Die dt. Länder sind neben der Bundesregierung und dem Bundestag als dritter wichtiger Akteur an der dt. Europapolitik beteiligt. Durch die Übertragung von Kompetenzen auf die EU verloren die Bundesländer an Einfluss auf die Bundesgesetzgebung sowie eigene Kompetenzbereiche (u. a. Erziehungs-, Bildungs-, Ausbildungswesen, Kulturpolitik, Umweltpolitik, Gesundheitspolitik, regionale Wirtschaftsförderung und Strukturpolitik sowie Verwaltungsvollzug). Ihre Kompetenzverluste versuchten die Länder zunächst durch Mitwirkungsrechte an der Europapolitik des Bundes auszugleichen. Nach der Einheitlichen Europäischen Akte (1987), dem Programm zur Vollendung des Binnenmarktes und damit der Zunahme der Regulierungsdichte von europ. Ebene aus, änderten die Länder ihre Strategie. Sie verlangten nun auch direkte Mitspracherechte auf EU-Ebene. Im Zuge dessen begannen die Länder zunächst, eigene Vertretungsbüros in Brüssel einzurichten. Darüber hinaus brachte 1992 der sog. »Europaartikel« (Art. 23 GG) eine neue Stufe der Mitwirkung der Länder an der Europapolitik des Bundes sowie die Teilnahme an den Sitzungen des Ministerrates; die direkte Einflussnahme der Länder auf die europ. Rechtsetzung ist damit verfassungsrechtlich verankert. Ein weiterer Erfolg ist die Einrichtung des Ausschusses der Regionen mit dem Vertrag von Maastricht (1992). Seit Mitte der 1990er-Jahre lässt sich eine neue Strategie der Länder beobachten, die darauf abzielt, ihre autonomen Handlungsspielräume vor dem europ. Gesetzgeber geltend zu machen, abzusichern und auszubauen. Erster Erfolg war die Aufnahme und Stärkung des Subsidiaritätsprinzips im EG-Vertrag. Weiterhin setzte die Bundesregierung auf Druck der Länder bei der Ausarbeitung des Vertrags von Nizza (2000) die Aufnahme einer Zukunftserklärung durch. Darin wurde die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und der EU auf die Verfassungsagenda gesetzt. Bei der Debatte um den Verfassungsvertrag (2004) und anschließend um den Vertrag von Lissabon (2009) forderten die Länder weitreichende Kontrollelemente durch den Bundesrat. Ziel der Länder ist eine frühzeitige Einflussnahme auf die Europapolitik der Bundesregierung und die Vorhaben der EU-Kommission. Durch die Verabschiedung des Gesetzes zur Ratifizierung des Vertrages von Lissabon wurden dem Bundesrat weitere Rechte übertragen. So erhält er das Recht, bei einem vermuteten Verstoß europ. Rechtsetzung gegen das Subsidiaritätsprinzip eine Subsidiaritätsklage zu erheben.
Literatur
R. Hrbek (Hg.): Europapolitik und Bundesstaatsprinzip, Baden-Baden 2000.
C. Jeffery: Towards a New Understanding of Multi-Level Governance in Germany? The Federalism Reform Debate and European Integration, in: Politische Vierteljahresschrift (PVS), H. 1/2007, S. 17-27.
aus: Große Hüttmann / Wehling, Das Europalexikon (3.Auflage), Bonn 2020, Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH. Autor des Artikels: M. Chardon
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