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Delegierte und Durchführungsrechtsakte | bpb.de

Delegierte und Durchführungsrechtsakte

A. Maurer

Delegierte Rechtsakte (DR) und Durchführungsrechtsakte (DFR) sind durch den Lissabonner Vertrag (2009) eingeführte Rechtsnormen, die europ. Gesetzgebungsakte umsetzen. Sie treten an die Stelle der Komitologie. Unterschieden werden hierbei verschiedene Verfahrenstypen entsprechend der vom Gesetzgeber erlaubten Regelungsdichte, dem Handlungsspielraum, über den die Kommission als zentrale Umsetzungsinstanz gegenüber den mitgliedstaatlichen Vertretern verfügt, und den Kontrollrechten des Europäischen Parlaments und des Rates, die Typ und Verfahren der Umsetzung vereinbaren. So dürfen Rat und Parlament in ihren Gesetzgebungsakten die Kommission ermächtigen, DR nach Art. 290 AEUV zu erlassen. Diese DR der Kommission ergänzen oder ändern den Gesetzgebungsakt in »nicht wesentlichen Punkten«, wobei Parlament und Rat der Kommission die Delegation jederzeit entziehen oder gegen deren DR Einspruch erheben können. In beiden Fällen reicht es aus, wenn eines der beiden Gesetzgebungsorgane einen entsprechenden Veto- oder Entzugsbeschluss fasst. DFR erlässt die Kommission nach Art. 291 AEUV – in wenigen Ausnahmefällen auch der Rat – dagegen dann, wenn für die Umsetzung eines Gesetzgebungsaktes einheitliche Bestimmungen erforderlich sind. Zur Ausgestaltung der DFR haben sich Parlament und Rat im Dezember 2010 auf eine Verordnung verständigt, die unterschiedliche Verfahren zum Erlass von DFR der Kommission festlegt. Demnach gelangt das sog. »Prüfverfahren« zur Anwendung beim Erlass von DFR von allgemeiner Tragweite und von DFR für EU-Programme im Bereich der Agrar- und Fischereipolitik, der Handels-, Umwelt- und Steuerpolitik und bei Maßnahmen zur Sicherheit oder dem Schutz der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen. Das sog. »Beratungsverfahren« wendet die Kommission bei DFR zu allen anderen Bereichen an. Die Kommission wird in allen Fällen von einem Ausschuss unterstützt, dem sie vorsitzt und der sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzt. Während der Ausschuss im Beratungsverfahren über keine besonderen Vetorechte gegenüber der Kommission verfügt, kann im Prüfverfahren eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten die Vorschläge der Kommission abwehren und einen »Berufungsausschuss« anrufen, der über die Differenzen berät. Gibt der Berufungsausschuss eine ablehnende Stellungnahme ab, kann die Kommission den DFR nicht erlassen. Für die Handelspolitik gelten Ausnahmebestimmungen: Erstens muss der Berufungsausschuss zur Annahme multilateraler Schutzmaßnahmen immer eine Stellungnahme mit qualifizierter Mehrheit annehmen. Und zweitens kann der Berufungsausschuss seine Stellungnahmen für DFR zur Verabschiedung von Antidumpingmaßnahmen 18 Monate lang mit der einfachen Mehrheit seiner Mitglieder abgeben. Beide Ausnahmen dienen dem Schutz der handelspolitischen Interessen der größeren EU-Mitgliedstaaten.

Internet

Literatur

  • H. Hofmann: Legislation, Delegation and Implementation under the Treaty of Lisbon: Typology Meets Reality, in: European Law Journal, H. 4/2009, S. 482–505.

  • A. Peers/M. Costa: Accountability for Delegated and Implementing Acts after the Treaty of Lisbon, in: European Law Journal, H. 3/2012, S. 427-460.

aus: Große Hüttmann / Wehling, Das Europalexikon (3.Auflage), Bonn 2020, Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH. Autor des Artikels: A. Maurer

Siehe auch:

Fussnoten