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Bankenunion | bpb.de

Bankenunion

U. Hufeld

Die B. ist eine europ. Gesamtstruktur, die auf drei Säulen beruht. Im Oktober 2013 richtete die EU durch Verordnung einen einheitlichen Aufsichtsmechanismus ein, den »Single Supervisory Mechanism« (SSM). Diese erste Säule der B. etablierte eine gemeinsame Bankenaufsicht in der Eurozone. Die Einheitlichkeit der Aufsichtsstandards und die Vereinheitlichung des Vollzugs ermöglichen die »Gleichbehandlung der Kreditinstitute« und einen Beitrag »zur Stabilität des Finanzsystems in der Union« (Art. 1 Abs. 1 SSM-VO). Im Juli 2014 gründete der Unionsgesetzgeber den einheitlichen Abwicklungsmechanismus, den »Single Resolution Mechanism« (SRM). Diese zweite Säule der B. soll im Bankrottfall verhindern, dass die Gemeinschaft der Steuerzahler für die Refinanzierung der Bank aufkommt. Festgelegt auf materiell »einheitliche Vorschriften und ein einheitliches Verfahren« (Art. 1 Abs. 1 SRM-VO), soll der Abwicklungsmechanismus seinerseits zur Finanzstabilität beitragen, »Ansteckungen« im Finanzsystem verhindern und durch Beteiligung des Privatsektors die »geringere Inanspruchnahme finanzieller Unterstützung aus öffentlichen Mitteln« (Art. 14 Abs. 2 SRM-VO) sicherstellen.

SSM und SRM haben sich seit 2013/2014 fest etabliert und bewährt. Die Fortentwicklung und Vollendung einer gemeinsamen Einlagensicherung (»European Deposit Insurance Scheme«, EDIS), perspektivisch die dritte Säule der B., steht noch in der Diskussion. Die EU hat im April 2014 mit der Neufassung der Richtlinie über Einlagensicherungssysteme (»Deposit Guarantee Scheme Directive«, DGSD) bereits zur Harmonisierung beigetragen. Einlagen bis 100.000 EUR sollen auch bei Insolvenz der Bank abgesichert sein (Einlagensicherung, europäische). Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich in ihrer Bewerbungsrede vor dem Europäischen Parlament am 16. Juli 2019 für das EDIS stark gemacht: »Damit sich die Menschen keine Sorgen um die Sicherheit ihrer Bankeinlagen machen müssen, brauchen wir ein europäisches Einlagenversicherungssystem.«

Die Deutsche Bundesbank hat sich in ihrem Geschäftsbericht 2013 grundsätzlich zur europ. B. bekannt und das ökonomische Anliegen wie folgt zusammengefasst: »Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat gezeigt, dass die bis hierhin existierenden Aufsichtsstrukturen der starken Vernetzung der europ. Finanzmärkte nicht mehr gerecht wurden. Eine weitgehend auf nationaler Ebene angesiedelte Bankenaufsicht erschwert eine umfassende Risikoerkennung bei grenzüberschreitenden Bankengruppen. Zudem erfordern die komplexen Konzernstrukturen von Finanzinstituten einen einheitlichen europäischen Mechanismus zum Umgang mit Schieflagen von Banken. Zahlreiche Länder waren gezwungen, Teile ihres heimischen Bankensektors mit erheblichen Summen zu stützen, da solche Mechanismen bisher fehlten. Die hieraus resultierenden Rettungsmaßnahmen führten zu einer extremen Belastung der Steuerzahler.« Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat mit Blick auf die erste Säule der B. 2015 bekräftigt, »dass der Kerngedanke des SSM erfolgreich umgesetzt werden konnte: eine integrierte Aufsicht über die Banken des Euroraums durch die national zuständigen Behörden und die EZB«. Auch das BVerfG hat die Bankenunion gebilligt (BVerfG-Urteil zur B.). Die B. ist ein Vertiefungs- und Vergemeinschaftungsprojekt der Eurozone. Am SSM und am SRM sind (nur) alle Eurostaaten beteiligt. Die Nicht-Eurostaat haben sich bislang auf die im Verordnungsrecht angebotene »enge Zusammenarbeit« nicht eingelassen. Das Konzept der »teilnehmenden Mitgliedstaaten« in der Zusammensetzung »Euro-plus« verdeutlicht die Integrationstiefe im Euroraum. Seit Beginn der Krise (2008) hat sich die politische und rechtliche Verselbständigung der Eurozone verstärkt, auch und insbesondere mit der B. Wer zukünftig der Währungsunion beitritt, wird nicht nur den Euro einführen, sondern auch die weiteren Verpflichtungen eingehen müssen, etwa aus dem ESM-Vertrag und der B.

Das zentrale Aufsichtsgremium (»Single Supervisory Board«) ist ein »internes Organ« der EZB. Der Aufsichtsmechanismus SSM stellt sich jedoch in seiner Gesamtheit als föderale Struktur dar – vergleichbar mit dem Eurosystem. So wie die EZB und die nationalen Zentralbanken nur der Eurostaaten im Eurosystem die Währungspolitik verantworten (Art. 282 Abs. 1 Satz 2 AEUV; vgl. dort Satz 1 zum größeren ESZB mit den Zentralbanken aller EU-Mitgliedstaaten), so wirken die EZB und die nationalen Aufsichtsbehörden im SSM zusammen. Für Deutschland sind die BaFin und die Bundesbank beteiligt. Den nationalen Aufsichtsbehörden verbleiben in der SSM-internen »Zusammenarbeit« (Art. 6 SSM-VO) gewichtige Aufgaben und Befugnisse. Unter Berücksichtigung dieser föderalen Arbeitsteilung in der Bankenaufsicht hat das BVerfG die Vereinbarkeit des SSM mit den Vertragsgrundlagen bestätigt.

Die EZB hat im SSM »besondere Aufgaben« (Art. 127 Abs. 6 AEUV) übernommen. Sie fungiert nicht mehr nur als Notenbank. Über ihre geldpolitische Aufgabe hinaus hat sie im SSM die Verwaltungsfunktion der Bankenaufsicht übernommen. Unter der direkten Aufsicht der EZB stehen »bedeutende« Banken mit Aktiva im Gesamtwert von mehr als 30 Milliarden Euro, zudem die drei größten Banken in jedem Eurostaat. Die EZB verfügt über zahlreiche Befugnisse, darunter die Zulassung von Kreditinstituten, die Durchführung von Überprüfungen (»Stresstest«), Informationsersuchen und Prüfungen vor Ort. Zudem trägt die EZB die Gesamtverantwortung dafür, dass der föderale SSM »wirksam und einheitlich funktioniert« (Art. 6 Abs. 1 SSM-VO). Damit wird innerstaatlich-partikulare Privilegierung (home bias) und Fragmentierung der Eurozone vermieden und Wettbewerbsgleichheit gewährleistet. Im Bankrottfall (Art. 18 SRM-VO: »Das Unternehmen fällt aus oder fällt wahrscheinlich aus.«) soll der SRM im Konflikt der Abwicklungsziele abwägen: einerseits »Ansteckung« verhindern und im Interesse der Allgemeinheit an einem funktionstüchtigen Bankensystem die »Kontinuität kritischer Funktion« sicherstellen, andererseits die Kunden der Bank und nicht zuletzt die Steuerzahler schützen (Art. 14 SRM-VO). Das zentrale Abwicklungsgremium (»Single Resolution Board«) ist eine unabhängige Agentur der Union mit eigener Rechtspersönlichkeit. Der Abwicklungsausschuss ist Eigentümer des einheitlichen Abwicklungsfonds (Single Resolution Fund). Diesen Fonds speisen die Banken selbst (EU-Bankenabgabe). Bei Finanzierung einer Restrukturierung oder Abwicklung soll in der »Haftungskaskade« – auch mit Hilfe des Fonds – die Inanspruchnahme öffentlicher Haushaltsmittel möglichst verhindert werden: Zuallererst sollen die Anteilseigner und Gläubiger der Bank haften, dann der Fonds, der ggf. zusätzlich den ESM als Kreditgeber einschalten kann (»common backstop«); für die Rückzahlung der ESM-Kredite sollen wiederum die Banken aufkommen über nachträglich erhobene Bankenabgaben. Gelingt dieser »Bail-in«, kann von einer SRM-administrierten »Selbstrettung« die Rede sein. Dann findet kein »Bail-out« statt und werden die Steuerzahler verschont.

Die B. ist insgesamt ein Projekt der Stabilisierung durch materiellrechtliche Vereinheitlichung und administrative Zentralisierung – im Kern ein Projekt der Euro-Stabilisierung und Binnenmarktprojekt. Der Zusammenhang ist entstehungsgeschichtlich verbürgt. Dem Europäischen Rat lag am 28./29. Juni 2012 der Präsidentenbericht »Auf dem Weg zu einer echten Wirtschafts- und Währungsunion« vor. Im Hinblick auf den darin vorgeschlagenen »integrierten Finanzrahmen« forderte der Europäische Rat »Vorschläge nach Artikel 127« mit dem Ziel der »Wahrung von Einheit und Integrität des Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen«. Heute gehört zu den Grundpflichten aller Organe, die an Aufsichts- und Abwicklungsmaßnahmen des SSM und des SRM beteiligt sind, die »Wahrung« der und Sorgfalt hinsichtlich der »Einheit und Integrität des Binnenmarktes« (Art. 1 Abs. 1 SSM-VO und Art. 6 Abs. 2 SRM-VO). Als Projekt der Zentralisierung kann und will die B. den wohlkalkulierten Entstaatlichungseffekt – insbesondere die Abkehr vom »home bias« bei Aufsicht und Abwicklung – nicht vermeiden. Sie zieht Konsequenzen aus dem Befund der Krisenjahre, dass der »Teufelskreis zwischen Banken und Staatsanleihen« und der »Teufelskreis zwischen Banken und Staaten« zum Schutz der Wirtschafts- und Währungsunion durchbrochen werden müsse. Die B. ist ausgerichtet auf »eine Wirtschafts- und Währungsunion, deren Währung der Euro ist« (Art. 3 Abs. 4 EUV), auf den Binnenmarkt (Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 Satz 1 EUV) und dessen »Verwirklichung« (Art. 114 Abs. 1 Satz 1, Art. 26 Abs. 1 AEUV).

Literatur

  • A.-K. Kaufhold: Die Europäische Bankenunion – vollendet unvollendet? Eine Zwischenbilanz, in: Zeitschrift für Gesetzgebung (ZG), H. 1/2017, S. 18–37.

  • J. Bauerschmidt: Finanzstabilität als Ziel der Bankenunion, ZHR (Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht) 2019, S. 476–502.

  • E. Gören: Der Einheitliche Aufsichtsmechanismus bei der Europäischen Zentralbank (Single Supervisory Mechanism), Baden-Baden 2019.

  • R. Blaß, Abwicklung von Banken. Eine Untersuchung der Entstehung und der Funktionsweise des Einheitlichen Abwicklungsmechanismus innerhalb der Europäischen Bankenunion, Baden-Baden 2019.

aus: Große Hüttmann / Wehling, Das Europalexikon (3.Auflage), Bonn 2020, Verlag J. H. W. Dietz Nachf. GmbH. Autor des Artikels: U. Hufeld

Siehe auch:

Fussnoten

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