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Grundgesetzänderung für Verteidigung und Sondervermögen | Hintergrund aktuell | bpb.de

Grundgesetzänderung für Verteidigung und Sondervermögen

Redaktion

/ 8 Minuten zu lesen

Der 20. Bundestag hat per Grundgesetzänderung eine Reform der Schuldenbremse beschlossen. Dies ermöglicht höhere Verteidigungsausgaben und ein Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz.

Am 18. März stimmte der alte Bundestag in seiner letzten Sitzung über die Grundgesetzänderung ab. (© picture-alliance/dpa, Bernd von Jutrczenka)

Nur wenige Tage vor der Konstituierung des im Februar gewählten 21. Deutschen Bundestages hat der 20. Bundestag am 18. März mit den Stimmen von Union, SPD und Grünen eine Grundgesetzänderung beschlossen. Diese ermöglicht kreditfinanzierte Investitionen für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz außerhalb der Schuldenbremse. Die notwendige Zustimmung des Bundesrates erfolgte am 21. März.

Dem Beschluss zufolge wird die Interner Link: Schuldenbremse im Bereich Verteidigung gelockert und ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Infrastruktur und Klimaschutz aufgelegt. Dazu wurden die Artikel 109, 115 und 143h des Grundgesetzes geändert.

Der Reform gingen Verhandlungen zwischen den Parteien voraus: Da SPD und Union zur Erlangung der für Grundgesetzänderungen notwendigen Zweidrittelmehrheit auf die Unterstützung der Grünen angewiesen waren, konnten die Grünen Änderungen durchsetzen, insbesondere für Investitionen in den Klimaschutz.

Was ist ein Sondervermögen?

Einnahmen und Ausgaben des Bundes sind normalerweise Teil des Bundeshaushalts. Dieser unterliegt der Schuldenbremse, die in den Artikeln 109 und 115 des Grundgesetzes geregelt ist. Demnach darf sich der Bund jährlich mit maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) neu verschulden. Lediglich nach Feststellung einer Notlage – etwa bei Naturkatastrophen, Krieg oder Pandemie – darf der Bund von dieser Regelung abweichen.

Ausgenommen von der Schuldenbremse sind zudem diverse Interner Link: Sondervermögen. Diese Extra-Budgets unterliegen jedoch hohen Hürden und müssen immer bestimmten, konkret definierten Zwecken gewidmet sein. Externer Link: Zuletzt gab es in Deutschland 29 Sondervermögen – im Jahr 2022 etwa kam ein bis 2028 angelegtes Interner Link: Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr hinzu.

Warum werden Sondervermögen kritisiert?

Sondervermögen wurden in der Vergangenheit häufig kritisiert, weil sie von Regierungen auch eingesetzt worden seien, um neue Schulden und eine schlechte Haushaltslage zu verschleiern. Sie werden daher mitunter als „Schattenhaushalte“ bezeichnet. Bis Ende des Jahres 2010 ermöglichte Artikel 115 Absatz 2 des Grundgesetzes, dass Sondervermögen nicht zum Haushalt gerechnet wurden. Sie konnten als sogenannte Nebenhaushalte mit eigener Kreditermächtigung geführt werden.

Sondervermögen, die bis Ende 2010 aufgenommen wurden und eine eigene Kreditermächtigung haben, sind von der Schuldenbremse bis heute nicht betroffen. Seit 2011 greift in der Regel die Schuldenbremse. Mit einer Grundgesetzänderung kann diese jedoch für Sondervermögen außer Kraft gesetzt werden.

Woraus besteht das nun beschlossene kreditfinanzierte Investitionspaket?

Das jetzt beschlossene Investitionspaket besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen: Der erste Teil ermöglicht es dem Bund, seine Verteidigungsausgaben ohne Einschränkung durch die Schuldenbremse massiv zu steigern. Der zweite Teil sieht zusätzlich ein Sondervermögen von bis zu 500 Milliarden Euro für Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz vor. Bundestag und Bundesrat haben dafür die Änderung der Externer Link: Artikel 109 und Externer Link: 115 des Grundgesetzes sowie die Einfügung eines Externer Link: Artikels 143h beschlossen.

Deutlich mehr Geld für die Landesverteidigung

In Artikel 109 GG heißt es nun: „Von den zu berücksichtigenden Einnahmen aus Krediten ist der Betrag abzuziehen, um den die Verteidigungsausgaben, die Ausgaben des Bundes für den Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie für die Nachrichtendienste, für den Schutz der informationstechnischen Systeme und für die Hilfe für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten 1 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt übersteigen.“

So fallen neben den Ausgaben für Waffensysteme oder Kasernen etwa auch Kosten für den Bundesnachrichtendienst (BND) und dem Bundesamt für Verfassungsschutz sowie Cybersicherheit, Bunker und das Technische Hilfswerk unter die Regelung, ebenso militärische Hilfen an die Ukraine. SPD und Union hatten nur eine Ausnahme für Verteidigungsausgaben im klassischen Sinne vorgesehen, die Grünen hatten jedoch auf eine Ausweitung auf den Zivilschutz gedrängt. Für was konkret und insbesondere für welche Verteidigungssysteme das Geld letztlich ausgegeben wird, ist naturgemäß im Grundgesetz nicht geregelt. Der 21. Bundestag kann dies mit einfacher Mehrheit beschließen, da Union und SPD gemeinsam über die dafür notwendige Stimmenzahl verfügen.

500 Milliarden Euro für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur

500 Milliarden Euro für Infrastruktur und Klimaschutz wurden als Sondervermögen in das Grundgesetz aufgenommen und von der Schuldenbremse ausgenommen. Laut Artikel 143h soll die Summe „für zusätzliche Investitionen in die Infrastruktur und für zusätzliche Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045“ verwendet werden.

100 Milliarden Euro von diesen 500 Milliarden Euro sollen den Ländern für Investitionen zur Verfügung gestellt werden – in der Praxis werden diese das Geld wohl zu großen Teilen an die Kommunen weitergeben. 100 Milliarden Euro sollen zudem in den Externer Link: Klima- und Transformationsfonds fließen. Der Klima- und Transformationsfonds war bereits 2010 unter der damaligen Regierung aus CDU/CSU und FDP beschlossen worden. Die Investitionen sollen nun über einen Zeitraum von zwölf Jahren bewilligt werden können.

Zudem einigten sich Union, SPD und Grüne darauf, dass es sich zwingend um „zusätzliche“ Investitionen handeln muss. Im Grundgesetz heißt es künftig: „Zusätzlichkeit liegt vor, wenn im jeweiligen Haushaltsjahr eine angemessene Investitionsquote im Bundeshaushalt erreicht wird.“ Zur Konkretisierung wird ausgeführt, dass dies der Fall sei, „wenn der im jeweiligen Haushaltsjahr insgesamt veranschlagte Anteil an Investitionen 10 vom Hundert der Ausgaben im Bundeshaushalt ohne Sondervermögen und finanzielle Transaktionen übersteigt“. Ausgenommen sind die Mittel, die den Ländern für Investitionen zur Verfügung gestellt werden.

Wofür das Geld aus dem Infrastrukturpaket konkret eingesetzt wird, kann der künftige Bundestag per einfachem Gesetz beschließen. Politikerinnen und Politiker von SPD und Union betonten zuletzt immer wieder, das Geld werde etwa in das sanierungs- und ausbaubedürftige Schienennetz sowie in Straßen, Wasserwege, Brücken, Schulen oder den Bau von Kitas fließen. Auch zusätzliche Investitionen in das Stromnetz könnten so finanziert werden. Den Grünen war wichtig, dass auch Gelder für erneuerbare Energien und kommunale Wärmenetze bewilligt werden können.

Lob und Kritik

CDU, CSU, SPD und Grüne begründen die Notwendigkeit einer massiven Erhöhung der Vereidigungsausgaben mit der veränderten globalen Sicherheitslage. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine werde mit unverminderter Härte weitergeführt, zugleich ließen die USA unter Präsident Donald Trump Zweifel an ihrer Verlässlichkeit als Bündnispartner Europas aufkommen. Aus diesem Grund sei eine Aufrüstung der eigenen Streitkräfte alternativlos. Kritik daran kam in der Bundestagsdebatte zur Grundgesetzänderung vor allem von der Gruppe des BSW, die mit einem eigenen Antrag gegen die Erhöhung der Verteidigungsausgaben scheiterte.

Die deutliche Steigerung der Investitionen in die Infrastruktur begründen Befürworterinnen und Befürworter mit deren schlechtem Zustand. Straßen, Schienen, Brücken sowie Schulen und Kitas seien oft marode und baufällig, die Verkehrsnetze müssten dringend saniert und ausgebaut werden, und auch die Verkehrs- und Energiewende benötige dringend mehr Geld. Tatsächlich hat sich zum Beispiel der Zustand des deutschen Schienennetzes laut Expertinnen und Experten in den vergangenen Jahren weiter verschlechtert.

Wirtschaftsinstitute erhoffen sich durch das Finanzpaket einen Schub für das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen. So rechnet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung für das kommende Jahr mit einer um einen Prozentpunkt höheren Wachstumsrate von 2,1 Prozent als ohne das Sondervermögen. Zugleich mahnen die Expertinnen und Experten dringende Reformen an, insbesondere einen Bürokratieabbau und die Schaffung einer leistungsfähigen digitalen Infrastruktur. Kritikerinnen und Kritiker führen dagegen an, dass die steigende Schuldenlast künftige Generationen massiv belaste. Auch würden steigende Zinsen an den Finanzmärkten es anderen EU-Staaten erschweren, notwendige Ausgaben durch Staatsschulden zu finanzieren, und steigende Bauzinsen hierzulande den Wohnraummangel verschärfen .

Lockerung der Schuldenbremse für die Länder

Für die Bundesländer, Interner Link: die ab 2020 in der Regel keine neuen Schulden mehr machen durften , soll die Schuldenbremse ebenfalls gelockert werden. Demnach sollen sie zusammen – wie der Bund – Kredite in Höhe von 0,35 Prozent des BIP aufnehmen dürfen. Das dann für die Länder zulässige Verschuldungsvolumen entspricht derzeit einer Summe von etwa 15 Milliarden Euro. Die Aufteilung der für die Länder insgesamt erlaubten Kreditaufnahme auf die einzelnen Länder muss der Bundestag noch per einfachem Gesetz regeln. Landesrechtliche Regelungen, die der neuen Rechtslage entgegenstehen, werden durch die Reform außer Kraft gesetzt.

Gesetzgebungsverfahren und Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht

Nach dem Ergebnis der Bundestagswahl vom 23. Februar wird es für Union und SPD künftig deutlich schwieriger, im Parlament die nötige Zweidrittelmehrheit zu organisieren, mit der allein Grundgesetzänderungen möglich sind. Im 21. Deutschen Bundestag könnten Union und SPD selbst mit Unterstützung der Grünen kein Vorhaben durchsetzen, das eine qualifizierte Mehrheit erfordert, da Linke und AfD gemeinsam über mehr als ein Drittel der Stimmen und damit über eine Sperrminorität verfügen. Das nun vom alten Bundestag verabschiedete Finanzpaket wäre im neuen Bundestag deshalb absehbar nicht mehrheitsfähig gewesen. Denn Union, SPD, Grüne und Linke schließen jegliche Zusammenarbeit mit der AfD, die vom Bundesverfassungsschutz als Verdachtsfall für rechtsextremistische Bestrebungen geführt wird, aus. Hinzu kommt, dass die Linke insbesondere höhere Verteidigungsausgaben ablehnt.

Daher beschlossen Union und SPD, die Grundgesetzänderungen noch mit dem alten Bundestag zu verabschieden. Denn die Wahlperiode des Parlaments dauert bis zur konstituierenden ersten Sitzung des neu gewählten Bundestags. Wann genau dieser erstmals zusammenkommt, ist im Grundgesetz nicht geregelt. Es heißt lediglich, dass eine Frist von 30 Tagen nicht überschritten werden darf. Der alte Bundestag ist bis zur konstituierenden Sitzung uneingeschränkt beschlussfähig. Der neue Bundestag hat sich am 25. März konstituiert.

Verfassungsrechtliche Einschätzungen halten das Vorgehen von Union und SPD mehrheitlich für zulässig. Abgeordnete von AfD, Linken, FDP sowie des BSW scheiterten mit ihren Versuchen, die Lesungen des Gesetzentwurfs zum Finanzpaket durch Eilanträge und Organklagen vor dem Bundesverfassungsgericht zu verhindern. Sämtliche Anträge wurden als unbegründet abgewiesen. Die Wahlperiode ende erst mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages. Bis dahin bleibe der alte Bundestag voll entscheidungsfähig, entschied das Gericht in drei Beschlüssen am 13. März.

So verlief die Abstimmung im Bundestag

Externer Link: Der 20. Deutsche Bundestag stimmte dem Finanzpaket am 18. März zu. Der von der Unions- und der SPD-Fraktion eingebrachte Gesetzentwurf erhielt in namentlicher Abstimmung 512 Ja-Stimmen. 206 Abgeordnete votierten dagegen. Enthaltungen gab es keine. Erforderlich waren mindestens 489 Stimmen. Seitens von Union, SPD und Grünen stimmte jeweils nur ein Abgeordneter mit Nein, mehrere waren abwesend. FDP, AfD, BSW und Linke stimmten geschlossen gegen die Grundgesetzänderung.

Schwierige Verhandlungen mit den Ländern

Auch im Bundesrat benötigte die Grundgesetzreform eine Zweidrittelmehrheit. Es waren demnach 46 der 69 Stimmen erforderlich. Die Landesregierungen, an denen nur SPD, Grüne und CDU beteiligt sind, kommen zusammen nur auf 41 Stimmen. Erst als wenige Tage vor der Abstimmung klar war, dass auch Bayern mit seinen sechs Stimmen zustimmen würde, stand die Mehrheit. Zunächst hatten die Freien Wähler mit Verweis auf die hohe Neuverschuldung ein Ja verweigert. Sie lenkten schließlich ein, weil sonst ein Bruch der Koalition aus CSU und Freien Wählern möglich gewesen wäre.

Externer Link: Am Ende wurde die Grundgesetzänderung mit 53 Stimmen angenommen. Auch Mecklenburg-Vorpommern, wo die SPD in einer Koalition mit der Linken regiert, stimmte für die Reform. Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen enthielten sich der Stimme.

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