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Politische Bildung (und Europa) | bpb.de

Politische Bildung (und Europa)

R. Müller

Themen der internationalen Politik werden in der Politikdidaktik generell nur mangelhaft berücksichtigt. Trotz der überragenden Bedeutung der EU für praktisch alle Politikbereiche lassen sich die einschlägigen Bücher an einer Hand abzählen. Ein akzeptiertes Konzept zur Beschäftigung mit Europa in der P. ist bislang nicht in Sicht. Zu den Problemen der politikdidaktischen Diskussion zählt, dass selten klar zwischen Europa als geografischem bzw. kulturellem Raum einerseits und der EU als Integrationsverband, der nur einen Teil der europ. Staaten umfasst, andererseits unterschieden wird. Dass Europa seit den 1950er-Jahren ein wichtiges Thema in der (schulischen wie außerschulischen) P. darstellt, ist unbestritten. Zwei Tendenzen kennzeichnen die fachdidaktische Diskussion: Professionalisierung und Einengung der Perspektive. Ging es anfangs noch um Europa als Idee oder Vision oder auch um eine »europäische Dimension« in der P., so engte sich die Diskussion immer mehr auf die EG bzw. EU ein, je mehr diese beiden Organisationen an Bedeutung gewannen. Das EU-Europa wurde zu einem Gegenstand neben vielen anderen in der P., und fast immer steht dabei das EU-Institutionensystem im Mittelpunkt. Der andere Trend – die Professionalisierung – bezeichnet eine didaktische Entwicklung dieser Thematik: Abkehr von einer »Erziehung zu Europa« hin zu den Prinzipien des sog. Beutelsbacher Konsenses von 1976. Dessen grundlegende Prinzipien lauten:

1. Überwältigungsverbot (ein Schüler darf nicht im Sinne erwünschter Meinungen überwältigt und am Gewinnen eines selbstständigen Urteils gehindert werden) und

2. Kontroversität (was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen).

Gegen beides verstößt die »Erziehung zu Europa«. Nun sind aber mit der Professionalisierung, die Europa als Lernstoff in Form von EU-Kunde gleichberechtigt neben andere Gegenstände der P. stellt, die Probleme nicht gelöst. Beklagt wird, dass eine solche Beschäftigung mit der EU weder der Komplexität Europas gerecht wird noch den politikwissenschaftlichen Erkenntnisstand über das »EU-Mehrebenensystem«, d. h. der engen politischen und ökonomischen Verflechtung zwischen EU und ihren Mitgliedstaaten, widerspiegelt. Der Politikwissenschaftler und Didaktiker Georg Weißeno begegnet diesem Problem mit seinem Konzept einer europazentrierten Politikdidaktik, das den Gegenstand Europa, welcher bisher nur isoliert betrachtet wurde, in alle anderen relevanten Gegenstände der P. einarbeitet. Europa soll nicht mehr als ein Thema neben anderen unterrichtet werden, sondern immer im Rahmen eines jeden Themas, das europ. Bezüge aufweist.

Literatur

  • R. Müller/W. Schumann: Schnabeltier und Mehrebenensystem – Didaktische Ansätze der EU-Vermittlung, in: M. Chardon u. a. (Hg.), Regieren unter neuen Herausforderungen: Deutschland und Europa im 21. Jahrhundert, Baden-Baden 2003, S. 287-309.

  • M. Oberle (Hg.): Die Europäische Union erfolgreich vermitteln. Perspektiven der politischen EU-Bildung heute, Wiesbaden 2015.

  • G. Weißeno (Hg.): Europa verstehen lernen. Eine Aufgabe des Politikunterrichts, Bonn 2004.

aus: Große Hüttmann / Wehling, Das Europalexikon (3.Auflage), Bonn 2020, Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH. Autor des Artikels: R. Müller

Fussnoten

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