvernementales Pendant getreten. Zahl und Aufgabenbereiche der Ausschüsse haben sich daher mit Regierungsressorts sowie durch zusätzliche Gremien (z. B. für Sport, Tourismus, Europa) wiederholt geändert (insgesamt: 6. WP: 17; 19. WP seit 25.04.2018: 24). Als prestigeträchtig und einflussstark bilden traditionell der Auswärtige Ausschuss und der Haushaltsausschuss die Spitze der politischen Ausschusshierarchie des Bundestages.

Durch weitere beratende Gremien wie den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung ist die Abgrenzung der Ausschüsse unscharf geworden. Zu Beginn der 18. und 19. WP neu war wegen langwieriger Regierungsbildungen die vorübergehende Einsetzung eines nahezu umfassend zuständigen „Hauptausschusses“.

Sonderausschüsse schienen in den 70er-Jahren durch Unter-Ausschüsse und Enquete-Kommissionen obsolet geworden zu sein, werden aber seit Beratung der Vereinigungsproblematik (1990) gelegentlich erneut verwendet. Untersuchungsausschüsse haben seit Mitte der 60er-Jahre vor allem als Oppositionsinstrumente an politischer Bedeutung gewonnen.

Größe, Zusammensetzung und Vorsitzende der Ausschüsse

Die Anzahl der ordentlichen Mitglieder (zuzüglich Stellvertreter) variierte in den Fachausschüssen der 1. WP zwischen 7 und 27, in der 10. zwischen 13 und 37. Vereinigungsbedingt ab der 12. WP erweitert, liegt die Größe der Ausschüsse in der 19. WP bei 14 bis 49 Mitgliedern, woraus sich eine Gesamtzahl von 813 Sitzen in ständigen Ausschüssen ergibt. „Besondere“ Ausschüsse sind deutlich kleiner. Für die Ausschussgröße relevant sind Zahl und Größe der Fraktionen, Arbeitsanfall, eventuelle Untergliederungen sowie angestrebte Beratungsbedingungen.

Bei der Sitzverteilung sind alle Fraktionen und gegebenenfalls „Gruppen“ proportional zu berücksichtigen. Fraktionslose Abgeordnete erhalten seit 1989 in je einem Ausschuss ein Rede- und Antragsrecht (BVerfGE 80, 188 ff.). Zur Berechnung der Fraktionsanteile wird seit 1980 in der Regel das Verfahren nach St. Laguë/Schepers angewendet. Regierungsmitglieder haben keine Ausschusssitze inne, teilweise verzichten auch die Angehörigen der Fraktionsführungen auf diese.

Für die Bestimmung der Ausschussvorsitzenden gilt – ungeachtet ihrer formellen Wahl durch den Ausschuss – in deutschen Parlamenten ein strikter Fraktionsproporz. Angesichts der Relevanz der Vorsitzenden wird über die parteipolitische Besetzung dieser Positionen regelmäßig unter Berücksichtigung von Wahlergebnis, politischer Bedeutung der Ausschüsse, Traditionen und Personalangebot eine interfraktionelle Verständigung angestrebt. Wird sie verfehlt (z. B.: 17. Bundestag), erfolgt ein Zugriff gemäß Rangmaßzahlen (nach Schepers). Im Ergebnis hat auf Bundesebene der Vorsitz im Innenausschuss bis zur 16. WP stets bei der → SPD, im Rechtsausschuss mit einer Ausnahme bei der → CDU/CSU und im Haushaltsausschuss regelmäßig bei der stärksten Oppositionsfraktion gelegen. Drastische Wahlniederlagen (z. B. CDU/CSU 1998, SPD 2009) können langjährige Kontinuitäten aber unterbrechen.

Funktion und Verfahren

In ihrer Funktion als „vorbereitende Beschlussorgane“ befassen sich Bundestagsausschüsse mit überwiesenen Anträgen und Vorlagen sowie seit 1969 mit selbst aufgegriffenen Fragen aus ihrem Geschäftsbereich; weitergehende Kompetenzen stehen den Gremien mit gesetzlichen Beschlussrechten zu (§ 62 Abs. 1 GOBT). Je nach Aufgabenbereich liegt der Tätigkeitsschwerpunkt ständiger Ausschüsse teils eher auf gesetzgebendem, teils auf kontrollierendem Gebiet, wobei die Ausschussarbeit durch Detailfragen einen starken Sachbezug trägt. Sofern Vorlagen mehreren Ausschüssen überwiesen werden, erhält einer die Schlüsselstellung des „federführenden“ Ausschusses mit Berichtspflicht gegenüber dem Plenum; die „mitberatenden“ Ausschüsse können ihre Anliegen nur indirekt einbringen.

Der Kommunikation zwischen Bundestag, → Bundesregierung und → Bundesrat dienen bei den Ausschussberatungen – regelmäßig informell angewendet – das „Zitierrecht“ des Parlaments und das Zutrittsrecht der Regierungs- und Bundesratsmitglieder sowie ihrer „Beauftragten“. Typischerweise sind daher in Ausschusssitzungen Ministerialbeamte anwesend. Der Koordination der Politik zwischen Ausschuss und Fraktion dienen die Arbeitsgruppen bzw. -kreise der Fraktionen. Innerhalb der einzelnen Ausschüsse werden von den „Obleuten“ der Fraktionen koordinierende und leitende Funktionen wahrgenommen.

Die ständigen Bundestagsausschüsse tagen grundsätzlich nicht-öffentlich, können aber die Öffentlichkeit zulassen (§ 69 Abs. 1 GOBT). Öffentliche Schlussberatungen zu überwiesenen Vorlagen (§ 69a GOBT, seit 1995), haben sich in der Praxis nicht durchgesetzt. Doch hat sich der öffentliche Anteil parlamentarischer Arbeit in Fach- und Untersuchungsausschüssen sowie → Enquete-Kommissionen seit Anfang der 80er-Jahre erheblich erhöht: Das Verhältnis öffentlicher zu nicht-öffentlichen Sitzungen lag in der 9. WP bei 1:8,3, in der 18. bei 1:3,9.

Die Relevanz der Ausschüsse zeigt sich in geänderten Gesetzesvorlagen, Anregungen für Plenardebatten, Gesetzesinitiativen sowie sachlichen und personellen Veränderungen in Regierung und Verwaltung.

Quelle: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 8., aktual. Aufl. Heidelberg: Springer VS 2021. Autor des Artikels: Jürgen Plöhn

Fussnoten