Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Bundesverfassungsgerichtsurteil zum ESM und Fiskalvertrag | bpb.de

Bundesverfassungsgerichtsurteil zum ESM und Fiskalvertrag

M. Große Hüttmann

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe hat am 12.9.2012 mehrere – auch von sehr vielen Bürgerinnen und Bürgern unterstützten – Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die das Inkrafttreten des EU-Fiskalvertrags und des Eurorettungsschirms ESM verhindert hätten, abgelehnt; es hat dabei jedoch Vorbehalte formuliert und seine Zustimmung an Maßgaben gebunden: Bei der Ratifizierung des ESM-Vertrags wie des Fiskalvertrags muss die dt. Bundesregierung völkerrechtlich sicherstellen, dass

1. für die Bundesrepublik Deutschland keine höheren finanziellen Verpflichtungen als die im ESM-Vertrag bereits festgeschriebenen 190 Mrd. € erwachsen und dass

2. trotz der Schweigepflicht, die den im Rahmen des ESM tätigen Personen auferlegt ist, die Bundesregierung den Bundestag und Bundesrat als parlamentarisch und haushaltsrechtlich verantwortliche Organe umfassend informiert.

Das Urteil wurde in Deutschland, europaweit und auch international mit Spannung erwartet und vonseiten der Regierung mit Erleichterung aufgenommen (im Vorfeld war diese Entscheidung freilich allgemein erwartet worden). Die Klagen stellten das BVerfG jedoch vor politische und rechtliche Probleme: Das BVerfG stand im Falle der Klagen gegen die dt. Ausführungsgesetze zum Fiskal- und ESM-Vertrag vor der Herausforderung, dass eine systematische rechtliche Prüfung entsprechende Zeit in Anspruch nehmen würde, jedoch eine möglichst rasche Entscheidung von der dt. und den europ. Regierungen, den EU-Institutionen sowie den Finanzmärkten erwartet wurde; hätte das BVerfG den Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgegeben, hätte dies zu einer Verzögerung bzw. zu einem Scheitern von Fiskalpakt und ESM-Rettungsschirm geführt und möglicherweise Verwerfungen an den internationalen Finanzmärkten und eine Verschärfung der europ. Staatsschulden- und Finanzkrise ausgelöst. Das BVerfG entzog sich dem politischen Druck und der Erwartung einer raschen Entscheidung dadurch, dass es einerseits eine sehr gründliche Folgeabschätzung vornahm und andererseits die genauere Prüfung einiger Fragen (z. B. die Aufkäufe von Staatsanleihen der Eurokrisenstaaten durch die Europäische Zentralbank) auf das Hauptsacheverfahren verschob; das Urteil erging am 18.3.2014. Der Zweite Senat hat die Klage im Rahmen einer summarischen Hauptsacheprüfung in wenigen Wochen vorgenommen. Der Richterspruch steht in der Tradition des Lissabon-Urteils von 2009, mit dem die haushaltspolitische Verantwortung des Bundestages auch in Fragen der Eurokrisenrettungspolitik gestärkt wird. Gleichzeitig zeigte sich an diesem Urteil jedoch, dass das BVerfG an seine Grenzen stößt, wenn eine aus Sicht der Kläger als politisch falsch angesehene Eurorettungspolitik verfassungsrechtlich gestoppt werden soll. Darin manifestiere sich, so der Rechtsprofessor J. Wieland, zugleich Macht und Ohnmacht des BVerfG.

Literatur

  • BVerfG, 2 BvE 1390/12 vom 12.9.2012 (Download: www.bundesverfassungsgericht.de).

  • Wissenschaftliche Dienste – Deutscher Bundestag: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum ESM- und Fiskalvertrag, Nr. 27/12 (18.9.2012), Berlin (Download über: www.bundestag.de).

  • J. Wieland: Macht und Ohnmacht des Bundesverfassungsgerichts in der Finanzkrise: das Urteil vom 12. September 2012, in: Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften, H. 3/2012, S. 303-322.

aus: Große Hüttmann / Wehling, Das Europalexikon (3.Auflage), Bonn 2020, Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH. Autor des Artikels: M. Große Hüttmann

Fussnoten

Weitere Inhalte

Schriftenreihe
4,50 €

Das Grundgesetz

4,50 €

Was bedeutet es, dass staatliches Handeln an die Grundrechte gebunden ist? Wie ist der demokratische Aufbau der Bundesrepublik institutionell geregelt? Alexander Thiele erläutert die Verfassung.

Aus Politik und Zeitgeschichte
vergriffen

In guter Verfassung?

vergriffen
  • Online lesen
  • Pdf
  • Epub

Das Grundgesetz gilt als Meilenstein der deutschen Verfassungsgeschichte. Doch steht derzeit nicht seine Erfolgsgeschichte im Mittelpunkt, sondern die Aktivierung seiner „wehrhaften“ Komponenten.

  • Online lesen
  • Pdf
  • Epub
Hintergrund aktuell

Bundestagswahl wird in Berlin teilweise wiederholt

In 455 Berliner Wahlbezirken muss die Bundestagswahl vom September 2021 wiederholt werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht nach einer Beschwerde der Fraktion CDU/CSU entschieden.

Deine tägliche Dosis Politik

BVerfG-Urteil zur Finanzierung politischer Stiftungen

Gestern hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein mit Spannung erwartetes Urteil zur Finanzierung politischer Stiftungen verkündet. Geklagt hatte die Alternative für Deutschland (AfD). Worum…

Video Dauer
Video

WIR IST PLURAL | Preis zur Stärkung der Demokratie

2021 prämierten bpb und Bundesverfassungsgericht zum 70. Geburtstag der obersten Instanz zum Schutze des Grundgesetzes 15 Projekte, die sich für die demokratischen Werte des Grundgesetzes einsetzen.