Die rechtsterroristische Tat in der hessischen Stadt Hanau erschütterte die Bundesrepublik und veränderte für viele, wie sicher sie sich in Deutschland fühlen. Dies sind die Namen der neun Menschen, die vor fünf Jahren aus rassistischen Motiven ermordet wurden: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov.
Ein Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags hat das Verbrechen umfangreich untersucht und Ende 2023 einen Abschlussbericht vorgelegt. Der Rechtsstreit einiger Angehöriger um Gerechtigkeit sowie Diskussionen um staatliches Versagen dauern bis heute an.
Tathergang
Am Abend des 19. Februar 2020 erschoss der 43-jährige Tobias R. an mehreren Tatorten in Hanau innerhalb von sechs Minuten aus rassistischen Motiven neun Frauen und Männer. Der Täter drang hintereinander in verschiedene Bars und Kioske ein um dort Menschen zu ermorden und tötete einen Mann, der versuchte, ihn mit seinem Auto aufzuhalten. Sechs weitere Menschen wurden bei der auf den Zeitraum zwischen 21.55 Uhr und 22.01 Uhr datierten Tat verletzt – teils schwer. Anschließend kehrte Tobias R. in sein Elternhaus zurück. Dort tötete er seine Mutter und sich selbst. Eine Stunde nach der Tat drang ein Spezialkommando der Polizei in das Gebäude ein und fand beide Tote.
Opfer nach rassistischen Motiven ausgewählt
Tobias R. hatte vor seiner Tat Pamphlete und Videos mit rassistischen Ansichten ins Netz gestellt. Er äußerte sich darin antisemitisch sowie verächtlich über muslimische Menschen. Das Bundeskriminalamt (BKA) hielt in einer Analyse zum Täter fest, dass dieser Verschwörungserzählungen verinnerlicht hatte. Das BKA kam ebenso wie die Bundesanwaltschaft zu dem Ergebnis, dass der Deutsche einer rechtsextremen Ideologie anhing, seine Opfer nach rassistischen Kriterien ausgewählt und sich an früheren rechtsextremen Anschlägen orientiert hatte. Einem nach seinem Tod erstellten psychiatrischen Gutachten zufolge soll der 43-Jährige zudem an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt gewesen sein.
Ermittlungen und Kritik
Nach der Tat suchten die Bundesanwaltschaft und das BKA nach möglichen Mittätern oder Mitschuldigen. Auch Angehörige der Opfer forderten, die Ermittlungen auf mögliche Komplizen auszuweiten. Sie stellten eine Strafanzeige gegen den Vater des Täters und warfen ihm Beihilfe zum Mord oder Nichtanzeige geplanter Straftaten vor.
Knapp zwei Jahre lang haben BKA und Bundesanwaltschaft den Täter, seine Motivation und Hintergründe sowie Kontaktpersonen untersucht. Sie gingen nach eigenen Angaben gut 300 Hinweisen und Spuren nach und vernahmen rund 400 Zeuginnen und Zeugen. Die Ermittlerinnen und Ermittler kamen zu dem Schluss, dass Tobias R. ohne Mithelfer gehandelt habe und niemand in seine Pläne eingeweiht worden war. Am 16. Dezember 2021 wurde daher die Strafverfolgung eingestellt.
Die "Initiative 19. Februar Hanau", die sich für eine lückenlose Aufklärung und Konsequenzen einsetzt, teilte kurz nach Einstellung des Verfahrens mit, dass sie die Rolle des Vaters weiterhin für "nicht ausermittelt" halte. Angehörige verwiesen ebenfalls schon früh auf aus ihrer Sicht noch offene Fragen, etwa zu den Waffenbesitzkarten des Täters.
Parlamentarischer Untersuchungsausschuss
Vor diesem Hintergrund nahm im Juli 2021 ein Externer Link: parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags zu dem Anschlag von Hanau offiziell seine Arbeit auf. In 42 Sitzungen von Dezember 2021 bis November 2023 tagte der Ausschuss, um die Hintergründe des Gewaltakts zu beleuchten.
Zeuginnen und Zeugen sowie Angehörige erhoben im Rahmen der Ausschussarbeit teils schwere Vorwürfe gegen involvierte Behörden. Dazu gehören unter anderem, dass der Täter unrechtmäßig Waffenbesitzkarten besaß, dass der Notruf überlastet und ein wichtiger Notausgang verschlossen gewesen seien, und dass die Polizei die Angehörigen wie Gefährder behandelt hätte. So verwies der Vater des getöteten Vili Viorel Păun, Niculescu Păun, darauf, dass sein Sohn den Täter nach den ersten Schüssen mit seinem Fahrzeug verfolgt habe, und währenddessen versucht habe, den Notruf zu erreichen, aber nicht durchgekommen sei. Deswegen habe er den Täter weiterhin verfolgt und wurde erschossen. Aus diesem Grund stellte er mehrfach Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung. Im Januar 2021 erhob auch der Bruder eines Ermordeten, Çetin Gültekin, Vorwürfe gegen die Sicherheitsbehörden. Bei seiner Ankunft an einem der Tatorte sei die Polizei nur auf ihre eigene Sicherheit bedacht gewesen und habe abweisend reagiert. Zudem hätten die Angehörigen erst nach vier Tagen den Aufenthaltsort der Leiche erfahren.
Abschlussbericht
Im Dezember 2023 stellte der Externer Link: Untersuchungssauschuss seinen Abschlussbericht vor. Darin heißt es unter anderem, dass die hessischen Sicherheitsbehörden objektiv keine rechtsstaatlichen Möglichkeiten gehabt hätten, die von Tobias R. ausgehende Gefahr frühzeitig zu erkennen und die Tat zu verhindern. Warnhinweise zu der Gefährlichkeit des Täters habe es allerdings gegeben, die seinerzeit jedoch unspezifisch gewesen seien. Darüber hinaus habe es Mängel bei der Prüfung der Erteilung der Waffenerlaubnis gegeben. Zudem habe die Stadt Hanau es versäumt, sicherzustellen, dass der Notausgang einer betroffenen Bar, der „Arena Bar“ stets geöffnet ist – sodass die Opfer anderweitig versuchten, zu fliehen und zwei Menschen dabei erschossen wurden. Der Ausschuss stelle darüber hinaus fest, dass die „Polizeistation Hanau I nicht dem technischen Standard entsprach“, und dass es möglich ist, „dass wegen des nicht vorhandenen Notrufüberlaufs Notrufe nicht entgegengenommen werden konnten“. Bei „einem optimalen Gesprächsverlauf hätte Vili Viorel Păun von der weiteren Verfolgung abgesehen und vermutlich überlebt“, heißt es im Bericht. Weiter heißt es, dass auch dann „der Anschlag am zweiten Tatort nicht hätte verhindert werden können.“
Einer der Bausteine des Berichts drehte sich auch um den Vorwurf, dass die Polizei den Angehörigen mit einer „Gefährderansprache“ begegnet sei -– also einem konfrontativen polizeilichen Gesprächsstil, mit dem Menschen adressiert werden, die noch keine Straftat begangen haben, aber als Gefährder eingestuft werden. Der Ausschuss beschreibt, dass eine „Gefährderansprache“ seitens der Beamtinnen und Beamten gegenüber den Angehörigen „nicht bestätigt“ werden kann, der entstandene Eindruck einer solchen jedoch „gut nachvollziehbar“ sei.
Zu der Rolle des Vaters des Attentäters zeigte der Ausschuss sich überzeugt, dass sein Weltbild „zumindest mitursächlich für den konkreten Tatentschluss und die Wahl der Opfer war.“ Dem offiziellen Abschlussbericht hängen jeweils abweichende, deutlicher wertende Berichte der Fraktionsmitglieder von SPD, AfD, FDP und DIE LINKE an. Diese greifen beispielsweise den Umgang der Polizei mit den Angehörigen kritisch auf.
Reaktionen der Angehörigen
Die „Initiative 19. Februar“ übte scharfe Kritik an dem Abschlussbericht, weil dieser Behördenversagen nicht klar benenne und weder politische Verantwortung übernommen wurde noch personelle oder rechtliche Konsequenzen folgten. So blieben sowohl der Chef der verantwortlichen Polizeidirektion Main-Kinzig als auch der Chef des Polizeipräsidiums Südosthessen als auch der Hessischen Innenminister regulär im Amt. Es seien zudem mutmaßlich Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) im Einsatz gewesen, die einer rechtsextremen Polizei-Chatgruppe angehört haben sollen. Auch widersprechen sich Angaben dazu, wer für kritische Punkte in der Tatnacht verantwortlich war. Ein Diskussionspunkt war der Vorwurf, dass die Polizei selbst den Betreiber der „Arena Bar“ angewiesen haben könnte, die Notausgangtür abzuschließen, weil dort früher bei Razzien Gäste entkommen seien. Die Ermittlungen zum Notausgang in der „Arena Bar“ in Hanau sind schon vor Jahren eingestellt worden. Die Familie des ermordeten Hamza Kurtović hat im Februar 2025 vor allem wegen des verschlossenen Notausgangs eine erneute Strafanzeige gestellt, um das eingestellte Ermittlungsverfahren wieder aufzunehmen. Einer der Vorwürfe lautet fahrlässige Tötung und richtet sich unter anderem gegen Behörden, Polizei und Betreiber der „Arena Bar“.
Ebenfalls eingestellt wurden die Ermittlungen zur jüngsten Strafanzeige von Niculescu Păun im Januar 2025, weil der nicht entgegengenommene Notruf nicht „ursächlich“ für den Tod seines Sohnes gewesen sein. Der Vater will gegen die Entscheidung vorgehen.
Maßnahmen und Gedenken
In den vergangenen Jahren ermordeten rechtsextrem oder rassistisch motivierte Täter zahlreiche Menschen.
Die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten stieg laut Bundesverfassungsschutz im Jahr 2023 um 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr (2023: 1.148, 2022: 1.016). 714 Personen wurden allein 2023 durch solche Taten gesundheitlich geschädigt. Seit 1990 wurden laut BKA Angaben mindestens 115 Personen aus rechtsextremen Motiven ermordet.
Im Februar 2024 stellte das Bundesministerium des Innern und für Heimat bei der Vorstellung eines neuen Maßnahmenpakets fest, dass Rechtsextremismus „die größte Gefahr für unsere Demokratie“ bleibe. Zu den beschlossenen Maßnahmen gehörte unter anderem, die Demokratieförderung zu stärken, Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen und Rechtsextremisten konsequent zu entwaffnen. Auch als Reaktion auf den Terror von Halle und Hanau brachte die letzte Bundesregierung schon Ende 2020 ein Paket gegen Rechtsextremismus und Rassismus mit insgesamt 89 Maßnahmen auf den Weg. Eine der geförderten Initiativen war "Die Partnerschaft für Demokratie in Hanau". Sie sammeln unter dem Hashtag „#SayTheirNames“ Bilder und Statements, um der Opfer und der Hinterbliebenen des Anschlages zu gedenken.
Fünf Jahre nach dem Anschlag plant die „Initiative 19. Februar“, den Opfern und Angehörigen in Hanau an den Friedhöfen und Tatorten zu gedenken. Weitere Organisationen wollen ebenfalls Gedenkfeiern rund um den 19. Februar 2025 abhalten.