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Waffenruhe in Gaza

Redaktion

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Seit Sonntag (19.01.) herrscht im Gazakrieg eine Waffenruhe. Darauf hatten sich Vertreter von Israel und der Hamas nach monatelangen Verhandlungen verständigt.

Verwandte und Freunde von Menschen, die von der Hamas getötet, entführt und nach Gaza verschleppt wurden, reagieren während einer Demonstration in Tel Aviv am 15. Januar 2025 auf die Ankündigung einer Waffenruhe. (© picture-alliance, ASSOCIATED PRESS | Oded Balilty)

Am 15. Januar 2025 haben sich Vertreter der israelischen Regierung und der Hamas auf eine Waffenruhe im Gaza-Krieg geeinigt. Die Pläne sehen vor, den bewaffneten Konflikt in mehreren Phasen einzudämmen. Ein Friedensabkommen zwischen Israel und der Hamas ist damit nicht verbunden. Offen ist bisher auch, ob die Absprachen auch eingehalten werden.

Die Waffenruhe begann am 19. Januar verspätet um 10:15 MEZ (11:15 Ortszeit), so das Büro des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu. Das Abkommen gilt zunächst für 42 Tage. Es sieht einen Stopp der Kämpfe vor. Das gilt für alle beteiligten Konfliktparteien und betrifft sowohl die Kämpfe in Gaza als auch die fortwährenden Raketenangriffe auf Israel. Laut der Vereinbarung ziehen sich die israelischen Streitkräfte in dieser ersten Phase aus den stark bevölkerten Zentren des Gazastreifens zurück. Die in den Süden geflohenen Palästinenserinnen und Palästinenser sollen in ihre Heimatorte im Norden zurückkehren können. Um den Menschen vor Ort zu helfen, ist verstärkte humanitäre Unterstützung geplant.

Geiseln werden freigelassen

Von den am 7. Oktober 2023 rund 250 verschleppten israelischen Geiseln befanden sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Waffenruhe nach wie vor schätzungsweise 98 in der Gewalt der Hamas. Es wird davon ausgegangen, dass 34 von ihnen bereits tot sein könnten. In der ersten Phase der vereinbarten Waffenruhe sollen 33 der noch lebenden Geiseln übergeben werden – darunter weibliche Zivilisten und Soldaten, Kinder und generell alle Zivilistinnen und Zivilisten, die älter als 50 Jahre sind. Eine entsprechende Liste mit Namen wurde kurz nach dem Abschluss der Waffenruhe veröffentlicht. Für jede freigelassene zivile Geisel entlässt Israel 30 verurteilte palästinensische Häftlinge aus den Gefängnissen, für jede militärische Geisel 50. Insgesamt handelt es sich vermutlich um etwa 1.900 Gefangene. Manche dieser Häftlinge verbüßen Strafen wegen einfacher Delikte, wie zum Beispiel Steinwürfen. Andere sind wegen Mordes und terroristischer Anschläge zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Es handelt sich deswegen auch nicht um einen „Geiselaustausch“.

Die Verhandlungen über eine zweite Phase sollen am 16. Tag nach Beginn des Abkommens aufgenommen werden. Bei den Verhandlungen soll es dann auch darum gehen, dass die Hamas weitere Geiseln freilässt und Israels Streitkräfte damit beginnen, sich dauerhaft aus dem Gazastreifen zurückziehen.

In der dritten Phase spätestens sollen alle Geiseln freigelassen werden – erst dann würden sich die israelischen Streitkräfte vollständig aus dem Gazastreifen zurückziehen. Ebenso sollen die sterblichen Überreste ermordeter israelischer Geiseln zurückgegeben werden. Der Wiederaufbau des Gazastreifens soll beginnen.

Humanitäre Hilfe für die Bewohner des Gazastreifens

Zudem ist geregelt, dass humanitäre Hilfe die Menschen im Gazastreifen erreichen soll. Bereits kurz nach Inkrafttreten der Waffenruhe am 19. Januar erreichte ein erster Hilfskonvoi des Welternährungsprogramms die Region. Die Vereinten Nationen meldeten, dass bereits im Laufe des 19. Januar mehr als 630 Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern Gaza erreicht hätten.

Die israelischen Angriffe haben dazu geführt, dass große Teile der zivilen Infrastruktur im Gazastreifen zerstört sind. Mittel- bis langfristig geht es deswegen um den Wiederaufbau von Wohnhäusern, der Wasserversorgung, von Energieleitungen, der medizinischen Versorgung und beispielsweise Bildungseinrichtungen. Sollte die Waffenruhe halten, müssten für den Übergang auch behelfsmäßige Unterkünfte für die Bewohner von zerstörten Gebäuden errichtet werden. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind bei dem Krieg, der durch den groß angelegten Interner Link: Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst wurde, mehr als 46.000 Palästinenserinnen und Palästinenser ums Leben gekommen. Die UN beziehen sich dabei auf Zahlen des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums in Gaza, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen.

Ungewisser Fortgang der Vereinbarung

Unklar ist, ob die Waffenruhe anhält und dadurch ein Wiederaufbau möglich sein wird. Experten verweisen darauf, dass bereits die erste Phase störanfällig ist: Das betrifft sowohl die beiderseitig vollständige Erfüllung der getroffenen Abmachungen als auch deren praktische Umsetzung. Zudem handelt es sich eben noch um kein Friedensabkommen: Die für die Terroranschläge vom 7. Oktober 2023 verantwortliche islamistische Terrororganisation Interner Link: Hamas stellt weiterhin die politische Führung im Gazastreifen. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warnte noch am Abend des 18. Januar davor, dass seine Regierung im Falle eines Scheiterns weiterer Verhandlungen wieder mit militärischen Mitteln vorgehen würde. Er nannte bei dieser Gelegenheit die mit der Hamas getroffene Vereinbarung eine „vorläufige Waffenruhe“.

Auch innenpolitisch hat die Waffenruhe in Israel zu Konflikten geführt. Kurz nach Beginn der ersten Phase der Vereinbarung am 19. Januar hat die rechtsextreme Partei Otzma Jehudit (Jüdische Stärke) ihr Ausscheiden aus der Regierungskoalition von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu angekündigt, der rechtsextreme Polizeiminister Ben-Gvir und zwei weitere Minister haben ihren Rücktritt erklärt – aus Protest gegen die Vereinbarung, die aus ihrer Sicht ein Sicherheitsrisiko für Israel darstelle. Otzma Jehudit verfügt über sechs der 120 Sitze in der Knesset. Die derzeit amtierende Regierung hat nun nur noch eine knappe Mehrheit von 62 Sitzen im Parlament.

Sowohl Biden als auch Trump reklamieren Erfolg für sich

In den USA reklamierten sowohl die zum Zeitpunkt der Verhandlungen amtierende Regierung von Präsident Joe Biden als auch der am 20. Januar ins Amt gekommene Präsident Interner Link: Donald Trump das Abkommen als Erfolg für sich.

Biden äußerte, dass die Waffenruhe das Ergebnis von detaillierten Verhandlungen gewesen sei, die lange im Hintergrund stattgefunden hätten. Donald Trump teilte mit, dass sein Sieg bei den Interner Link: US-Präsidentschaftswahlen im November eine Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas überhaupt erst möglich gemacht habe. Mitte Januar hatte Trump der Hamas zudem gedroht, dass „die Hölle“ losbrechen werde, wenn bis zu seiner Amtseinführung die israelischen Geiseln nicht freigelassen würden.

Baerbock begrüßt Waffenruhe

Streitpunkt in den Verhandlungen waren bis zuletzt Details zur Freilassung der Geiseln in Gaza und zur Entlassung verurteilter palästinensischer Häftlinge in Israel. Die israelische Regierung wollte beispielsweise ein Vetorecht darüber haben, welche Häftlinge aus den Gefängnissen freikommen können und welche nicht. Daraus ergeben sich auch Fragen, die zukünftige Entwicklungen betreffen: Etwa danach, welche Folgen die nun vereinbarte Freilassung von verurteilten Terroristen für die Sicherheit Israels haben könnte.

Außenministerin Annalena Baerbock sprach nach der Bekanntgabe erster Details zur Waffenruhe von einem „Tag der Erleichterung“. Der Waffenstillstand könne der erste Schritt für einen „echten politischen Prozess“ und die Chance für einen dauerhaften Frieden sein. Die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Kaja Kallas, begrüßte die Vereinbarung in einer am 18. Januar veröffentlichten Erklärung ebenfalls. Kallas betonte die Wichtigkeit eines vollständigen und ungehinderten Zugangs humanitärer Hilfsorganisationen zum Gazastreifen.

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